Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung von Steuerbescheiden: Kompensationsmöglichkeiten nach § 177 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Zu den Voraussetzungen des § 177 Abs. 2 AO.
- Materielle Fehler i. S. des § 177 Abs. 2 AO sind solche, die zur Festsetzung einer Steuer führen, die von der kraft Gesetzes entstandene Steuer abweicht.
- § 177 Abs. 2 AO gilt – soweit der darin vorausgesetzte Aufhebungs- oder Änderungstatbestand reicht – unabhängig davon, inwieweit Verjährung eingetreten ist. Denn nur der Steueranspruch kann verjähren, nicht aber die Besteuerungsgrundlage.
- Soweit es (wie bei § 177 AO) allein um die Begrenzung von Korrekturen geht, räumt der Gesetzgeber dem Grundsatz der Rechtsrichtigkeit Vorrang vor dem der Rechtssicherheit ein. Auch eine Steuer, für die die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist, ist in die Berichtigung daher mit einzubeziehen.
Normenkette
AO § 177
Streitjahr(e)
1995, 1996
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte die Änderung eines Steuerbescheids mit Hinweis auf eine Kompensationsmöglichkeit nach § 177 Abgabenordnung (AO) ablehnen durfte.
Die Kläger waren in den Streitjahren verheiratet und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit, aus nichtselbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Kläger war an verschiedenen Gesellschaften beteiligt, deren Einkünfte einheitlich und gesondert festgestellt wurden. Darüber hinaus unterhielt er nach dem Ergebnis eines Klageverfahrens vor dem Niedersächsischen Finanzgericht schon in den Jahren 1991 bis 1995 einen gewerblichen Grundstückshandel.
Der Kläger war an der Grundstücksgemeinschaft X in M. (im folgenden Grundstücksgemeinschaft) beteiligt. Die Grundstücksgemeinschaft erwarb im Jahre 1993 ein Grundstück für 350.000 DM, das sie auf eigene Kosten sanierte. Das Grundstück verkaufte die Grundstücksgemeinschaft im Jahre 1996 für 1,4 Millionen DM. Die Anschaffungs- und Herstellungskosten für das Grundstück betrugen insgesamt 985.532,28 DM. Der im Jahre 1996 erzielte Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks betrug somit 414.468 DM (Kaufpreis 1.400.000 DM abzüglich Anschaffungs- und Herstellungskosten von 985.532,28 DM), wobei auf den Kläger ein Anteil von 138.156 DM (1/3) entfiel. Laut Feststellungsbescheid erzielte die Grundstücksgemeinschaft Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Ein Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks wurde dementsprechend nicht im Feststellungsbescheid ausgewiesen. Für das Jahr 1995 wurden für den Kläger negative Einkünfte aus der Beteiligung an der Grundstückgemeinschaft in Höhe von 86.318,- DM festgestellt. Bei der Ermittlung der Einkünfte der Grundstückgemeinschaft berücksichtigte das zuständige Finanzamt M. Abschreibungen von 166.599,- DM, die in Höhe von 55.533,- DM auf den Kläger entfielen. Der Beklagte hatte bei der Einkommensteuerfestsetzung 1996 zunächst keine Konsequenzen aus der Veräußerung des Grundstücks durch die Grundstücksgemeinschaft gezogen und bei der Einkommensteuerfestsetzung 1995 die gesondert festgestellten negativen Einkünfte in Höhe von 86.318,- DM unverändert angesetzt.
Die Kläger waren in den Streitjahren auch an einer GmbH & Still (im Weiteren GmbH) mit Sitz in N. beteiligt. Das für die GmbH zuständige Betriebsstättenfinanzamt erließ zunächst für die Streitjahre 1995 und 1996 einheitlich und gesonderte Feststellungsbescheide, nach denen für die Klägerin ein Verlust für das Jahr 1995 in Höhe von 11.600 DM und für das Jahr 1996 ein Verlust in Höhe von 7.840 DM festgestellt wurde. Für den Kläger wurde ein Verlust in Höhe von 100.028,57 DM für das Jahr 1996 gesondert und einheitlich festgestellt. Nachdem das Finanzamt dem Beklagten am 17. Juni 2002 mitgeteilt hatte, dass die Grundlagenbescheide ersatzlos aufgehoben worden waren, änderte der Beklagte die Einkommensteuerbescheide 1995 und 1996 am 10. Juni 2003 bzw. am 14. Juli 2003, wobei nunmehr keine Verluste aus der GmbH der Besteuerung zugrunde gelegt wurden. Die Feststellungsbescheide für die GmbH für 1995 und 1996 änderte das zuständige Betriebsstättenfinanzamt mit Bescheiden vom 16. Februar 2009 erneut. Für die Klägerin stellte das Finanzamt für das Jahr 1995 einen Verlust in Höhe von 10.160 DM und für das Jahr 1996 einen Verlust in Höhe von 7.840 DM fest. Den Verlust für den Kläger stellte das Finanzamt für das Jahr 1996 in Höhe von 93.050 DM fest. Die Änderungen erfolgten auf Grund der Durchführung eines Einspruchs- und Klageverfahrens bezüglich der Feststellungsbescheide für 1995 und 1996.
Nach Erlass der geänderten Feststellungsbescheide für 1995 und 1996 lehnte der Beklagte eine Änderung der Einkommensteuerbescheide der Kläger für 1995 und 1996 mit Bescheid vom 22. Juli 2009 ab, weil die Steuerfestsetzung trotz der geänderten Feststellungsbescheide für die GmbH zu keiner Änderung der...