Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 1
Die Vorschrift regelt die Drittwirkung von Steuerbescheiden in zwei verschiedenen Fallgruppen, nämlich bei Gesamtrechtsnachfolge und bei Bestehen eines Anfechtungsrechts des Zweitschuldners.
Die erste Fallgruppe (Gesamtrechtsnachfolge) betrifft Fallgestaltungen wie Erbfolge, Verschmelzung und Spaltung. Der Gesamtrechtsnachfolger tritt steuerlich in die Rechtsstellung des Vorgängers ein. Er muss daher verfahrensrechtlich den Stand des Verfahrens übernehmen, in dem sich das Verfahren bei Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge befand. War die Steuer gegenüber dem Rechtsnachfolger unanfechtbar festgesetzt, hat dies der Gesamtrechtsnachfolger gegen sich gelten zu lassen.
Die zweite Fallgruppe hat Bedeutung insbesondere im Haftungsverfahren. Grundsätzlich kann der Haftende geltend machen, dass die Steuerschuld, für die er haftet, nicht besteht bzw. unrichtig festgesetzt worden ist. Auch wenn diese Steuerschuld bestandskräftig festgesetzt worden war, ist der Haftende hieran nicht gebunden, da er an dem Festsetzungsverfahren nicht beteiligt war. Anderenfalls würde gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. Hiervon enthält § 166 AO jedoch eine Ausnahme. Bei Vorliegen des Tatbestands dieser Vorschrift kann der Haftende gegen den Haftungsbescheid nicht vorbringen, der Steuerbescheid gegen den Hauptschuldner sei unrichtig, wenn er in der Lage war, diesen Steuerbescheid anzufechten ("Drittwirkung").
Rz. 2
"Drittwirkung" bedeutet, dass die materiellen Wirkungen des Steuerbescheids (seine materielle Bestandskraft) auf eine oder mehrere Personen erstreckt werden, die nicht Adressaten des Steuerbescheids sind. Zweck der Vorschrift ist, den Streit über die materielle Richtigkeit des Verwaltungsakts im Verfahren gegen den Adressaten des Steuerbescheids, nicht im Verfahren gegen den Zweitschuldner auszutragen. Dies ist zweckmäßig, da Gründe für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Steuerbescheids aus der Sphäre des Adressaten des Steuerbescheids (des Erstschuldners) stammen und daher sinnvoll nur in dem gegen ihn gerichteten Verfahren geprüft werden können.
Rz. 3
Die Drittwirkung bedeutet daher, dass die materiellen Wirkungen eines Verwaltungsakts eine Person treffen, die nicht Verfahrensbeteiligter i. S. d. § 78 AO war; diese Person muss den Inhalt des Steuerbescheids gegen sich als richtig gelten lassen. Es besteht bei der Drittwirkung immer die Gefahr, dass Rechte dieser dritten Personen verletzt werden, da sie ihre Argumente nicht vorbringen konnten, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör beeinträchtigt und ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht berücksichtigt wird. Damit würde gegen die Rechtschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. Drittwirkung kann daher nur eintreten, wenn für sie eine klare gesetzliche Grundlage besteht und der Tatbestand so eingegrenzt wird, dass ein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie gegenüber dem Dritten ausgeschlossen erscheint. Für bestimmte Fälle bietet § 166 AO diese Rechtsgrundlage; es handelt sich aber um eine Ausnahmevorschrift, die restriktiv auszulegen ist.
Rz. 4
Nach § 166 AO tritt Drittwirkung nur bei Steuerfestsetzungen ein, d. h. bei Steuerbescheiden i. S. d. § 157 AO, sowie bei allen Verwaltungsakten, die wie Steuerbescheide behandelt werden. Keine Drittwirkung entfalten danach insbesondere Haftungs- und Duldungsbescheide.
Rz. 5
Der EG-ZK (VO/EWG Nr. 2913/92 v. 12.10.1992, VSF Z 02 00) enthält keine dem § 166 AO entsprechende Bestimmung. Die Vorschrift wird daher vom ZK nicht überlagert und bleibt für Einfuhr- und Ausfuhrabgaben sowie für Abschöpfungen anwendbar.