rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzung für die Abzweigung von Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Abzweigung des Kindergelds nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG setzt nicht zusätzlich voraus, dass der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Diese in § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG aufgeführte Bedingung betrifft nur die Auszahlung von Kindergeld an das Kind, nicht dagegen die Auszahlung an andere Personen oder Stellen.
2. Bei der Entscheidung, ob das Kindergeld an Unterhalt gewährende Personen oder Stellen abgezweigt werden soll, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung.
3. Sind Mutter und Kind in einem Mutter-Kind-Heim untergebracht und trägt das Jugendamt sämtliche Kosten der Unterbringung und Versorgung und zusätzlich die zum Ausgleich des Defizits des Betreuungsvermögens der Kindsmutter erforderlichen Kosten der sozialpädagogischen Betreuung, ist die Abzweigung des Kindergelds an das Jugendamt die allein zutreffende rechtmäßige Entscheidung (Ermessensreduzierung auf Null).
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1, 4; SGB I § 48
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung der Verfügung vom 15. März 2002 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. April 2002 wird der Beklagte verpflichtet, ab Februar 2002 das Kindergeld für das Kind MW an den Kläger zu zahlen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger zu Recht verlangt, dass Kindergeld an ihn ausbezahlt wird.
Kläger ist der Landkreis. Auf Veranlassung des Kreisjugendamtes (KJA) des Landratsamtes (LRA) wurden die am.X. Oktober 1982 geborene CW (ab 22. November 2001) und ihr am X. Februar 2002 geborener Sohn M. in einem Mutter – Kind – Heim (Einrichtung für betreutes Wohnen „E. „, H.) untergebracht und betreut. Am 20. Februar 2002 stellte Frau W. unter Vorlage der Geburtsbescheinigung für M. beim Beklagten (Arbeitsamt – AA –) Antrag auf Bewilligung von Kindergeld für ihren Sohn. Das Kindergeld wurde mit interner Verfügung vom 08. März 2002 bewilligt.
Mit Schreiben vom 04. März 2002 beantragte der Kläger, das Kindergeld an ihn auszuzahlen, weil die gesamten Kosten für Mutter und Kind einschließlich des Lebensunterhalts vom KJA des Klägers getragen werde und von der Mutter mangels eigener Einkünfte kein Kostenbeitrag verlangt werden könne.
Der Beklagte lehnte den Abzweigungsantrag mit Verfügung vom 15. März 2002 ab. Zur Begründung ist angegeben, dass vom unterhaltsverpflichteten Angehörigen immaterieller Unterhalt geleistet werde.
Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 22. April 2002).
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen geltend gemacht: Es sei nicht erkennbar, welchen immateriellen Unterhalt die Mutter ihrem Kind gewähre. Dass Frau W. in der beschützten Einrichtung lernen solle, ihr Kind zu erziehen, sei für die materielle Unterhaltspflicht völlig unmaßgeblich; denn dieser könne sie mangels eigenem Einkommen nicht nachkommen. Sie verfüge somit auch über kein Wahlrecht nach § 1612 BGB, den Unterhalt als Geldrente in Form von materiellem Unterhalt oder in Naturalleistungen zu erbringen. Die Annahme des Beklagten einer Unterhaltsgewährung in Form von Betreuungsleistungen sei schlicht falsch und entspreche nicht den tatsächlichen Gegebenheiten.
Das KJA trage sowohl für die Mutter als auch für das Kind die gesamten Kosten der Unterbringung einschließlich eines Barbetrags sowie die Kosten der Betreuung. Die Kosten der pädagogischen Versorgung, für Unterkunft und Verpflegung betrügen 78,55 EUR je Tag. Außerdem stehe der Mutter noch ein Barbetrag in Höhe von 85,20 EUR / Monat (Taschengeld) zu. Eine Überlassung des Kindergelds an die Mutter wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sie tatsächlich eine finanzielle Last zu tragen hätte, was jedoch nicht der Fall sei. Eine Auszahlung des Kindergelds an den Kläger sei nach § 74 Abs. 1 S. 4 EStG wie auch nach § 74 Abs. 2 EStG gerechtfertigt. Allerdings sei ein an die Kindsmutter gerichteter Kostenbeitragsbescheid mangels eigenem Einkommen nicht nur nicht möglich, sondern rechtswidrig. Das ihr zustehende Kindergeld dürfe nach § 8 Bundeserziehungsgeldgesetz nicht als Einkommen angerechnet werden. Eine Vaterschaft für das Kind M. sei bisher nicht festgestellt worden.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Verfügung vom 15. März 2002 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. April 2002 den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld für das Kind MW ab Februar 2002 an den Kläger auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er macht geltend: Das Kindergeld wäre nach § 74 Abs. 2 EStG i. V. m. § 104 SGB X an den Kläger zu erstatten, wenn er von den Kindseltern einen Aufwendungsersatz bzw. einen Kostenbeitrag durch Bescheid einfordere, der Bescheid rechtmäßig sei und der Aufwendungsersatz nicht geleistet werde. Ein derartiger Bescheid sei im ...