Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragsbefugnis auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht befristet
Leitsatz (amtlich)
Die Antragsbefugnis nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG 1999 eröffnet ein unbefristetes Wahlrecht, das - wie bei der Wahl der Veranlagungsart von Ehegatten - auch noch nach dem Ergehen eines Änderungsbescheids ausgeübt und ggf. durchgesetzt werden kann
Normenkette
EStG § 34 Abs. 1 S. 1; AO § 351 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Kläger den Antrag auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) rechtzeitig gestellt haben.
Der Kläger erzielte im Streitjahr einen einheitlich und gesondert festgestellten Veräußerungsgewinn aus seiner Beteiligung an der A GbR von 73.007 DM. In ihrer ESt-Erklärung 1999 stellten die steuerlich beratenen Kläger keinen Antrag auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes (vgl. Zeile 44 der Anlage GSE und Zeile 45 des Mantelbogens der Erklärung vom 27. September 2000).
Der Beklagte, das Finanzamt (FA), erließ am 10. Mai 2001 den ESt-Bescheid 1999 und wies in den Erläuterungen darauf hin, dass durch Nachholung des Antrags gemäß § 34 EStG innerhalb der Rechtsbehelfsfrist ein steuerlich günstigeres Ergebnis erzielt werden könne. Der ESt-Bescheid wurde am 11. Juni 2001 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert. Die Kläger erhoben keinen Einspruch.
Wegen nachträglicher Änderungen der gesondert festgestellten laufenden Einkünfte (Mitteilungen vom 7. November 2001 und 28. Januar 2002) änderte das FA den ESt-Bescheid jeweils nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO am 29. November 2001 und am 5. März 2002. Die Erläuterungen enthalten jeweils den Hinweis, der Antrag nach § 34 EStG könne innerhalb der Rechtsbehelfsfrist nachgeholt werden.
Mit Schreiben vom 7. März 2002 beantragten die Kläger die Anwendung des § 34 EStG. Das FA lehnte den Änderungsantrag ab (Bescheid vom 22. März 2002) und wies den dagegen gerichteten Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2002). Die Klage ist am 13. November 2002 erhoben worden.
Das FA hat den ESt-Bescheid 1999 am 14. Mai 2002 und zuletzt noch einmal am 19. Juni 2002 gemäß § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG geändert.
Die Kläger meinen, dem Antrag nach § 34 EStG entspreche ein unbefristetes Wahlrecht, das bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung ausgeübt werden könne, zumindest aber im Rahmen der Änderung von Steuerbescheiden. Die §§ 351, 177 AO seien nicht anwendbar, da es nicht um die Berichtigung materieller Fehler gehe. Aus demselben Grund seien auch die §§ 172 ff., 164 f. AO nicht einschlägig.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
wie erkannt.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Antrag nach § 34 EStG könne nur bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides gestellt werden. Die Bestandskraft trete mit der Unanfechtbarkeit ein. Der geänderte ESt-Bescheid 1999 vom 11. Juni 2001 sei mit Ablauf des 14. Juli 2001 bestandskräftig geworden. Daran hätten die nachträglichen Änderungen nichts mehr geändert. Werde ein Steuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert, stehe einer weiteren Änderung zu Gunsten des Steuerpflichtigen § 351 AO entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des FA in Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Sache ist spruchreif. Das FA war deshalb zu verpflichten, dem Antrag der Kläger zu entsprechen.
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1999 zuletzt geltenden Fassung, ist auf Antrag die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach einem besonderen Tarif zu berechnen. Die ursprünglich geltende Unwiderruflichkeit des Antrags ist im Rahmen der Änderung des § 34 Abs. 1 EStG durch § 52 Abs. 47 Satz 1 EStG 2000 aufgrund des Steuersenkungsgesetzes rückwirkend aufgehoben worden. § 34 Abs. 1 Satz 1 in der Fassung des Gesetzes vom 23. Oktober 2000 (BGBl. I S. 1433) ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Die materiellen Voraussetzungen für die Anwendung des § 34 EStG sind unstreitig erfüllt.
Die Kläger haben den Antrag auch rechtzeitig gestellt.
Die Antragsbefugnis eröffnet ein Wahlrecht, dessen Ausübung zeitlich im Gesetz nicht befristet ist. Unbefristete Wahlrechte können grundsätzlich bis zur Bestandskraft der jeweiligen Steuerbescheide ausgeübt werden und sind erst mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des entsprechenden Bescheides verbraucht (BFH-Urteil vom 30. August 2001 IV R 30/99, BFHE 196, 507, BStBl II 2002, 49 m.w.N.). Unanfechtbar ist eine Steuerfestsetzung, wenn sie nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens (§§ 347 f. AO) oder mit Rechtsbehelfen des Steuerprozesses (§§ 40 f., 115 f. FGO) angefochten werden kann (sog. formelle Bestandskraft).
Für den Streitfall bedeutet dies, dass die Kläger den Antrag nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG am 7. März 2002 ...