rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuer- und abgabenrechtliches Verwertungsverbot bei einem durch eine repressive Telekommunikationsüberwachung der Strafverfolgungsbehörden aufgedeckten Zigarettenschmuggel. Einfuhrabgaben
Leitsatz (amtlich)
1. Das Erfassen bestimmter Fernmeldevorgänge durch die Strafverfolgungsbehörden und die Weitergabe der hieraus resultierenden Aufzeichnungen an die Finanzverwaltung zur Durchführung eines Besteuerungsverfahrens greift in den durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten Bereich ein (Anschluss an BFH-Beschluss vom 26.2.2001 VII B 265/00, BStBl II 2001, 464).
2. Das dem Art. 10 Abs. 1 GG zu entnehmende Verwertungsverbot für Erkenntnisse aus Abhörmaßnahmen hat für Zwecke der Besteuerung keine i. S. des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG zulässige Durchbrechung erfahren. § 100a StPO ermächtigt ausschließlich die Strafverfolgungsbehörden zur Telefonüberwachung, wenn der Verdacht besteht, dass eine Katalog Straftat begangen worden ist. Die AO 1977 selbst enthält weder eine Befugnisnorm für eine Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses noch eine Vorschrift, die die Verwertung von Aufzeichnungen zulässt, die auf der Grundlage des § 100a StPO gewonnen worden sind.
3. Für Aufzeichnungen, die unmittelbar aus einer Telefonüberwachung in einem Strafverfahren resultieren, besteht folglich im Besteuerungsverfahren ein Verwertungsverbot.
Normenkette
GG Art. 10 Abs. 1, 2 S. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 2; AO 1977 § 92 S. 2 Nr. 3, § 105 Abs. 1-2, § 116 Abs. 1-2, §§ 88, 92 S. 1, § 393 Abs. 1 S. 1; StPO §§ 100a, 100b
Tenor
1. Der Steuerbescheid des Beklagten vom 1. Juli 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. März 1999 wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Das Urteil ist wegen der dem Kläger zu erstattenden Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Tatbestand
Streitig ist die Zollschuldentstehung bei einem durch eine Telekommunikationsüberwachung aufgedeckten Zigarettenschmuggel.
Mit Steuerbescheid vom 01. Juli 1996 belegte das beklagte Hauptzollamt –HZA– den Kläger mit einer Steuerschuld in Höhe von DM 23.092,38 (DM 6.091,20 Zoll-EURO, DM 13.050 Tabaksteuer, DM 3.951,18 Einfuhrumsatzsteuer), da der Kläger nach Auffassung des HZA am 13. Januar 1994 aus 450 Stangen unverzollte und unversteuerte Zigaretten in das Zollgebiet der Europäischen Union vorschriftswidrig verbracht hatte.
Vorausgegangen war ein Strafverfahren vor dem Amtsgericht, das das Verfahren in dem Anklagepunkt des Schmuggels von 450 Stangen Zigaretten – dieser Tatbestand wurde der Abgabenerhebung zugrunde gelegt – nach § 154 der Strafprozessordnung – StPO – eingestellt hatte. Im Übrigen stellte das Amtsgericht fest, dass der Kläger am 25. Januar 1994 versucht habe, 600 Stangen Zigaretten aus in das Zollgebiet der Gemeinschaft einzuschwärzen. Diese wurden jedoch bei einer Zollkontrolle an der ungarisch-österreichischen Grenze entdeckt.
Der gegen den Abgabenbescheid vom 01. Juli 1996 eingelegte Einspruch des Klägers vom 17. Juli 1996 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 05. März 1999 zurückgewiesen. Zur Begründung stützte sich das HZA auf die Ergebnisse einer gegen den Kläger wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Jugoslawien-Embargo durchgeführten repressiven Telekommunikationsüberwachung.
Die Überwachungsprotokolle enthielten u. a. folgende Feststellungen:
1. Telekommunikationsüberwachung vom 13. Januar 1994
Der Kläger teilt der Angerufenen –AG– mit, dass er heute vielleicht nach+ fahre und er deshalb deren Ehemann gebeten habe, ihm Kleingeld zu besorgen. Er bittet die AG, dem Ehemann auszurichten, dass dieser zwischen 18.15 und 18.30 Uhr zum Hauptbahnhof kommen solle, um ihm das Kleingeld und die Papiere zu übergeben. Es wird der Treffpunkt ausgemacht, gegen 18.45 Uhr.
2. Telekommunikationsüberwachung vom 13. Januar 1994
Der Kläger teilt einem weiteren AG mit, dass er auf Kleingeld aus der Bank warte. Dieses Kleingeld brauche er für sein Geschäft unten.
Er teilt dem AG ferner mit, dass er spätestens um 4 Uhr nachmittags von wegfahren wolle.
3. Telekommunikationsüberwachung vom 13. Januar 1994
Der Kläger teilt einer anderen AG mit, dass er heute fahren und bei der Gelegenheit 500 Stangen „rüberbringen” wolle. Die AG fragt, warum er gerade heute fahren wolle. Er antwortet, weil er „das” (Geld) jetzt wegschaffen wolle, das liege schon zwei Monate und es seien 3 ½ Tausend Mark. Wenn er es jetzt nicht wegbringe, dann nie mehr.
Dort habe er 250, d. h. 5.000 DM. Wenn er wenigstens „das” wegbringe, dass ihm das Geld nicht so herum liege, sonst würde es noch verloren gehen. Später teilt er der AG mit, dass er am Samstag wieder da sein werde.
4. Telekommunikationsüberwachung vom 13. Januar 1994
Der Kläger teilt einem AG in mit, dass er heute 20.000 genommen habe.
Es ergibt sich im Gespräch, dass es sich dabei um 5,– DM-Münzen ha...