Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Klagefrist bei einer per einfachen Brief versandten, unvollständigen Einspruchsentscheidung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die durch einfachen Brief übersandte Einspruchsentscheidung gilt gemäß der Drei-Tage-Fiktion (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO) am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Diese Zugangsvermutung ist durch die pauschale Behauptung des Bevollmächtigten, er habe die Sendung erst eine Woche später erhalten, jedenfalls dann nicht ausreichend widerlegt, wenn die Einspruchsentscheidung in der Kanzlei des Bevollmächtigten nicht mit einem Eingangsstempel versehen worden ist und zudem Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Prozessbevollmächtigte bei Eingang der Einspruchsentscheidung keinen geordneten Kanzleibetrieb mehr unterhalten hat.
2. Die Klagefrist beginnt auch dann mit der Bekanntgabe einer (unvollständigen) Einspruchsentscheidung, wenn zwar eine Seite der Entscheidungsbegründung gefehlt hat und erst später nachträglich übersandt worden ist, wenn der Kläger aber aus den übrigen Seiten in Verbindung mit dem vor der Einspruchsentscheidung geführten Schriftverkehr die tragenden Gründe der Zurückweisung des Einspruchs nachvollziehen konnte.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 1 S. 1, § 55 Abs. 2 S. 1, § 54 Abs. 1; AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 366
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit der am 28. Juni 2004 erhobenen Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2003, mit dem die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind gem. § 70 Abs. 2 EStG ab Januar 1996 aufgehoben und ihm die Erstattung überzahlten Kindergeldes von Januar 1996 bis Februar 2003 in Höhe von … nach § 37 Abs. 2 AO aufgegeben wurde. Den dagegen fristgerecht eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2004 (KG-Akte…), als unbegründet zurück.
Ein dazu gestellter Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 27. August 2003 wurde durch das FG Bremen mit Beschluss vom 25. November 2004 (4 V 75/04) abgelehnt. Das FG Bremen führte aus, der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sei nach § 69 Abs. 3 FGO unzulässig, weil die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen nicht vorlägen, zu denen auch die Einhaltung der Klagefrist im Verfahren zur Hauptsache gehöre (vgl. Gräber/Koch, FGO, 5. Aufl., § 69 Rz. 56, Gräber/von Groll, FGO, 5. Aufl., Vor § 33 Rz. 4, m.w.N.). Da die Einspruchsentscheidung mit der Beklagten mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen sei, habe die Klagefrist nach § 47 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO im Streitfall einen Monat betragen. Im Streitfall sei die Klagefrist nicht eingehalten worden.
Im vorliegenden Verfahren zur Hauptsache streiten die Beteiligten weiterhin vorrangig um die Frage, ob die Klage wegen Versäumnis der Klagefrist verspätet erhoben worden und mithin unzulässig ist.
Der Kläger trägt hierzu sinngemäß vor, die am 17. Mai 2004 ergangene Einspruchsentscheidung sei bei ihm erst am Donnerstag, dem 27. Mai 2004, eingegangen, so dass er die Klage fristgerecht am Montag, dem 28. Juni 2004 (Eingangsdatum bei Gericht), erhoben habe. Bei der Einspruchsentscheidung habe in dem ihm zugestellten Exemplar die Seite 3 gefehlt. Diese habe er am 02. Juni 2004 per Telefax angefordert und am Montag, dem 07. Juni 2004, per Telefax sowie am 10. Juni 2004 im Original erhalten. Die vollständige Einspruchsentscheidung sei ihm mithin frühestens am 07. Juni 2004 zugegangen, so dass die Klagefrist nicht vor Mittwoch, dem 07. Juli 2004, abgelaufen sei.
Mit Verfügung des Berichterstatters vom 07. September 2004 wurde dem Kläger zur weiteren Vorbereitung des Rechtsstreits eine Ausschlussfrist nach § 79 b Abs. 2 Nr. 1 FGO bis zum 29. Oktober 2004 dafür gesetzt, die Tatsachen anzugeben und Beweismittel abschließend zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung ergeben solle. Er wurde darauf hingewiesen, dass das Gericht nach § 79 b Abs. 3 FGO Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der gesetzten Frist vorgebracht würden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden könne, wenn
- ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreit verzögern würde,
- der Kläger die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
- der Kläger über die Folgen der Fristversäumnis belehrt worden ist,
was hiermit geschehe. Etwaige Zeugen sollten unter Angabe der ladungsfähigen Anschrift und vollständig benannt werden (GA Bl. 29 f.).
Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde die gerichtliche Verfügung vom 07. September 2004 am Freitag, dem 10. September 2004, durch einen Postbediensteten unter der Kanzleianschrift des Klägervertreters zu übergeben versucht. Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum des Klägervertreters nicht möglich war, wurde sie sodann in den zur Wohnung (nicht: z...