Rz. 89

Durch Gesetz v. 14.8.2007[1] ist S. 3 an Abs. 3 angefügt und damit die Schätzungsbefugnis und der Maßstab der Schätzung auf Fälle ausgedehnt worden, in denen nicht der Stpfl., sondern eine ihm nahestehende ausländische Person die Mitwirkungspflichten nicht erfüllt. Die Regelung knüpft gedanklich an § 1 Abs. 1 S. 2 AStG an, wonach fingiert wird, dass der Stpfl. bei der Vereinbarung der Verrechnungspreise alle wesentlichen Umstände, und damit auch bei dem Vertragspartner eingetretene relevante Faktoren, kennt. § 162 Abs. 3 S. 3 AO zieht daraus die verfahrensrechtlichen Konsequenzen, indem der Stpfl. in gewissem Umfang für die Nichterfüllung von Auskunftspflichten dieses Vertragspartners verantwortlich gemacht wird. Als Regelungsgrund der Vorschrift ist anzunehmen, dass die Sanktion für die Pflichtverletzung der nahe stehenden Person auf den Stpfl. verlagert wird, weil die nahestehende Person als "ausländische" nicht selbst dem Zugriff der Finanzverwaltung, z. B. im Weg der Erzwingung der Auskunft, zur Verfügung steht.

 

Rz. 90

Die Vorschrift ist am 18.8.2007 in Kraft getreten. Die genaue Bedeutung der Regelung über das Inkrafttreten ist unklar, und zwar deshalb, weil das Gesetz nicht bestimmt, ob die Pflichtverletzung der nahe stehenden Person oder die Schätzung nach dem 17.7.2007 erfolgt sein muss. M. E. ist die Vorschrift aus rechtsstaatlichen Gründen so auszulegen, dass die Pflichtverletzung nach Inkrafttreten erfolgt sein muss. Anderenfalls würden rückwirkend an ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten Rechtsfolgen geknüpft, die zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Tatbestands, nämlich der Verletzung der Mitwirkungspflichten, noch nicht galten. Das wäre eine echte Rückwirkung, die nicht durch Ausnahmetatbestände gerechtfertigt ist und daher verfassungswidrig wäre. Würde man die Vornahme der Schätzung als maßgebend ansehen, könnte die Finanzverwaltung noch an weit zurückliegende Sachverhalte, u. U. noch im finanzgerichtlichen Verfahren, ungünstige Schätzungsfolgen knüpfen, die zzt. der Verletzung der Mitwirkungspflicht noch nicht zulässig waren.

 

Rz. 91

Die Vorschrift greift ein, wenn der Stpfl. eine verwertbare Verrechnungspreisdokumentation i. S. d. § 90 Abs. 3 AO vorgelegt hat, also seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO erfüllt hat, und daher der Tatbestand des § 162 Abs. 3 S. 1 AO nicht vorliegt. Daher greift die Vermutung, dass seine steuerpflichtigen Einkünfte höher sind als erklärt, nicht ein. S. 3 greift ein, wenn trotz der Vorlage der verwertbaren Verrechnungspreisdokumentation Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die in der Verrechnungspreisdokumentation aufgeführten und erklärten Einkünfte. Die Vorschrift zielt nach der Begründung des Gesetzentwurfs auch auf die Fälle der Funktionsverlagerung, § 1 Abs. 3 AStG. Damit soll erreicht werden, dass die bei beteiligten ausländischen Unternehmen vorhandenen Unterlagen im Inland vorgelegt werden müssen.

 

Rz. 92

Die Vorschrift enthält durch Verweis auf S. 2 nur einen Schätzungsmaßstab, aber keine Regelung zur Zulässigkeit der Schätzung. Da die Vorschrift nur anwendbar ist, wenn Zweifel nicht aufgeklärt werden können[2], ist der Rechtsgrund für die Zulässigkeit der Schätzung § 162 Abs. 1 AO.[3] Die Anwendung des § 162 Abs. 3 S. 3 AO setzt nicht voraus, dass den Stpfl. selbst ein Schuldvorwurf trifft.[4] Das ist daher bei der Ermessensentscheidung der Finanzbehörde, ob dem Grunde nach geschätzt werden soll, zu berücksichtigen.[5]

 

Rz. 93

Aus der Formulierung, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen müssen, dass die Einkünfte höher sind als die erklärten, ergibt sich, dass die Vorschrift nur anwendbar ist, wenn die Einkünfte bereits "erklärt" sind, also eine Steuererklärung für den Vz abgegeben worden ist. Ist das nicht der Fall, etwa weil die Außenprüfung einen Vz prüft, für den noch keine Steuererklärung abgegeben wurde, gilt die Vorschrift nicht. Es müssen Anhaltspunkte vorliegen, dass die Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes[6] höher wären als in der Verrechnungspreisdokumentation und der Steuererklärung dargestellt. Es liegt im Verantwortungsbereich der Finanzbehörde, diese Anhaltspunkte zu ermitteln und darzulegen; Vermutungsregeln stehen ihr insoweit nicht zur Seite. Es müssen objektive Umstände, Indizien u. Ä. vorliegen, die auf die tatsächliche Unrichtigkeit der erklärten Einkünfte hindeuten, etwa Kontrollmitteilungen, Unstimmigkeiten in der Verrechnungspreisdokumentation usw. Diese tatsächlichen Anhaltspunkte können durch Verprobungen gewonnen werden.[7] Bei einer Funktionsverlagerung werden nach § 1 Abs. 3 S. 1 AStG auch spätere Entwicklungen berücksichtigt; in diesem Rahmen können "tatsächliche Anhaltspunkte" nach § 162 Abs. 3 S. 3 AO auch solche späteren Gewinnentwicklungen sein.[8] Bloße Vermutungen reichen nicht aus. Andererseits braucht die Unrichtigkeit der Angaben des Stpfl. auch nicht wahrscheinlich zu sein.

 

Rz. 94

Hinzu kommen muss, dass die Zwe...

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