Entscheidungsstichwort (Thema)
Ort der Dienstleistung, Begriff der festen Niederlassung, Selbstständige Gesellschaft als feste Niederlassung eines anderen Unternehmers
Leitsatz (amtlich)
Ein erster Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in einem Mitgliedstaat hat und der Dienstleistungen empfängt, die von einem zweiten, in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen erbracht werden, verfügt im Hinblick auf die Bestimmung des Ortes der Besteuerung dieser Dienstleistungen in diesem anderen Mitgliedstaat über eine „feste Niederlassung“ im Sinne von Art. 44 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung, wenn diese Niederlassung einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es von der personellen und technischen Ausstattung her ermöglicht, Dienstleistungen für ihre wirtschaftliche Tätigkeit zu empfangen und zu verwenden. Ob dies der Fall ist, ist von dem vorlegenden Gericht festzustellen.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 44
Beteiligte
Dyrektor Izby Skarbowej w Gdansku |
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Urteil vom 25.10.2012; ABl. EU 2013, Nr. C 79/8) |
Tatbestand
„Vorabentscheidungsersuchen ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 44 ‐ Begriff der ‚festen Niederlassung‘ des Empfängers einer Dienstleistung ‐ Ort, an dem die Dienstleistungen als an Steuerpflichtige erbracht gelten ‐ Innergemeinschaftlicher Umsatz“
In der Rechtssache C-605/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) mit Entscheidung vom 25. Oktober 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Dezember 2012, in dem Verfahren
Welmory sp. z o.o.
gegen
Dyrektor Izby Skarbowej w Gdańsku
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2014
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Welmory sp. z o.o., vertreten durch M. Gorazda, adwokat,
‐ des Dyrektor Izby Skarbowej w Gdańsku, vertreten durch T. Tratkiewicz und J. Kaute als Bevollmächtigte,
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und A. Kramarczyk als Bevollmächtigte,
‐ der zyprischen Regierung, vertreten durch K. Kleanthous und E. Symeonidou als Bevollmächtigte,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Christie als Bevollmächtigten im Beistand von O. Thomas, Barrister,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann, L. Lozano Palacios und R. Lyal als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. Mai 2014
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 44 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. L 44, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Welmory sp. z o.o., die ihren Sitz in Polen hat (im Folgenden: polnische Gesellschaft), und dem Dyrektor Izby Skarbowej w Gdańsku (Direktor der Finanzverwaltung Gdańsk, im Folgenden: Dyrektor) wegen des Ortes der Erhebung der Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen, die diese Gesellschaft an eine andere Gesellschaft erbracht hat, die den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Mehrwertsteuerrichtlinie hat gemäß ihrem Art. 411 und Art. 413 ab 1. Januar 2007 die Rechtsvorschriften der Europäischen Union auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, insbesondere die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie), aufgehoben und ersetzt. Art. 9 („Dienstleistungen“) Abs. 1 der Sechsten Richtlinie lautete wie folgt:
„Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.“
Rz. 4
Bis zum 31. Dezember 2009 sah Art. 43 der Richtlinie 2006/112, der zu deren Kapitel 3 („Ort der Dienstleistung“) gehörte, vor:
„Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftliche...