rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerfreie Beförderung von Rollstuhlfahrern in sog. Kombifahrzeugen. Unterschiedliche Steuersätze bei Mietwagen- und Taxiunternehmen für im Auftrag von Krankenkassen durchgeführte Krankenfahrten
Leitsatz (redaktionell)
1. Fahrtumsätze sind gem. § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG steuerfrei, soweit es sich um die Beförderung von Rollstuhlfahrern in einem hierfür besonders eingerichteten Kombifahrzeug (hier: VW Caravelle) handelt.
2. Steht fest, dass die nach § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG 2005 als steuerfrei erklärten Umsätze ausschließlich auf Fahrten zur Beförderung von Rollstuhlfahrern entfallen, besteht kein weiterer Aufklärungsbedarf. Für eine generelle Nachweispflicht durch ein Fahrtenbuch besteht keine rechtliche Grundlage (entgegen BMF, Schreiben v. 22.3.2005, BStBl 2005 I S. 710; OFD Chemnitz, Verfügung v. 14.5.2007, S 7174-9/1-St 23).
3. Soweit das OLG Sachsen-Anhalt (Urteil v. 29.6.2007, 10 U 7/07) in seiner – die Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG verneinenden – Entscheidung auf eine erforderliche „nachhaltige Prägung” des Fahrzeugs abstellt, ist dem nicht zu folgen.
4. Die in § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 2005 normierte unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Behandlung der nicht genehmigungsbedürftigen Personenbeförderungsumsätze im Mietwagenverkehr gegenüber denjenigen im Verkehr mit Taxen ist weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich zu beanstanden.
5. Eine Anwendung der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 2005, der ein drittschützender Charakter beizumessen ist, auf von Mietwagenunternehmen ausgeführte Krankenfahrten im Auftrag von Krankenkassen scheidet aus. Eine – der Intention des Gesetzes entsprechende – Gleichbehandlung würde eine Anwendung des allgemeinen Steuersatzes auf mit Taxen durchgeführten Fahrten erfordern. Dies wäre mit einer Konkurrentenklage zu verfolgen.
6. Eine auf einzelne Besteuerungsgrundlagen bezogene Klagerücknahme (hier: bezüglich der steuerfreien Umsätze) ist mit Ausnahme des § 72 Abs. 1a FGO nicht möglich.
Normenkette
UStG 2005 § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b, § 4 Nr. 17 Buchst. b; EWGRL 388/77 Art. 12 Abs. 3 Buchst. a UAbs. 3; EWGRL 388/77 Anh. H Nr. 5; Richtlinie 2006/112/EG Art. 98 Abs. 1-2; Richtlinie 2006/112/EG Anh. III Nr. 5; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12; PBefG §§ 47, 49; FGO § 72
Nachgehend
Tenor
1. Die Umsatzsteueranmeldung für 2007 vom 27.01.2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 01.02.2010 wird geändert und die Umsatzsteuer auf 20.818,02 Euro festgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 97% und der Beklagte zu 3%.
3. Das Urteil ist für die Klägerin im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die von der Klägerin durchgeführten Fahrten gemäß § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG umsatzsteuerbefreit sind oder gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG dem ermäßigten bzw. gemäß § 12 Abs. 1 UStG dem allgemeinen Umsatzsteuersatz zu unterwerfen sind.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand nach dem geschlossenen Gesellschaftsvertrag auf Apotheker- und Ärztelogistik, gewerbliche Personenbeförderung, Kranken- und Behindertentransporte, Laborkurierlogistik, betreutes Reisen, Vermittlung und Erbringung von Dienstleistungen im Pflegebereich (Physiotherapie), Express- und Kurierdienste, freigestellt nach GüKG, lautet.
In den Streitjahren reichte die Klägerin monatlich bzw. (ab 2007) vierteljährlich Umsatzsteuervoranmeldungen ein. Die Frist zur Abgabe der Voranmeldungen hatte der Beklagte gemäß § 18 Abs. 6 UStG, § 46 UStDV um einen Monat verlängert. Die Klägerin berechnete dabei die Steuer nach vereinnahmten Entgelten.
Im Juni 2006 fand bei der Klägerin eine Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum Februar bis April 2006 statt. In seinem Bericht vom 28.06.2006 beanstandete der Prüfer, dass Krankentransportumsätze dem ermäßigten Steuersatz und nicht dem allgemeinen Steuersatz unterworfen worden waren. Daraufhin erklärte die Klägerin in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für den Zeitraum Juni bis Dezember 2006 mit Ausnahme von geringfügigen steuerfreien Umsätzen (vgl. Bl. 25 der Rechtsbehelfsakte) nur noch Umsätze zu 16 %. Zugleich legte sie durch ihren steuerlichen Berater Einsprüche gegen die Voranmeldungen ein und verwies darauf, dass der Sachverhalt in Bezug auf Umsätze zu 7 % Umsatzsteuer noch geklärt werden müsse. Es handele sich um Krankentransporte von Schwerstkranken mit Rollstühlen und sozial Schwachen, diese Fahrten seien eigentlich umsatzs...