Entscheidungsstichwort (Thema)
Differenzierte umsatzsteuerliche Belastung. Sonderregelung für Kleinunternehmer
Leitsatz (amtlich)
Die sich aus § 12 Abs. 1 und § 19 UStG 1967 ergebende Differenzierung in der umsatzsteuerlichen Belastung ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; UStG § 12 Abs. 1-2, § 19
Tatbestand
A.
Die Beschwerdeführer wenden sich einmal dagegen, daß nach dem Umsatzsteuergesetz 1967 (Mehrwertsteuer) bestimmte Leistungen mit einem hohen Anteil eigener Wertschöpfung dem vollen Mehrwertsteuersatz von jetzt elf vom Hundert unterliegen, und beanstanden ferner, daß Kleinunternehmer nur eine dem früheren Steuersystem entsprechende Bruttoumsatzsteuer von vier vom Hundert zu zahlen haben.
I.
Nach § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) vom 29. Mai 1967 (BGBl I S. 545) – UStG 1967 – betrug die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz zehn vom Hundert der Bemessungsgrundlage. Durch das Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) vom 18. Oktober 1967 (BGBl I S. 991) wurde der Steuersatz mit Wirkung vom 1. Juli 1968 auf elf vom Hundert erhöht. Der steuerpflichtige Unternehmer kann jedoch die ihm von anderen Unternehmern gesondert in Rechnung gestellte Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als „Vorsteuerbeträge” von seiner Steuerschuld abziehen (§ 15 UStG). Danach beträgt die Gesamtbelastung jeder Lieferung oder sonstigen Leistung beim Endverbraucher nicht mehr als elf vom Hundert.
Nach § 12 Abs. 2 UStG ermäßigt sich die Steuer auf fünf (ab 1. Juli 1968: fünfeinhalb) vom Hundert für bestimmte dort näher bezeichnete Lieferungen und sonstige Leistungen.
Eine Sonderregelung für die Umsatzbesteuerung der Kleinunternehmer enthält § 19 UStG. Diese Bestimmung lautet, soweit sie hier von Bedeutung ist:
Besteuerung von Unternehmern mit niedrigem Gesamtumsatz.
§ 19
(1) Für Unternehmer, deren Gesamtumsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 60.000 Deutsche Mark nicht überstiegen hat, beträgt die Steuer für ihre Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 vier vom Hundert der Bemessungsgrundlage zuzüglich der Umsatzsteuer. Die Vorschriften über den gesonderten Ausweis der Steuer in einer Rechnung (§ 14 Abs. 1) und über den Vorsteuerabzug (§ 15) sind für diese Unternehmer nicht anzuwenden. § 4 bleibt unberührt. Die Steuer für die Umsätze ist nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 kann der Unternehmer von seinem Gesamtumsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer einen Umsatzfreibetrag von 12.000 Deutsche Mark absetzen. Übersteigt der Gesamtumsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer 40.000 Deutsche Mark, wird der Freibetrag um drei Fünftel des Betrages gekürzt, um den der Gesamtumsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer 40.000 Deutsche Mark übersteigt.
(3) …
(4) Der Unternehmer kann spätestens bis zum zehnten Tage nach Ablauf des ersten Voranmeldungszeitraums eines Kalenderjahres gegenüber dem Finanzamt erklären, daß er seine Umsätze nicht der Besteuerung nach den Absätzen 1 bis 3, sondern nach den allgemeinen Vorschriften dieses Gesetzes unterwerfen will. Die Erklärung bindet den Unternehmer mindestens für fünf Kalenderjahre. Sie kann nur mit Wirkung vom Beginn eines Kalenderjahres an widerrufen werden. Der Widerruf ist spätestens bis zum zehnten Tag nach Beginn dieses Kalenderjahres zu erklären.
II.
Die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) sind selbständige Friseurmeister, die Beschwerdeführer zu B) bis 10) Inhaber chemischer Reinigungsbetriebe die Beschwerdeführerinnen zu 11) und 12) betreiben Wäschereien. Charakteristisch für die Dienstleistungen dieser Unternehmen ist der im Verhältnis zu Warenlieferungen hohe Anteil eigener Wertschöpfung. Die Gesamtjahresumsätze der Betriebe betrugen im Jahre 1967 jeweils über 60.000 DM. Lediglich der Beschwerdeführer zu 5) lag mit einem damaligen Jahresumsatz von 59.787 DM knapp unter dieser Summe.
Die Beschwerdeführer rügen mit ihren unmittelbar gegen die §§ 12 und 19 UStG gerichteten Verfassungsbeschwerden Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
Zur Begründung ihrer Verfassungsbeschwerden führen die Beschwerdeführer – im wesentlichen übereinstimmend – aus:
1. Das Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer) vom 29. Mai 1967 sei nicht in verfassungsgemäßer Weise zustande gekommen. Der Begriff „Umsatzsteuer” in Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG a.F. könne nur auf der Grundlage des seit 1916 geltenden herkömmlichen Allphasenbruttoumsatzsteuersystems verstanden werden. Nettoumsatzbesteuerung und Vorsteuerabzug seien dem Verfassunggeber unbekannt gewesen. Die Mehrwertsteuer sei daher keine Umsatzsteuer im Sinne dieser Verfassungsbestimmung, sondern eine besondere Form der Verkehrsteuer, deren Ertrag nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 GG den Ländern zustehe. Das Mehrwertsteuergesetz habe danach gemäß Art. 105 Abs. 3 GG der Zustimmung des Bundesrates bedurft, die nicht eingeholt worden sei. Die §§ 12 und 19 UStG hielten sich deshalb nicht im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und verletzten die Beschwerdeführer in ihrem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.
2. § 12 UStG verstoße durch die Anwendung des Regelsteuersatzes des Absatzes 1 auf die Dienstleistungsumsätze der Beschwerdeführer und durch die Vorenthaltung der Begünstigung des Absatzes 2 gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Eine sachgerechte Regelung entsprechend der gesetzgeberischen Zielsetzung, erhebliche Mehrbelastungen auf einer Wirtschaftsstufe und Verteuerungen wegen höherer Gesamtbelastung zu vermeiden, hatte den offensichtlichen Unterschieden zwischen Warenumsätzen und Umsätzen im Dienstleistungbereich sowie im Handwerk Rechnung tragen müssen. Die Notwendigkeit einer sachgerechten Differenzierung habe in den Steuerermäßigungen des § 12 Abs. 2 UStG für bestimmte Lieferungen und Leistungen Ihren Niederschlag gefunden. Da entsprechende Voraussetzungen auch bei den Dienstleistungen der Beschwerdeführer vorlägen – sie befriedigten ebenfalls den unumgänglichen Lebensbedarf – sei ihnen die Gleichstellung mit den Begünstigten unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG versagt worden. Mit den freiberuflich Tätigen hätten die Beschwerdeführer die hohe Wertschöpfungsquote gemeinsam; sie würden auch ähnlich wie die freien Berufe nahezu ausschließlich gegenüber Endabnehmern tätig, so daß sie die Steuer nicht auf eine andere Wirtschaftsstufe abwälzen könnten.
Überlegungen der Praktikabilität und Vereinfachung reichten nicht aus, um diese schwerwiegende Ungleichbehandlung vor dem Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Der Gleichheitssatz sei schon deshalb verletzt, weil die mit dem einheitlichen Steuersatz verbundenen Vorteile in keinem Verhältnis zu den wirtschaftlich nachteiligen Auswirkungen für die betroffenen Steuerpflichtigen stünden. Durch den Einheitssteuersatz würden ganze Gruppen von. Steuerpflichtigen, nämlich Berufe mit hoher Wertschöpfung, wesentlich stärker belastet. Dies gehe bei den Beschwerdeführern bis zur unmittelbaren konkreten Gefährdung ihrer Existenz, wie die Entwicklung ihrer Unternehmen seit Inkrafttreten des Mehrwertsteuergesetzes zeige.
3. Auch die Sonderregelung des § 19 UStG sei verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift Widerstände der kleineren Unternehmen ausräumen wollen und besonders darauf verwiesen, daß diese Regelung gerade für eine Reihe von Dienstleistungs- und Handwerksbetrieben vorteilhaft sei. Dabei habe er jedoch die wirtschaftlichen Auswirkungen des § 19 UStG offensichtlich nicht richtig erkannt. Für die Beschwerdeführer zu 1) bis 4) ergebe sich eine Verzerrung der Wettbewerbsverhältnisse, weil sie mit über 60.000 DM Jahresumsatz von der Regelung des § 19 UStG ausgeschlossen seien. Im Friseurgewerbe herrsche vollkommener Wettbewerb zwischen den in demselben Kundeneinzugsbereich bestehenden Betrieben, weil die vom Kleinbetrieb angebotene Leistung gleichartig mit der eines größeren Unternehmens sei. Infolge der doppelt bis dreimal so hohen Umsatzsteuerbelastung bei Überschreitung der Umsatzgrenze und der generellen Schlechterstellung der Dienstleistungsumsätze durch die Mehrwertsteuer seien viele Unternehmer vor die Frage gestellt, entweder ihre Betriebe zu schließen oder den Umsatz auf unter 60.000 DM sinken zu lassen, da eine Abwälzung der Steuermehrbelastung durch Preiserhöhung ohne Kundeneinbuße nicht möglich sei. Bei den übrigen Beschwerdeführern lägen die Verhältnisse ähnlich.
Der Gesetzgeber habe die mit der Regelung des § 19 UStG verfolgten Ziele nicht erreicht. Statt der beabsichtigten Verwaltungsvereinfachung sei durch den Zwang, zwei Steuersysteme beachten zu müssen, eine nicht unbeträchtliche Erschwerung eingetreten.
§ 19 UStG beschränke die Beschwerdeführer ferner in Ihrer freien wirtschaftlichen Entfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Steuerersparnis bei Beibehaltung der Bruttoumsatzsteuer dränge es ihnen zwingend auf, den Umsatz unter 60.000 DM zu halten. Dadurch würden sie zu Kleingewerbetreibenden gestempelt.
Einige Beschwerdeführer sehen sich aus denselben Erwägungen in ihrer freien Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) unzulässig beschränkt.
Schließlich machen die Beschwerdeführer geltend, § 19 UStG führe die kumulativ erhobene alte Umsatzsteuer wieder ein und verstoße damit gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 1966 (BVerfGE 21, 12) .
III.
Für die Bundesregierung hat der BdF zu den Verfassungsbeschwerden wie folgt Stellung genommen:
1. Die Verfassungsbeschwerden seien unzulässig, da die Vollziehung des Umsatzsteuergesetzes stets eine Veranlagung erfordere. Die Beschwerdeführer könnten deshalb auf den Rechtsweg gegen den Steuerbescheid verwiesen werden.
2. Die Verfassungsbeschwerden seien außerdem unbegründet.
a) Auch die Mehrwertsteuer sei eine Umsatzsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG (a. F.). Steuergegenstand, Besteuerungsmaßstab und Bemessungsgrundlage seien im wesentlichen unverändert geblieben. Der Vorsteuerabzug nach § 15 UStG diene lediglich dazu, die Steuerkumulation zu vermeiden, habe aber keinen Einfluß auf die Höhe der Steuer, sondern beeinflusse nur die Höhe der Zahllast.
b) Der Gesetzgeber habe bei der Mehrwertsteuer an der prinzipiellen Gleichbehandlung von Warenumsätzen und Dienstleistungen im Steuersatz, wie sie seit dem Umsatzsteuergesetz vom 26. Juli 1918 bestehe, festgehalten mit dem Ziel, ein Höchstmaß an Wettbewerbsneutralität und Praktikabilität zu erreichen.
Unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Verbrauchsbesteuerung, wie sie bei der Mehrwertsteuer noch stärker als bei der alten Umsatzsteuer zum Ausdruck komme, habe sich für den Gesetzgeber keine Veranlassung ergeben, Waren und Dienstleistungen unterschiedlich zu behandeln. Mit der Gleichstellung habe er vielmehr der Tatsache Rechnung getragen, daß sowohl Dienstleistungen als auch Warenlieferungen Leistungen seien und zwischen beiden Umsatzformen vielerlei Berührungspunkte beständen, die bei verschiedenen Steuersätzen zur Ungleichbehandlung gleichartiger Vorgänge führen könnten.
Daß die Dienstleistungen der Beschwerdeführer nicht in die begünstigende Regelung des § 12 Abs. 2 UStG einbezogen worden seien, stelle keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar, weil die Voraussetzungen, die zu jenen Steuervergünstigungen geführt hätten, bei ihnen nicht vorlägen. Für die Begünstigung bestimmter Warengruppen seien sozial-, bildungs- und kulturpolitische Gründe ausschlaggebend gewesen, wie sie sich für die Dienstleistungen der Beschwerdeführer nicht anführen ließen. Eine Ausdehnung der Vergünstigung für freie Berufe auf andere Berufe mit gleich hoher Wertschöpfung, die ebenfalls weitgehend gegenüber Endabnehmern tätig werden, sei wegen der unüberwindlichen Abgrenzungsschwierigkeiten unterblieben.
c) Auch gegen die Sonderregelung des § 19 UStG seien keine verfassungsrechtlichen Bedenken zu erheben.
Der Gesetzgeber habe den kleineren Unternehmen, die nach jahrzehntelanger Geltung des alten Systems verständliche Sorge vor einer höheren Steuerbelastung und einer Überforderung ihrer Buchhaltung geäußert hätten, den Übergang zum neuen Steuersystem erleichtern und ihre wirtschaftliche Lage nicht erschweren wollen. Im Hinblick auf diesen Zweck stelle § 19 UStG eine sachgerechte Lösung dar.
Daß die Regelung an die starre Grenze von 60.000 DM Jahresumsatz anknüpfe, sei nicht zu beanstanden, weil derartige Grenzen verfassungsrechtlich unbedenklich seien, wenn sie nicht willkürlich gesetzt würden. Härten seien nicht zu vermeiden, wenn die Regelung praktikabel bleiben solle. Ebensowenig sei die Grenze mit 60.000 DM in unsachlicher Weise zu hoch festgesetzt worden.
Entscheidungsgründe
B.
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden sind zulässig (vgl. BVerfGE 18, 1 [12f.]; 31, 314 [322 f.] und das Urteil vom 5. März 1974 – 1 BvR 712/68 – Schallplatte – S. 11); sie sind jedoch unbegründet.
I.
Das Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer) vom 29. Mai 1967 (BGBl I S. 545) ist ordnungsgemäß zustande gekommen. Es bedurfte nach der damaligen Verfassungslage nicht der Zustimmung des Bundesrates; denn auch die Mehrwertsteuer ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer eine Umsatzsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG (in der Fassung des Finanzverfassungsgesetzes vom 23. Dezember 1955 – BGBl I S. 817). Die namentliche Anführung der Umsatzsteuer in Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F. bedeutete noch keine Ausprägung dieser Steuer im einzelnen, sondern enthielt – außer der ausdrücklichen Regelung der Verwaltung und Verteilung des Steueraufkommens – allenfalls eine Charakterisierung ihrer Struktur im allgemeinen: Sie muß hauptsächlich die von Unternehmen getätigten Umsätze treffen (BVerfGE 21, 12 [251]) . Das gilt auch für die Mehrwertsteuer als Nettoumsatzsteuer. Sie ist ferner wie die frühere Allphasenbruttoumsatzsteuer auf Abwälzung angelegt, hat den gleichen Steuergegenstand (den Außenumsatz) und den gleichen Besteuerungsmaßstab (das gezahlte Entgelt). Steuersatz ist ein fester Vomhundertsatz dieses Entgelts geblieben. Neu ist lediglich, daß der Steuerschuldner – unter Erhöhung des Regelsteuersatzes auf 10 (11) % – die ihm von anderen Unternehmern in Rechnung gestellte Steuer von seiner Steuerschuld abziehen darf. Dieser Vorsteuerabzug ist aber nur ein technisches Mittel zur Vermeidung der Steuerkumulation, die zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen ein- und mehrstufigen Unternehmen führen würde.
II.
Die gleichmäßige Regelbesteuerung der Dienstleistungen und der Warenlieferungen gemäß § 12 Abs. 1 UStG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber nicht, unter allen Umständen Ungleiches ungleich zu behandeln. Entscheidend ist vielmehr, ob die tatsächlichen Ungleichheiten in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam sind, daß die Gleichbehandlung der Fälle mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise unverträglich erscheinen würde (vgl. BVerfGE 19, 354 [367] mit weiteren Nachweisen).
Der Unterschied zwischen den Unternehmen die – wie die Beschwerdeführer – vorwiegend Dienstleistungen erbringen, und den Warenlieferanten besteht hauptsächlich darin, daß bei jenen die Wertschöpfung zum größten Teil auf einer einzigen Wirtschaftsstufe stattfindet, während sie bei diesen in der Regel auf mehrere Stufen (z.B. Erzeuger, Großhandel, Einzelhandel) verteilt ist. Infolgedessen ist die Steuerzahllast des einzelnen Steuerschuldners bei Dienstleistungen im allgemeinen höher als bei Warenlieferungen.
Der für die verfassungsrechtliche Bewertung dieses Sachverhalts heranzuziehende objektive Sinngehalt der Gesetzesnorm und der Gesetzeszweck lassen das Gewicht dieser Verschiedenheit für die getroffene Regelung nicht so erheblich erscheinen, daß eine Ungleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG geboten wäre.
1. Die Mehrwertsteuer ist auf Abwälzung angelegt. Für den Unternehmer, der eine Lieferung oder sonstige Leistung ausführt, ist daher weniger die Höhe des Steuersatzes als vielmehr der Grad der Wahrscheinlichkeit entscheidend, die Steuer weitergeben zu können. Die Aussichten dafür sind für Dienstleistungs- und Warenanbieter bei einheitlichem Steuersatz grundsätzlich gleich. Schon aus diesem Grund stellt sich die verschiedene Wertschöpfung einzelner Dienstleistungs- und Warenhandelsbetriebe unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit nicht als wesentlicher Unterschied dar. Dies gilt auch aus der Sicht des Verbrauchers, der letztlich die Steuer zu tragen hat. Für ihn beträgt sie bei Lieferungen und sonstigen Leistungen im Sinne des § 12 Abs. 1 UStG immer 10 oder 11 vom Hundert.
Der Gesetzgeber hat erkannt und in Kauf genommen, daß durch die Umstellung auf die Mehrwertsteuer sich Belastungsverschiebungen ergeben und insbesondere die Steuerzahllasten mancher Dienstleistungsbetriebe sich erhöhen werden (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks. IV/1590 S. 29 ff.). Die für gewisse Dienstleistungsunternehmer beim Übergang zur Mehrwertsteuer entstandenen Abwälzungsschwierigkeiten ergaben sich in erster Linie daraus, daß ihre Zahllast unter der kumulativen Allphasenbruttoumsatzsteuer geringer war. Die Erhöhung des Steuersatzes konnte möglicherweise nicht in allen Fällen sofort durch Preiserhöhungen aufgefangen werden. Indessen handelte es sich dabei um Übergangsschwierigkeiten, die zudem teilweise dadurch gemildert wurden, daß der allgemeine Preisauftrieb die Überwälzung der vollen Steuerbelastung erleichterte.
2. Für die gleichmäßige Endbelastung der Preise für Waren und Dienstleistungen mit Umsatzsteuer waren ferner folgende Erwägungen des Gesetzgebers maßgeblich:
Im Vordergrund stand seine Absicht, Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Warenlieferungen und Dienstleistungen (z.B. In der Gastronomie) zu entgehen, eine umfangreiche Kasuistik zu vermeiden und das Steuersystem soweit als möglich von Ausnahmen freizuhalten. Eng damit verbunden war die Sorge, daß eine Begünstigung der Dienstleistungen die Notwendigkeit nach sich ziehen würde, den allgemeinen Steuersatz zu erhöhen.
Ein ermäßigter Steuersatz für Dienstleistungen wurde ferner als unzweckmäßig angesehen, weil die umsatzsteuerliche Begünstigung von Dienstleistungen, die in Warenlieferungen eingehen (z.B. Transport), gegenüber dem Endabnehmer ohne Wirkung bleibt („Nachholwirkung”). Es wurde befürchtet, daß Werklieferungen rechnerisch in Warenanteil und steuerbegünstigten Dienstleistungsanteil aufgespalten und dadurch Wettbewerbsstörungen hervorrufen würden. Zugleich sollte die Rationalisierung zwecks günstigster Befriedigung des Massenbedarfs nicht dadurch behindert werden, daß ein steuerlicher Anreiz geschaffen würde, nicht das fertige Produkt zu kaufen, sondern lediglich das Material, um daraus das Produkt steuerbegünstigt selbst herstellen zu lassen. Der Wirtschaftsverkehr und die Buchhaltung sollten nicht durch Verwendung verschiedener Regelsteuersätze für Dienstleistungen und Warenlieferungen erschwert werden. Ebenso wollte man der Finanzverwaltung die Arbeit mit unterschiedlichen Steuersätzen ersparen. Schließlich sollte die nicht unmittelbar dienstleistende gewerbliche Tätigkeit nicht diskriminiert werden, weil sie ebenso wie Dienstleistungen letztlich auf menschlicher Arbeit beruht (vgl. zu alledem die Begründung des Regierungsentwurfs, a.a.O., S. 16 ff. und S. 25 ff.; Kurzprotokolle des Deutschen Bundestages, 4. Wp., über die 75. Sitzung des Finanzausschusses vom 12. März 1964, S. 5 ff. sowie über die 49. Sitzung des Ausschusses für Mittelstandsfragen vom 15. Juni 1964, S. 12 und die 51. Sitzung dieses Ausschusses vom 7. Oktober 1964, S. 19 ff.; Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 5. Wp., StenBer. S. 4691, 4762, 4767 und 4897). Auch diese Erwägungen vermögen die Gleichbehandlung von Warenlieferungen und Dienstleistungen zu rechtfertigen.
3. Die höhere Steuer trifft außerdem alle miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmer gleicher Berufszweige – von der Sonderregelung des § 19 UStG abgesehen – ohne Unterschied, so daß die Wettbewerbslage einer Gruppe von Unternehmen nicht durch eine im Verhältnis zu ihren Konkurrenten ungleich fühlbarere wirtschaftliche Belastung beeinträchtigt wird.
III.
Es stellt auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar, daß die Dienstleistungsunternehmen nicht generell in die Steuervergünstigungen des § 12 Abs. 2 UStG einbezogen worden sind.
Die Beschwerdeführer fühlen sich insbesondere gegenüber den freien Berufen, die in den Genuß dieser Steuervergünstigung gekommen sind, ungerechtfertigt benachteiligt
1. Diese Rüge muß schon deshalb scheitern, weil Dienstleistungsunternehmen, wie sie die Beschwerdeführer betreiben, einerseits und freie Berufe andererseits so viele Ungleichheiten tatsächlicher Art aufweisen, die für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise in dem hier in Betracht kommenden Zusammenhang von Bedeutung sind, daß die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung sachlich vertretbar erscheint. Der Charakter der Berufstätigkeit sowie Stellung und Bedeutung der freien Berufe im Sozialgefüge sind wesentliche Unterscheidungsmerkmale, die eine verschiedene Behandlung ihrer Leistungen vom System des Umsatzsteuerrechts her zu rechtfertigen vermögen.
2. Außerdem gibt die für die Begünstigung der freien Berufe maßgebliche Absicht des Gesetzgebers, nicht zu verantwortende Preiserhöhungen zu vermeiden, einen rechtfertigenden Grund für die Sonderbehandlung. Die Honorare der freiberuflich Schaffenden liegen mit Rücksicht auf ihre lange Ausbildungszeit und ihre hohe Qualifikation im allgemeinen über den Preisen für sonstige Dienstleistungen. Deshalb kommt der Vermeidung von Preiserhöhungen im Bereich der freien Berufe besonderes Gewicht auch im Allgemeininteresse zu.
Die Steuerermäßigung für freie Berufe in Höhe von 5 oder 5,5 % war zur Erreichung dieses Zieles geeignet; denn sie entsprach etwa der Steuerbelastung dieser Berufe durch die frühere Allphasenbruttoumsatzsteuer.
3. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß eine Wettbewerbsverzerrung für die Beschwerdeführer und andere Dienstleistungsunternehmen durch ihre Nichtberücksichtigung bei den Steuerermäßigungen des § 12 Abs. 2 UStG nicht eingetreten ist. Der volle Steuersatz trifft alle Wettbewerber gleich; ein Wettbewerbsverhältnis zu den freien Berufen besteht – von besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen – nicht.
4. Die denkbar gerechteste, nämlich enumerative Verteilung der Steuerermäßigungen auf diejenigen Berufe, die die höchsten Wertschöpfungs- und Endabnehmerquoten aufweisen, erschien dem Gesetzgeber aus gesetzestechnischen Gründen und nach Erfahrungen im Ausland nicht durchführbar. In der Tat hätte mit Sicherheit ein solches Vorgehen zahllose Streitigkeiten über Wertschöpfungsquoten und Berufsabgrenzungen herbeigeführt und immer neue Steuerermäßigungswünsche hervorgerufen. Unter diesen Umständen hatte der Gesetzgeber praktisch nur die Wahl, entweder die Dienstleistungsberufe überhaupt nicht ermäßigt zu besteuern oder lediglich den gesetzestechnisch leicht erfaßbaren und in § 18 des Einkommensteuergesetzes bereits eindeutig abgegrenzten Kreis der freien Berufe zu begünstigen, in denen Steuerpflichtige mit hohem Wertschöpfungs- und Endabnehmeranteil in besonderem Maße vertreten sind. Die zuerst genannte Möglichkeit hätte den Beschwerdeführern keine Vorteile, den Verbrauchern jedoch Nachteile in Form von zusätzlichen Preiserhöhungen gebracht. Wenn der Gesetzgeber die sonstigen Dienstleistungsunternehmen mit hohem Wertschöpfungsanteil mangels zuverlässiger Kriterien und eindeutiger gesetzlicher Erfaßbarkeit nicht in die Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 UStG aufgenommen hat, so ist sein Vorgehen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
5. Soweit schließlich die Beschwerdeführer geltend machen, ihre Leistungen gehörten ebenso wie z.B. die steuerbegünstigten Lebensmittel zum unumgänglichen Bedarf, ist darauf hinzuweisen, daß die Begünstigung der Lebensmittel durch soziale Gründe gerechtfertigt ist, die für die Beschwerdeführer nicht in gleichem Maße gelten.
IV.
Der Gesetzgeber hat durch die Sonderregelung des § 19 UStG nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
1. Ziel und Zweck dieser Vorschrift war es, den Kleinunternehmern den Übergang zum Mehrwertsteuersystem zu erleichtern und ihren teilweise auf Unkenntnis und Furcht vor höherem Verwaltungsaufwand beruhenden Widerstand gegen die Einführung der Mehrwertsteuer zu umgehen, um nicht die Steuerreform insgesamt zu gefährden. Ferner versprach sich der Gesetzgeber von dieser Regelung eine Vereinfachung der Steuererhebung und Kontrolle für die Finanzverwaltung wegen der oftmals mangelhaften Buchführung der Kleinunternehmer. Zugleich sollte aus dem vorgenannten Grunde den Kleinunternehmern eine buchungstechnische und insofern auch kostenmäßige Erleichterung geboten werden. Nicht zuletzt war auch eine Steuerermäßigung für Kleinunternehmer mit hoher Wertschöpfungsquote beabsichtigt, die Schwierigkeiten haben könnten, die höhere Mehrwertsteuerbelastung auf die Kunden abzuwälzen (vgl. Felix-Benda, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz [Mehrwertsteuer], § 19 Rdnr. 2, Plückebaum-Malitzky, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz – Mehrwertsteuer –, 10. Aufl., § 19 Rdnr. 12/1).
Es waren somit im wesentlichen soziale und politische Gesichtspunkte sowie Gründe der Praktikabilität, die den Gesetzgeber bewogen haben, es für Kleinunternehmer grundsätzlich bei dem früheren Umsatzsteuersystem zu belassen.
Die auf diesen Zielvorstellungen beruhende Differenzierung im Umsatzsteuersystem ist nicht sachwidrig.
a) Zwar mag das Bedürfnis, Kleinunternehmern den Übergang zur Mehrwertsteuer zu erleichtern, mit zunehmender Gewöhnung des Wirtschaftsverkehrs an die neue Steuer entfallen. Das gleiche kann für das Ziel des Gesetzgebers gelten, politische Widerstände der Kleinunternehmer zu umgehen, zumal es sich hierbei eher um eine auf Unkenntnis der Mehrwertsteuer und ihrer Wirkung beruhende undifferenzierte Ablehnung handelte. Die – entgegen der Meinung der Beschwerdeführer im ganzen eintretende – Vereinfachung der Steuererhebung und der Kontrolle für die Finanzverwaltung sowie der Buchhaltung für die Kleinunternehmer sind hingegen Gesichtspunkte, die über eine Übergangszeit hinaus von dauerndem Gewicht sind. Daß solche Gesichtspunkte im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG einen sachgerechten Differenzierungsgrund abgeben können, ist vom Bundesverfassungsgericht wiederholt ausgesprochen worden (vgl. BVerfGE 13, 331 [341] ; 21, 12 [27] ; 23, 327 [346] ).
b) Die Absicht des Gesetzgebers, Kleinunternehmern mit hoher Wertschöpfung, die Schwierigkeiten bei der Abwälzung der Mehrwertsteuer haben könnten, eine Steuerermäßigung zu gewähren, ging über die Gewährung einer Anpassungshilfe hinaus. Den umsatzschwächeren Betrieben sollte, soweit für sie nicht – wie etwa für den Handel – die Mehrwertsteuer vorteilhaft sein konnte, eine sozialpolitisch gemeinte Steuervergünstigung gewährt werden. Gegen die Zulässigkeit solcher steuerlicher Maßnahmen sind keine grundsätzlichen Bedenken zu erheben, auch wenn sie die Wettbewerbslage verändern (vgl. BVerfGE 14, 105 [117]; 19, 101 [117] ; 21, 160 [169] ; 21, 292 [301]). Sie werden durch den im Steuerrecht geltenden Satz von der verhältnismäßigen Gleichheit gerechtfertigt (BVerfGE 8, 51 [68f.] ; 13, 331 [345 f.] ; 19, 101 [114] ). Die Sonderregelung knüpft allerdings nicht an den Gewinn an, sondern ermäßigt die Umsatzsteuer. Obwohl die Höhe des Umsatzes im allgemeinen keine hinreichend zuverlässige Aussage über die wirtschaftliche Stärke eines Unternehmens erlaubt, kann auch mit einer Umsatzsteuerermäßigung das legitime Ziel eines sozialen Schutzes verfolgt werden.
Die Regelung nach § 19 UStG bringt allerdings eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten eines Teils der nichtbegünstigten Unternehmer mit sich. Bei einer Wertschöpfungsquote von über 40 % haben die Kleinunternehmer einen mit der Wertschöpfung steigenden Steuervorteil gegenüber ihren mehrwertsteuerpflichtigen Konkurrenten und können deshalb billiger anbieten, soweit nicht die umsatzstärkeren Unternehmer den steuerlichen Nachteil durch Rationalisierung und Maschineneinsatz wettmachen. Unter Zugrundelegung einer Wertschöpfungsquote von 50 % beträgt der umsatzsteuerliche Vorteil ungefähr 600 DM bei einem Jahresumsatz von 60.000 DM. Er erhöht sich mit je 10 % größerer Wertschöpfung um weitere 600 DM (siehe Machinek-Tiepelmann, Die Kleinbetriebe unter der Mehrwertsteuer in: Abhandlungen zur Mittelstandsforschung Heft Nr. 41, Köln-Opladen, 1969, S. 10 f.). Daraus ziehen insbesondere lohnintensive Kleinunternehmen Nutzen, die keinen teueren Materialeinsatz haben. Für sie stellt sich die Sonderregelung als eine echte umsatzsteuerliche Begünstigung gegenüber ihren umsatzstärkeren Konkurrenten dar.
Dennoch ist die Sonderregelung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Wegen des auf 60.000 DM beschränkten Umsatzes ist die Marktmacht der steuerbegünstigten Kleinunternehmer im Verhältnis zu ihren mehrwertsteuerpflichtigen Konkurrenten relativ gering. Diese Kleingewerbetreibenden haben ohnehin Schwierigkeiten, mit der allgemeinen Einkommensentwicklung Schritt zu halten; denn dazu müßten sie wegen der Arbeitsintensität ihrer Leistungen laufend Preiserhöhungen im Verhältnis der überproportional steigenden Löhne vornehmen. Diese Preiserhöhungen können aber häufig nicht in dem zur Anpassung an die Lohn- und Einkommensentwicklung erforderlichen Maße durchgesetzt werden, weil die umsatz- und kapitalstärkeren Konkurrenten größere Rationalisierungsmöglichkeiten haben und deshalb Kostensteigerungen zum Teil eher auffangen können.
Hinzu kommt, daß umsatzstärkere Betriebe sich mit einer geringeren Umsatzrendite zufriedengeben können als Kleinunternehmer, die das gesamte oder nahezu gesamte Betriebsergebnis für ihre Lebenshaltung benötigen. Die Steuerbegünstigung durch § 19 UStG stellt deshalb eine sozialstaatliche Maßnahme dar, die mithilft, daß die Kleingewerbetreibenden im Wettbewerb bestehen können. Dies liegt auch im gesamtwirtschaftlichen Interesse an einem vielfältigen und individuellen Dienstleistungsangebot.
2. Die übergangslose Steuersystemgrenze bei 60.000 DM Vorjahresumsatz gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß im Grenzbereich zum Teil erhebliche Härten entstehen, da sich bei praktisch gleich hohem Umsatz beträchtliche Belastungsunterschiede ergeben können. In einem äußersten Fall führt die Überschreitung der Umsatzgrenze um nur eine Mark bei einer Wertschöpfung von 70% zu einer Mehrbelastung von 1.836 DM durch die höhere Mehrwertsteuer (Machinek-Tiepelmann, a.a.O., S. 11). Dabei ist die Ausweitung des Umsatzes über 60.000 DM hinaus häufig nicht Ausdruck einer positiven Geschäftsentwicklung, so daß selbst ein nominell verbessertes Betriebsergebnis nicht einen realen Zuwachs bedeuten muß.
Mit dem übergangslosen Wechsel des Steuersystems wollte der Gesetzgeber offensichtlich eine klare und einfache Bestimmung des anzuwendenden Steuersystems ermöglichen, ohne durch eine Übergangsregelung den gewünschten Vereinfachungseffekt wieder in Frage zu stellen. Dieses Regelungsziel ist an sich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Zweifelhaft bleibt allerdings, ob die Vorteile der übergangslosen pauschalierenden Grenzziehung zwischen den beiden Steuersystemen bei 60.000 DM Vorjahresumsatz in einem angemessenen Verhältnis zu der dargelegten ungleichen steuerlichen Belastung im. Grenzbereich stehen.
Dabei ist jedoch zu bedenken, daß die Einführung der Mehrwertsteuer (nach dem Auftrag zur Umsatzsteuerreform durch die Entscheidung BVerfGE 21, 12 ) unumgänglich geworden war. Das neue System stieß indes bei den Kleingewerbetreibenden auf Verständnisschwierigkeiten und politischen Widerstand infolge der Furcht vor höherer Arbeits- und Steuerbelastung. Die Durchführung der Steuerreform erschien daher in diesem Bereich nicht gesichert. Eine einstweilige Beibehaltung der alten Umsatzbesteuerung für Kleinunternehmer war kaum zu umgehen. Das rasche Inkraftsetzen des neuen Umsatzsteuergesetzes zum 1. Januar 1968 stellte ohnehin große Anforderungen an die Wirtschaft. Unter diesen Umständen hätte eine Regelung, welche die ungleichen Belastungen im Übergangsbereich verminderte, das Gesetz in kaum vertretbarer Weise kompliziert. Schon die Optionsmöglichkeit nach § 19 Abs. 4 UStG ist von einem großen Teil der Betroffenen nicht verstanden worden (Machinek-Tiepelmann, a.a.O., S. 19, 44). War somit eine klare und eindeutige Bestimmung der Umsatzgrenze für die Anwendung des Mehrwertsteuersystems bei dessen Einführung nahezu unumgänglich, so müssen die aufgetretenen Ungleichheiten in der Steuerbelastung und demzufolge im Wettbewerb angesichts der Vorteile des insgesamt gerechteren neuen Mehrwertsteuersystems während der Übergangsperiode hingenommen werden.
b) Damit ist aber noch nicht entschieden, ob die starre 60.000-DM-Grenze auch auf die Dauer durch Gesichtspunkte der Praktikabilität und Typisierung gerechtfertigt ist.
Ein Vergleich mit Stichtagsregelungen, die vom Bundesverfassungsgericht weitgehende Billigung erfahren haben (vgl. BVerfGE 10, 340 [353]; 13, 31 [38]; 29, 245 [258]), ist entgegen der Meinung des BdF nicht ohne weiteres möglich. Ein Stichtag setzt eine einmalige Zäsur in zeitlicher Hinsicht. Er bewirkt, daß die nach dem maßgeblichen Zeitpunkt liegenden Vorgänge zwar anders, aber allesamt gleich behandelt werden. Mit der Zeit verliert deshalb ein Stichtag an Bedeutung. Demgegenüber erzeugt eine über Steuersystem und -satz entscheidende Umsatzgröße immer neue Ungleichbehandlungen.
Zwar wird eine Mindest- oder eine Pauschalbesteuerung mit festen Beträgen aus Praktikabilitätserwägungen im allgemeinen gerechtfertigt werden können. § 19 UStG führt aber – wie dargelegt – zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen im Grenzbereich, die auf die Dauer nicht als hinzunehmende Nebenfolgen (vgl. BVerfGE 13, 331 [341] ; 21, 12 [27] ; 23, 327 [346] einer nicht zu beanstandenden Regelung in Kauf genommen werden können. Von diesen Wettbewerbsverzerrungen werden ganze Gruppen von Steuerpflichtigen betroffen, nämlich alle Berufe mit relativ hoher Wertschöpfung, sobald sie über 60.000 DM Jahresumsatz hinauswachsen, was infolge der Geldentwertung immer häufiger der Fall sein wird.
Diese Wettbewerbsverzerrung ist auch nicht etwa eine zwangsläufige Folge des Nebeneinander der beiden Umsatzsteuersysteme. Selbst wenn deren Anwendung mangels eines anderen praktikablen Maßstabs von einer Umsatzgröße abhängig gemacht werden muß, sind doch Lösungen denkbar, welche die auftretenden Härten mildern könnten. Es ist jedoch nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, dem Gesetzgeber im einzelnen vorzuschreiben, welche Maßnahmen er zu ergreifen hat.
c) Der Gesetzgeber hatte die Absicht, die Ungleichheiten, die die besondere Besteuerung nach § 19 Abs. 1 UStG mit sich bringt, dadurch zu beseitigen, daß nunmehr alle Umsatzsteuerpflichtigen der Mehrwertsteuer unterworfen und die Kleinunternehmer dann durch nach Umsatzhöhe gestaffelte Steuerabzugsbeträge begünstigt werden sollten (vgl. Art. 1 Nr. 16 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für ein Zweites Umsatzsteueränderungsgesetz vom 11. November 1971 – BTDrucks. VI/2817). Da es jedoch in der vorzeitig beendeten sechsten Legislaturperiode nicht mehr zur Verabschiedung dieses Gesetzes kam, ist das Vorhaben zurückgestellt worden im Hinblick auf die in Aussicht stehenden Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft über eine weitere Harmonisierung der Umsatzsteuer, die auch eine Kleinunternehmerregelung enthalten soll (vgl. BT-Drucks. 7/913; BR-Drucks. 493/73).
Die aufgezeigte Wettbewerbsverzerrung mußte sonach im Interesse einer reibungslosen Einführung des Mehrwertsteuersystems für eine Übergangszeit hingenommen werden. Nach den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfGE 33, 171 [189 f.] aufgestellt hat, geben aber in einem solchen Fall die Unzuträglichkeiten dann Anlaß zur verfassungsrechtlichen Beanstandung, „wenn der Gesetzgeber eine spätere Überprüfung und fortschreitende Differenzierung trotz ausreichenden Erfahrungsmaterials für eine sachgerechte Lösung unterläßt”. Zwecks Vermeidung abermaliger Gesetzesänderung muß dem Gesetzgeber allerdings zugestanden werden, daß er zunächst versucht, die Beseitigung dieser Ungleichheiten mit der in absehbarer Zeit zu erwartenden europäischen Rechtsvereinheitlichung zu verbinden.
V.
Die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 12 und Art. 14 GG werden durch die angegriffenen Regelungen der §§ 12 und 19 UStG nicht verletzt (vgl. BVerfGE 13, 181 [186]; 16, 147 [162]; 30, 250 [272] ).
Fundstellen
BStBl II 1974, 273 |
BVerfGE 37, 38 |
BB 1974, 497 |