vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit: Übernahmefehler bei falscher Kennzifferwahl durch den Steuerpflichtigen – Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen – Erkennbarkeit des Fehlers aufgrund vorgelegter Bescheinigungen – Ausschluss eines Rechtirrtums
Leitsatz (redaktionell)
- Ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid, in dem das FA die durch eine zugleich vorgelegte Bescheinigung belegten Beiträge an das Notarversorgungswerk aufgrund falscher Kennzifferwahl durch den Steuerpflichtigen nicht als Altersvorsorgeaufwendungen der Basisversorgung (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), sondern als Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG (Rentenversicherungsbeiträge ohne Kapitalwahlrecht mit Laufzeitbeginn und erster Beitragszahlung vor dem 1.1.2005) berücksichtigt hat, kann nach § 129 AO wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt werden, weil das FA die offenbar fehlerhaften Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernommen hat (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 26.10.2016 X R 1/14, BFH/NV 2017, 257) .
- Für die Veranlagungszeiträume ab 2010 kann davon ausgegangen werden, dass dem FA die zutreffende Qualifizierung von Beiträgen an das Notarversorgungswerk als Altersvorsorgeaufwendungen der Basisversorgung offensichtlich bekannt war.
- Anhaltspunkte dafür, dass die falsche Kennzifferwahl des – nicht fachkundigen - Steuerpflichtigen auf rechtlichen Überlegungen beruhen könnte, bestehen bei dieser Sachlage nicht.
Normenkette
AO § 129; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Nr. 3a
Streitjahr(e)
2010, 2011, 2012
Tatbestand
Der Kläger war in den Streitjahren 2010 bis 2012 als Notar tätig und als solcher Mitglied im Notarversorgungswerk .... In den Streitjahren leistete er an dieses Versorgungswerk Beiträge in Höhe von 10.264,80 € (2010), 10.264,80 € (2011) und 10.470,60 € (2012).
Entsprechende Bescheinigungen des Versorgungswerks fügte er seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2010 und 2012, nicht aber für 2011 bei. In den betreffenden Erklärungen trug er die Beiträge auf der Anlage Vorsorgeaufwand in der Kennziffer 504 ein, der folgender Erläuterungstext vorangestellt war: „Rentenversicherungen ohne Kapitalwahlrecht mit Laufzeitbeginn und erster Beitragszahlung vor dem 1.1.2005 (auch steuerpflichtige Beiträge zu Versorgungs- und Pensionskassen)”.
Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) übernahm die Eintragungen des Klägers. Dies hatte zur Folge, dass sich die Beiträge in den Einkommensteuerbescheiden für 2010 vom 15.12.2011 und für 2012 vom 28.4.2014 nicht und im Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 27.9.2012 nur im Rahmen der Höchstbetragsberechnung nach der Rechtslage 2004 auswirkten.
Mit Schreiben vom 15.5.2015 beantragte der Kläger sowohl in Bezug auf den Einkommensteuerbescheid für 2013 als auch in Bezug auf die Einkommensteuerbescheide für 2006 bis 2012 eine Änderung oder Berichtigung in diesem Punkt. Zur Begründung führte er aus, dass ihm bei der Durchsicht der Steuererklärung aufgefallen sei, dass er die geleisteten Beiträge zum Versorgungswerk versehentlich in Zeile 52 Kennziffer 504 statt in Zeile 5 Kennziffer 301 eingetragen habe. Gleiches gelte auch für die vorangegangenen Jahre. In diesem Zusammenhang überreichte der Kläger berichtigte Anlagen Versorgungsaufwand und Kopien der Beitragsbescheinigungen.
Das FA lehnte die Änderungs- und Berichtigungsanträge für die Jahre 2006 bis 2012 mit Bescheid vom 20.5.2015 ab. Zur Begründung führte es aus, dass für 2006 bis 2009 eine Änderung oder Berichtigung schon deshalb ausscheide, weil die Festsetzungsfrist abgelaufen sei. Für die Streitjahre 2010 bis 2012 komme eine Änderung nicht in Betracht, da der Bescheid nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe und § 172 Abs. 1 Nr. 2a der Abgabenordnung (AO) wegen Ablaufs der Einspruchsfrist nicht in Betracht komme. Die Korrekturvorschrift des § 129 AO finde ebenfalls keine Anwendung, da keine offenbare Unrichtigkeit beim Erlass des Verwaltungsakts unterlaufen sei. Im Fall des Klägers handele es sich vielmehr um einen Rechtsanwendungsfehler, da die Aufwendungen - trotz vorliegender Belege - nicht als Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen angesetzt worden seien. Sofern dem FA keine Nachweise vorgelegen hätten, liege ebenfalls keine offenbare Unrichtigkeit vor, da dem Kläger der Fehler bei der Erstellung seiner Steuererklärung unterlaufen und er dem FA diese Tatsache unzutreffend mitgeteilt habe. Da das FA den Fehler nicht habe erkennen können, habe es sich den Fehler auch nicht zu eigen machen können.
Dagegen legte der Kläger fristgemäß Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er die Beiträge zunächst unwissentlich im Jahr 2006 in die falsche Zeile eingetragen habe. Es habe sich um einen simplen Eintragungsfehler gehandelt. In den Folgejahren sei dieser Fehler automatisch übernommen worden. Er habe aber stets die Bescheinigungen beigefügt, damit das FA die Eintragung habe prüfen können. ...