Rz. 118
Die Anwartschaft auf Straffreiheit wird durch eine Richtigstellung begründet. Nach § 371 Abs. 1 AO sind die unrichtigen Angaben zu berichtigen, die unvollständigen Angaben zu ergänzen oder die unterlassenen Angaben nachzuholen, und zwar in vollem Umfang. Aufgrund dieser "Richtigstellung" muss die eingetretene oder mögliche Steuerverkürzung kompensiert werden. Eine "Richtigstellung" liegt stets dann vor, wenn durch die Korrektur der Tathandlung nunmehr also die steuerlich materiell zutreffende Regelung ermöglicht wird.
Rz. 119
Die allgemeine Pflicht im Besteuerungsverfahren zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen gem. § 90 Abs. 1 S. 2 AO und § 150 Abs. 2 AO besteht uneingeschränkt auch für die Selbstanzeigeerklärung. Die Richtigstellung hat vollständig und wahrheitsgemäß zu erfolgen. Nur dann ist die "Rückkehr zur Steuerehrlichkeit" (Rz. 10, 119) gegeben und damit die Voraussetzung für die Straffreiheit erfüllt.
Rz. 120
Das Ziel einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Richtigstellung kann in der Praxis aus unterschiedlichen Gründen nicht immer erreicht werden. Fraglich ist demgemäß, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Selbstanzeigeerklärung nicht zur Richtigstellung der Besteuerung führt.
Basierend auf der Rechtsprechung des RG geht der BGH und ihm folgend die Kommentarliteratur davon aus, dass eine Richtigstellung dann nicht vorliegt, wenn die Selbstanzeigeerklärung neue erhebliche Unrichtigkeiten zugunsten des Anzeigenden enthält, sodass die mit Fehlern behaftete Selbstanzeige unwirksam ist. Dasselbe gilt, wenn die Selbstanzeige ausschließlich fiktive und damit unrichtige Angaben zu einem erfundenen Sachverhalt enthält. In diesem Fall kann sich daraus – selbst wenn die Erklärung zum betragsmäßig zutreffenden steuerlichen Ergebnis führt – die Unwirksamkeit der Selbstanzeige ergeben.
Rz. 121
Eine Richtigstellung fehlt ebenso, wenn der Stpfl. unterlassene Angaben stillschweigend nachholt, indem er die in einem anderen Steuerabschnitt unterlassenen Angaben dadurch nachholt, dass er sie als für den nunmehr erklärten Steuerabschnitt maßgeblich, aufführt.
Der Stpfl. S nahm Einkünfte i. H. v. 1.000 EUR, die er aus schriftstellerischer Tätigkeit im Jahr 2013 hatte, nicht in seine Steuererklärung auf, die er im Jahr 2014 abgab.
Da ihn die Steuerhinterziehung reute, er jedoch nicht offenlegen wollte, dass er Steuern hinterzogen hat, erklärt S in seiner Steuererklärung 2014 zusätzlich zu den tatsächlichen Einkünften weitere 1.000 EUR.
In diesem Beispiel werden die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen nicht offengelegt, sondern im Gegenteil weiter verschleiert. Folglich kommt dieser Erklärung keine Selbstanzeigequalität zu. Die Eröffnung zusätzlicher Steuerquellen kann unter dem Gesichtspunkt der Schadenswiedergutmachung strafmildernd berücksichtigt werden, sodass u. U. sogar das Strafverfolgungsbedürfnis vollständig entfällt.