rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestandskraft eines Kindergeldaufhebungsbescheids nach Rücknahme des ursprünglich eingelegten Einspruchs trotz fehlenden Hinweises auf das wegen der Berücksichtigung von Sozialversicherungsaufwendungen beim BVerfG anhängige Verfahrens

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird eine Kindergeldfestsetzung wegen Überschreitens des maßgeblichen Grenzbetrags nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG aufgehoben und der dagegen eingelegte Einspruch aufgrund des zwei Tage vor der Veröffentlichung der – die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für die gesetzliche Sozialversicherung im Rahmen der Grenzbetragsermittlung für zulässig erklärenden – BVerfG-Entscheidung (2 BvR 167/02) erstellten und die damalige Rechtslage beinhaltenden Schreibens der Familienkasse, das keinen Hinweis auf die Anhängigkeit des Verfahrens beim BVerfG enthielt, zurückgenommen, kann der bestandskräftige Aufhebungsbescheid – nach Nichtgreifens einer Korrekturnorm nach §§ 172ff. AO bzw. § 70 Abs. 4 EStG – nicht wegen fehlendem Hinweis auf das anhängige BVerfG-Verfahren geändert werden (hier: Rücknahme nach Veröffentlichung der in den gängigen Medien zitierten und besprochenen BVerfG-Entscheidung).

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 70 Abs. 4, § 2 Abs. 1; AO § 172ff., §§ 89, 121 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 17.03.2010; Aktenzeichen III B 177/09)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die leibliche Mutter des am … geborenen Kindes J. J. begann am 01. September 2003 ihre Ausbildung zur Krankenschwester. Die Klägerin bezog für J. Kindergeld.

Mit Bescheid vom 15. April 2005 wurde die Kindergeldfestsetzung für J. vom 1. Juni 2004 bis 31. Dezember 2004 aufgehoben, da die Einkünfte und Bezüge von J. die maßgeblichen Einkommensgrenzen in diesem Zeitraum übersteigen würden. Bei der Berechnung berücksichtigte die Familienkasse die von J. abgeführten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, der mit erhöhten Werbungskosten von J. begründet wurde. Mit Schreiben vom 11. Mai 2005 erläuterte die Familienkasse die zu berücksichtigenden Werbungskosten und die Ermittlung der Einkünfte aus dem Ausbildungsverhältnis (Einbeziehung des Urlaubsgeldes). Nach den Ausführungen wurde weiterhin der maßgebliche Grenzbetrag überschritten, so dass der Klägerin mitgeteilt wurde, dass der Einspruch keine Aussicht auf Erfolg habe. Die Klägerin wurde daher auf die Möglichkeit verwiesen, den Einspruch zurückzunehmen. Ein entsprechendes Formular wurde beigefügt. Ein Hinweis auf das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht 2 BvR 167/02, das sich mit der Frage der Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs 4 Satz 2 EStG befasst, erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 18. Mai 2005 erklärte die Klägerin die Rücknahme des Einspruchs.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2005 wandte sich die Klägerin an die Familienkasse. Sie habe aus einer Pressemitteilung von der Entscheidung des BVerfG (2 BvR 167/02) erfahren. Der maßgebliche Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sei demnach vom Nettoeinkommen zu berechnen. Die Familienkassen würden sich daran halten. Ihren Einspruch habe sie zurückgezogen, weil die Familienkasse nahegelegt habe, dass keine Aussicht auf Erfolg bestehe. Dies sei damit begründet worden, dass ein Nachweis höherer Werbungskosten nicht erbracht habe werden können. Das sei zwar korrekt gewesen, aber die Familienkasse habe es unterlassen, auf die obige Verfügung hinzuweisen. Bei der Entscheidung über das Kindergeld für J. sei jedoch das Bruttoeinkommen zugrunde gelegt worden. Aufgrund der neuesten Rechtsprechung des BVerfG werde daher um eine Überprüfung der Entscheidung gebeten.

Dieses Schreiben fasste die Familienkasse als erneuten Antrag auf Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum Juni bis Dezember 2004 auf. Mit Bescheid vom 21. Oktober 2005 wurde dieser Antrag abgelehnt. Für diesen Zeitraum sei – nach Rücknahme des Einspruchs – bestandskräftig über die Ablehnung des Kindergeldes entschieden worden. Eine Korrekturvorschrift, die eine Durchbrechung der Bestandskraft erlaube, bestehe nicht. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin – vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten – Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 03. Mai 2006 zurückgewiesen wurde.

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. In dem Bescheid vom 21. Oktober 2005 sei die Kindergeldfestsetzung auf Grundlage einer fehlerhaften Berechnung abgelehnt worden. Die Sozialversicherungsbeiträge seien nicht einkünftemindernd berücksichtigt worden. Das Ergebnis stehe nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG und führe zu einer unbilligen Benachteiligung für die Klägerin. Der Klägerin könne nicht entgegen gehalten werden, dass sie den Einspruch gegen den Bescheid vom 15. April 2005 zurückgezogen habe und hierdurch materielle Bestandskraft eingetret...

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