Entscheidungsstichwort (Thema)
Ernstliche Zweifel an der Berechtigung zur Durchführung von Prüfungen nach dem Mindestlohngesetz bei einem im EU-Ausland ansässigen Unternehmen der Transport- und Logistikbranche ohne Niederlassung in Deutschland
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung eines Mindestlohns (§ 20 MiLoG) auf ein im EU-Ausland ansässiges Unternehmen der Transport- und Logistikbranche ohne Niederlassung in der Bundesrepublik, und die Arbeitnehmer des Unternehmens überhaupt Anwendung findet, und wer unter den Begriff der im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 20 MiLoG fällt (Anschluss an BVerfG, Beschluss v. 25.6.2015, BvR 555/15).
2. Die Anordnung einer Prüfung nach dem Mindestlohngesetz steht sowohl hinsichtlich des „Ob” als auch des „Wie” im Ermessen der Behörde, das seine Grenze dann findet, wenn die konkrete Anordnung im Einzelfall nicht mit höherrangigem (Europa- oder Verfassungs-)Recht im Einklang steht oder sich sonst als unverhältnismäßig oder gar willkürlich erweist. Die Behörde muss das ihr eröffnete Ermessen nach § 15 MiLoG i. V. m. § 22 SchwarzArbG, § 5 AO entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten. Bei der Ermessensausübung sind auch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften wie die durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen angeordnete Aussetzung der Kontrolle und Ahndung von Verstößen nach dem Mindestlohngesetz für reine Transitverkehre zu beachten.
Normenkette
SchwarzArbG § 2 S. 1 Nr. 5, § 22; MiLoG § 15 S. 1, §§ 20, 1 Abs. 2; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1, § 102; AO § 5; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
Die Vollziehung der Prüfungsverfügung vom 23. September 2016 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung im Verfahren 1 K 1174/17 ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin, eine im Bereich Spedition, Transport und Logistik tätige juristische Person polnischen Rechts, wendet sich gegen die Vollziehung einer Prüfungsverfügung nach dem Mindestlohngesetz.
Die Antragstellerin übermittelte der Bundesfinanzdirektion West, jetzt: Generalzolldirektion, Anfang August 2016 auf dem dafür vorgesehenen Vordruck ihre Einsatzplanung für den Zeitraum vom 4. August bis 30. September 2016. Das von ihr nicht unterzeichnete Formular enthielt die Angabe, im genannten Zeitraum würden im Bundesgebiet drei Mitarbeiter für „B…” eingesetzt.
Der Antragsgegner erließ am 23. September 2016 eine Prüfungsverfügung, mit der er bis zum 7. November 2016 die Vorlage von Arbeitsverträgen, Lohnabrechnungen, Nachweisen über die Zahlung der Löhne, Arbeitszeitaufzeichnungen sowie Firma und Anschrift der jeweiligen Auftraggeber für zwei der drei in der Meldung angegebenen Arbeitnehmer im Zeitraum vom 4. August bis 30. September 2016 verlangte. Da die Antragstellerin eine Einsatzplanung gemeldet habe, gehe er davon aus, dass Arbeitnehmer im Kabotageverkehr oder im grenzüberschreitenden Straßenverkehr mit Be- oder Entladung im Inland beschäftigt würden.
Die Antragstellerin legte am 27. Oktober 2016 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Sie machte geltend, das Mindestlohngesetz führe letztlich zu einer Marktabschottung. Die durch das Gesetz bewirkte Rechtsunsicherheit und der unverhältnismäßige bürokratische Aufwand seien europarechts- sowie verfassungswidrig. Zudem sei das Mindestlohngesetz auf die Transportbranche unanwendbar. Sofern es doch anwendbar sei, fehle eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Prüfungsanordnung. Bereits in der überobligationsmäßig erfolgten Meldung habe die Antragstellerin angegeben, dass die Mitarbeiter lediglich Transitfahrten durchführten. Anhaltspunkte, dass das unzutreffend sei, gebe es nicht. Die Durchführung von Transitverkehren unterliege derzeit jedoch nach Mitteilung des Bundesarbeitsministeriums weder der Meldepflicht, noch seien dafür Aufzeichnungen nach dem Mindestlohngesetz erforderlich.
Der Antragsgegner wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19. Juni 2017 zurück. Zugleich lehnte er die Aussetzung der Vollziehung ab. Der Mindestlohn gelte auch für Tätigkeiten, die nur kurzzeitig auf deutschem Staatsgebiet ausgeübt würden. Ob die Antragstellerin mindestlohnpflichtig gewesen sei, lasse sich nur durch eine Prüfung feststellen. Ihre Angaben und ihr Verhalten seien widersprüchlich. Zwar bestehe derzeit keine Meldepflicht im Transitverkehr. Da sie dennoch eine Meldung abgegeben habe, sei davon auszugehen, dass die angegebenen Arbeitnehmer im Kabotageverkehr oder grenzüberschreitenden Straßenverkehr mit Be- und Entladung in der Bundesrepublik beschäftigt worden seien. Bei derart widersprüchlichem Verhalten bestehe ein Bedürfnis nachzuprüfen, ob tatsächlich nur Transitfahrten durchgeführt worden seien. Die Verfügung beruhe auf § 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz...