Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuer 1990
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt 9/10, der Beklagte 1/10 der Kosten.
3. Der Streitwert wird bis zum 05.05.1994 auf …, danach auf … festgesetzt.
4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
5. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner kann der Vollstreckung widersprechen, sofern nicht der Kostengläubiger Sicherheit in Höhe des durch Kostenfestsetzungsbeschluß festzustellenden Kostenerstattungsanspruchs leistet.
6. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Steuerfreiheit der an Arbeitnehmer gezahlten Jahresendprämien.
Die Klägerin zahlte im Dezember 1990 Jahresendprämien in Höhe von … steuerfrei an … Arbeitnehmer aus. Der Prämienfonds betrug … Der für den Betrieb der Klägerin geltende Rahmenkollektivvertrag (RKV) sah keine Zahlung einer Jahresendprämie vor. Ein Betriebskollektivvertrag (BKV) wurde zwar für das Jahr 1989, wegen der sich abzeichnenden „Wende” aber nicht mehr für das Streitjahr abgeschlossen. Am 1. Oktober 1990 trafen die Betriebsgewerkschaftsleitung, der Gesamtbetriebsrat und der Betriebsdirektor eine „Betriebliche Vereinbarung” „über Maßnahmen der sozialen Betreuung der Beschäftigten.”, die unter Ziff. 1.3. die Voraussetzungen und die Höhe des Anspruches auf die zweite Halbjahresprämie regelte. Der Senat nimmt auf den RKV, den BKV und die „Betriebliche Vereinbarung” Bezug. Im Anschluß an eine Lohnsteueraußenprüfung ging der Beklagte von der Steuerpflicht der Zahlungen aus, errechnete aus dem Bruttosteuersatz von 22,56 % einen Nettosteuersatz von 29,13 % und daraus eine Lohnsteuernachforderung von … DM. Die Klägerin hat in der Schlußbesprechung die Übernahme der Steuerabzugsbeträge beantragt. Der ursprüngliche Haftungsbescheid vom … wurde im Rahmen des Einspruchsverfahrens –unter Beibehaltung der Berechnungsmethode– aus anderen, hier nicht streitigen Punkten (Barzuschüssen zu Mahlzeiten) geändert und die Haftungsschuld auf insgesamt … DM festgesetzt. Im Klageverfahren wurde mit (nochmals) geändertem Haftungsbescheid vom … die Haftungsschuld – wegen des Ansatzes des Bruttosteuersatzes– auf … DM reduziert. Mit der zulässigen Klage wird im wesentlichen folgendes vorgetragen: Die Arbeitnehmer hätten aufgrund des BKV 1989 in Verbindung mit der betrieblichen Vereinbarung vom 1. Oktober 1990 einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf Zahlung der Jahresendprämie gehabt. Der BKV 1989 habe –ausweislich seiner Ziffer 9.1– bis zum Inkrafttreten eines neuen BKV Gültigkeit behalten. Die so geschuldeten Prämien seien auch noch nach dem 1. Juli 1990 steuerfrei gemäß § 3 Abs. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 8 AStVO gewesen. Die Nichtbefolgung der Richtlinie des Ministerrates der DDR und des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Arbeit mit dem Betriebskollektivvertrag vom 23. Mai 1985 (GBl. Teil I 1985, 173), wonach ein BKV bis zum 31. Januar des Planjahres abzuschließen ist, führe –mangels einer entsprechenden gesetzlichen Regelung– nicht zur Unwirksamkeit des BKV 1989. Unschädlich sei auch, daß die betriebliche Vereinbarung vom 1. Oktober 1990 systembedingt nicht den Inhalt eines typischen BKV habe, denn mit der Herstellung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion sei der Abschluß neuer BKV nach dem 1. Juli 1990 nicht mehr möglich gewesen. Bei Fortbestehen der DDR und deren Rechtssystem wäre die Betriebsvereinbarung vom 1. Oktober 1990 als BKV 1990 angesehen worden. Die Steuerfreiheit nach § 3 Abs. 2 Nr. 8 AStVO und § 14 der Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds für volkseigene Betriebe vom 9. September 1982 (GBl. I. 1982, 595) setze einen wirksamen BKV, nicht aber den wirksamen Abschluß eines aktuellen BKV zu einem bestimmten Zeitpunkt des Zahlungsjahres voraus. Das letztgenannte, einschränkende Erfordernis ließe sich allenfalls aus § 3 Abs. 5 AStVO ableiten. Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung dieser Vorschrift verbiete sich jedoch angesichts des Zwecks, die Schaffung neuer und die Erhöhung bestehender Ansprüche auf steuerfreie Leistungen nach dem 1. Mai 1990 zu unterbinden. Diese Norm sollte die vom bundesdeutschen Recht abweichenden Steuerbefreiungen auf dem am 1. Mai 1990 bestehenden Niveau einfrieren, nicht jedoch zusätzliche Voraussetzungen für die Steuerfreiheit –Erfordernis des Abschlusses eines BKV bis zum 1. Mai 1990– schaffen. Eine andere Interpretation würde der Bestimmung zudem einen verfassungswidrigen Inhalt verleihen. Der am 22. Juni 1990 beschlossene § 3 Abs. 5 AStVO würde die durch die Fortgeltung des BKV 1989 vermittelte Steuerfreiheit dadurch beseitigen, daß er den Abschluß eines BKV 1990 bereits zum 1. Mai 1990, also vor dem Inkrafttreten des Gesetzes verlange. Es läge somit eine unzulässige Rückbewirkung von Rechtsfolgen vor. Gehe man –wegen der allgemein bekannten Vorläufigkeit des Einkommensteuerrechtes vor Ablauf des Veranlagungszeitraumes– vom Vorliegen einer tatbestandliche Rü...