Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Bescheids als Nachforderungsbescheid oder als Haftungsbescheid i. S. d. § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG. Berichtigung eines tatsächlich erlassenen Nachforderungsbescheids in einen Haftungsbescheid nach § 129 AO nicht möglich
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Inanspruchnahme eines Haftenden für eine fremde Schuld ist in der Regel von anderen, strengeren Voraussetzungen abhängig als die Inanspruchnahme eines Steuerschuldners. Für den Betroffenen muss deshalb eindeutig aus einem Verwaltungsakt zu entnehmen sein, ob er als Haftender oder als Steuerschuldner in Anspruch genommen wird. Ein Haftungsbescheid ist nur dann hinreichend bestimmt i. S. d. § 119 Abs. 1 AO, wenn die Überschrift und der verfügende Teil (Tenor) des Bescheids erkennen lassen, dass der Adressat als Haftender für fremde Schuld einstehen soll; dabei kommt dem Kopf des Bescheides besondere Bedeutung zu.
2. Aufgrund des § 129 AO kann der Ist-Inhalt eines Verwaltungsaktes nicht durch den gesetzmäßigen Soll-Inhalt ersetzt werden. Ein „Nachforderungsbescheid” kann nicht nach § 129 AO in einen Haftungsbescheid geändert werden.
3. Ein aufgrund überhöhten Ausweises der Einlagenrückgewähr in den Steuerbescheinigungen gegenüber einer Kapitalgesellschaft erlassener „Nachforderungsbescheid” zur Festsetzung von Kapitalertragsteuer ist als Nachforderungsbescheid auszulegen und kann nicht nachträglich nach § 129 AO in einen „Haftungsbescheid” i. S. d. § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG berichtigt werden, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt im Kopf des Bescheides als „Nachforderungsbescheid” bezeichnet wird, wenn darauf hingewiesen wird, dass die Kapitalgesellschaft die Kapitalertragsteuer „schulde” (nicht hafte) und wenn zudem im Tenor ausdrücklich aufgeführt wird, dass der Anspruch auf Kapitalertragsteuer durch „Nachforderungsbescheid” geltend gemacht wird. Das gilt auch dann, wenn in der widersprüchlichen Begründung des Bescheids auch von einem Haftungsbescheid die Rede ist; insoweit gehen Unklarheiten darüber, ob nun ein Haftungs- oder ein Nachforderungsbescheid erlassen werden sollte, zu Lasten der Behörde.
Normenkette
KStG § 27 Abs. 5 Sätze 3-4, Abs. 2 S. 1, § 28 Abs. 1 S. 3, § 38 Abs. 1; AO § 167 Abs. 1 S. 1, § 129 S. 1, § 119 Abs. 1, § 191 Abs. 1; EStG § 44 Abs. 1, 5 S. 1
Tenor
1. Die Bescheide vom … 2008 und vom … 2013 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die mit Gesellschaftsvertrag vom … gegründet und am … ins Handelsregister eingetragen wurde. Gegenstand des Unternehmens ist …. Gesellschafter waren … (W) und … (Z).
In der Gesellschafterversammlung vom … wurde beschlossen, insgesamt … an … Kapitalerträgen an die Gesellschafter auszuschütten. Die Ausschüttung selbst erfolgte am. Mit am … ausgestellten Steuerbescheinigungen wurde Z die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos in Höhe von … steuerpflichtige Kapitalerträge in Höhe von anrechenbare Kapitalertragsteuer in Höhe von … und ein anrechenbarer Solidaritätszuschlag in Höhe von und W die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos in Höhe von … steuerpflichtige Kapitalerträge in Höhe von anrechenbare Kapitalertragsteuer in Höhe von und ein anrechenbarer Solidaritätszuschlag in Höhe von … bescheinigt.
Mit Bescheid vom 2008 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 3 und § 38 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) wurde das steuerliche Einlagekonto der Klägerin zum 31.12.2006 in Höhe von festgestellt. Dabei wurde das steuerliche Einlagekonto wie folgt ermittelt:
Bestand zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres (Bescheid vom …) |
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ausschüttbarer Gewinn im Wirtschaftsjahr |
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im Wirtschaftsjahr erbrachte Leistungen |
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Abzug vom steuerlichen Einlagenkonto |
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Steuerliches Einlagekonto zum Schluss des Wirtschaftsjahres |
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Aufgrund der zu hohen Steuerbescheinigungen wurde aufgrund eines maschinell erstellten Prüfhinweises, der von der Körperschaftsteuerstelle an die zuständige Stelle zur Bearbeitung der Kapitalertragsteuer weitergegeben worden war, am … 2008 ein Bescheid mit der Überschrift „Nachforderungsbescheid” erlassen. In dem Bescheid war ausgeführt, dass die Klägerin nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) für den Zeitraum 2006 Kapitalertragsteuer in Höhe von … und Solidaritätszuschlag in Höhe von … schulde. Die Klägerin sei nach § 44 Abs. 1 Sätze 3 und 5 EStG zur Einbehaltung und Abführung dieser Steuern als Entrichtungsschuldnerin der Kapitalertragsteuer verpflichtet gewesen. Diese Ansprüche würden durch Nachforderungsbescheid gegenüber der Klägerin als Entrichtungsschuldnerin geltend gemacht. In der Begründung des Nachforderungsbes...