Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidung in Zwischenverfahren über Richterablehnung
Leitsatz (amtlich)
- Entscheidungen über die Ablehnung von Gerichtspersonen können während eines anhängigen Arbeitsgerichtsprozesses selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.
- Bei einer Entscheidung über die Ablehnung eines Richters dürfen Tatsachen und Beweisergebnisse, die das Gericht der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters entnommen hat, nur dann verwertet werden, wenn die ablehnende Partei zu der dienstlichen Äußerung Stellung nehmen konnte.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ArbGG § 49 Abs. 3; ZPO §§ 42, 45-46
Verfahrensgang
ArbG Saarbrücken (Beschluss vom 20.10.1967; Aktenzeichen 5 Ca 82/67) |
ArbG Saarbrücken (Beschluss vom 11.09.1967; Aktenzeichen 5 Ca 82/67) |
Tatbestand
A.-I.
1. Der Beschwerdeführer hat beim Arbeitsgericht Saarbrücken gegen den Saarländischen Rundfunk eine Klage erhoben, mit der er sich gegen die vom Beklagten ausgesprochene Kündigung seines Arbeitsverhältnisses wendet. Der Rechtsstreit ist zur Zeit noch in erster Instanz anhängig.
2. Am 5. Juli 1967 lehnte der Beschwerdeführer den Vorsitzenden der zuständigen Kammer, Arbeitsgerichtsdirektor …, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung seines Ablehnungsgesuchs trug er unter anderem vor, daß der abgelehnte Richter im Termin vom 20. Juni 1967 eine Erklärung seines Prozeßbevollmächtigten als “dumme Redensart” bezeichnet habe.
3. Der abgelehnte Richter nahm in einer dienstlichen Äußerung vom 8. September 1967 zum Ablehnungsgesuch Stellung. Er gab dabei an, daß er nicht eine Erklärung des Prozeßbevollmächtigten, sondern eine Äußerung des Beschwerdeführers selbst als “dumme Redensart” bezeichnet habe; der Beschwerdeführer habe nämlich auf die Frage, warum er sich in einem Zeitraum von 3 Monaten beim Beklagten nicht ordnungsgemäß habe einarbeiten können, die Antwort erteilt, es sei immer so laut im Schaltraum gewesen; er habe diese Erklärung nicht recht ernst nehmen können, da ihm selbst die Arbeit auf Grund einer Besichtigung der Räume des Beklagten nicht unbekannt sei.
Die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters wurde dem Beschwerdeführer nicht bekanntgemacht.
4. Mit Beschluß vom 11. September 1967 – 5 Ca 82/67 – erklärte das Arbeitsgericht Saarbrücken das Ablehnungsgesuch für nicht begründet. In bezug auf den Ausdruck “dumme Redensart” führte der Beschluß aus, daß die Kammer insoweit von der Darstellung des abgelehnten Richters in seiner dienstlichen Äußerung vom 8. September 1967 auszugehen habe; deshalb sei eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle hier nicht einschlägig, mit der einem Ablehnungsgesuch deshalb stattgegeben wurde, weil der abgelehnte Richter vom “dummen Geschrei” des Prozeßbevollmächtigten einer Partei gesprochen hatte; im vorliegenden Fall habe der Richter nur eine ihm auf Grund eigener Sachkenntnis völlig unzureichend erscheinende Antwort des Beschwerdeführers selbst zurückgewiesen und diesen um sachlich ernst zu nehmenden Vortrag ersucht.
5. Nachdem der Beschwerdeführer von dem Beschluß des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 11. September 1967 und der darin verwerteten dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters vom 8. September 1967 Kenntnis erlangt hatte, lehnte er am 4. Oktober 1967 Arbeitsgerichtsdirektor … erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug er vor, daß der abgelehnte Richter – wie sich aus seiner dienstlichen Äußerung vom 8. September 1967 ergebe – privat die Räume des Beklagten besichtigt habe; dies begründe die Besorgnis der Befangenheit; außerdem bestehe die Besorgnis der Befangenheit des Richters wegen dessen Bemerkung “dumme Redensart” selbst dann, wenn diese sich nicht auf den Prozeßbevollmächtigten, sondern auf den Beschwerdeführer selbst bezogen haben sollte.
6. Der abgelehnte Richter gab am 9. Oktober 1967 auch zum Ablehnungsgesuch vom 4. Oktober 1967 eine dienstliche Äußerung ab. Er trug vor, daß er den Saarländischen Rundfunk zusammen mit allen Richtern und Angestellten der saarländischen Arbeitsgerichtsbarkeit besichtigt habe, bevor der Rechtsstreit des Beschwerdeführers anhängig geworden sei.
Auch die dienstliche Äußerung vom 9. Oktober 1967 wurde dem Beschwerdeführer nicht mitgeteilt.
7. Mit Beschluß vom 20. Oktober 1967 – 5 Ca 82/67 – erklärte das Arbeitsgericht Saarbrücken auch das Ablehnungsgesuch vom 4. Oktober 1967 für nicht begründet. Das Gericht führte aus, die erneute Ablehnung wegen der Bemerkung “dumme Redensart” sei rechtlich als Beschwerde gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 11. September 1967 zu deuten; gemäß § 49 Abs. 3 ArbGG sei jedoch ein Rechtsmittel gegen den Beschluß über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht gegeben. Die Besichtigung des Saarländischen Rundfunks durch die Angehörigen der saarländischen Arbeitsgerichtsbarkeit mit anschließender Diskussion und Ausgabe von Erfrischungen habe der allgemeinen Information gedient und lasse nicht auf Befangenheit des abgelehnten Richters schließen.
II.
Mit seinen Verfassungsbeschwerden greift der Beschwerdeführer die beiden Beschlüsse des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 11. September 1967 – 5 Ca 82/67 – und vom 20. Oktober 1967 – 5 Ca 82/67 – an.
1. Im Verfahren 2 BvR 599/67 wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 11. September 1967. Er rügt eine Verletzung der Art. 103 Abs. 1 und 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Zur Begründung führt er aus:
a) Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil der Beschluß vom 11. September 1967 auf der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters vom 8. September 1967 beruhe, die ihm vor der Entscheidung des Gerichts nicht bekanntgemacht worden sei. Hätte er von der dienstlichen Äußerung rechtzeitig Kenntnis erhalten, so hätte er glaubhaft machen können, daß die Bemerkung “dumme Redensart” gegenüber seinem Prozeßbevollmächtigten abgegeben worden sei; aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses ergebe sich, daß dem Ablehnungsgesuch in diesem Falle möglicherweise stattgegeben worden wäre.
b) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, weil bei dem Beschluß vom 11. September 1967 nicht dieselben Arbeitsrichter mitgewirkt hätten wie beim vorangegangenen Termin vom 20. Juni 1967, in dessen Verlauf die umstrittene Bemerkung seitens des abgelehnten Richters gefallen sei.
2. Im Verfahren 2 BvR 677/67 wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 20. Oktober 1967, und zwar ebenfalls mit der Rüge, die Art. 103 Abs. 1 und 101 Abs. 1 Satz 2 GG seien verletzt.
a) Die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG sieht der Beschwerdeführer darin, daß ihm die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters vom 9. Oktober 1967 vor der Entscheidung des Gerichts nicht mitgeteilt worden sei. Auch die Tatsache, daß die Angehörigen der saarländischen Arbeitsgerichtsbarkeit anläßlich einer Besichtigung des Saarländischen Rundfunks bewirtet worden seien, habe er erst durch den angefochtenen Beschluß erfahren. Hätte er die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters rechtzeitig gekannt, so hätte er weitere Ausführungen dazu machen können, daß der Kläger wenigstens subjektiv den Richter, der vom Beklagten bewirtet worden sei, für befangen halten müsse. Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 4. Oktober 1967 wäre dann vielleicht für den Beschwerdeführer günstiger ausgefallen.
Der angefochtene Beschluß lasse außerdem erkennen, daß das Gericht sich mit dem Sachvortrag im Ablehnungsgesuch nicht auseinandergesetzt habe.
b) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, weil das Arbeitsgericht, nachdem es irrtümlich einen Teil des neuen Ablehnungsgesuchs als Beschwerde gegen den Beschluß vom 11. September 1967 gedeutet hätte, folgerichtig verpflichtet gewesen wäre, die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
III.
1. Der saarländische Minister für Arbeit und Sozialwesen hat sich zu den Verfassungsbeschwerden nicht geäußert.
2. Dem Beklagten des Ausgangsverfahrens wurde keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben, weil er durch die Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche des Klägers nicht im Sinne von § 94 Abs. 3 BVerfGG begünstigt ist.
Entscheidungsgründe
B.-I.
Die beiden Verfahren beziehen sich auf denselben Arbeitsgerichtsprozeß und haben die gleichen Rechtsfragen zum Gegenstand. Sie werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.
1. Entscheidungen über die Ablehnung von Gerichtspersonen können während eines anhängigen Arbeitsgerichtsprozesses selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Sie beenden ein selbständiges Zwischenverfahren und sind für das weitere Verfahren bindend. Ein Rechtsmittel ist nicht gegeben (§ 49 Abs. 3 ArbGG). Nach herrschender Lehre kann weder mit der Berufung noch mit der Revision geltend gemacht werden, daß das Gericht erster Instanz falsch besetzt gewesen sei, weil ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht abgewiesen wurde (vgl. Dietz-Nikisch, Kommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz, München und Berlin 1954, § 49 Rdnr. 9; Dersch-Volkmar, Kommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz, Berlin und Frankfurt 1955, § 49 Rdnr. 45).
Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Verfassungsbeschwerde gegen solche Entscheidungen in selbständigen Zwischenverfahren zugelassen, die über eine für das weitere Verfahren wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 1, 322 [325]; 6, 12 [14]; 6, 45 [50]; 8, 253 [254 f.]; 12, 113 [124]; 14, 8 [10]; 16, 283 [285]; 20, 336 [342]).
2. Der Beschwerdeführer hat auch ein Rechtsschutzinteresse daran, daß über eine von ihm eingelegte Verfassungsbeschwerde bereits während der Rechtshängigkeit des Verfahrens und nicht erst nach der letztinstanzlichen Entscheidung zur Hauptsache entschieden wird. Der Beschwerdeführer kann nicht darauf verwiesen werden, zunächst das Verfahren vor einem Richter fortzusetzen, dessen Zuständigkeit möglicherweise auf verfassungswidrigen Entscheidungen über Ablehnungsgesuche beruht. Die Möglichkeit, daß die prozessuale Beschwer im Laufe des weiteren Verfahrens entfällt, rechtfertigt es nicht, den Beschwerdeführer den Ausgang des Verfahrens abwarten zu lassen, ehe er die Entscheidungen über seine Ablehnungsgesuche mit der Verfassungsbeschwerde angreifen darf.
C.
Die Verfassungsbeschwerden sind auch begründet. Die angefochtenen Beschlüsse des Arbeitsgerichts Saarbrücken verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG.
I.
1. Das Recht auf Gehör gewährleistet, daß einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen Stellung zu nehmen den Beteiligten Gelegenheit gegeben war (vgl. BVerfGE 20, 280 [282] mit weiteren Nachweisen). Genügt das einfache Verfahrensrecht dieser verfassungsrechtlichen Anforderung nicht, so folgt das Recht auf Gehör unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfGE 20, 280 [282]; 21, 132 [137] mit weiteren Nachweisen). Auch bei einer Entscheidung über die Ablehnung eines Richters dürfen deshalb Tatsachen und Beweisergebnisse, die das Gericht der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters entnommen hat, nur dann verwertet werden, wenn die ablehnende Partei zu der dienstlichen Äußerung Stellung nehmen konnte.
2. Gegen dieses Recht hat das Arbeitsgericht verstoßen. Die beiden angefochtenen Beschlüsse vom 11. September 1967 und 20. Oktober 1967 verwerten die dienstlichen Äußerungen des abgelehnten Richters, ohne daß der Beschwerdeführer Gelegenheit gehabt hätte, zu den dienstlichen Äußerungen Stellung zu nehmen.
3. Die angefochtenen Beschlüsse beruhen auch auf der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Anhörung des Beschwerdeführers zu anderen Entscheidungen über seine Ablehnungsgesuche geführt hätte (BVerfGE 19, 142 [144]; 20, 280 [282]).
II.
Da die angefochtenen Beschlüsse gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, müssen sie aufgehoben werden. Einer Prüfung der weiteren Rügen bedarf es deshalb nicht (BVerfGE 21, 139 [148]).
Diese Entscheidung ist im Ergebnis einstimmig ergangen.
Fundstellen