Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeugnis- und Aussageverweigerungsrecht von Presseangehörigen
Leitsatz (amtlich)
Vorschriften über die Befugnis zur Zeugnisverweigerung sind ihrem Wesen nach Bestandteile des Beweiserhebungsrechts der Verfahrensordnungen. Das strafprozessuale Aussageverweigerungsrecht von Angehörigen der Presse gehört deshalb kompetenzrechtlich zum Bereich des gerichtlichen Verfahrens (Art. 74 Nr. 1 GG).
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1, Art. 70 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Nr. 1, Art. 75 Nr. 2; StPO § 53; HessPresseG § 22 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Vorlegungsbeschluss vom 20.08.1971; Aktenzeichen 5/9 Qs 808/70) |
Gründe
A. – I.
Das Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen ist sowohl in der Strafprozeßordnung als auch in den Pressegesetzen der Länder geregelt.
§ 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO in der Fassung vom 17. September 1965 (BGBl. I S. 1374) hat folgenden Wortlaut:
§ 53
(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt
1. bis 4. …
5. Redakteure, Verleger, Herausgeber, Drucker und andere, die bei der Herstellung oder Veröffentlichung einer periodischen Druckschrift mitgewirkt haben, über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmanns einer Veröffentlichung strafbaren Inhalts, wenn ein Redakteur der Druckschrift wegen dieser Veröffentlichung bestraft ist oder seiner Bestrafung keine Hindernisse entgegenstehen;
§ 22 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse in der Fassung vom 20. November 1958 (GVBl. S. 183) – HessPresseG –, eingefügt durch das Zweite Änderungsgesetz vom 22. Februar 1966 (GVBl. S. 31), lautet dagegen:
§ 22
(1) Redakteure, Journalisten, Verleger, Herausgeber, Drucker und andere, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Veröffentlichung eines periodischen Druckwerks berufsmäßig mitgewirkt haben, sind zur Verweigerung des Zeugnisses über die Person des Verfassers, des Einsenders oder des Gewährsmannes von Mitteilungen, über deren Inhalt sowie über den Inhalt von Unterlagen berechtigt.
II.
Der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens, der Journalist A…, hatte 1966 als freier Mitarbeiter einer Frankfurter Tageszeitung in deren Beilage einen Artikel über die Stadt Homburg am Main veröffentlicht und darin über parteipolitische Hintergründe der Wahl des neuen Bürgermeisters berichtet. Wegen der hierbei aufgestellten Behauptungen reichte der neugewählte Bürgermeister, der sich politisch verleumdet sah, gegen ihn eine Privatklage ein. Diese wurde jedoch wegen Verjährung rechtskräftig zurückgewiesen.
Da der Beschwerdeführer mitgeteilt hatte, die beanstandete Äußerung beruhe auf einer Information, die ihm der frühere Bürgermeister gegeben habe, erhob der neue Bürgermeister nunmehr auch gegen seinen Amtsvorgänger eine Privatklage wegen übler Nachrede. In diesem Verfahren soll der Beschwerdeführer als Zeuge, insbesondere über seinen Informanten, vernommen werden. Vor dem im Rechtshilfeweg um die Vernehmung ersuchten Amtsgericht Bad Homburg v. d. H. verweigerte er jedoch unter Berufung auf die §§ 53 Abs. 1 Nr. 5, 55 Abs. 1 StPO und § 22 Abs. 1 HessPresseG die Aussage.
Daraufhin wies das Amtsgericht „das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen A… … als unbegründet zurück” und nahm den Zeugen wegen grundloser Aussageverweigerung in eine Ordnungsstrafe. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde des Zeugen hat das Landgericht Frankfurt/Main das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 22 Abs. 1 HessPresseG mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es führt hierzu aus:
§ 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO gewähre dem Beschwerdeführer hier kein Zeugnisverweigerungsrecht. Zum maßgeblichen Zeitpunkt sei er nicht Redakteur, sondern nur freier Mitarbeiter im Nebenberuf gewesen. Damit gehöre er nicht zum Kreis derer, denen das Zeugnisverweigerungsrecht zustehe. Selbst wenn man aber den Verfasser eines Presseartikels in den Kreis der Berechtigten einbeziehe, fehle es an einer weiteren Voraussetzung, weil kein Redakteur wegen der Veröffentlichung bestraft sei oder – nach Eintritt der Verfolgungsverjährung – noch bestraft werden könne. Eine Auslegung der Vorschrift, die von dieser Voraussetzung absehe, komme nicht in Betracht, da sie sich eindeutig mit dem Willen des Gesetzgebers in Widerspruch setzen würde. Auch nach § 55 Abs. 1 StPO dürfe der Beschwerdeführer die geforderte Auskunft nicht verweigern, weil er sich keiner Strafverfolgungsgefahr mehr aussetze, nachdem die gegen ihn erhobene Privatklage rechtskräftig zurückgewiesen sei. Nur § 22 Abs. 1 HessPresseG räume ihm hier ein Zeugnisverweigerungsrecht ein. Daher komme es darauf an, ob diese Bestimmung gültig sei oder nicht. Davon hänge es ab, ob die Beschwerde Erfolg habe oder zurückgewiesen werde.
§ 22 Abs. 1 HessPresseG sei verfassungswidrig und daher nichtig. Nach herkömmlicher Zuordnung und innerem Zusammenhang zähle das Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen nicht zu den allgemeinen Rechtsverhältnissen der Presse, die der Bund nach Art. 75 Nr. 2 GG durch Rahmenvorschriften ordnen könne, während die Gesetzgebungszuständigkeit im übrigen bei den Ländern liege. Vielmehr gehöre es zum gerichtlichen Verfahren, das nach Art. 74 Nr. 1 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung sei. Auf diesem Gebiet habe der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht in § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO Gebrauch gemacht. Die Vorschrift sei gültig, selbst wenn man sie im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als zu eng gefaßt ansehe. Dem Landesgesetzgeber habe daher keine Befugnis zugestanden, das Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen zu regeln. § 22 Abs. 1 HessPresseG sei mithin kompetenzlos erlassen.
Der Beschwerdeführer habe zwar geglaubt, seine Aussageverweigerung werde durch diese Bestimmung gedeckt; das nötige aber nicht dazu, den Ordnungsstrafbeschluß aufzuheben. Dieser Verbotsirrtum schließe die Schuld des Zeugen nicht aus, da er vermeidbar gewesen sei. Von einem Journalisten dürfe erwartet werden, daß er die seit langem geführte Diskussion über das Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen verfolge und sich über die damit verbundenen Rechtsfragen orientiere. Wäre der Zeuge dieser Forderung nachgekommen, so hätte er sich erinnern müssen, daß gegen die Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts in den Landespressegesetzen verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden seien. Ohne nähere Prüfung hätte er sich darum nicht auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 HessPresseG verlassen dürfen. Im Hinblick darauf, daß die Strafprozeßordnung gegenüber den Landesgesetzen das höhere Recht sei und der Amtsrichter das Zeugnisverweigerungsrecht verneint habe, hätte der Beschwerdeführer erkennen können, daß er das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund verweigere.
III.
1. Der Bundesminister der Justiz hat für die Bundesregierung Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage geäußert. Es sei zweifelhaft, ob es für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 HessPresseG ankomme. Das Landgericht hätte prüfen müssen, ob nicht ein Fall vorliege, in dem sich das Aussageverweigerungsrecht unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergebe, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dem Zeugniszwang entgegenstehe und die verfassungsrechtlich verbürgte Pressefreiheit strafprozessuale Zwangsmaßnahmen verbiete.
In der Sache tritt der Minister der Ansicht des vorlegenden Gerichts bei. Das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht zähle nicht zu den allgemeinen Rechtsverhältnissen der Presse. Diesem Bereich seien lediglich solche Vorschriften zuzuordnen, die auf die institutionelle Sicherung der Presse abzielten. Für andere, im weitesten Sinne presserechtliche Regelungen besäßen die Länder eine Kompetenz nur insoweit, als nicht der Bund kraft Sachzusammenhangs mit einer ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit tätig geworden sei. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse gehöre aus sachlogischen und historischen Gründen zum Recht des gerichtlichen Verfahrens. Es falle damit in das Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung, auf dem der Bund seine Befugnisse ausgeübt und in der Strafprozeßordnung eine abschließende Regelung getroffen habe. Eine Aufsplitterung des Zeugnisverweigerungsrechts der Presseangehörigen in verschiedenen Landesgesetzen vertrage sich im übrigen nicht mit dem Grundsatz der Rechtseinheit.
2. Der Hessische Ministerpräsident hält die Vorlage mangels Entscheidungserheblichkeit für unzulässig. Der Beschwerde gegen den Ordnungsstrafbeschluß müsse auch dann stattgegeben werden, wenn § 22 Abs. 1 HessPresseG ungültig sei. Der Zeuge habe sich auf ein ordnungsgemäß zustande gekommenes Gesetz berufen. Das Risiko der Ungültigkeit eines solchen Gesetzes sei ihm nicht aufzuerlegen. Zumindest habe er schuldlos gehandelt. Bereits das Amtsgericht hätte das Verfahren aussetzen und die Bestimmung dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen. Schon dieser Verfahrensfehler zwinge zur Aufhebung der Ordnungsstrafe. Außerdem habe der Zeuge bei verfassungskonformer Auslegung auch nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO ein Aussageverweigerungsrecht.
Hilfsweise vertritt der Ministerpräsident die Auffassung, daß die zur Prüfung gestellte Norm nicht gegen Bundesrecht verstoße. Das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht gehöre zur Gesetzgebungsmaterie des Presserechts. Dafür spreche die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit und die herausragende Funktion der Presse in der freiheitlichen Demokratie. Das Aussageverweigerungsrecht diene dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses, das zu den wesentlichen Voraussetzungen für die institutionelle Eigenständigkeit der Presse und die Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe rechne. Damit handle es sich um eine spezifische Angelegenheit der durch Art. 5 GG geschützten Institution „Presse”, deren verfassungsrechtlicher Status auch für die inhaltliche Ausgestaltung des Zeugnisverweigerungsrechts maßgebend sei. Der herkömmliche Standort dieses Rechts in der Strafprozeßordnung sei demgegenüber schon deshalb nicht ausschlaggebend, weil sich die Gesetzgebungskompetenz des Reichs – anders als die des Bundes unter dem Grundgesetz – in gleicher Weise auf Presserecht und gerichtliche Verfahren erstreckt habe. § 22 Abs. 1 HessPresseG sei aber auch dann gültig, wenn diese Regelung zum Prozeßrecht gehöre. Der Strafprozeßordnung liege zwar die Absicht zugrunde, das Strafverfahrensrecht zu kodifizieren; indessen sei § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO heute bei Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit nicht mehr als erschöpfende Regelung anzusehen. Die Länder seien berechtigt gewesen, die vom Bund bisher nicht geschlossene Lücke zwischen Grundrechtsverbürgung und einzelgesetzlichem Schutz mit ihrer Gesetzgebung auszufüllen.
3. a) Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt, daß der 2. und 3. Strafsenat § 22 Abs. 1 HessPresseG bisher nicht angewendet haben; der 2. Strafsenat teile jedoch die Ansicht des vorlegenden Gerichts.
b) Auch das Oberlandesgericht Frankfurt/Main war nach der Mitteilung seines Präsidenten mit der im Vorlagebeschluß behandelten Rechtsfrage bislang nicht befaßt. Der 2. Strafsenat dieses Gerichts hält die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 HessPresseG für gerechtfertigt.
B. – I.
Die Vorlage ist zulässig.
1. Die vom Landgericht im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung hängt davon ab, ob § 22 Abs. 1 HessPresseG gültig ist oder nicht. Diese Abhängigkeit besteht allerdings nur für einen Teilausspruch des Beschlusses, den das Gericht auf die Beschwerde des Zeugen hin zu erlassen hat.
a) Soweit über die gegen den Zeugen verhängte Ordnungsstrafe zu befinden ist, kommt es auf die Gültigkeit der vorgelegten Bestimmung nicht an. Ist sie wirksam, so kann der Zeuge nicht bestraft werden, weil er die Aussage mit Recht verweigert hat. Ist sie indessen nichtig, so hat er das Zeugnis zwar zu Unrecht verweigert, darf aber gleichwohl nicht in eine Ordnungsstrafe genommen weden, da er schuldlos gehandelt hat. Auch die Verhängung einer Ordnungsstrafe setzt Schuld voraus (BVerfGE 20, 323 [331]). Die Schuld ist ausgeschlossen, wenn sich der Täter in einem unvermeidbaren Irrtum über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens befand (BGHSt 2, 194 [200 ff.]). Ein solcher Verbotsirrtum hindert auch die Ahndung einer grundlosen Zeugnisverweigerung (Kleinknecht, StPO, 30. Aufl. (1971), § 70 Anm. 6; Kohlhaas in: Löwe-Rosenberg, StPO, 22. Aufl. (1971), § 70 Anm. 4 c; LG Köln, NJW 1959, S. 1598 [1599]). Danach muß die Beschwerde des Zeugen in jedem Falle Erfolg haben. Als er die Aussage unter Berufung auf § 22 Abs. 1 HessPresseG verweigerte, handelte er entweder rechtmäßig oder unterlag einem unvermeidbaren Verbotsirrtum. Ihm kann kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er im Vertrauen auf ein ordnungsgemäß zustandegekommenes Landesgesetz die ihm dort eingeräumte Weigerungsbefugnis für sich in Anspruch nahm. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts ist offensichtlich unhaltbar. Sie überspannt die Anforderungen, die an den Zeugen gestellt werden dürfen. Die Bestätigung des Ordnungsstrafbeschlusses wäre daher nicht nur nach einfachem Recht fehlerhaft, sondern darüber hinaus auch verfassungswidrig. Sie verstieße gegen den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz, daß jede Bestrafung Schuld voraussetzt und würde den Zeugen deshalb in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen (vgl. BVerfGE 7, 305 [319]; 9, 167 [169]; 20, 323 [331]).
b) Das Landgericht hat aber nicht nur die Ordnungsstrafe in Wegfall zu bringen, sondern im Tenor des Beschwerdebeschlusses auch ausdrücklich festzustellen, ob dem Zeugen ein Aussageverweigerungsrecht zusteht. Diese Feststellung muß es deshalb treffen, weil das Amtsgericht das von dem Beschwerdeführer geltend gemachte Zeugnisverweigerungsrecht „als unbegründet zurückgewiesen” hat und sich die Beschwerde auch auf diesen Entscheidungsausspruch bezieht. Zwar schreibt das Strafprozeßrecht – anders als § 387 ZPO – eine selbständig anfechtbare Zwischenentscheidung über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung nicht vor; sie kann indessen ergehen, wiewohl sie die Festsetzung einer Ordnungsstrafe nicht aufzuhalten vermag (vgl. Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Teil II (1957), § 70 Erl. 13; Kohlhaas in: Löwe-Rosenberg, StPO, 22. Aufl. (1971), § 70 Anm. 4 a). Da der Amtsrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ist das Landgericht genötigt, auf die Beschwerde hin auch über das Aussageverweigerungsrecht selbst zu entscheiden. Diese Entscheidung hängt von der Gültigkeit der vorgelegten Bestimmung ab.
2. § 22 Abs. 1 HessPresseG ist allerdings nicht in vollem Umfang, sondern nur insoweit entscheidungserheblich, als er für das Verfahren in Strafsachen Geltung beansprucht. Auf diesen Teilinhalt der Norm wird die Prüfung beschränkt.
II.
§ 22 Abs. 1 HessPresseG ist, soweit er sich auf das Verfahren in Strafsachen bezieht, mit Art. 74 Nr. 1 und Art. 72 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO nicht vereinbar. Das Land Hessen besaß nach der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern keine Befugnis, das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht der Presse zu regeln.
1. Die Länder sind zwar – entsprechend dem Grundsatz des Art. 70 Abs. 1 GG – für gesetzliche Regelungen auf dem Gebiet des Pressewesens zuständig. Der Bund hat nach Art. 75 Nr. 2 GG nur das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen Rahmenvorschriften über die „allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse” zu erlassen; diese Gesetzgebungskompetenz ist jedoch bisher nicht ausgeschöpft worden.
a) Eine als Bundesrecht fortgeltende reichsrechtliche Regelung des Pressewesens fehlt. Das Reichsgesetz über die Presse vom 7. Mai 1874 (RGBl. I S. 65) besaß keinen Rahmencharakter, sondern ordnete die Materie vollständig und unmittelbar; es ist daher weder insgesamt noch in einzelnen seiner Bestimmungen Bundesrecht geworden (BVerfGE 7, 29 [41]).
b) Der Bundesgesetzgeber selbst hat presserechtliche Rahmenvorschriften bislang nicht erlassen. Insbesondere stellt § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO keine derartige Vorschrift dar. Das gilt schon deshalb, weil diese Bestimmung nicht einen Rahmen absteckt, an den die Länder sich einerseits halten müßten, innerhalb dessen sie aber andererseits selbständig Recht setzen dürften. Sie enthält vielmehr eine unmittelbar verbindliche Vollregelung. Zwar kann eine Vollregelung für einzelne Teile einer Gesetzgebungsmaterie auch aufgrund der Kompetenz zur Rahmengesetzgebung getroffen werden; dann ist aber Voraussetzung, daß sie im Zusammenhang eines Gesetzeswerks steht, das – als Ganzes gesehen – dem Landesgesetzgeber noch Spielraum läßt und darauf angelegt ist, von ihm aufgrund eigener Entschließung ausgefüllt zu werden (BVerfGE 7, 29 [41 f.]). Es ist offenkundig, daß § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO diesem Erfordernis nicht entspricht.
2. Die bisher uneingeschränkte Gesetzgebungszuständigkeit der Länder auf dem Gebiete des Pressewesens verlieh ihnen jedoch keine Befugnis, das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse im Strafverfahren zu regeln; denn hierbei handelt es sich nicht um einen Gegenstand des Presserechts, sondern um eine Materie, die Teil des gerichtlichen Verfahrens ist und darum gemäß Art. 74 Nr. 1 GG in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fällt.
Das Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen weist allerdings zu beiden Sachgebieten – Pressewesen und gerichtlichem Verfahren – einen erkennbaren Sachbezug auf. Das enthebt jedoch nicht der Notwendigkeit, diese Materie entweder dem einen oder dem anderen Kompetenzbereich zuzuweisen: eine „Doppelzuständigkeit”, auf deren Grundlage Bund und Länder ein und denselben Gegenstand in unterschiedlicher Weise regeln könnten, ist dem System der verfassungsrechtlichen Kompetenznormen fremd und wäre mit ihrer Abgrenzungsfunktion (vgl. Art. 70 Abs. 2 GG) auch nicht vereinbar.
Die Kriterien, nach denen sich die Zuordnung richtet, wenn eine sachliche Verknüpfung des Regelungsgegenstands mit den Materien verschiedener Gesetzgebungszuständigkeiten besteht, sind vom Bundesverfassungsgericht bereits früher bestimmt worden. Bei der Verjährung von Pressedelikten hat es auf die „wesensmäßige und historische Zugehörigkeit” abgestellt (BVerfGE 7, 29 [40]). Diese Kriterien geben den Ausschlag auch hier. Danach gehört das strafprozessuale Aussageverweigerungsrecht von Angehörigen der Presse kompetenzrechtlich zum Bereich des gerichtlichen Verfahrens.
a) Vorschriften über die Befugnis zur Zeugnisverweigerung sind ihrem Wesen nach Bestandteile des Beweiserhebungsrechts der Verfahrensordnungen. Sie äußern unmittelbare Wirkungen nur innerhalb eines Verfahrens und aktualisieren sich erst, wenn jemand, den seine wirkliche oder mutmaßliche Beziehung zum Prozeßgegenstand in die Rolle des Zeugen – und damit eines Verfahrensbeteiligten – bringt, es ablehnt, den von ihm geforderten Beitrag zur Wahrheitsfindung zu leisten. Die Bedeutung solcher Bestimmungen liegt darin, daß sie die Möglichkeiten justizförmiger Sachaufklärung beschränken, indem sie Ausnahmen von einer im Grundsatz für alle geltenden Bürgerpflicht statuieren. Das geschieht im Strafverfahren in unterschiedlichem Ausmaß und aus verschiedenen Gründen, denen nur so viel gemeinsam ist, daß sie – von § 55 StPO abgesehen – in bestimmten Verhältnissen, Bindungen oder Pflichten des Zeugen wurzeln, die ihren Ort außerhalb des Verfahrens haben, nach ihrer Bewertung durch den Gesetzgeber aber so wichtig sind, daß sie den Belangen der Wahrheitserforschung im Falle des Widerstreits vorgehen und darum innerhalb des Verfahrens Berücksichtigung finden. Dies gilt für die Schonung familienrechtlicher Beziehungen (§ 52 StPO), die Beachtung beruflich bedingter Verschwiegenheitspflichten (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StPO), die Anerkennung des Schutzbedürfnisses der Abgeordneten gegenüber dem Zwang zur Offenbarung gewisser Informationen und Informationswege (§ 53 Abs. 1 Nr. 4 StPO) ebenso wie für die Rücksichtnahme auf das Redaktionsgeheimnis von Presse und Rundfunk (§ 53 Abs. 1 Nr. 5 und 6 StPO). Der Berücksichtigung solcher Verhältnisse, Bindungen oder Pflichten des Zeugen liegen wiederum allgemeinere Gesichtspunkte zugrunde. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen hat seinen letzten Grund nicht darin, daß private, wenn auch berufsmäßige, Interessen des Zeugen geschützt werden müßten. Vielmehr beruht es – nach seiner weiterreichenden Zweckbestimmung – auf der Eigenart der Institution der freien Presse, die bestimmter Sicherungen bedarf, um ihre in der modernen Demokratie unabdingbare Aufgabe wahrnehmen zu können. Die Presse ist neben Rundfunk und Fernsehen das wichtigste Instrument der öffentlichen Meinungsbildung. Deshalb genießt sie nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur Grundrechtsschutz, sondern wird auch in ihrer institutionellen Eigenständigkeit – von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen – gewährleistet (BVerfGE 10, 118 [121]; 12, 205 [260]; 20, 162 [175 f.]). Zur verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit der Presse gehört – als wesentliche Voraussetzung für ihre Funktionsfähigkeit – auch ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten; er ist unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen darf (BVerfGE 20, 162 [176, 187]). Das Recht der Presseangehörigen, die Aussage über den Inhalt von Mitteilungen und die Person des Informanten unter bestimmten Voraussetzungen zu verweigern, dient unmittelbar diesem Schutz und trägt dadurch mittelbar zur Gewährleistung einer institutionell eigenständigen und funktionsfähigen Presse bei.
Sinn und Zweck des Zeugnisverweigerungsrechts wie seine Verknüpfung mit der besonderen Stellung der Presse sind jedoch für die kompetenzrechtliche Einordnung nicht entscheidend. Sie bestimmen zwar Umfang und Ausgestaltung der Weigerungsbefugnis. Der Ort, an dem dies geschieht, liegt indessen außerhalb des Presserechts. Das Mittel, den unabweisbaren Bedürfnissen einer freien Presse Rechnung zu tragen, ist seinem Wesen nach verfahrensrechtlicher Art. Der Sachzusammenhang, in dem sich die schutzwürdigen Belange der Presse zur Geltung bringen, Berücksichtigung finden und unmittelbare Wirkung entfalten, ist das gerichtliche Verfahren, in dem das Zeugnisverweigerungsrecht ausgeübt wird.
Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1957 (BVerfGE 7, 29) steht dieser Würdigung nicht entgegen. Der Senat hatte damals die Verfassungsmäßigkeit der in § 15 des Bayerischen Gesetzes über die Presse vom 3. Oktober 1949 (GVBl. S. 243) getroffenen Verjährungsregelung zu prüfen und war in diesem Zusammenhang vor die Frage gestellt, ob die Verjährungsvorschrift des § 22 Reichspressegesetz als Bundesrecht fortgelte. Diese Bestimmung betraf mit den Presseinhaltsdelikten, anderen speziell pressebezogenen Tatbeständen und den Fällen der sogenannten Garantenhaftung ausschließlich solche Straftaten, die nur von der Presse begangen werden konnten. Deshalb war und ist es gerechtfertigt, für die kompetenzrechtliche Einordnung darauf abzustellen, daß die von dieser Verjährungsregel erfaßten Delikte ihre besondere Prägung durch die spezifisch pressemäßige Begehungsform erhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Abkürzung der Verjährungsfrist nicht etwa als Mittel zum Schutz der verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigenständigkeit der Presse gewertet, sondern als Äquivalent zur Augenblicksbedingtheit, Offenkundigkeit und geringeren Nachhaltigkeit der Wirkung von Pressedelikten angesehen. Das Recht zur Aussageverweigerung im Hinblick auf ein anerkanntes Geheimhaltungsinteresse ist jedoch keine presserechtliche Besonderheit; denn es steht – wie dargelegt – nicht nur Presseangehörigen, sondern, wiewohl aus jeweils verschiedenen Gründen, auch anderen Personengruppen zu und betrifft damit eine allgemeine verfahrensrechtliche Frage.
Demgemäß überwiegen auch im Schrifttum die Stimmen derer, die das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht nicht dem Presserecht zuordnen (so aber: Löffler, Presserecht, 2. Aufl., Bd. I (1969), 4. Kap., Rdnr. 17 und Bd. II (1968), § 23 LPG, Rdnr. 26; Rebmann-Ott-Storz, Das Baden-Württembergische Gesetz über die Presse, 1964, Einleitung, Rdnr. 21; Möhl, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse, 1963, S. 43, 106 und Kaiser, NJW 1968, S. 1260 [1262 f.]), sondern zum Bereich des gerichtlichen Verfahrens rechnen (so: Scheer, Deutsches Presserecht, 1966, S. 354; Rehbinder, Presserecht, 1967, S. 60; Groß, Grundzüge des deutschen Presserechts, 1969, S. 150 f. und NJW 1968, S. 2368 [2369]; Kohlhaas in: Löwe-Rosenberg, StPO, 22. Aufl. (1971), § 53 Anm. IV 2; Fuhrmann, JR 1963, 459 [460 f.]; Thiele, DVBl. 1963, S. 905 [909]; Magen, JR 1965, S. 321 [327]; Forsthoff, Der Staat, Bd. 5 (1966), S. 1 [10]; Cramer, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Presse und Rundfunk, 1968, S. 14 ff. und van Gelder, JZ 1969, S. 698 ff.).
b) Die herkömmliche Zuordnung des Zeugnisverweigerungsrechts der Presseangehörigen in der deutschen Gesetzgebung bestätigt dieses Ergebnis.
Obgleich nach Art. 4 Nr. 13 und 16 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 (RGBl. S. 64) wie nach Art. 7 Nr. 3 und 6 der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1383) die Gesetzgebung sowohl für das gerichtliche Verfahren als auch für das Pressewesen dem Reich oblag, war ein in ganz Deutschland geltendes Zeugnisverweigerungsrecht für Presseangehörige zuerst in der Strafprozeßordnung geregelt. Durch das Gesetz zur Abänderung der Strafprozeßordnung vom 27. Dezember 1926 (RGBl. I S. 529) wurde dem § 53 Abs. 1 StPO eine Nr. 4 angefügt, nach der Redakteure, Verleger und Drucker einer periodischen Druckschrift sowie die bei ihrer technischen Herstellung Beschäftigten über die Person des Verfassers oder Einsenders einer Veröffentlichung strafbaren Inhalts das Zeugnis verweigern durften, wenn ein Redakteur als Täter bestraft war oder bestraft werden konnte.
Nach 1945 erließen der Freistaat Bayern und das Land Hessen Pressegesetze, die auch das Zeugnisverweigerungsrecht regelten. Während sich § 12 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse vom 23. Juni 1949 (GVBl. S. 75) eng an die frühere Vorschrift der Strafprozeßordnung anlehnte, ging der Bayerische Landesgesetzgeber in § 12 des Gesetzes über die Presse vom 3. Oktober 1949 (GVBl. S. 243) inhaltlich darüber hinaus. Durch Art. 3 Abs. 1 Nr. 17 des Vereinheitlichungsgesetzes vom 12. September 1950 (BGBl. I S. 455) wurde § 53 Abs. 1 Nr. 4 StPO a.F. mit einer geringfügigen Änderung wiederhergestellt und im ganzen Bundesgebiet in Kraft gesetzt. Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) gab dem Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen in § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO seine jetzige Ausgestaltung. Während Bayern seine landesgesetzliche Regelung beibehielt, betrachtete der Hessische Gesetzgeber seine landesrechtliche Regelung nunmehr als gegenstandslos (vgl. Drucksachen des Hessischen Landtags, III. Wahlperiode, Abt. I Nr. 1171, S. 3230) und strich sie durch Art. 1 Nr. 4 des Änderungsgesetzes vom 25. Oktober 1958 (GVBl. S. 152). § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO wurde schon bald als unbefriedigend empfunden. Vor allem bot Anlaß zur Kritik, daß er ein Zeugnisverweigerungsrecht nur bei Veröffentlichungen strafbaren Inhalts gewährte (vgl. Löffler, Presserecht, 2. Aufl., Bd. II (1968), § 23 LPG, Rdnr. 21 und NJW 1958, S. 1215 [1217 ff.]; Groß, a.a.O., S. 145; Kohlhaas, NJW 1958, S. 41 [42 ff.]; Jagusch, NJW 1963, S. 177 [179 f.]). Verschiedentlich wurde deshalb versucht, das Zeugnisverweigerungsrecht im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu erweitern. Bezeichnenderweise zielten aber alle Gesetzgebungsinitiativen bis Mitte der sechziger Jahre darauf ab, die Strafprozeßordnung zu ändern. Weder der Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums für ein Bundespressegesetz vom März 1952 (abgedruckt bei Lüders, Presse- und Rundfunkrecht, 1952, S. 266 ff.) noch der Modellentwurf der Länder für ein Landespressegesetz nach dem Stand vom Januar 1963 (abgedruckt bei Scheer, Deutsches Presserecht, 1966, S. 155 ff.) enthielt eine Bestimmung über das journalistische Aussageverweigerungsrecht. Noch im September 1963 brachte das Land Hessen im Bundesrat einen Gesetzentwurf ein, der darauf gerichtet war, die Strafprozeßordnung zu ändern und § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO eine Fassung zu geben, nach der alle bei der Herstellung einer periodischen Druckschrift berufsmäßig Mitwirkenden einschränkungslos berechtigt sein sollten, das Zeugnis über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmanns einer Veröffentlichung oder einer zur Veröffentlichung bestimmten Mitteilung sowie über deren Inhalt zu verweigern (BRDrucks. 347/63). Die Begründung dazu führte aus, das Aussageverweigerungsrecht gehöre als inhaltliche Beschränkung der allgemeinen Zeugnispflicht zum Sachgebiet des gerichtlichen Verfahrens und somit zum Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (a.a.O. S. 2). Obwohl der Bundesrat in seiner 263. Sitzung am 29. November 1963 beschloß, den hessischen Entwurf – mit gewissen Einschränkungen – beim Bundestag einzubringen (BRDrucks. 347/63 – Beschluß –), fand dieser Entwurf im Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067) ebensowenig Berücksichtigung wie Neuregelungsentwürfe, die von den Fraktionen der SPD und der FDP vorgelegt worden waren (BTDrucks. IV/1696 und 1815).
Von 1964 bis 1966 regelten die Länder – mit Ausnahme Bayerns, das sein Pressegesetz aus dem Jahre 1949 beibehielt – das Zeugnisverweigerungsrecht in ihren Landespressegesetzen. Dazu entschloß sich auch Hessen. Der Entwurf der Landesregierung vom 16. Juni 1965 für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse, auf den der jetzige § 22 Abs. 1 HessPresseG zurückgeht, enthält in seiner Begründung den Hinweis, daß von einer landesrechtlichen Lösung im Hinblick auf verfassungsrechtliche Bedenken zunächst Abstand genommen worden sei; nachdem jedoch nunmehr zunehmend die Auffassung vertreten werde, daß das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse nicht zum Strafverfahren, sondern zu den allgemeinen Rechtsverhältnissen der Presse gehöre „und eine Bundesregelung in absehbarer Zeit nicht erwartet werden” könne, erscheine es „angebracht, diese Bedenken zurückzustellen …” (Drucksachen des Hessischen Landtags, V. Wahlperiode, Abt. I, Nr. 1427).
Sieht man vom Freistaat Bayern ab, so ergibt also die Gesetzgebungsgeschichte nach 1949: Alle Verfassungsorgane in Bund und Ländern waren sich zunächst darin einig, daß das Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen trotz der nach dem Grundgesetz divergierenden Kompetenzen für gerichtliches Verfahren und Pressewesen wie früher Teil des Prozeßrechtes sei. Erst nachdem mit einer für notwendig erachteten Verbesserung des Zeugnisverweigerungsrechts im Wege einer bundesgesetzlichen Änderung der Strafprozeßordnung vorerst nicht mehr zu rechnen war, trafen die Länder die Regelung selbst. Die dafür maßgebenden rechtspolitischen Überlegungen können jedoch nichts daran ändern, daß – bei zusammenfassender Betrachtung – das journalistische Aussageverweigerungsrecht herkömmlich dem Verfahrensrecht zugewiesen wurde, zu dem es nach Wesen, Bedeutung und Sachzusammenhang auch gehört.
c) Diese Beurteilung entspricht schließlich auch dem Bedürfnis nach Rechtseinheit. Es widerspräche dem Gebot sachgemäßer und funktionsgerechter Auslegung der Kompetenzvorschriften (vgl. hierzu: Rinck, Zur Abgrenzung und Auslegung der Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern, Festschrift für Gebhard Müller, 1970, S. 289 [300]), eine Materie, die in Deutschland seit der Verfassung von 1871 Sache des Reiches war und nach 1949 eine bundeseinheitliche Regelung erfuhr, aus dem Zusammenhang des Prozeßrechts herauszulösen, den Ländern zu überantworten und damit die Gefahr einer partiellen Zersplitterung des Verfahrensrechts heraufzubeschwören, die seit Erlaß der Reichsjustizgesetze von 1877 überwunden schien. Das Aussageverweigerungsrecht eines Presseangehörigen könnte dann innerhalb ein und des selben Verfahrens allein davon abhängen, in welchem Bundesland er vernommen wird. Angesichts der Bedeutung, die auch in Strafsachen der kommissarischen Zeugenvernehmung durch einen im Rechtshilfewege ersuchten Richter zukommt (vgl. § 223 StPO), wäre dies eine sachlich nicht einleuchtende und darum unerträgliche Folge (vgl. dazu treffend: Sarstedt in: Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages (1966), Bd. II (Sitzungsberichte), F 17).
3. Von seiner Gesetzgebungsbefugnis zur Regelung des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts der Presseangehörigen hat der Bund in § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO rechtswirksam und vollständig Gebrauch gemacht, so daß diese Bestimmung gegenüber den Ländern Sperrwirkung äußert.
a) § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist gültig. Die Vorschrift verstößt nicht gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, da sie den Schutz des Redaktionsgeheimnisses der Presse zwar nicht in vollem Umfang, aber jedenfalls teilweise verwirklicht (BVerfGE 20, 162 [189]; 25, 296 [305]).
b) Die Vorschrift stellt auch eine vollständige Regelung dar, die nach den Grundsätzen über die Zuständigkeit auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung den Ländern keinen Raum für eigene Rechtsetzung läßt. Der gegenteiligen Auffassung des Hessischen Ministerpräsidenten kann nicht gefolgt werden. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung umfaßt nach § 3 Abs. 1 EGStPO alle Strafsachen, die vor die ordentlichen Gerichte gehören. Sie ist aber auch ihrem Inhalt nach vollständig. Soweit der Bundesgesetzgeber in § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO das Zeugnisverweigerungsrecht den dort näher bezeichneten Personen gewährt, dabei eine Veröffentlichung strafbaren Inhalts voraussetzt und die Möglichkeit der Bestrafung eines Redakteurs zur Bedingung erhebt, ordnet er damit – nach der zugrundeliegenden Gesetzgebungstechnik – gleichzeitig an, daß es, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, im Grundsatz bei der allgemeinen und uneingeschränkten Aussagepflicht des Zeugen bewenden soll (ebenso zum Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht genannten Berufe: BVerfGE 33, 367 [374]).
Allerdings hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in zwei Entscheidungen ausgesprochen, daß § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO keine erschöpfende Regelung enthalte (BVerfGE 20, 162 [189]; 25, 296 [305]). Diese Aussage steht jedoch mit der oben getroffenen Feststellung nur scheinbar in Widerspruch. Sie darf nicht aus dem Zusammenhang gelöst werden, der ihren Sinngehalt entscheidend bestimmt. Danach sollte sie nicht auf eine gesetzliche Regelungslücke aufmerksam machen, sondern lediglich klarstellen, daß der Richter, der strafprozessuale Zwangsmaßnahmen erwägt, in seine Prüfung auch die Überlegung einzubeziehen hat, ob die Verfassung die nach dem Strafprozeßrecht gegebene Rechtslage im Einzelfall modifiziert. Eine Begrenzung des Aussagezwangs, die über § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO hinausgeht, kann sich nach fallbezogener Abwägung der widerstreitenden Interessen ausnahmsweise unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben. Das läßt jedoch die generelle Geltung der typisierenden Gesetzesnorm des einfachen Rechts unberührt (vgl. zur Einwirkung des Art. 4 Abs. 1 GG auf den Eideszwang: BVerfGE 33, 23 [32, 34]; zum Zeugnisverweigerungsrecht der Sozialarbeiter: BVerfGE 33, 367 [374 f.]) und stellt ihre Vollständigkeit als gesetzliche Regelung nicht in Frage. Vor allem können hieraus keine kompetenzrechtlichen Folgerungen gezogen werden. Die Länder sind nicht berechtigt, Gesetzgebungsbefugnisse dort in Anspruch zu nehmen, wo sie im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung eine abschließende Bundesregelung für unzulänglich und darum reformbedürftig erachten. Das Grundgesetz weist ihnen nicht die Aufgabe zu, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundes „nachzubessern”. Erweist sich eine vollständige bundesrechtliche Regelung im Hinblick auf eine höherrangige Grundrechtsverbürgung oder institutionelle Garantie der Verfassung als unzureichend, so ist es Sache des Bundesgesetzgebers, aufgrund seiner Zuständigkeit eine Änderung vorzunehmen, die Abhilfe schafft. Kompetenzrechtlich bleibt aber die Materie mit Sperrwirkung für die Länder ausgeschöpft, solange die bundesrechtliche Norm Bestand hat.
C.
Diese Entscheidung ist mit sieben Stimmen gegen eine Stimme ergangen.
Fundstellen
Haufe-Index 1678986 |
BVerfGE, 193 |
NJW 1974, 356 |