Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Einsatz des einem behinderten Kind vom Steuerpflichtigen geschenkten Vermögens zur Lebensunterhaltsbestreitung
Leitsatz (redaktionell)
Der Umstand, dass ein behindertes Kind über Kapitalvermögen verfügt, steht dem Kindergeldanspruch jedenfalls dann nicht entgegen, wenn dieses Vermögen aus Schenkungen des kindergeldberechtigten Elternteils herrührt.
Normenkette
EStG § 31 S. 3, § 32 Abs. 4, 4 Sätze 1, 1 Nrn. 2a, 3, § 70 Abs. 2-3; EStR 1999 R 180 d Abs. 3, 3 S. 5; GG Art. 3; BGB § 1602 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob ein behindertes Kind Vermögen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes einsetzen muß.
Der am 03.09.1978 geborene, im Haushalt des Klägers (Kl.) lebende Sohn M. (Kind) ist nach dem Bescheid des Versorgungsamtes S. vom 12.02.1997 zu 100 % behindert (Merkzeichen H, G, aG, B).
Das Kind befand sich bis Juni 1999 in Schulausbildung. Seitdem übt es keine Berufs- oder Ausbildungstätigkeit aus. Es erzielte aus einem vom Kl. geschenkten Kapitalvermögen von ca. DM 150.000 im Jahre 1999 Erträge von DM 8.676.
Der Kl. beantragte mit Schreiben vom 06.06.1999, das Kindergeld weiter zu zahlen, da wegen der Behinderung des Kindes eine Berufsausbildung oder eine Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt ausgeschlossen sei.
Der Beklagte (Bekl.) hob die Kindergeldfestsetzung für das Kind mit Bescheid vom 19.11.1999 gem. § 70 Abs. 3 EStG ab Juli 1999 auf. Er führte zur Begründung aus, das Vermögen des Kindes betrage mehr als DM 30.000 und reiche deshalb für die Bestreitung des Lebensunterhaltes aus.
Der Kl. legte hiergegen Einspruch ein, den der Bekl. mit Entscheidung vom 07.08.2000 (EE) als unbegründet zurückwies. Er führte zur Begründung aus, der notwendige Lebensbedarf des Kindes betrage für die Monate Juli bis Dezember 1999 DM 10.110. Diesem Bedarf stünden zwar unter Berücksichtigung des anteiligen Werbungskostenpauschbetrages und des anteiligen Sparerfreibetrages keine Einkünfte aus Kapitalvermögen gegenüber. Das Kapitalvermögen selbst sei jedoch zu berücksichtigen, da es DM 30.000 übersteige. Wegen der weiteren Einzelheiten der EE wird auf Bl. 97 – 99 der Kindergeldakte verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Der Kl. meint, das Kindesvermögen sei bei der Anwendung des § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG nicht zu berücksichtigen. Im Streitfall komme insoweit hinzu, daß das Kind dieses Vermögen vom Kl. erhalten habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Klagevorbringens wird auf die Klageschrift verwiesen.
Der Kl. beantragt,
den Bescheid vom 19.11.1999 in Gestalt der EE aufzuheben und den Bekl. zu verpflichten, dem Kl. Kindergeld ab Juni 1999 antragsgemäß zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, die Einkünfte und Bezüge des Kindes lägen zwar unter dem notwendigen Lebensbedarf. Das Kapitalvermögen des Kindes sei jedoch i. H. v. DM 120.000 verwertbar. Hieraus könne das Kind seinen Lebensunterhalt zumindest für die Dauer mehrerer Jahre bestreiten. Das Kind sei deshalb in der Lage, sich selbst zu unterhalten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Bekl. war nicht berechtigt, die Kindergeldfestsetzung ab Juli 1999 aufzuheben. Ab diesem Monat lagen wegen Beendigung der Ausbildung des Kindes zwar nicht mehr die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG, dafür jedoch die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vor. Im übrigen hätte eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach der im angefochtenen Bescheid angegebenen Vorschrift des § 70 Abs. 3 EStG nur mit Wirkung ab dem auf die Bekanntgabe der Aufhebung folgenden Monat erfolgen dürfen. Allein die Angabe dieser Aufhebungsvorschrift macht den angefochtenen Bescheid allerdings nicht rechtswirdrig, weil der Bekl. – seine Rechtsauffassung zu § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG als zutreffend vorausgesetzt – berechtigt gewesen wäre, den angefochtenen Bescheid auf § 70 Abs. 2 EStG zu stützen.
Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG wird ein über 18 Jahre altes Kind berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Das ist der Fall, wenn die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind über keine anderen Einkünfte und Bezüge verfügt und deshalb seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH, Urteil vom 15. Oktober 1999, VI R 183/97, BStBl. II 2000, 72, 73 m.w.N.).
So liegt es im Streitfall. Das Kind war nach Beendigung seiner Schulausbildung im Juni 1999 aufgrund seiner Behinderung unstreitig nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Es verfügte ebenso unstreitig nicht über andere Einkünfte oder Bezüge, aus denen es seinen Lebensunterhalt hätte bestreiten können.
Der Bekl. wendet demgegenüber zu Unrecht ein, das Kind habe seinen Lebensunterhalt durch Verwertung des ihm vom Kl. gesche...