rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von gegen einen selbstständigen Krankenpfleger festgesetzter Umsatzsteuer. eindeutige und offensichtiche Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung. Beurteilung „ex ante”. Vorlagepflicht zum EuGH
Leitsatz (redaktionell)
1. Bestandskräftig festgesetzte Steuern können nur dann im Billigkeitsverfahren sachlich überprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen deren Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren.
2. Die Frage, ob eine Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist, ist aus einer „ex-ante-Betrachtung” zu beurteilen und nicht zu einem späteren Zeitpunkt.
3. Bis zum Ergehen des Vorlagebeschlusses des BFH in der Rechtssache „Ambulante Pflegedienste Kügler GmbH” im Jahr 2000 war die Festsetzung von Umsatzsteuer gegen einen selbstständigen Krankenpfleger als Betreiber einer Pflegestation für Hauskrankenpflege nicht in dem Sinne offensichtlich und eindeutig unrichtig, dass die Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung „gleichsam ohne jede rechtliche Prüfung ins Auge springen” musste.
4. Eine Pflicht zur Vorlage durch das letztinstanzliche nationale Gericht besteht nur dann, wenn dieses Gericht eine Entscheidung des EuGH für erforderlich hält. Die Frage der Erforderlichkeit ist nach denselben Maßstäben zu beurteilen wie bei dem unmittelbar auf § 227 AO gestützten Erlassanspruch, da es auch hier um eine auf besonderen Umständen beruhende, ausnahmsweise zu treffende Billigkeitsentscheidung geht.
Normenkette
AO § 227 Abs. 1; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c, g; EG Art. 234 Abs. 3
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger ist selbständiger Krankenpfleger. Im Streitjahr 1989 betrieb er eine Pflegestation für Hauskrankenpflege, deren Erlöse er nicht der Umsatzsteuer unterwarf. Mit geändertem Umsatzsteuerbescheid setzte der Beklagte die Umsatzsteuer 1989 unter Berücksichtigung dieser Erlöse nebst Zinsen fest. Einspruch und Klage gegen den Änderungsbescheid blieben ohne Erfolg, die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde mit Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.6.1997 (V B 62/96) zurückgewiesen. Darin führte der BFH u. a. aus, die von dem Kläger aufgeworfene Frage der unmittelbaren Geltung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c und g der Richtlinie 77/388/EWG sei durch die Rechtsprechung des Senats bereits dahin gehend geklärt, dass es in der bezeichneten Vorschrift an der für eine Berufbarkeit nötigen Eindeutigkeit fehle. Am …2004 beantragte der Kläger die Wiederaufnahme des Verfahrens und den Erlass der Umsatzsteuer für 1989 nebst Zinsen unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 10.9.2002 (Rs. C-141/00 Ambulante Pflegedienste Kügler GmbH). Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom …2004 ab und bestätigte seine Ablehnung mit Einspruchsentscheidung vom … 2006. Darin führte er im Wesentlichen aus, die Umsatzsteuerfestsetzung habe der seinerzeit herrschenden Rechtsansicht entsprochen. Eine spätere Änderung der Rechtsprechung rechtfertige nicht den Erlass der bestandskräftig festgesetzten Steuer. Auch ein Schadensersatzanspruch in Form des Erlasses bestehe nicht, da es an einem qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht fehle. Wie der EuGH im Urteil Kügler entschieden habe, liege ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nur dann vor, wenn die fragliche Entscheidung die einschlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkenne. Eine einschlägige Rechtsprechung des EuGH habe jedoch im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung nicht vorgelegen. Bis zur EuGH-Entscheidung im Jahr 2002 hätten das Finanzamt und die Gerichte davon ausgehen können, dass die Umsatzsteuerfestsetzung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar gewesen sei.
Zur Begründung seiner Klage verweist der Kläger auf die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Kühne & Heitz (Urteil vom 13.1.2004 Rs. C-453/00) sowie i-21 Germany GmbH (Urteil vom 19.9.2006 Rs. C-392/04). Darin führe der EuGH sinngemäß aus, dass auch in den Fällen ein Anspruch auf Rücknahme von Steuerbescheiden bestehe, wenn der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht offensichtlich sei. Die Offensichtlichkeit könne sich daraus ergeben, dass die Prüfung des Gemeinschaftsrechts nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Der EuGH billige dem Bürger einen Anspruch auf Abänderung einer Verwaltungsentscheidung zu, wenn besondere Umstände vorlägen. Eine Fallgruppe der besonderen Umstände sei es, wenn der Bürger zunächst ohne Erfolg versucht habe, die Verwaltungsentscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen und das letztinstanzliche Gericht es unterlassen habe, den EuGH zu befragen. Den Weg über einen Erlass im Billigkeitswege habe der EuGH in dem Verfahren Schmeinck & Cofreth (Urteil vom 19.9.2000 Rs. C-454/98...