Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
Rz. 55
Auch ein Freiberufler kann notwendiges Betriebsvermögen haben. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Umfang des Betriebsvermögens durch das Berufsbild des Freiberuflers begrenzt wird. Im Vordergrund steht der Einsatz der eigenen Arbeitskraft des Freiberuflers, seiner geistigen Fähigkeiten und seiner durch eine qualifizierte Ausbildung erworbenen Kenntnisse. Wirtschaftsgüter, die der Tätigkeit des Freiberuflers nach diesem Berufsbild wesensfremd sind, sind daher regelmäßig weder notwendiges noch gewillkürtes Betriebsvermögen. Dies betrifft insbesondere Geldgeschäfte, d. h. die Gewährung eines Darlehens, Übernahme einer Bürgschaft oder den Erwerb einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft. Diese Geschäfte sind bei Freiberuflern grundsätzlich berufsfremd und haben bei der Gewinnermittlung außer Betracht zu bleiben; sie sind dem Privatvermögen zuzuordnen.
Rz. 55a
Betriebsvermögen kann aber dann vorliegen, wenn im Einzelfall eine enge Verbindung zu der freiberuflichen Tätigkeit besteht. Betriebsvermögen bei einem Geldgeschäft liegt vor, wenn es nur als Hilfstätigkeit zu der freiberuflichen Tätigkeit anzusehen ist, der Stpfl. das Geldgeschäft also ohne die freiberufliche Tätigkeit nicht vorgenommen hätte. Maßgeblich ist insoweit die betriebliche Veranlassung. Das Geldgeschäft darf daher nicht unabhängig von der freiberuflichen Tätigkeit denkbar sein und kein eigenständiges wirtschaftliches Gewicht haben.
Rz. 55b
Eine Beteiligung wird aber nicht allein deshalb notwendiges Betriebsvermögen, weil der Freiberufler zu der Kapitalgesellschaft marktübliche Lieferungs- und Leistungsbeziehungen unterhält; in diesem Fall kann aber gewillkürtes Betriebsvermögen vorliegen (Rz. 82).
Rz. 55c
Eine betriebliche Veranlassung liegt z. B. vor, wenn der wesentliche Grund für den Erwerb einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft der Erhalt von Aufträgen dieser Kapitalgesellschaft oder das Erschließen eines Vertriebswegs ist. Es genügt jedoch nicht, dass die Gewinnung neuer Auftraggeber ein erwünschter Nebeneffekt der Geldanlage ist. Eine betriebliche Veranlassung liegt danach vor
- bei der Darlehensgewährung eines Steuerberaters zur Rettung von Honoraransprüchen;
- bei dem Erwerb einer Beteiligung, die der Beschaffung von Aufträgen dient,
- bei der Beteiligung eines Wirtschaftsprüfers an einer Treuhandgesellschaft,
- bei der Beteiligung eines Erfinders an einer Kapitalgesellschaft, die dessen Produkte vertreibt.
Rz. 55d
Eine betriebliche Veranlassung liegt auch vor bei der Anschaffung von Vorratsgrundstücken für künftige Betriebserweiterungen eines Freiberuflers und bei der Zwischenanlage von Geldern, die als Liquiditätsreserve oder für Anschaffungen und betriebliche Investitionen bestimmt sind. Allerdings müssen die Notwendigkeit einer Liquiditätsreserve nach Grund und Höhe sowie die geplante Investition objektiv und nachvollziehbar dargelegt werden.
Rz. 55e
Nach diesen Grundsätzen ist eine Kapitalbeteiligung oder anderes "Geldvermögen", die ein Freiberufler zur Erfüllung seiner Honoraransprüche erhält, notwendiges Betriebsvermögen. Wertsteigerungen dieser Beteiligung werden daher in seinem Betriebsvermögen realisiert und sind daher stpfl. Dabei ist für den Stpfl. jedoch ein eindeutig nach außen verbindlich manifestierter, zeitnaher und unumkehrbar dokumentierter Widmungsakt zwingend notwendig.
Rz. 55f
Bei einem für die freiberufliche Tätigkeit nützlichen Geldgeschäft liegt dagegen dann kein Betriebsvermögen vor, wenn das Geschäft gegenüber der freiberuflichen Tätigkeit ein eigenständiges wirtschaftliches Gewicht hat. Das ist der Fall, wenn das Geschäft auch als bloße Kapitalanlage möglich wäre, also die Verbindung zur freiberuflichen Tätigkeit zufällig und von untergeordneter Bedeutung ist. Eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft hat dann ein eigenständiges wirtschaftliches Gewicht, wenn der Geschäftsbetrieb der Kapitalgesellschaft wesentlich über die Lieferungs- und Leistungsbeziehungen mit dem Freiberufler hinausgeht. Hiervon ist auszugehen, wenn die Beteiligung des Freiberuflers wesentlich höher ist als der Anteil des Geschäfts der Kapitalgesellschaft mit dem Freiberufler im Verhältnis zum Gesamtgeschäft der Kapitalgesellschaft, oder wenn sich der Stpfl. an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, die Software nicht nur zum Gebrauch des Stpfl., sondern wesentlich zur Vermarktung entwickelt. Weiterhin wird eine Einkunftsquelle von eigenständigem Gewicht begründet, wenn der Stpfl. Wertpapiergeschäfte vornimmt, bei denen es ihm nicht um die längerfristige Anlage liquider Mittel geht, sondern um das Ausnutzen von Kurssteigerungen durch häufige An- und Verkäufe.
Rz. 56
Bei einem Zahnarzt gehört zum notwendigen Betriebsvermögen Dentalgold (einschließlich von Vorräten, die zur Ausnutzung einer günstigen Marktsituation angelegt wurden), das zur Verarbeitung im eigenen Labor oder zur Beistellung für die Arbeiten im Labor eines Dritten erworben worden ist. Bei Vorratskäufen liegt nu...