Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbarkeit von Schadenersatz
Leitsatz (amtlich)
Schadenersatz für den Ausfall hinreichend wahrscheinlichen zukünftigen Erwerbseinkommens ist steuerbar.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 24 Nr. 1a; BGB § 823 Abs. 1, § 842
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Steuerbarkeit einer Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 €.
Die Klägerin, geboren am 28. Juli 1991, wurde am 20. Dezember 2003 Opfer eines schweren Unfalls in der Schweiz und leidet seitdem unter irreversiblen Folgeschäden (Grad der Behinderung 100 % mit Merkzeichen G und H). Nach langwierigen juristischen Auseinandersetzungen mit der Versicherungsgesellschaft des Schädigers erhielt die Klägerin verschiedene Leistungen, u.a. zur Abgeltung des "Haushaltsschadens" (317.878 €), des "Betreuungsschadens" (885.490 €) und eines "Rentenminderungsschadens" (85.200 €).
Außerdem erhielt die Klägerin eine als "Verdienstausfall" bezeichnete Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 €, die ihre Steuerberaterin in der Einkommensteuererklärung für 2015 als steuerpflichtige Einnahme nach §§ 19, 24 Nr.1a EStG erklärte und dazu Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als Werbungskosten geltend machte. Mit der Steuererklärung legte ihre Steuerberaterin ein Schreiben des Rechtsanwalts … (an Herrn Steuerberater …) vom 15. Mai 2015 vor, in dem Folgendes ausgeführt wird:
Er vertrete die Klägerin und ihren Vater zur Regulierung der ihnen zustehenden Schadensersatzansprüche aufgrund des in der Schweiz erlittenen schweren Unfalles infolge eines Frontalzusammenstoßes, welcher vom Fahrer eines in Italien zugelassenen und versicherten Lkw verursacht worden sei. Bezüglich beider Mandanten sei das Schmerzensgeld (in der Schweiz: "Genugtuung") und der Sachschaden bereits erledigt. Zu erledigen sei noch der Lohnausfallschaden für beide Mandanten sowie Betreuungskosten und Haushaltsschaden-Ersatzleistungen für die infolge des Unfalls schwerbehinderte Klägerin, welche künftig keinerlei Arbeitseinkommen mehr erzielen könne. Der "Haushaltsschaden" sei ein Schaden, den die Geschädigte ersetzt erhalte, um lebenslang eine Hilfskraft für 2 Stunden Haushaltsarbeit täglich entlohnen zu können. Das gleiche gelte für den "Betreuungsschaden". Mit diesem Entschädigungsbetrag könne die Klägerin lebenslang eine Betreuungsperson finanzieren. Für den eigentlichen "Erwerbsausfallschaden" für die Zeit ab 28. Juli 2011 bis Alter 67 seien 695.174 € berechnet und vereinbart worden, für den kapitalisierten Rentenschaden ab Alter 67 lebenslang 85.200 €, insgesamt somit für Erwerbsausfall lebenslang 780.294 €.
Der Beklagte führte die Veranlagung mit Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 6. April 2017 erklärungsgemäß durch, wobei er die Entschädigungsleistung nach § 34 Abs. 1 EStG der ermäßigten Besteuerung unterwarf.
Dagegen legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 28. April 2017 Einspruch ein. Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2017, mit dem ein Antrag auf schlichte Änderung gemäß § 172 AO gestellt wurde, machten sie geltend, in Höhe von 695.094 € sei die Versicherungsleistung nicht steuerbar. Der "Erwerbsausfallschaden" sei in Orientierung an einen fiktiven Nettolohn in Höhe von 30.180 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 20. bis 50. Lebensjahr sowie 35.000 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 51.b bis 67. Lebensjahr geleistet worden. Die Leistung sei nicht im Zusammenhang mit einer real existierenden Erwerbstätigkeit der seinerzeit zwölfjährigen Klägerin gezahlt worden, sondern im Rahmen der "Genugtuung" nach schweizerischem Zivilrecht. Die Leistung stelle damit eine Schmerzensgeld- bzw. Schadensersatzleistung dar. Eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG liege nur vor, wenn das zu Grunde liegende Rechtsverhältnis beendet werde bzw. wenn die an die Stelle der bisherigen Einnahmen tretenden Ersatzleistungen auf einer neuen Rechtsgrundlage oder einer Billigkeitsgrundlage beruhten. Rechtsprechung und herrschende Literatur setzten somit ein bestehendes Arbeitsverhältnis mit Einkünften im Sinne des § 19 EStG voraus, welches beendet werde. Im vorliegenden Fall habe zum Zeitpunkt des Unfalls kein Arbeitsverhältnis vorgelegen, die Voraussetzungen des § 19 EStG und damit auch des § 24 Nr. 1a EStG lägen daher nicht vor. Infolgedessen seien die 57.110 € Rechtsanwaltskosten nicht weiter als Werbungskosten abzugsfähig, allerdings als Folgekosten des schweren Unfalls als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Am 30. Mai 2018 hat die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten per Telefax "gegen den Einkommensteuerbescheid des Beklagten für 2015 (AZ…) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.5.2018" Klage erhoben, eine Begründung der Klage angekündigt und als Anlage (nur) die erste Seite der Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 übersandt. Auch dem am 4. ...