Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage des Bundesfinanzhofs zur Frage der Besteuerung von Leibrenten unzulässig
Leitsatz (redaktionell)
Die Vorlage der Frage, ob die Besteuerung der Ertragsanteile (Erträge des Rentenrechts; § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG) von Bezügen aus Leibrenten, die Gegenleistung für den Erwerb eines Wirtschaftsguts des Privatvermögens sind, mit ihrem vollen Nennbetrag - ohne Berücksichtigung eines Sparer-Freibetrags - ungeachtet dessen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist, dass es sich um pauschalierte Einkünfte aus Kapitalvermögen handelt, ist unzulässig. Die Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit und zur Verfassungswidrigkeit der zur Überprüfung gestellten Norm genügen nicht den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zu stellen sind.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a; EStG 1997 § 20 Abs. 4; EStG 1998 § 20 Abs. 4 S. 1; EStG § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1; BVerfGG § 80 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Tatbestand
A.
Die Vorlage betrifft die Frage, ob die Besteuerung des Ertragsanteils von Bezügen aus Leibrenten nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG ohne die Berücksichtigung eines Sparer-Freibetrags mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
I.
1. a) Leibrenten – auf unbestimmte Lebenszeit eines Menschen zugesagte Renten – unterliegen seit dem Reichseinkommensteuergesetz 1920 vom 29. März 1920 (RGBl S. 359) als wiederkehrende Bezüge der Einkommensbesteuerung. Mit dem Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl I S. 373) stellte der Gesetzgeber die Besteuerung privater Leibrenten auf eine neue rechtliche Grundlage. Nach der Neuregelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG sind Leibrenten nur noch insoweit als sonstige Einkünfte steuerbar, als in den einzelnen Bezügen Einkünfte aus Erträgen des Rentenrechts enthalten sind. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, dass sich der Begriff des Rentenertrags nicht immer mit dem Begriff der Zinsen decke. Nach der im Steuerrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise seien, wenn der Empfänger der Leibrente die voraussichtliche Laufzeit der Rente überlebe, aufgrund der Erschöpfung des Rentenstammrechts die weiteren Bezüge des Berechtigten in vollem Umfang Ertrag des Stammrechts. Da danach der Rentenertrag nicht nur aus Zinsen bestehe, werde die Besteuerung der Leibrenten weiterhin im Rahmen des § 22 EStG und nicht im Rahmen des § 20 EStG geregelt. Mit Rücksicht auf die sozialen Härten, die die volle Besteuerung der Leibrenten im vorgeschrittenen Lebensalter, in dem die Berechtigten oft nur geringe Einkünfte hätten, mit sich bringen könne, werde bei der Neuregelung der Ertrag des Stammrechts und damit die Steuerlast auf die gesamte Laufzeit der Rente verteilt. Der Ertrag des Stammrechts solle nur, aber auch stets, pro rata temporis besteuert werden (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung von Steuern, BTDrucks 2/481, S. 86 ff.). In der Folgezeit wurde diese gesetzliche Regelung lediglich redaktionell geändert und die für die Bestimmung der Rentenertragsanteile maßgebliche Tabelle an die Allgemeine Deutsche Sterbetafel angepasst.
b) Für die Vorlagefrage sind folgende Normen des Einkommensteuerrechts in der Fassung der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Streitjahre 1997 und 1998 von Bedeutung:
aa) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG unterliegen der Einkommensteuer „sonstige Einkünfte” im Sinne des § 22 EStG. Dies sind nach § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG wiederkehrende Bezüge, soweit sie nicht zu den in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 EStG bezeichneten Einkunftsarten gehören. § 22 EStG ist danach gegenüber den anderen Einkunftsarten kraft gesetzlicher Anordnung subsidiär. Zu den in § 22 Satz 1 EStG bezeichneten sonstigen Einkünften gehören nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG auch Leibrenten, soweit in den einzelnen Bezügen Einkünfte aus Erträgen des Rentenrechts enthalten sind. Als Ertrag des Rentenrechts gilt für die gesamte Dauer des Rentenbezugs der Unterschied zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem Betrag, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kapitalwerts der Rente auf ihre voraussichtliche Laufzeit ergibt; der Kapitalwert ist nach dieser Laufzeit zu berechnen (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Satz 2 EStG) und der „Ertrag des Rentenrechts (Ertragsanteil)” der Ertragsanteilstabelle des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Satz 3 EStG zu entnehmen.
bb) Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG sind als Sonderausgaben auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten abzuziehen, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben. Bei Leibrenten kann gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG korrespondierend zur Besteuerung beim Empfänger nur der Anteil abgezogen werden, der sich aus der Ertragsanteilstabelle des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG ergibt.
cc) Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) ist nach Abzug der Werbungskosten der Sparer-Freibetrag in Höhe von 6.000 DM abzuziehen; Ehegatten wird ein gemeinsamer Sparer-Freibetrag von 12.000 DM gewährt (§ 20 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung nach Art. 1 Nr. 4 des Zinsabschlaggesetzes – ZinsAbschlG – vom 9. November 1992, BGBl I S. 1853). Der gemeinsame Sparer-Freibetrag ist bei der Einkunftsermittlung bei jedem Ehegatten je zur Hälfte abzuziehen. Sind die um die Werbungskosten geminderten Kapitalerträge eines Ehegatten niedriger als 6.000 DM, so ist der anteilige Sparer-Freibetrag insoweit, als er die um die Werbungskosten geminderten Kapitalerträge dieses Ehegatten übersteigt, beim anderen Ehegatten abzuziehen (§ 20 Abs. 4 Satz 3 EStG). Der Sparer-Freibetrag soll nach dem Willen des Gesetzgebers einen Anreiz für die Spartätigkeit breiter Bevölkerungsschichten insbesondere aus kapitalmarkt- sowie aus gesellschafts- und eigentumspolitischen Gründen setzen (Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes, BTDrucks 7/1470, S. 220).
2. Den Hintergrund der Vorlagefrage bildet folgende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Besteuerung von Leibrenten: In Fortentwicklung seiner Rechtsprechung zur Besteuerung von wiederkehrenden Bezügen hat der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 25. November 1992 – X R 91/89 – (BStBl II 1996, S. 666 = BFHE 170, 82) festgestellt, dass der Ertragsanteil einer Leibrente, die als Gegenleistung für eine – nicht existenzsichernde – Vermögensumschichtung erbracht werde, materiellrechtlich als pauschalierter Zinsanteil zu qualifizieren sei. Dies habe aufgrund des Abzugsverbots für private Schuldzinsen zur Folge, dass der Ertragsanteil beim Verpflichteten nicht als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG abgezogen werden könne. In seinem Urteil vom 14. November 2001 – X R 39/98 – (BStBl II 2002, S. 246 = BFHE 197, 179) hielt der Bundesfinanzhof an diesem rechtlichen Ansatz fest: Die Ausklammerung des Ertragsanteils der Gegenleistungsrente aus dem Anwendungsbereich des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG und dessen Beschränkung auf die private Versorgungsleibrente halte sich im Rahmen zulässiger Rechtsanwendung, da sie der Entscheidung des Einkommensteuergesetzes, dass private Schuldzinsen nicht die steuerliche Bemessungsgrundlage mindern dürften, Rechnung trage. Allein der Hinweis auf einen „eindeutigen Gesetzeswortlaut” reiche für eine methodologisch einwandfreie Rechtsanwendung nicht aus. Zur Herstellung eines gleichheitsgerechten Ergebnisses der Rechtsanwendung seien die Gerichte berechtigt und verpflichtet, die einschränkende Auslegung und sogar eine teleologische Reduktion in Betracht zu ziehen; der bloße Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift könne dies nicht hindern.
3. Mit Erlassen vom 23. Dezember 1996 – IV B 3 – S 2257 – 54/96 – (BStBl I 1996, S. 1508 Rn. 46) und vom 16. September 2004 – IV C 3 – S 2255 – 354/04 – (BStBl I 2004, S. 922 Rn. 54) folgte das Bundesministerium der Finanzen der Auffassung des Bundesfinanzhofs und ordnete an, hinsichtlich des „Zinsanteils” der Leibrenten den Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG zu versagen.
II.
1. Die zur Einkommensteuer zusammen veranlagten Kläger der Ausgangsverfahren sind seit dem Jahr 1992 miteinander verheiratet. Der Kläger hatte im Jahr 1990 sein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück der Klägerin übertragen. Als Gegenleistung verpflichtete sich diese zur monatlichen Zahlung einer lebenslänglichen wertgesicherten Rente an den Kläger in Höhe von 4.000 DM. Seither bewohnen die Kläger das Einfamilienhaus gemeinsam. In einem als Arbeitszimmer eingerichteten Raum des Hauses übte die Klägerin ihre freiberufliche Tätigkeit aus. Der Kläger erklärte im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für die Streitjahre 1997 und 1998 sonstige Einkünfte aus einer Leibrente. Das Finanzamt besteuerte den Ertragsanteil der Rente – der Einkommensteuererklärung folgend – als Einkünfte des Klägers gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG. Den von der Klägerin aufgrund der Verpflichtung aus der Leibrente im Gegenzug begehrten Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG für den Anteil des Ertragsanteils, der nicht als Betriebsausgaben für die freiberufliche Tätigkeit der Klägerin geltend gemacht werden konnte (79 % von 13.440 DM = 10.617 DM), lehnte das Finanzamt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 25. November 1992 – X R 91/89 – (BStBl II 1996, S. 666 = BFHE 170, 82) und das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 23. Dezember 1996 – IV B 3 – S 2257 – 54/96 – (BStBl I 1996, S. 1508 Rn. 46) ab. Die hiergegen eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht Köln gab den dagegen gerichteten Klagen mit Urteilen jeweils vom 21. November 2000 (– 8 K 7309/99 – betreffend das Streitjahr 1997, EFG 2001, 626 ff. und – 8 K 7310/99 – betreffend das Streitjahr 1998) statt, da es der Auffassung war, dass der Klägerin der begehrte Sonderausgabenabzug entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG zu gewähren sei.
2. Im Revisionsverfahren legte der X. Senat des Bundesfinanzhofs dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vor, ob die Besteuerung der Ertragsanteile von Bezügen aus Leibrenten nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG, die Gegenleistung für den Erwerb eines Wirtschaftsguts des Privatvermögens sind, mit ihrem vollen Nennbetrag – ohne Berücksichtigung eines Sparer-Freibetrags – ungeachtet dessen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar sei, dass es sich um pauschalierte Einkünfte aus Kapitalvermögen handele.
a) Der Bundesfinanzhof beabsichtige, die Klage insoweit abzuweisen, als die Klägerin den Abzug des Ertragsanteils der von ihr gezahlten Leibrente als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG begehre. Der Ertragsanteil sei seinem materiellrechtlichen Charakter nach ein privater Zinsanteil, der ungeachtet seiner Pauschalierung wie andere private Schuldzinsen die steuerliche Bemessungsgrundlage nicht mindern dürfe. Zwar sei ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern 1954 erwogen worden, dass sich „der Begriff des Rentenertrags” nicht immer mit „dem Begriff der Zinsen decke”; die Rentenzahlung könne „in vollem Umfang Ertrag des Stammrechts” sein. Dies sei jedoch unzutreffend, da die Leibrente neben dem Vermögensumschichtungs- und dem Zinsanteil keine weiteren steuerlich relevanten Ertragskomponenten enthalte. Der Rentenbarwert werde niemals durch Tilgungsanteile „verzehrt”, sondern tendiere – mit abnehmender Lebenserwartung des Bezugsberechtigten – stets gegen Null. Wenn der Gesetzgeber die Ertragsanteile den Einkünften aus wiederkehrenden Leistungen (§ 22 Nr. 1 EStG) zugeordnet habe, seien die Gründe hierfür nicht mehr stichhaltig. Die auch im Interesse der Finanzverwaltung vorgesehene Pauschalierung ändere nichts daran, dass die „Erträge des Rentenrechts” ihrem materiellrechtlichen Rechtscharakter nach Zinseinkünfte seien, daher systematisch zur sechsten Einkunftsart (Einkünfte aus Kapitalvermögen) gehörten und demgemäß in § 20 EStG geregelt werden müssten.
Andererseits zwinge diese Rechtsnatur des Ertragsanteils folgerichtig zu der Annahme, dass dem Kläger der für Einkünfte aus Kapitalvermögen geltende Sparer-Freibetrag des § 20 Abs. 4 EStG in dem für die „Übertragung” des Freibetrags zwischen Ehegatten maßgebenden Umfang in Höhe von 3.977 DM im Streitjahr 1997 und in Höhe von 1.993 DM im Streitjahr 1998 zustehen würde, wenn dieser nicht bei der Anwendung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG ausgeschlossen wäre oder wenn derartige Erträge entsprechend ihrer Rechtsnatur bei § 20 EStG erfasst würden. Die Verfassungsmäßigkeit einer nicht durch den Sparer-Freibetrag abgemilderten Besteuerung des Ertragsanteils unterstellt, müsste der Bundesfinanzhof der Revision des Finanzamts auch insoweit stattgeben, als dieses den Ertrag des Rentenrechts (Ertragsanteil) mit dem vollen Nennbetrag der Einkommensteuer unterworfen und nicht – nach näherer Maßgabe des § 20 Abs. 4 Satz 4 EStG – unter Anwendung eines anteiligen Sparer-Freibetrags versteuert habe. Dieses Ergebnis sei nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
b) Eine verfassungskonforme Auslegung, die dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung trage, sei in Anbetracht der unmissverständlichen Zuordnung solcher Erträge zu § 22 EStG einerseits und des klaren Wortlauts des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG („Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen …”) anderseits nicht möglich. Mit dem Sparer-Freibetrag habe der Gesetzgeber eine rechts- und gesellschaftspolitisch umstrittene Grundsatzfrage der Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen normiert. Mit einer vom Gesetzestext abweichenden Einkünftezuordnung oder Erstreckung des Sparer-Freibetrags auf die siebte Einkunftsart („Sonstige Einkünfte”) würde das Gericht in die Entscheidungsprärogative des Parlaments übergreifen.
c) Die im Gegensatz zu Einkünften aus Kapitalvermögen ungemilderte Besteuerung des Ertrags des Rentenrechts (Ertragsanteils) verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), da diese Ungleichbehandlung nicht durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt sei. Zwar sei der (nur) für die sechste Einkunftsart geltende Sparer-Freibetrag durch die Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen gerechtfertigt. Hierzu zählten insbesondere die Geldwertabhängigkeit und damit die gesteigerte Inflationsanfälligkeit des Kapitalvermögens und seine Bedeutung für die existenzsichernde Versorgung und Altersvorsorge.
Gemessen an diesen Regelungszielen habe der Gesetzgeber mit dem Sparer-Freibetrag eine großzügige Regelung getroffen, die steuerbare Sachverhalte einbeziehe, auf welche die gesetzgeberischen Erwägungen nicht zuträfen und mit denen Mitnahmeeffekte erzielt werden könnten. Gerade diese Großzügigkeit der gesetzlichen Regelung sei in gleichheitswidriger Weise unabgestimmt mit der ungemilderten Besteuerung von in der Form des Ertragsanteils pauschalierten Kapitaleinkünften. Diese seien Ausfluss eines „klassischen” Altersvorsorgeprodukts, für welches die Privilegierungsgründe, die für den Sparer-Freibetrag angeführt würden, im Wesentlichen in gleicher Weise zuträfen. Danach sei ein gleichheitsrechtlich tragfähiger Grund dafür, den Sparer-Freibetrag nicht auf die der siebten Einkunftsart zugehörigen Erträge des Rentenrechts (Ertragsanteile) zu erstrecken, nicht ersichtlich und die ungemilderte Besteuerung von Ertragsanteilen aus Gegenleistungs-Leibrenten verfassungswidrig.
III.
Zu der Vorlage haben sich das Bundesministerium der Finanzen für die Bundesregierung, der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs sowie die Kläger des Ausgangsverfahrens geäußert.
1. Das Bundesministerium der Finanzen hält den Vorlagebeschluss für unzulässig, da die eigentliche Streitfrage des Revisionsverfahrens den Sonderausgabenabzug der von der Klägerin an den Kläger gezahlten Leibrente betreffe, die Vorlagefrage hingegen die Besteuerung der Leibrente beim Leistungsempfänger zum Gegenstand habe. Die Vorlage sei zudem unbegründet, da der Bundesfinanzhof seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG nicht aus zwingendem Gesetzesrecht, sondern aus der vermeintlichen Konsequenz seiner – im Schrifttum nicht unbestrittenen – Qualifizierung der Ertragsanteile als Zinsen ableite. Die gesetzgeberische Entscheidung, Ertragsanteile von Leibrenten nicht den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnen, beruhe jedoch auf sachlichen Gründen. Demgegenüber werde die steuerrechtliche Prämisse des Gerichts weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Willen des Gesetzgebers gerecht. Schließlich habe der Gesetzgeber nur die Vermögensbildungsphase mit dem Sparer-Freibetrag steuerlich entlastend berücksichtigen wollen. Der Rentenempfänger befinde sich jedoch in einer Phase, in der der Vermögensbildungsprozess typischerweise bereits abgeschlossen sei.
2. Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken des X. Senats des Bundesfinanzhofs und stimmt dem Vorlagebeschluss sowohl hinsichtlich des Ergebnisses als auch hinsichtlich der tragenden Gründe zu.
3. Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind der Auffassung, dass die Vorlage unzulässig sei, da der Bundesfinanzhof eine verfassungswidrige Umdeutung der Ertragsanteile in Zinsen vornehme.
Entscheidungsgründe
B.
Die Vorlage ist unzulässig.
Die Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit und zur Verfassungswidrigkeit der zur Überprüfung gestellten Norm genügen nicht den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zu stellen sind (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪76 f.≫; 105, 48 ≪56≫).
1. a) Die Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG setzt voraus, dass die Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich ist (vgl. BVerfGE 11, 330 ≪334≫; 107, 218 ≪232≫; stRspr). Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit kommt es auf die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts an. Das gilt jedoch nicht, wenn diese offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 31, 47 ≪52≫; 100, 209 ≪212≫; 105, 61 ≪67≫; stRspr) oder die Entscheidungserheblichkeit von verfassungsrechtlichen Vorfragen abhängt (vgl. BVerfGE 46, 268 ≪284≫; 63, 1 ≪27≫).
Die Entscheidungserheblichkeit ist vom vorlegenden Gericht zu begründen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Der Vorlagebeschluss muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 ≪173 f.≫; 107, 59 ≪85≫; stRspr), und sich unter Berücksichtigung der in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen eingehend mit der Rechtslage auseinandersetzen (BVerfGE 47, 109 ≪114 f.≫; 105, 61 ≪67≫; stRspr). Richten sich die Bedenken gegen eine Vorschrift, von deren Anwendung die Entscheidung nicht allein abhängt, müssen die weiteren mit ihr im Zusammenhang stehenden Bestimmungen in die rechtlichen Erwägungen einbezogen werden, soweit dies zum Verständnis der zur Prüfung gestellten Norm oder zur Darlegung ihrer Entscheidungserheblichkeit erforderlich ist (vgl. BVerfGE 89, 329 ≪337≫; 105, 48 ≪56≫; stRspr).
b) Diesen Anforderungen an die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit wird die Vorlage des Bundesfinanzhofs nicht gerecht.
Die Frage, ob der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG es verfassungsrechtlich gebietet, den Sparer-Freibetrag nach § 20 Abs. 4 EStG auch auf die Besteuerung von Leibrenten nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG zu erstrecken, kann, wie der Bundesfinanzhof zutreffend ausführt, nur dann entscheidungserheblich sein, wenn der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Gewährung des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in Höhe von jeweils 10.617 DM in den Streitjahren 1997 und 1998 abzuweisen ist. Wäre dagegen dem Klageantrag, an den der Bundesfinanzhof auch der Höhe nach gebunden ist, stattzugeben, käme eine Erstreckung des Sparer-Freibetrags auf die Rentenbezüge des Klägers schon aus prozessrechtlichen Gründen nicht in Betracht, denn eine weitere Herabsetzung der Steuer durch die Erstreckung des Sparer-Freibetrags nach § 20 Abs. 4 Satz 3 EStG in Höhe von 3.977 DM im Streitjahr 1997 und 1.993 DM im Streitjahr 1998 wäre wegen Erschöpfung des Klageantrags ausgeschlossen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 Finanzgerichtsordnung; vgl. Ruban, in: Gräber, FGO, 6. Aufl. 2006, § 121 Rn. 1).
Bei dieser Ausgangslage, bei der die Versagung des Sonderausgabenabzugs entscheidungserheblich für die Vorlagefrage ist, ist es nicht hinreichend, wenn sich der Bundesfinanzhof zur Begründung seiner Auffassung, dass die Klage insoweit abzuweisen sei, lediglich auf seine eigene Rechtsprechung beruft. Die Zulässigkeit der Vorlage erfordert, dass das vorlegende Gericht sich eingehend mit der Rechtslage auseinandersetzt, dabei die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigt und auf unterschiedliche Auslegungsergebnisse eingeht (vgl. BVerfGE 97, 49 ≪60≫; 99, 300 ≪312 f.≫; 105, 48 ≪56≫). Danach hätte der Bundesfinanzhof die Argumente, die in der Literatur für und gegen die Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit seiner Rechtsprechung hinsichtlich der Versagung des Sonderausgabenabzugs für den Ertragsanteil von Leibrenten vorgebracht worden sind (vgl. Biergans/Koller, DStR 1993, S. 858 ≪864≫; Harenberg, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Bd. 10, § 20 Rn. 835; Drenseck, in: Schmidt, EStG, 27. Aufl. 2008, § 9 Rn. 99; ders., DStR 1993, S. 1430 ≪1434 f.≫; ders., StbJB 1993/1994, S. 187 ≪203 f.≫; ders., in: Festschrift für Ludwig Schmidt zum 65. Geburtstag, 1993, S. 845 ≪858 ff.≫; Jansen, DStR 1995, S. 203 ≪204 f.≫; Rose, StuW 2002, S. 276 ff.; Schmitz, Besteuerung wiederkehrender Bezüge, Diss. 1998, S. 157 f.; Stuhrmann, in: Blümich, EStG, Bd. 2, § 22 Rn. 66 (März 2004); Weber-Grellet, FR 2002, S. 467 f.) fundiert erörtern müssen; denn solange die Möglichkeit besteht, dass das vorlegende Gericht den Rechtsstreit entscheiden kann, ohne die Norm, die es für verfassungswidrig hält, anwenden zu müssen, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit (vgl. BVerfGE 64, 251 ≪254≫; 105, 48 ≪56≫). Der Bundesfinanzhof wiederholt jedoch nur seine eigene Rechtsprechung, ohne sich mit den Gegenstimmen auseinanderzusetzen.
2. Der Bundesfinanzhof hat auch nicht hinreichend die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der zur Überprüfung gestellten Norm erörtert, obwohl eine solche Lösung nahe liegt (vgl. BVerfGE 70, 134 ≪137≫; 78, 20 ≪24≫; 85, 329 ≪333 f.≫; 87, 114 ≪133≫).
a) Ein Gericht kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nach Art. 100 Abs. 1 GG und § 80 Abs. 2 BVerfGG nur einholen, wenn es sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat. Das verlangt eine Erörterung der in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen zu den denkbaren Auslegungsmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 80, 96 ≪100≫). Der Beschluss muss den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und die Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung näher darlegen (vgl. BVerfGE 80, 59 ≪65≫). Dazu gehört auch die Erörterung einer verfassungskonformen Auslegung, wenn offensichtlich mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen, die zu unterschiedlich starken Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen führen und den verfassungsrechtlichen Bedenken des vorlegenden Gerichts nicht in gleicher Weise ausgesetzt sind (vgl. BVerfGE 85, 329 ≪333 f.≫).
b) Diesen Anforderungen genügt der Vorlagebeschluss nicht.
aa) Der Auffassung des Bundesfinanzhofs, es liege eine Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte vor, liegt die von ihm selbst aufgestellte Prämisse zugrunde, dass es sich bei dem Ertragsanteil der Leibrente materiellrechtlich um einen Zinsanteil handele. Hiervon ist der Gesetzgeber jedoch, wie sich aus der Gesetzesbegründung zur Neuregelung der Leibrentenbesteuerung durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern ergibt, nicht ausgegangen. Der Gesetzgeber hat die Besteuerung der Leibrenten im Rahmen des § 22 EStG und nicht im Rahmen des § 20 EStG, dem Besteuerungstatbestand für die Einkünfte aus Kapitalvermögen, geregelt, da der Rentenertrag nach seiner Auffassung nicht nur aus Zinsen bestehe. Dies begründet er eingehend damit, dass, sobald der Empfänger der Leibrente die voraussichtliche Laufzeit der Rente überlebe, nach der im Steuerrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise der Rentenbarwert verzehrt sei. Die weiteren Bezüge gingen dann über den Barwert und die Verzinsung hinaus. Die Rentenzahlung sei ab diesem Zeitpunkt in vollem Umfang Ertrag des Rentenstammrechts außerhalb einer Kapitalrückzahlung. Der Begriff des Rentenertrags decke sich deshalb nicht immer mit dem Begriff der Zinsen (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung von Steuern, BTDrucks 2/481, S. 86). Diese Ausführungen hat der Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss zwar zur Kenntnis genommen, sich jedoch über sie hinweg gesetzt, da er sie für unzutreffend hält. Insoweit kann dahingestellt bleiben, wie weit das Gebot der verfassungskonformen Auslegung es dem Richter allgemein erlaubt, den gesetzgeberischen Willen zu begrenzen oder zu ergänzen. Keinesfalls darf eine verfassungskonforme Auslegung jedoch das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen (vgl. BVerfGE 8, 28 ≪33 ff.≫).
bb) Die nicht dem gesetzgeberischen Willen folgende Auslegung der Norm entbindet den Bundesfinanzhof jedenfalls nicht davon, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der – nach seiner Rechtsprechung – materiellrechtlich als Zinsanteil zu qualifizierende Ertragsanteil der Leibrente in verfassungskonformer Auslegung unter den Besteuerungstatbestand des § 20 EStG subsumiert werden kann, mit der Folge, dass der Sparer-Freibetrag des § 20 Abs. 4 EStG von Gesetzes wegen zu gewähren und die Vorlagefrage hinfällig wäre. Nicht hinreichend ist insoweit der kurze Hinweis des Gerichts, dass eine verfassungskonforme Auslegung, die den Erwägungen zum Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung tragen würde, in Anbetracht der unmissverständlichen Zuordnung solcher Erträge zu § 22 EStG einerseits und des klaren Wortlauts des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG anderseits nicht möglich sei.
Dieses Auslegungsergebnis hätte insofern einer weitergehenden Begründung bedurft, als sich der Bundesfinanzhof in seinen Urteilen vom 25. November 1992 – X R 91/89 – (BStBl II 1996, S. 666 = BFHE 170, 82) und vom 14. November 2001 – X R 39/98 – (BStBl II 2002, S. 246 = BFHE 197, 179) hinsichtlich der steuerlichen Behandlung des Ertragsanteils der Leibrente beim Verpflichteten weder durch den Willen des Gesetzgebers noch durch den eindeutigen Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG gehindert sah, auf die materiellrechtliche Rechtsnatur der in der Form der Ertragsanteile pauschalierten Schuldzinsen „durchzugreifen” und den Sonderausgabenabzug zu versagen. Unbeantwortet lässt der Vorlagebeschluss danach die Frage, warum es dem Bundesfinanzhof zwar möglich ist, entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG den Sonderausgabenabzug des Ertragsanteils der Leibrente aufgrund des von ihm unterstellten Schuldzinscharakters zu versagen, ihm diese Wertung jedoch bei der Besteuerung des Ertragsanteils beim Berechtigten verwehrt sein soll. Soweit der Bundesfinanzhof sich insoweit auf die „eindeutige” gesetzliche Regelung beruft, hätte es der weiteren Begründung bedurft, warum es ihm unter Zugrundelegung der von ihm selbst aufgestellten Auslegungsmaßstäbe versagt sein soll, auch im Anwendungsbereich des Sparer-Freibetrags auf den materiellrechtlichen Zinscharakter des Ertragsanteils der Leibrente bei der Besteuerung beim Verpflichteten „durchzugreifen”. Dies wäre nicht nur konsequent, sondern in Anbetracht der Subsidiarität der Besteuerung der sonstigen Einkünfte nach § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG einfachrechtlich auch nicht von vornherein auszuschließen.
3. Schließlich fehlt es in dem Vorlagebeschluss auch an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein gleichheitsrechtlich tragfähiger Grund für die nach Auffassung des Bundesfinanzhofs bestehende Ungleichbehandlung der Besteuerung von Leibrenten gegenüber der Besteuerung von Zinseinkünften vorliegt.
a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfGE 98, 365 ≪385≫). Er verbietet sowohl ungleiche Belastungen wie auch ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 ≪17≫). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem einem Personenkreis eine Begünstigung gewährt wird, einem anderen Personenkreis die Begünstigung aber vorenthalten bleibt, ohne dass sich ausreichende Gründe für die gesetzliche Differenzierung finden lassen (vgl. BVerfGE 93, 386 ≪396 f.≫; 112, 164 ≪174≫; 116, 164 ≪180≫). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfGE 110, 274 ≪291≫; 112, 164 ≪174≫ m.w.N.). Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen Gruppe unterschiedlich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (vgl. BVerfGE 105, 73 ≪110≫; 107, 27 ≪45 f.≫; 112, 268 ≪279≫).
b) Insoweit sind zunächst die Fachgerichte berufen, die Grundlagen zu ermitteln und darzustellen, die für die Beantwortung der Frage erheblich sind, ob die unterschiedliche Besteuerung von Zinseinkünften und Leibrenten, die durch den Sparer-Freibetrag bewirkt wird, verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte. Das vorlegende Gericht hat sich jedoch mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu dieser Frage nicht ausreichend auseinandergesetzt:
aa) Zwar hat sich der Bundesfinanzhof mit den gesetzgeberischen Zielen, die der Einführung des Sparer-Freibetrags zugrunde lagen, in seinem Vorlagebeschluss auseinandergesetzt und ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass die gesetzliche Regelung des Sparer-Freibetrags in gleichheitswidriger Weise unabgestimmt mit der ungemilderten Besteuerung der Leibrente sei. Er hat dabei jedoch außer Betracht gelassen, dass die Leibrente eine Vermögensumschichtung zum Gegenstand hat und bei dem aus der Leibrente Berechtigten die Phase der Vermögensbildung bereits abgeschlossen ist, so dass die Anreizwirkung des Sparer-Freibetrags, der gerade in der Ansparphase einsetzen soll (Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes, BTDrucks 7/1470, S. 220), nicht mehr zum Tragen kommen kann. Ob bereits dieser Lenkungszweck des Sparer-Freibetrags eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte, wäre vom Bundesfinanzhof zu erörtern gewesen.
bb) Unerörtert bleibt in dem Vorlagebeschluss auch die Frage, ob die im Gesetzgebungsverfahren genannten Gründe für die unterschiedliche Besteuerung von Leibrenten und Zinsen geeignet wären, eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Sparer-Freibetrags zu rechtfertigen. Es fehlt insoweit jegliche Auseinandersetzung mit der Konzeption der durchgängigen Besteuerung der Leibrente „stets und nur” in Höhe des Ertragsanteils auch nach Erschöpfung des Rentenstammrechts, die zu einer Begünstigung des Berechtigten führt, sobald dieser die voraussichtliche Laufzeit der Rente überlebt. Insoweit verzichtete der Gesetzgeber nicht nur aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, sondern auch aus sozialen Gesichtspunkten auf eine volle Besteuerung des Rentenrechts nach der Erschöpfung des Rentenstammrechts (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung von Steuern, BTDrucks 2/481, S. 86 f.). Insoweit hätte der Bundesfinanzhof auch den Gesichtspunkt, dass die abgemilderte Besteuerung der Leibrente im Vergleich zur Besteuerung von Kapitaleinkünften ein gleichheitsrechtlich tragfähiger Grund für die Nichtgewährung des Sparer-Freibetrags sein könnte, in seine Betrachtung mit einbeziehen müssen.
Unterschriften
Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen
BFH/NV 2009, 2119 |
BVerfGE 2010, 251 |
DStRE 2009, 1292 |
HFR 2009, 1241 |
NWB 2009, 3394 |
EStB 2009, 383 |
KÖSDI 2009, 16706 |
DVBl. 2009, 1447 |
NWB direkt 2009, 1112 |
StBW 2009, 2 |
VP 2009, 211 |
IWR 2010, 41 |
SJ 2009, 4 |