Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer 1990–1992
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert wird auf … DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist Automatenaufsteller. Für die Streitjahre 1990 bis 1992 reichte er beim Beklagten (dem Finanzamt – FA–) gemäß § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) jeweils Umsatzsteuerjahreserklärungen ein, die das FA erklärungsgemäß abrechnete. Vom 24. bis 26. November 1993 führte das FA eine Außenprüfung durch, die zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen führte, übersandte dem Kläger hierüber eine Mitteilung gemäß § 202 der Abgabenordnung (AO) und hob mit Verfügung vom 15.12.1993 für 1990 bis 1992 den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 5.5.1994 (Az. C-38/93, Bundessteuerblatt –BStBl– II 1994, 548) entschieden hatte, daß entgegen der Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei Geldspielgeräten der Umsatz nicht nach den von den Spielern eingeworfenen Einsätzen, sondern nach den Nettoeinsätzen abzüglich der gesetzlich vorgeschriebenen Gewinnauszahlungen von 60 % zu bemessen sei, beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 15.6.1994 die Neufestsetzung der Umsatzsteuern.
Das FA lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom 24.6.1994 unter Hinweis auf die mit Aufhebung der Nachprüfungsvorbehalte eingetretene Bestandskraft der Steuerbescheide ab. Mit Schreiben vom 6.7.1994 wandte sich der Kläger gegen diese Rechtsauffassung und führte zur Begründung aus, es handele sich um einen Rechtsirrtum bei der Festlegung der Besteuerungsgrundlagen, nämlich einen Verstoß gegen die EU-Richtlinie. Demzufolge müßten auch bestandskräftige Steuerbescheide geändert werden.
Nachdem das FA mit Datum vom 7.12.1994 eine ablehnende Einspruchsentscheidung erlassen hatte, verfolgt der Kläger sein Begehren mit der am 6.1.1995 erhobenen Klage weiter und beantragt sinngemäß,
die Umsatzsteuerbescheide 1990 bis 1992 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH neu festzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage auf Neufestsetzung der Umsatzsteuer ist nicht begründet, denn die angefochtenen Bescheide sind weder nichtig, noch lassen die Korrekturvorschriften der Abgabenordnung (AO) eine Änderung der bestandskräftigen Bescheide zu, noch greift eine besondere Fristenhemmung ein, wie sie der EuGH im „Emmot-Urteil” entwickelt hat.
1. Die Bescheide sind nicht gemäß § 125 AO nichtig, denn dies würde voraussetzen, daß sie an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden und dies bei verständiger Würdigung offenkundig ist. Hierbei kann dahinstehen, ob die vom FA akzeptierten Steueranmeldungen des Klägers wegen des abweichenden Leistungsbegriffs unter einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden, denn jedenfalls ist die Fehlerhaftigkeit nicht offenkundig, weil der den Steuererklärungen zugrundeliegende Leistungsbegriff der Rechtsauffassung des BFH im Urteil vom 20.1.1987 V R 53/76 (BStBl II 1987, 56) und der herrschenden Lehre entsprach (Nachweise bei Felix, Betriebsberater – BB– 1994, 1198). Die Rechtsauffassung des EuGH ist hingegen auch heute noch umstritten (vgl. einerseits Buob, Umsatzsteuerrundschau – UR– 1994, 293, andererseits Felix a.a.O.).
2. Auch die Korrekturvorschriften der AO sehen keine Änderungsmöglichkeit vor.
a) Gemäß § 172 Abs. 1 AO darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, zu Gunsten des Steuerpflichtigen nur aufgehoben oder geändert werden, wenn der Änderungsantrag vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gestellt wurde. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Den Änderungsantrag hat der Kläger am 17.6.1994 gestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Steuerfestsetzungen jedoch bereits seit dem 19.2.1994 bestandskräftig, denn das FA hat nach Durchführung der ergebnislosen Außenprüfung mit Verfügung vom 15.12.1993 pflichtgemäß (§ 164 Abs. 3 Satz 3 AO) den Vorbehalt der Nachprüfung, unter dem die Jahressteuererklärungen gemäß § 168 AO standen, aufgehoben.
b) Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO kommt nicht in Betracht, weil das Bekanntwerden der Rechtsprechung des EuGH kein Bekanntwerden neuer Tatsachen oder neuer Beweismittel darstellt. Zudem greift nach einer abgeschlossenen Außenprüfung die besondere Sperrwirkung des § 173 Abs. 2 AO ein.
c) Die Änderung der Rechtsprechung durch den EuGH stellt auch kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar, weil eine fortlaufende Anpassung sämtlicher Steuerbescheide an die neueste Rechtslage zu einer weitgehenden Aushöhlung der Bestandskraft führen würde (Tipke/Kruse, AO und FGO, § 175 Tz. 20). Der grundsätzliche Vorrang der Rechtssicherheit vor der materiellen Einzelfallgerechtigkeit ergibt sich aus § 79 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG), wonach selbst die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer vom Bundesverfassungsg...