Entscheidungsstichwort (Thema)

Uneinbringlichkeit des Entgelts, Mitteilung an den Entgeltschuldner über die Minderung der Bemessungsgrundlage

 

Leitsatz (amtlich)

Der Grundsatz der Neutralität sowie die Art. 90 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren nicht entgegenstehen, wonach der Steuerpflichtige im Fall der Nichtbezahlung keine Verminderung der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer vornehmen darf, wenn er dem steuerpflichtigen Erwerber des Gegenstands oder der Dienstleistung nicht im Voraus zum Zweck der Berichtigung des von diesem möglicherweise vorgenommenen Vorsteuerabzugs mitgeteilt hat, dass er beabsichtigt, die Mehrwertsteuer ganz oder teilweise zu annullieren.

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 90, 273

 

Beteiligte

Tratave

Tratave – Tratamento de Águas Residuais do Ave SA

Autoridade Tributária e Aduaneira

 

Verfahrensgang

Tribunal Arbitral Tributário (Portugal) (Beschluss vom 16.11.2017; Abl.EU 2018, Nr. C 52/22)

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren], Portugal) mit Entscheidung vom 16. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. November 2017, in dem Verfahren

Tratave – Tratamento de Águas Residuais do Ave SA

gegen

Autoridade Tributária e Aduaneira

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer J.-C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer (Berichterstatter) sowie der Richter A. Arabadjiev und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Tratave – Tratamento de Águas Residuais do Ave SA, vertreten durch A. G. Schwalbach, advogado,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und R. Campos Laires als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Caeiros und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität und des Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Tratave – Tratamento de Águas Residuais do Ave SA (im Folgenden: Tratave) und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) über deren Weigerung, Tratave die Vornahme einer Berichtigung der Mehrwertsteuer zu gestatten, die sie auf nicht beglichene und wegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners als uneinbringlich geltende Forderungen entrichtet hatte.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.”

Rz. 4

Art. 90 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.

(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.”

Rz. 5

Nach Art. 184 der Richtlinie „[wird d]er ursprüngliche Vorsteuerabzug … berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war”.

Rz. 6

Art. 185 der Richtlinie bestimmt:

„(1) Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten.

(2) Abweichend von Absatz 1 unterbleibt die Berichtigung bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, in ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Fällen von Zerstörung, Verlust oder Diebstahl …

Bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung erfolgt, und bei Diebstahl können die Mitgliedstaaten jedoch eine Berichtigu...

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