Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswahlermessen bezüglich einer Inanspruchnahme des faktischen Geschäftsführers. Amtsermittlungsgrundsatz. Haftungsbescheid für Umsatzsteuer vom 28. Juli 2001
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Haftungsbescheid ist materiell rechtswidrig, wenn das Finanzamt bei der Ausübung des Auswahlermessens unberücksichtigt lässt, dass neben dem in Anspruch genommenen bestellten Geschäftsführer eine weitere Person als faktischer Geschäftsführer anzusehen war und daher als weiterer möglicher Haftungsschuldner zur Verfügung steht.
2. Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet die Behörde, die ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung auszuschöpfen und insbesondere den Inhalt der ihr zur Verfügung stehenden Akten zu beachten. In diesem Zusammenhang ist es zumutbar, in einem Haftungsverfahren auch die Vollstreckungsakte beizuziehen und auf haftungsrelevante Umstände durchzusehen.
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 191 Abs. 1 S. 1, §§ 5, 88
Nachgehend
BFH (Rücknahme vom 20.09.2004; Aktenzeichen VII B 87/04) |
Tenor
1. Der Haftungsbescheid vom 28. Juli 2000, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. April 2001 und in der Fassung vom 26. November 2001 wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die haftungsweise Inanspruchnahme der Klägerin für Umsatzsteuerschulden der F-GmbH (künftig: GmbH).
Die GmbH war im November 1995 errichtet worden; ihr Unternehmensgegenstand war die Durchführung von forsttechnischen Arbeiten und der Holzhandel sowie die Holzweiterverarbeitung. Ab September 1997 war die Klägerin deren alleinige Geschäftsführerin. Am 2. Oktober 2000 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet (Beschluss des Amtsgerichtes Saarbrücken – Außenstelle Sulzbach – vom 2. Oktober 2000 59 IN 130/00). Bereits am 23. Mai 2000 war die Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gemäß § 141a Abs. 1 FGG im Handelsregister gelöscht worden.
Wegen der Umsatzsteuerschulden der GmbH für den Zeitraum August 1997 bis Mai 2000 hat der Beklagte die Klägerin mit dem Haftungsbescheid vom 28. Juli 2000 zunächst in Höhe von 28.375,05 DM in Anspruch genommen. Den dagegen gerichteten Einspruch der Klägerin vom 28. August 2000 hat der Beklagte mit seiner Einspruchsentscheidung vom 3. November 2000, erneut zugestellt am 7. April 2001, als unbegründet zurückgewiesen. Den am 30. April 2001 gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat der Beklagte mit Bescheid vom 5. Juni 2001 abgelehnt und den hiergegen gerichteten Einspruch vom 6. Juli 2001 mit seiner Einspruchsentscheidung vom 27. August 2001 als unbegründet zurückgewiesen. Am 27. September 2001 hat die Klägerin bei Gericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt, dem der erkennende Senat durch seinen Beschluss vom 30. Januar 2002 2 V 275/01 stattgegeben hat.
Am 7. Mai 2001 hat die Klägerin hiergegen die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dem angefochtenen Haftungsbescheid mangele es an inhaltlicher Bestimmtheit, denn er enthalte insbesondere keine Feststellungen über den Haftungszeitraum. Außerdem lägen die Voraussetzungen des § 69 AO nicht vor, weil der Klägerin jedenfalls kein grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden könne. Sie habe als Geschäftsführerin der GmbH nicht über ausreichende Mittel verfügt. Dies folge zum Einen aus dem Umstand, dass neben dem Beklagten noch 55 weitere Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH Insolvenzforderungen angemeldet hätten, und zwar insgesamt – einschließlich der – zwischenzeitlich berichtigten – Forderung des Beklagten – 000.000,00 DM (000.000,00 EUR). Zum anderen habe das Amtsgericht Saarbrücken – Schöffengericht – in dem gegen die Klägerin und ihren Ehemann gerichteten Strafurteil vom 13. September 2001 35-480/01 (33 Js 1239/99) wegen Betruges und Insolvenzverschleppung festgestellt, dass die GmbH seit Anfang Februar 1999 nicht mehr zahlungsfähig gewesen sei. Eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung könne der Klägerin im Übrigen auch deshalb nicht vorgehalten werden, weil sie geglaubt habe, bestimmte Schulden mit Vorrang gegenüber den Steuern tilgen zu dürfen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, denn sie habe lediglich eine Ausbildung als Erzieherin. Der angefochtene Haftungsbescheid enthalte darüber hinaus einen Ermessensfehler, da der Beklagte bei der Ausübung seines Ermessens nicht die wirtschaftliche Lage der Klägerin berücksichtigt habe. Schließlich sei der Haftungsbescheid im Hinblick auf die Zinsen, die Säumniszuschläge und die Verspätungszuschläge zu unbestimmt, da die Berechnung dieser Nebenleistungen nicht erkennbar sei.
Sie beantragt,
den Haftungsbescheid vom 28. Juli 2000, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. April...