Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt im Inland
Leitsatz (redaktionell)
- Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den EWR Anwendung findet, werden nicht berücksichtigt.
- Die Anknüpfung der Kindergeldberechtigung an den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes ist als Ausprägung des Territorialitätsprinzips nicht sachwidrig und verstößt nicht gegen Art. 3 GG.
- Zu den Umständen, die auf Beibehaltung und Nutzung einer Wohnung schließen lassen.
- Ob ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz beibehält, ist unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
- Haben sich Kinder weniger als drei Monate pro Jahr in Deutschland aufgehalten und hatten ihre Aufenthalte im Wesentlichen Ferien- oder Besuchscharakter, wird ein Wohnsitz im Inland dadurch nicht begründet.
- Zu den Verpflichtungen von Kindergeldbeziehern, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistungen erheblich sind, der zuständigen FK mitzuteilen.
Normenkette
AO §§ 8-9, 169 Abs. 2, § 370 Abs. 1, § 378; EStG § 63
Streitjahr(e)
2002, 2003, 2004, 2005, 2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011, 2012
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist das Kindergeld für in der Türkei in Ausbildung befindliche minderjährige Kinder.
Die 1972 geborene Klägerin ist türkischer Abstammung. Ihrem Vater folgend zogen sie und ihre Mutter 1978 nach Deutschland. Die Klägerin besuchte die Realschule und die einjährige Handelsschule. Sie ist seit 1990 verheiratet und Mutter der 1994 in Deutschland geborenen Töchter A und B. Sie und ihre beiden Kinder wurden 1999 in Deutschland eingebürgert.
Die Klägerin reichte im Januar 2000 eine Kopie ihrer Einbürgerungsurkunde zur Kindergeldakte ein. Der Ehemann lebt und arbeitet jedenfalls seit Juni 1992 in der Türkei. Mittlerweile ist er Rentner. In der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2014 erklärte die Klägerin, ihr Ehemann sei zunächst mit ihr nach Deutschland gekommen. Ihm sei es jedoch nicht gelungen, in Deutschland Fuß zu fassen. Er sei dann in die Türkei zurückgekehrt, sie habe aber in Deutschland leben wollen. Es habe sich ein „Hin und Her” ergeben.
Die Klägerin lebt in X bei ihren Eltern und wird von ihnen unterstützt. Mindestens bis in das Jahr 2000 wohnte sie in der Ystraße, im Jahr 2011 in der Zstraße.
Die Kinder lebten zunächst bei der Klägerin in X. Im Jahr 2000 wurden sie am Wohnort des Vaters in der Türkei eingeschult, blieben aber weiter unter der Anschrift der Klägerin in X gemeldet. 1999 stellte die Stadt X Kinderausweise für die Kinder aus. Ob eine Überwachung der Schulpflicht stattgefunden hat, kann die Stadt nicht mehr feststellen, weil die Unterlagen 2005 vernichtet worden sind. Beide Kinder waren laut vorgelegter Bescheinigungen von 1996 bis 2000 in X in kinderärztlicher und vom 29. Mai 1998 bis zum 5. Juni 2000 in … in HNO-ärztlicher Behandlung. Die Kinder haben in der Türkei die Schule abgeschlossen und studieren dort mittlerweile.
Die Klägerin bezog seit der Geburt der Kinder Kindergeld. Bei ihrem Erstantrag auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz unterschrieb sie 1994 folgende vorgedruckte Erklärung:
„Mir ist bekannt, dass ich alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich dem Arbeitsamt – Kindergeldkasse – mitzuteilen habe. Das „Merkblatt über Kindergeld” habe ich erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen.”
Ein ausdrücklicher Vermerk über die Aushändigung des Merkblatts an die Klägerin findet sich nicht in der Kindergeldakte. In einer weiteren Erklärung vom 10. März 1994 unterschrieb sie folgende Erklärung bei handschriftlicher Einfügung von „nicht absehbar”:
„Ich erkläre hiermit, daß sich meine Kind(er) … voraussichtlich bis nicht absehbar in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten wird. Ich bin darüber belehrt worden, daß ich verpflichtet bin, der Kindergeldkasse unverzüglich anzuzeigen, wenn eines der Kinder, das sich bisher in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, in die Heimat zurückkehrt.”
Die Klägerin hat 1995, 1996, und 1998 auf den zweisprachig deutsch-türkisch gefassten Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld in der Spalte „Wohnland, in dem sich die Kinder dauernd aufhalten” Deutschland eingetragen. In dem entsprechenden Fragebogen des Jahres 2000 wird nach dem „Land, in dem sich das Kind aufhält” gefragt. Auch hier antwortete die Klägerin Deutschland. Der Fragebogen ging am 17. Januar 2000 bei der Beklagten (die Familienkasse) ein.
In diesen Fragebogen hat die Klägerin auch jeweils folgende Erklärung unterschrieben:
„Mir ist bekannt, dass ich alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich dem Arbeitsamt – Kindergeldkasse – mitzuteilen habe. Das „Merkblat...