Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 11
Erklärt der Stpfl. die Aufrechnung gegen Ansprüche des FA aus dem Steuerschuldverhältnis, müssen seine Ansprüche, mit denen er gegen die Forderung der Finanzbehörde aufrechnet, nach Abs. 3 unbestritten oder rechtskräftig festgestellt sein. Dadurch wird verhindert, dass Finanzbehörde und FG auch über die Gegenforderung des Aufrechnenden, die privatrechtlicher Natur sein kann, entscheiden müssen. Dies gilt auch bei der Aufrechnung gegen Kirchensteueransprüche. Zum Verfahren bei rechtswegfremder Gegenforderung Rz. 64.
Ist die Finanzbehörde selbst zur Entscheidung über die aufrechnende Gegenforderung des Steuerschuldners befugt, liegt ein beachtenswertes Bestreiten der Finanzbehörde nur vor, wenn diese substanziierte Einwendungen erhebt. Lediglich formale und sachlich nicht beachtenswerte Einwendungen genügen nicht für ein Bestreiten. Ist dagegen eine andere Behörde als die den durch Aufrechnung zu tilgenden Steueranspruch verwaltende Behörde für die Entscheidung über den aufrechnenden Anspruch zuständig, hat der Aufrechnende darzulegen, dass seine Forderung unbestritten, d. h. durch Nichtbestreiten durch die zuständige Behörde anerkannt ist. Gleiches gilt, wenn es sich bei der aufrechnenden Gegenforderung um eine zivilrechtliche Forderung handelt. Es soll verhindert werden, dass die Durchsetzung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis lange Zeit durch ungewisse oder zweifelhafte Gegenforderungen aufgehalten wird. Da hier die Finanzbehörde nicht zur Entscheidung über diesen Anspruch befugt ist, genügt ein einfaches Bestreiten für die Unzulässigkeit der Aufrechnung durch den Stpfl. Einreden und Einwendungen, wie die Einrede der Verjährung, machen die Forderung zu einer "bestrittenen" Forderung, wenn die Einrede oder Einwendung, sollte sie zu Recht bestehen, die Aufrechnung ausschließen würde. Verjährung einer zivilrechtlichen Forderung schließt nach § 390 BGB die Aufrechnung nicht unbedingt aus.
Hat der Aufrechnende seine Forderung bei der zuständigen Behörde noch nicht erhoben, ist sie von dieser noch nicht geprüft und kann schon aus diesem Grund nicht unbestritten sein. Ein förmliches Bestreiten durch die zuständige Behörde ist in diesem Fall nicht notwendig. Die Finanzbehörde selbst braucht keine substanziierten Einwendungen zu erheben. Das ist Sache der für den Anspruch zuständigen Behörde. Rechtskräftig festgestellt ist die Forderung, wenn über sie eine endgültige rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliegt. Erweiternd ist hier der Begriff der Rechtskraft auch auf Verwaltungsakte auszudehnen, sodass auch eine endgültige bestandskräftige Verwaltungsentscheidung ausreicht.
Rz. 12
Die Forderung des Aufrechnenden muss im Zeitpunkt der Abgabe der Aufrechnungserklärung rechtskräftig festgestellt oder unbestritten sein. Auf frühere (erstmaliges Bestehen der Aufrechnungslage) und spätere Zeitpunkte (nachträgliches Bestreiten nach Aufrechnung mit einer zu diesem Zeitpunkt unbestrittenen Forderung) kommt es nicht an.
Rz. 13
Die Forderung des aufrechnenden Steuergläubigers braucht nicht unbestritten zu sein. Eine Aufrechnung ist also auch möglich, wenn die aufrechnende Steuerforderung der Finanzbehörde durch den Stpfl. angefochten ist. Zum Verfahren in diesen Fällen vgl. Rz. 63.
Die Steuerforderung, mit der die Finanzbehörde aufrechnen will, muss aber festgesetzt sein, wenn das Gesetz eine Festsetzung vorsieht, da sonst keine Grundlage für das Erhebungsverfahren besteht. Die Aufrechnung ist eine Maßnahme des Erhebungsverfahrens, das frühestens mit Festsetzung der Steuer eingeleitet werden kann. Sieht das Gesetz keine Festsetzung vor, wie bei Säumniszuschlägen, braucht für die Aufrechnung keine Festsetzung zu erfolgen. Dies gilt auch dann, wenn die aufrechnenden Ansprüche durch den Stpfl. bestritten werden.
Rz. 14
Hat der aufrechnende Steuergläubiger mehrere Forderungen oder bestehen gegen ihn mehrere Forderungen, so kann er bestimmen, welche Forderungen durch Aufrechnung erlöschen sollen. Er ist an die Tilgungsreihenfolge des § 225 AO nicht gebunden. Stattdessen gilt § 396 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach der Aufrechnende bestimmen kann, welche von mehreren Forderungen durch Aufrechnung getilgt werden sollen. Nimmt der Aufrechnende keine solche Bestimmung vor oder widerspricht der Aufrechnungsgegner, gilt nach § 396 Abs. 1 S. 2 BGB die Regelung des § 366 Abs. 2 BGB. Danach wird zuerst die fällige Schuld getilgt, bei mehreren fälligen Schulden diejenige, die dem Gläubiger geringere Sicherheiten bietet, bei gleich gesicherten die dem Schuldner lästigere sowie bei gleich lästigen die ältere Schuld. Bei gleichem Alter wird jede Schuld verhältnismäßig getilgt. Schuldet der aufrechnende Teil auch Zinsen und Kosten, gilt nach § 396 Abs. 2 BGB die Regelung des § 367 BGB. Danach erfolgt zuerst die Tilgung der Kosten, dann der Zinsen, und zuletzt der Hauptleistung. Die Nichtanwendung des § 225 AO ist gerechtfertigt, da diese Vorschrift eine hoheitliche Erhebung der Abgaben voraussetzt, bei Aufre...