Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegen Geltung der EWG-Verordnungen 1408/71 und 574/72 in der Schweiz seit dem 1.6.2002 kein Anspruch mehr auf Kindergeld oder Teilkindergeld für in der Schweiz als Grenzgänger berufstätige Eheleute, die für ihre in Deutschland lebenden Kinder eine Kinderzulage nach schweizerischem Recht beziehen. Rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung. Kindergeld
Leitsatz (amtlich)
1. Seit dem 1.6.2002 ist die Schweiz im Hinblick auf die Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 so zu behandeln, als wäre sie Mitgliedstaat der EU.
2. Das Kindergeld nach dem EStG unterfällt als Familienleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 1h der VO (EWG) Nr.1408/71.
3. In der Schweiz als Grenzgänger erwerbstätige Eheleute, die für ihre in Deutschland lebenden Kinder eine Kinderzulage nach schweizerischem Recht erhalten, haben seit dem 1.6.2002 nach dem Ausschließlichkeitsgrundsatz keinen Anspruch mehr auf Kindergeld oder Teilkindergeld nach dem EStG. Diese Kollisionsregel ist sachlich gerechtfertigt und verstößt insbesondere nicht wegen einer Benachteiligung der Grenzgänger gegenüber in Deutschland Kindergeldberechtigten gegen den gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz.
4. Der Kindergeldausschluss verstößt ebenfalls nicht gegen den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz des Existenzminimums.
5. Das In-Kraft-Treten der Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 in der Schweiz ist ein Ereignis, das die Familienkasse berechtigt und verpflichtet, Kindergeldfestsetzungen nach § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben und zu Unrecht gewährtes Kindergeld zurückzufordern.
Normenkette
EStG 2002 §§ 31, 32 Abs. 6, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 70 Abs. 2; AO 1977 § 37 Abs. 2; EWGV 1408/71 Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1h, Art. 13 Abs. 1, 2a, 2d, Art. 73, 76; EWGV 574/72 Art. 10 Abs. 1a; GG Art. 20 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Anspruch auf (Teil-)Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) durch eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz ausgeschlossen ist.
Der Kläger sowie dessen Ehefrau sind seit 1988 bzw. 1992 bei den P – in M/Schweiz beschäftigt. Der Kläger bezog für seine Töchter Miriam, geb. am 6. September 1981, sowie Olivia, geb. am 3. April 1988, von der beklagten Agentur f. Arbeit – Familienkasse –, Kindergeld. Nachdem der Familienkasse durch Datenaustausch mit der Steuerverwaltung im April 2003 die Auslandstätigkeit des Klägers bekannt geworden war, forderte diese den Kläger am 26. August 2003 auf, zur Prüfung seines Kindergeldanspruchs Angaben zu machen sowie eine Bescheinigung des Arbeitgebers über die Höhe der Schweizer Kinderzulagen vorzulegen. Der Arbeitgeber bescheinigte unter dem 4. September 2003 die Zahlung einer Kinder- bzw. Ausbildungszulage an die Töchter i.H.v. jeweils 190 SFr. monatlich. Durch Bescheid vom 23. März 2004 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für die Töchter ab Juni 2002 gemäß § 70 Abs. 2 EStG i.V.m. § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG mit der Begründung auf, der Kläger habe als Arbeitnehmer in der Schweiz für die in Deutschland lebenden Kinder nach Artikel 13 Abs. 1 der Verordnung (VO) der Europäischen Union (EU) über soziale Sicherheit, die ab 1. Juni 2002 auch für die Schweiz anzuwenden sei, keinen Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG. Gleichzeitig forderte die Familienkasse das aufgrund der Aufhebung vom Juni 2002 bis November 2003 zuviel bezahlte Kindergeld i.H.v. 5.544 EUR gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) zurück.
Hiergegen legte der Kläger am 29. März 2004 Einspruch ein, den die Familienkasse durch Entscheidung vom 27. April 2004 als unbegründet zurückwies.
Zur Begründung der am 17. Mai 2004 erhobenen Klage lässt der Kläger folgendes vortragen: Würden er und seine Ehefrau nicht in der Schweiz arbeiten, so stünde ihnen seit Juni 2002 monatlich Kindergeld i.H.v. 2 × 154 EUR = 308 EUR zu. Als Grenzgänger nach der Schweiz erhalte er ab Juni 2002 eine Schweizer Kinderzulage i.H.v. 2 × 190 SFr = 380 SFr.. Dies entspreche 247 EUR. Der Umstand, dass ihm sowie seiner Ehefrau aufgrund ihrer Tätigkeit in der Schweiz monatlich 61 EUR weniger „Kindergeld” zustehen solle, werde von der Familienkasse mit der im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten zur Schweiz anwendbaren VO (EWG) Nr. 1408/71 begründet. Diese VO verstoße jedoch gegen den verfassungs- und europarechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung und sei daher rechtswidrig. Das deutsche Kindergeld bzw. die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG seien nach dem deutschen Recht von Verfassungs wegen erforderlich, um die steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes zu gewährleisten (§ 31 EStG). Bei § 31 EStG handle es sich um eine verfassungskonkretisierende Norm, die grundsätzlich nicht zur Disposition des deutschen sowie des europäischen Gesetzgebers stehe. Vorliegend sei die Freistellung des steuerlichen ...