Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der Übertragung der Zuständigkeit für das steuerliche Kindergeld im Erhebungsverfahren auf eine andere als die örtlich zuständige Familienkasse. keine Aufhebung der von der unzuständigen Familienkasse im Erhebungsverfahren getroffenen Entscheidung über einen Erlassantrag bei Ermessensreduzierung auf Null
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 19 Abs. 1 AO ist für die Kindergeldfestsetzung die Familienkasse örtlich zuständig, in deren Bezirk der Kindergeldberechtigte seinem Wohnsitz hat. Auch im Erhebungsverfahren ist die Familienkasse zuständig, die die mit den vorausgegangenen Entscheidungen über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Festsetzung der Erstattungsforderung befasst war und mit den Verhältnissen beim betroffenen Kindergeldberechtigten vertraut ist.
2. § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 4 FVG erlaubte es dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit nicht, isoliert Entscheidungen im Erhebungsverfahren auf eine Familienkasse zu übertragen, die den zu erhebenden Kindergeldanspruch bzw. Kindergelderstattungsanspruch nicht festgesetzt hat (im Streitfall: Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit 21/2013 v. 8.4.2013, dort unter Ziff. 2.3 Satz 1).
3. Einer Aufhebung der rechtswidrigen, weil von der unzuständigen Familienkasse getroffenen, den Erlass einer Kindergeldrückforderung ablehnenden Erlassentscheidung steht allerdings § 127 AO entgegen, wenn das der Familienkasse eingeräumte Ermessen dahingehend auf Null reduziert ist, dass nur eine Ablehnung des begehrten Erlasses ermessensfehlerfrei möglich wäre.
4. Der Umstand, dass das nunmehr zurückgeforderte Kindergeld auf Sozialleistungen angerechnet worden ist, verpflichtet die Familienkasse nicht zu einem Billigkeitserlass, wenn der Kindergeldanspruchsberechtigte seine Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 EStG nicht erfüllt hat.
5. Das FG-Urteil wurde durch das Urteil BFH, Urteil v. 7.4.2022, III R 33/20 aufgehoben.
Normenkette
AO §§ 5, 16-17, 19 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Sätze 1-2, §§ 127, 155 Abs. 5, § 218 Abs. 2 S. 1, § 227; FVG § 5 Abs. 1 Nr. 11 S. 4; EStG §§ 31, 68 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt den Erlass einer Rückforderung überzahlten Kindergeldes.
Der Kläger ist Rentner und erhält zusätzlich zur Rente Grundsicherung vom Bezirksamt C… von D… – Sozialamt –. Er bildete mit seiner am 31.12.1990 geborenen Tochter B… eine Bedarfsgemeinschaft. Die Familienkasse E… gewährte dem Kläger fortlaufend Kindergeld für seine Tochter B…. Mit Bescheid vom 13.03.2014 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab dem Monat November 2012 auf und forderte zugleich das für den Zeitraum von November 2012 bis November 2013 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 2.392 EUR zurück. Die Familienkasse begründete ihre Entscheidung damit, dass die besonderen Anspruchsvoraussetzungen zur Berücksichtigung volljähriger Kinder nicht erfüllt seien. Der dagegen erhobene Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
Unter dem 10.02.2017 stellte der Kläger bei der Familienkasse E… einen Antrag auf Gewährung eines Billigkeitserlasses und führte zur Begründung aus, dass das Jobcenter das Kindergeld bei der Tochter B… als Einkommen angerechnet habe. Infolgedessen habe die Tochter entsprechend geringere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch –SGB– II erhalten. Eine nachträgliche Leistungserbringung sei ausgeschlossen, da die entsprechenden Bescheide zum Zeitpunkt ihres Erlasses den gesetzlichen Grundlagen entsprochen hätten. Da er, der Kläger, eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe und darüber hinaus ergänzende Leistungen der Grundsicherung erhalte, werde er auch künftig nicht in der Lage sein, ein höheres Einkommen zu erzielen. Folglich sei ein Billigkeitserlass gerechtfertigt. Die Familienkasse E… leitete den Antrag zuständigkeitshalber an die Agentur für Arbeit F… weiter. Mit Bescheid vom 09.06.2017 erließ die Beklagte die Forderung i.H.v. 160,50 EUR und wies den Erlassantrag im Übrigen als unbegründet zurück, da die Einziehung der Forderung i.H.v. 2.231,50 EUR nicht unbillig sei. Dagegen wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch vom 19.07.2017, mit dem er geltend machte, dass das Kindergeld in vollem Umfang auf die von seiner Tochter bezogenen Grundsicherungsleistungen angerechnet worden sei. Seine Tochter habe im Streitzeitraum bereits nicht mehr in seinem Haushalt gelebt und er, der Kläger, habe auch nicht gewusst, dass sie den Kontakt zum Jobcenter abgebrochen habe.
Mit Entscheidung vom 28.11.2017 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, dass eine sachliche Unbilligkeit grundsätzlich nur dann vorliege, wenn die Rückforderung nicht auf das Verhalten des Berechtigten zurückzuführen sei. Hier beruhe die Rückforderung darauf, dass der Kläger der zuständigen Familienkasse nicht rechtzeitig Mitteilung über die Veränderung in den Verhältnissen seiner Tochter gemacht hab...