Entscheidungsstichwort (Thema)
Einbeziehung ausländischer Einkünfte in den Progressionsvorbehalt bei nur zeitweiser unbeschränkter Steuerpflicht. Vorrang des Progressionsvorbehalts vor Doppelbesteuerungsabkommen. Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen und im Ausland gezahltem Kindergeld in Wegzugsfällen. Einkommensteuer 1996
Leitsatz (amtlich)
1. Ist ein Steuerpflichtiger während des Veranlagungszeitraums nur zeitweise – bis zu seinem Wegzug in sein Heimatland- unbeschränkt steuerpflichtig und hat er dort seit seinem Wegzug nur nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte erzielt, so sind diese ausländischen Einkünfte bei der inländischen Veranlagung gleichwohl dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen.
2. In Wegzugsfällen, bei nur zeitweiser unbeschränkter Steuerpflicht, hat die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf ausländische Einkünfte Vorrang vor den Regelungen in den Doppelbesteuerungsabkommen („treaty overriding”; hier: Vorrang der §§ 2 Abs. 7, § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG vor dem DBA-Schweden).
3. Hat ein im Veranlagungszeit nur zeitweise unbeschränkt Steuerpflichtiger, dessen Familie durchgehend in einem anderen Land der Europäischen Union lebte, im Inland kein Kindergeld erhalten, so ist bei der Veranlagung für jedes Kind ein voller Kinderfreibetrag abzuziehen; dafür ist aber das im Heimatland gezahlte Kindergeld in vollem Umfang der Einkommensteuer hinzuzurechnen.
Normenkette
EStG § 32b Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 7 S. 3, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 7 S. 2; DBA SWE; AO 1977 § 2; GG Art. 59 Abs. 2, Art. 25; EStG § 31 S. 4, § 36 Abs. 2 S. 1, § 32 Abs. 6 S. 3 Nr. 1, Sätze 2, 4, § 65 Abs. 1 Nr. 2
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 1998 wird der Einkommensteuerbescheid 1996 vom 18. November 1997 geändert und die Einkommensteuer auf 22.168 DM festgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 70 %, der Beklagte zu 30 %.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anwendung des Progressionsvorbehalts und des Kinderfreibetrags in einem „Wegzugsfall.”
Der Kläger ist ein schwedischer Staatsangehöriger, der vom 25. September 1995 bis 25. Mai 1996 im Inland wohnhaft war. Der von Januar bis 10. Mai 1996 im Inland erzielte Gewinn aus selbständiger Arbeit betrug 75.087 DM. Während seines Aufenthalts im Inland hatte der Kläger in Schweden keine Einkünfte. Seine Ehefrau und die beiden gemeinsamen, im Streitjahr 1996 minderjährigen Kinder wohnten ausschließlich in Schweden. Für die Kinder erhielt der Kläger im Inland kein Kindergeld. Da der gemeinsamen Steuererklärung keine Anlage/EWR beigefügt war und der Kläger der Aufforderung des Finanzamtes (FA), die in Schweden erzielten Einkünfte 1996 anzugeben, nicht nachkam, schätzte das FA diese auf 50.000 DM und setzte im ESt-Bescheid 1996 vom 18. November 1997 – unter Zugrundelegung der Grundtabelle und Beachtung des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG – die Einkommensteuer auf 24.357 DM fest. Dabei berücksichtigte das FA zwei volle Kinderfreibeträge (12.528 DM) und rechnete bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer Kindergeld bzw. vergleichbare Leistungen i.H.v. 4.800 DM (2 × 2.400 DM) hinzu. Im zulässigen Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die nach dem Wegzug in Schweden angefallenen Einkünfte könnten nicht in den Progressionsvorbehalt einbezogen werden, weil für diese Zeit das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Schweden keinen Progressionsvorbehalt vorsehe. Das DBA gehe gemäß § 2 AO der Vorschrift des § 32b Abs. 1 Nr. 2 AO vor. Laut der nachgereichten Bescheinigung seines privaten Arbeitgebers erzielte der Kläger vom 26. Mai bis 31. Dezember 1996 in Schweden einen Bruttoarbeitslohn von 186.597 Kronen.
Beim Kindergeld habe die vorgenommene Hinzurechnung zu unterbleiben, da der Kläger kein inländisches Kindergeld erhalten habe.
In der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 1998 führte das FA u. a. aus, auch bei Wegzugsfällen sei nur noch eine Veranlagung unter Einbeziehung der ausländischen Einkünfte durchzuführen, wobei die im Ausland bezogenen Einkünfte über den Progressionsvorbehalt anzusetzen seien, weil diese die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erhöht hätten. Da der Kläger – trotz Aufforderung – nicht vorgetragen habe, dass in Schweden kein oder nur ein geringeres Kindergeld als im Inland gezahlt worden sei, sei die vorgenommen Hinzurechnung zurecht erfolgt.
Mit der zulässigen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt folgendes vor Eine Hinzurechnung der in Schweden erzielten Einkünfte (bislang geltend gemacht: 36.707 DM), die inzwischen unstreitig 39.295 DM betragen, sei nicht vorzunehmen. Nach Art. 14 i.V.m. Art 23 des DBA behalte die Bundesrepublik zwar das Recht, die in Schweden zu versteuernden Einkünfte in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen, dieses Recht beziehe sich aber nu...