Rz. 3

Für Kinder in EU-/EWR-Staaten und in Staaten, mit denen ein Abkommen über soziale Sicherheit besteht (Abkommensstaaten), gelten die Ausschlussregelungen des Abs. 1 jedoch nicht. Doppelansprüche werden durch die über- und zwischenstaatlichen Prioritätsregelungen ausgeschlossen (Rz. 9). Für Kinder in EU-/EWR-Staaten und in der Schweiz kann danach ein Anspruch auf einen Unterschiedsbetrag als Teilkindergeld bestehen, s. Rz. 15.

 

Rz. 3a

Das Gemeinschaftsrecht (Unionsrecht und Abkommen über soziale Sicherheit[1]) verdrängt die in § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG geregelte Anrechnung von den im Ausland gewährten, dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen.[2] Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Anwendungsbereich der jeweiligen Verordnung eröffnet ist.[3] Demzufolge findet die Vorschrift nur dann Anwendung, soweit sie nicht durch zwischen- oder überstaatliches Recht verdrängt wird.[4]

In ersten Entscheidungen hat der BFH noch die Auffassung vertreten, dass der gemeinschaftsrechtlich geregelte Vorrang zu einem vollständigen Ausschluss des Anspruchs auf Kindergeld führen könne.[5]

Die Anwendung des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG darf aufgrund der Bestimmungen der Art. 45ff. AEUV zur Arbeitnehmer-Freizügigkeit jedoch nicht zum Ausschluss, sondern nur zu einer Kürzung des deutschen Kindergelds um die Höhe des Betrags der in dem anderen Staat gewährten vergleichbaren Leistung führen[6] – so der EuGH[7] in einem Fall, bei dem der persönliche Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet und Deutschland nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a VO Nr. 1408/71 der unzuständige Mitgliedstaat war. In einer weiteren Entscheidung hat der EuGH auf das Vorabentscheidungsersuchen des BFH[8] festgestellt, dass die in Art. 60 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 vorgesehene Fiktion auch dazu führen könne, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist.[9] Der BFH hat in seiner weiteren Rspr. die EuGH-Entscheidung umgesetzt: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 987/2009, wonach bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO (EG) Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten – insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt – unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort leben, kann dazu führen, dass der Anspruch auf Kindergeld nach §§ 62ff. EStG nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht.[10]. Damit wird – infolge der Fiktion – unterstellt, auch der eigentlich im EU-Ausland lebende Elternteil würde im Inland wohnen und dem deutschen Kindergeldrecht unterfallen. Die Kindergeldberechtigung richtet sich dann danach, wer von beiden Elternteilen der vorrangig Berechtigte nach § 64 EStG ist (§ 62 EStG Rz. 27ff.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der im EU-Ausland lebende Elternteil einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland gestellt hat, da bei ihm nach Art. 60 Abs. 1 S. 3 VO (EG) Nr. 987/2009 der Antrag des in Deutschland lebenden Elternteils zu berücksichtigen ist.[11] Im Ausland bezogene Familienleistungen sind auf den Kindergeldanspruch anzurechnen.[12]

Lt. EuGH[13] ist Art. 76 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 dahingehend auszulegen, dass dem Beschäftigungsmitgliedstaat erlaubt ist, in seinen Rechtsvorschriften ein Ruhen des Anspruchs auf Familienleistungen vorzusehen, wenn im Wohnmitgliedstaat kein Antrag auf Gewährung von Familienleistungen gestellt worden ist. § 65 EStG in unionsrechtskonformer Auslegung erfüllt die Voraussetzungen für die in Art. 76 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 1408/71 vorgesehene Ermächtigung.[14]

Die Konkurrenz zwischen dem ausl. und dem deutschen Anspruch wurde bis zum 30.4.2010 durch Art. 10 Abs. 1 Buchst. a VO (EWG) Nr. 574/72 aufgelöst; ab Mai 2010 gelten die Antikumulierungsvorschriften der VO (EG) Nr. 883/2004.

 

Rz. 3b

Bei der Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen hat die Familienkasse von Amts wegen und nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob ein Ausschlusstatbestand gem. § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 EStG vorliegt.[15] Lässt sich dies nicht zweifelsfrei ermitteln, darf sich dies nicht zum Nachteil des Berechtigten auswirken. Dabei ist der Antragsteller – so der BFH – nicht dazu verpflichtet, das ausl. Recht darzulegen.[16] Ihn trifft bei Auslandsachverhalten allerdings eine erhöhte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO[17], wobei von dem Stpfl. nicht erwartet werden kann, aus Gründen der Beweisvorsorge stets im Ausland einen Antrag auf Familienleistungen zu stellen.[18] Damit hat der BFH die objektive Beweislast (Feststellungslast) auf die Familienkasse bzw. das FG abgewälzt.[19] Beide müssen in eigener Zuständigkeit z. B. prüfen, ob eine ausl. Kind bezogene Leistung funktionsgleich mit dem inländischen Kindergeld ist.[20]

 

Rz. 4

Hat die für die kindergeldähnliche Leistung i. S. v. § 65 Abs. 1 S. 1 EStG zuständige inländische Stelle eine Entscheidung über das B...

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