Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Inanspruchnahme des gutgläubigen Lkw-Fahrers wegen eines vorschriftswidrigen Verbringens in das Zollgebiet
Leitsatz (redaktionell)
Zum Begriff des vorschriftswidrigen Verbringens in das Zollgebiet sowie zur Frage, ob ein gutgläubiger Lkw-Fahrer als Zollschuldner in Anspruch genommen werden kann.
Normenkette
ZollV § 8 S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Steuerbescheid, mit dem er vom beklagten Hauptzollamt auf Zahlung von Tabaksteuer herangezogen wird.
Der Kläger, ein litauischer Staatsangehöriger, reiste am 3.8.1998 als Beifahrer eines in Litauen zugelassenen Lastzuges über die Fähre Klaipeda/Travemünde in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die in seinem Eigentum stehende Zugmaschine war mit einem nicht dem Kläger gehörenden Kühlauflieger verbunden, auf dem Holzpaletten geladen waren. Bei einer Kontrolle des Lkw im Rasthof der Autobahn Hamburg-Stillhorn West und späterer Überprüfung in der Container-Prüfanlage des Hauptzollamtes W wurden im Dach des Kühlaufliegers in einem eigens hierfür hergerichteten Hohlraum 2.901 Stangen (= 580.200 Stück) unversteuerte Zigaretten aufgefunden.
Mit Steuerbescheid vom 12.8.1998 setzte der Beklagte gegen den Kläger als Gesamtschuldner mit dem Beifahrer A Einfuhrabgaben (Zoll, Tabak- und Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe von zunächst DM 143.251,38 fest. Auf den Einspruch des Klägers änderte der Beklagte den angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf Art. 233 1. Unterabsatz lit. d) Zollkodex mit Steueränderungsbescheid vom 14.12.1998 in der Weise ab, dass er vom Kläger als Gesamtschuldner mit dem Beifahrer A nurmehr Tabaksteuer in Höhe von DM 85.347,42 forderte.
Mit Beschluss vom 22.1.1999 lehnte das Amtsgericht Hamburg sowohl gegenüber dem Kläger als auch gegenüber dem Beifahrer A die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts hinsichtlich einer Steuerhinterziehung ab. Es führte zur Begründung - u.a. - aus: Dem Kläger und seinem Bekannten A sei nicht zu widerlegen gewesen, dass die vom beklagten Hauptzollamt im Dach des Aufliegers gefundenen Zigaretten von ihnen unbemerkt von dritter Seite dort "eingearbeitet" worden seien, bevor der Auflieger zur Beladung angeliefert worden sei. Die Art des Verstecks sei nicht geeignet gewesen, Argwohn zu wecken.
Mit Einspruchsentscheidung vom 21.5.1999 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers mit der Begründung zurück, dass dieser nach Art. 202 Abs. 3 Zollkodex allein aufgrund der tatsächlichen Beförderung der Ware diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht habe und demzufolge Zollschuldner geworden sei. Die Einspruchsentscheidung ist am 25.5.1999 zur Post gegeben worden.
Mit seiner am 22.6.1999 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren fort. Er macht im Wesentlichen geltend, der Beklagte habe im Rahmen seines Ermessens nicht berücksichtigt, dass er - der Kläger - als absichtsloses Werkzeug von den wahren Tätern für die begangene Steuerhinterziehung missbraucht worden sei. Nach Art. 235 ff Zollkodex, §§ 163, 227 Abgabenordnung hätten die Einfuhrabgaben nicht ihm gegenüber festgesetzt werden dürfen. Auch habe der Beklagte seine wirtschaftliche Situation nicht berücksichtigt.
Der Kläger beantragt,
den Steuerbescheid vom 12.8.1998 in der Gestalt des Steueränderungsbescheides vom 14.12.1998 sowie die Einspruchsentscheidung vom 21.5.1999 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt die angegriffenen Bescheide und betont erneut, hinsichtlich der Entstehung der Zollschuld sei allein auf das objektive Fehlverhalten des Verbringens der Zigaretten in das Zollgebiet abzustellen. Auf die persönlichen Fähigkeiten oder ein schuldhaftes Verhalten des Zollschuldners komme es nicht an. Er - der Beklagte - sei auch nicht berechtigt, bei der Festsetzung der Einfuhrabgaben Ermessen auszuüben. Die wirtschaftliche Situation des Steuerschuldners könne im Festsetzungsverfahren nicht berücksichtigt werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten IV 161/99 und IV 162/99 nebst Prozesskostenhilfeakten sowie der Steuerakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage führt zum Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
I. Der Beklagte kann den streitgegenständlichen Steuerbescheid nicht auf die Vorschrift des Art. 202 Abs. 1 Satz 1 lit. a), Abs. 3 erster Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex - ZK -) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. Nr. L 302/1) stützen. Danach entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabepflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird, wobei vorschriftswidriges Verbringen im nachfolgenden Satz 2 als "jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Artikel 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich" definiert wird. Zollschuldner...