Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO, Übermittlung eines Steuerbescheids im Ausland durch die Post
Leitsatz (redaktionell)
- Auf die Beweislastregel des § 122 Abs. 2 Halbs. 2 AO kann erst zurückgegriffen werden, wenn trotz erfolgter Sachaufklärung noch Zweifel am gesetzlichen Zugang eines Bescheides verbleiben.
- Ein VA gilt bei einer Übermittlung im Ausland einen Monat nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.
- Die Behörde muss den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachweisen.
- Zum Begriff des Zugangs i. S. des § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2 Nr. 2, §§ 355, 365, 108 Abs. 1; BGB § 187 Abs. 1
Streitjahr(e)
2009, 2010, 2011
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.
Der Kläger erzielte in den Streitjahren 2009 bis 2011 aus einer Beteiligung an der Fa. X sowie aus einer Beteiligung an der Fa. Y Einkünfte aus Gewebebetrieb, die vom Beklagten Finanzamt (FA) gesondert und einheitlich festgestellt wurden. Darüber hinaus erzielte der Kläger in den Streitjahren durch die Vermietung einer Wohnung in X Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Mit Bescheid vom 14. Juli 2011 setzte das FA gegenüber dem Kläger die Einkommensteuer 2009 auf 0 EUR fest. In den Erläuterungen zu diesem Bescheid heißt es, dass die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) geschätzt worden seien, weil der Kläger trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben habe. Darüber hinaus stellte das FA gegenüber dem Kläger den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2009 i.H.v. 38.078 EUR gesondert fest.
Mit Einkommensteueränderungsbescheid vom 21. Mai 2013 setzte das FA gegenüber dem Kläger die Einkommensteuer 2009 auf 0 EUR fest. In den Erläuterungen zu diesem Bescheid heißt es, dass die Änderung des Steuerbescheids aufgrund einer Mitteilung des FA über die Beteiligungseinkünfte des Klägers an der Fa. X erfolgt sei. Ferner stellte das FA gegenüber dem Kläger den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2009 ebenfalls mit Änderungsbescheid vom 21. Mai 2013 nunmehr auf 33.505 EUR fest.
Darüber hinaus setzte das FA mit Einkommensteuerbescheid vom 21. Mai 2013 gegenüber dem Kläger die Einkommensteuer 2010 auf 6.794 EUR fest. In den Erläuterungen zu diesem Bescheid heißt es, dass die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO geschätzt worden seien, weil der Kläger trotz Aufforderung bisher keine Steuererklärung abgegeben habe. Ferner setzte das FA mit diesem Bescheid gegenüber dem Kläger einen Verspätungszuschlag i.H.v. 330 EUR fest. Mit Bescheid vom 21. Mai 2013 stellte das FA zudem gegenüber dem Kläger den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2010 auf 0 EUR fest.
Ebenfalls mit Einkommensteuerbescheid vom 21. Mai 2013 setzte das FA gegenüber dem Kläger die Einkommensteuer 2011 auf 2.172 EUR fest. In den Erläuterungen zu diesem Bescheid heißt es ebenfalls, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO geschätzt habe, weil der Kläger trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben habe. Darüber hinaus setzte das FA mit diesem Bescheid gegenüber dem Kläger einen Verspätungszuschlag i.H.v. 85 EUR fest.
Sämtliche vorgenannten Bescheide gab das FA dem Kläger unter der Anschrift ooo Tschechische Republik mit einfachem Brief bekannt.
Am 15. August 2013 legte der Kläger beim FA per E-Mail Einspruch gegen die "Steuerbescheide fuer die Jahre 2009, 2010 und 2011" ein. Zur Begründung führte er aus, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen geschätzt habe. Wegen eines langfristigen Auslandsaufenthaltes habe er die Erklärungen nicht fristgerecht abgeben können. Er habe in den betreffenden Jahren lediglich Einkünfte aus der Vermietung einer Wohnung sowie aus zwei Schiffsbeteiligungen gehabt. In beiden Einkunftsarten habe er in den Streitjahren Verluste erzielt. In den Jahren 2009 bis 2013 sei er fast durchgehend arbeitsbedingt in Russland gewesen, so dass er sich so gut wie nie an seiner Meldeadresse in der Tschechoslowakei aufgehalten habe. Aus diesem Grund hätten ihn Schreiben des FA erst jetzt erreicht. Die Wohnung sowie die Beteiligungen seien mittlerweile aufgelöst bzw. verkauft. Somit habe er in Deutschland weder einen Wohnsitz noch Einkünfte. Ferner bat der Kläger das FA abschließend darum, seinem Einspruch stattzugeben und ihm noch einmal eine Nachfrist für die Abgabe der Steuererklärungen zu gewähren.
Mit Schreiben vom 15. August 2013 teilte das FA dem Kläger mit, dass seine Einsprüche nicht innerhalb der Einspruchsfrist beim FA eingegangen seien. Ferner wies das FA darauf hin, der Kläger hätte bei einer längerfristigen Abwesenheit dafür sorgen müssen, dass sich jemand um seine steuerlichen Angelegenheiten kümmere, da eine Abwesenheit von der ständigen Wohnung von...