Entscheidungsstichwort (Thema)
Entfernungspauschale oder tatsächliche Kosten für Fahrten eines Auszubildenden zum Ausbildungsbetrieb
Leitsatz (amtlich)
Für Fahrten eines Auszubildenden zum Ausbildungsbetrieb, in dem der praktische Teil der Ausbildung absolviert wird, ist nicht die Entfernungspauschale anzusetzen; vielmehr sind diese Fahrten auch im Rahmen einer nicht universitären Ausbildung nach den Grundsätzen für Reisekosten bei Dienstreisen als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG 2011 § 32 Abs. 4 S. 2; EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob im Jahr 2011 der Grenzbetrag für Einkünfte und Bezüge von 8.004 € überschritten war.
Der Kläger ist der Vater des am 25.07.1990 geborenen M.
M absolvierte im Jahr 2011 eine Ausbildung bei der B GmbH.
Die Einkünfte und Bezüge des M betrugen 9.563,89 €.
Die beklagte Familienkasse berücksichtigte Werbungskosten in Höhe von 1.382,28 € gemäß folgender Berechnung (Bl. 171 Kg-Akte):
Entfernungspauschale |
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169 Tage, einfache Strecke 12 km |
608,40 € |
Fahrtkosten zur Berufsschule |
|
51 Tage, Hin- und Rückfahrt 44 km mit PKW |
673,20 € |
Gewerkschaftsbeitrag |
100,68 € |
Summe |
1.382,28 € |
Mit Bescheid vom 11.12.2012 hob die beklagte Familienkasse wegen Überschreitens des Grenzbetrages die Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2011 auf und forderte den überzahlten Betrag in Höhe von 2.280 € zurück.
Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 11.01.2013 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Einkünfte und Bezüge des Kindes lägen mit 8.181,61 € über dem Grenzbetrag.
Mit seiner Klage wendet der Kläger sich gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid. Zur Begründung trägt er vor, es seien weitere Werbungskosten für die Anschaffung von Lehrbüchern in Höhe von 215.40 € (Belege Bl. 25 u. 26 Prozessakte - PA -) zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind M vom 11. Dezember 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt ergänzend zur Einspruchsentscheidung vor, die im Klageverfahren nachgereichten Belege könnten nicht anerkannt werden, da aus ihnen nicht ersichtlich sei, ob die Bücher im Jahr 2011 angeschafft worden seien. Zudem enthielten die Quittungen keine genauen Angaben über die Art der Schulbücher.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Einkünfte und Bezüge des M überschreiten im Streitjahr 2011 den Grenzbetrag von 8.004 € nicht.
Die nachgereichten Belege können nicht als Werbungskosten anerkannt werden, da aus ihnen nicht ersichtlich ist, dass die Fachbücher im Jahr 2011 angeschafft wurden.
Jedoch ist entgegen der bisherigen Praxis auf das Ausbildungsverhältnis die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nicht anzuwenden, so dass die Werbungskosten nach Dienstreisegrundsätzen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für jeden gefahrenen km, bzw. unter Ansatz der Pauschale von 0,30 € je km zu ermitteln sind.
Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf, bzw. der Erzielung der steuerpflichtigen Einnahmen besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Diese Voraussetzungen können auch bei berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein.
Als Werbungskosten abziehbar sind sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der beruflichen Bildungsmaßnahme stehen. Hierzu gehören auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten. Sie sind grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 9. 2. 2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431; das Urteil betraf Fahrten eines Studenten zur Hochschule). Die Bildungseinrichtung ist nämlich nach Auffassung des BFH keine regelmäßige Arbeitsstätte.
Gemäß Urteil des BFH vom 16. Januar 2013 VI R 14/12 (BFHE 240, 125, BStBl II 2013, 449, Juris) gilt dies auch für einen Studenten, der den praktischen Teil seiner Hochschulausbildung in einem Betrieb absolviert; in diesem Fall wird der Betrieb nicht zur regelmäßigen Arbeitsstätte. Der BFH führt aus, dass die Begrenzung der Steuererheblichkeit von Wegekosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG im Rahmen beruflicher Bildungsmaßnahmen grundsätzlich nicht zu beachten ist, da eine Bildungsmaßnahme regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt ist.
Das objektive Nettoprinzip erfährt durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG insoweit eine Einschränkung, als die Fahrtkosten zwischen Wohnung und (regelmäßiger) Arbeitsstätte nicht im tatsächlichen Umfang, sondern nur nach Maßgabe einer Entfernungspauschale steuerlich abziehbar sind. Diese Begrenzung ist nach Ansicht des BFH im Grundsatz sachlich gerechtfertigt. Denn liegt e...