0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Fassung der Vorschrift beruht auf dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) und ist durch das Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) zum 1.1.1997 nicht geändert worden. Sie entspricht inhaltlich dem früheren § 603 RVO. Angepasst wurde der Wortlaut lediglich bezüglich der Begrifflichkeiten des SGB VII.
1 Allgemeines
Rz. 2
Zweck der Vorschrift ist es, Versicherte, die eine leichte Verletzung erlitten haben und ihre Folgen aber voraussichtlich nicht zu einer Rente auf unbestimmte Zeit führen werden, für kurze Zeit nicht zum Rentenbezieher werden zu lassen und damit einer möglichen Erwartungshaltung entgegenzuwirken. Darüber hinaus bewirkt die Abfindung durch einen einmaligen Geldbetrag eine erhebliche Arbeitsvereinfachung und Kostenersparnis auf Seiten des Unfallversicherungsträgers, da weder eine Nachuntersuchung zu erfolgen hat noch ein Rentenentziehungsbescheid erlassen werden muss. Die Prüfung einer möglichen Weitergewährung einer Verletztenrente über den Zeitraum der Gesamtvergütung hinaus erfolgt auf Antrag des Versicherten.
Rz. 3
Solange eine Maßnahme der Heilbehandlung (§§ 27 ff.) noch nicht abgeschlossen ist, ist auch die Feststellung einer Gesamtvergütung noch nicht möglich, da zunächst der Erfolg der Heilbehandlung und die tatsächlichen Auswirkungen der Folgen des Versicherungsfalls abgewartet werden müssen. Bis dahin ist der Versicherte durch die Verletztengeldzahlung abgesichert.
Rz. 4
Die Gesamtvergütung ist eine Vorauszahlung für eine begrenzte Zeit der voraussichtlich zu zahlenden vorläufigen Entschädigung. Sie setzt mithin eine Prognoseentscheidung voraus, bei welcher der Unfallversicherungsträger die Auswirkungen der Unfallfolgen auf die Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles wie körperliche Konstitution, Alter, etwaige Vorschädigungen oder Besonderheiten des Heilverlaufes des Versicherten zu berücksichtigen hat.
2 Rechtspraxis
2.1 Voraussetzungen
Rz. 5
Während der ersten 3 Jahre nach dem Versicherungsfall soll die Rente als vorläufige Entschädigung festgestellt werden (§ 62 Abs. 1). Nur eine derartige Leistung kann im Sinne der Vorschrift als Gesamtvergütung abgefunden werden. Bezieht der Versicherte eine Rente auf unbestimmte Zeit (§ 62 Abs. 2), kann keine Gesamtvergütung festgestellt werden.
Rz. 6
Eine Gesamtvergütung als Abfindung setzt voraus, dass unter Berücksichtigung der Art der Verletzung die Folgen des Versicherungsfalls bis zum Ablauf von 3 Jahren nach dem Versicherungsfall soweit abgeklungen sind, dass eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von wenigstens 20 % nicht mehr vorliegt und es nicht zur Leistung einer Rente auf unbestimmte Zeit kommt.
Rz. 7
Da die Gesamtvergütung an die Stelle des Anspruchs auf eine vorläufige Entschädigung tritt, müssen zunächst die Voraussetzungen nach § 56 erfüllt sein.
2.2 Ermessensentscheidung
Rz. 8
Es handelt sich bei der Gesamtvergütung um eine Ermessensentscheidung. Abweichend zur Abfindung nach § 76 und § 78 bedarf es weder eines Antrages noch einer Zustimmung des Versicherten. Eine gerichtliche Überprüfung dieser Ermessensleistung ist daher auch nur im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG möglich. Einen Rechtsanspruch auf die Gewährung einer Gesamtvergütung hat der Versicherte nicht.
Rz. 9
Die geleistete Gesamtvergütung ist ebenso wie eine laufende Rentenzahlung steuerfrei.
Rz. 10
In der Feststellung einer Abfindung der vorläufigen Entschädigung als Gesamtvergütung ist nicht zugleich die Ablehnung des Unfallversicherungsträgers über eine Rente auf unbestimmte Zeit enthalten (vgl. BSG, Beschluss v. 17.10.1990, 2 BU 32/90; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 13.7.2022, L 6 U 3149/22).
2.3 Voraussichtlicher Rentenaufwand
Rz. 11
Nach Abschluss der Heilbehandlung wird der Unfallversicherungsträger mittels Gutachten eines medizinischen Sachverständigen prüfen, ob und inwieweit rentenberechtigende Folgen des Versicherungsfalls verblieben sind. Deuten die Art der Verletzung und die allgemeine Erfahrung darauf hin, dass zu einem Zeitpunkt, der vor Ablauf des 3. Jahres nach dem Versicherungsfall liegt, die Folgen des Versicherungsfalls kein rentenberechtigendes Ausmaß mehr erreichen, kann die Rente bis zum Ablauf des Monats, in dem angenommen wird, dass die Voraussetzungen für einen Rentenbezug nicht mehr gegeben sein werden, als Gesamtvergütung abgefunden werden. Anders als bei laufenden Renten, sind hinsichtlich der Höhe der MdE Abstufungen möglich, beispielsweise für das erste Jahr nach einer MdE von 30 %, danach für weitere 6 Monate nach einer MdE von 20 % (Kranig, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 75 Rz. 8).
In Rechtsprechung und Literatur ist bislang nicht geklärt, wie sich eine Verschlimmerung der Folgen des Versicherungsfalls während des Zeitraums der Gesamtvergütung auswirkt. Zu denken wäre an eine Analogie zu § 76 Abs. 3 (Ricke/Kellner, in: KassKom, SGB VII, § 75 Rz. 4.1).
Rz. 12
Ob künftige Rentenanpassungen zu berücksichtigen sind, ist in der Kommentarliteratur umstritten (für die Berücksichtigung z. B. Marschner, in: BeckOK SozR, SGB VII, § 75 Rz. 8). Überwiegend wird jedoch die Auffass...