Rz. 1
§ 380 AO ist als Blankettvorschrift ausgestaltet und wird durch die Einzelsteuergesetze ausgefüllt, da sich aus Letzteren die steuerlichen Pflichten ergeben, deren Verletzung durch § 380 AO bußgeldrechtlich geahndet werden kann. Danach verstößt gegen § 380 AO, wer entgegen einer ihm obliegenden steuerlichen Pflicht – z. B. aus §§ 38 – 42f EStG (LSt) oder §§ 43 – 45e EStG (KapESt) – Steuerabzugsbeträge nicht (rechtzeitig) abführt. Mithin handelt es sich bei § 380 AO um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. Rz. 21).
Rz. 2
Problematisch ist hingegen die sich aus der Überschrift der Norm ergebende Charakterisierung von § 380 AO als Gefährdungsdelikt. Es ist zutreffend, dass der Tatbestand die Nicht-Einbehaltung bzw. Nicht-Abführung und somit das Eintreten eines bestimmten tatbestandlichen Erfolgs voraussetzt. Die Norm kann somit im Hinblick auf die Abzugsteuer durchaus als Erfolgsdelikt angesehen werden, dessen Tatbestand lediglich dann erfüllt wird, wenn der Verpflichtete Steuerabzugsbeträge nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig abführt. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass § 380 AO bzgl. der Steuer, für die die Abzugsteuer Abgeltungswirkung entfaltet bzw. auf die die Abzugsteuer anzurechnen ist, sehr wohl eine Gefährdungslage sanktioniert.
Rz. 3
§ 380 AO hat zwei Schutzrichtungen. Einerseits wird das Interesse der Allgemeinheit am rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen der jeweiligen Steuerabzugsbeträge geschützt, indem § 380 AO – anders als die §§ 370, 378 AO – nicht die verspätete oder falsche Deklaration von Steuern sanktioniert, sondern die Nicht- oder nicht vollständige Abführung der Steuern in einem besonderen Steuererhebungsverfahren (Steuerabzug). Dieses geschützte Steuererhebungsverfahren soll jedoch die zuverlässige, vollständige und schnelle Erfassung der Steuern an der Quelle sicherstellen.
Andererseits schützt § 380 AO das Interesse des (primären) Steuerschuldners, für den die Abzugsteuer Abgeltungswirkung entfaltet bzw. für den die Abzugsteuer einen Steueranrechnungsbetrag darstellt. Dies ergibt sich daraus, dass § 380 AO nur abzuführende fremde Steuern erfasst und der Steuerabzugspflichtige zwar Stpfl. i. S. d. § 33 Abs. 1 AO ist, primärer Steuerschuldner aber derjenige bleibt, zu dessen Gunsten die Steuern an der Quelle abgeführt werden und zu dessen Gunsten die Abzugsteuern Abgeltungscharakter entfalten oder anzurechnen sind.
Da somit § 380 AO (auch) den Schutz der Verpflichtungen bezweckt, die dritten Personen im Verhältnis zu fremden Steuerschulden obliegen und diese dritten Personen in einem gewissen Treueverhältnis zur Finanzbehörde stehen, hat der Tatbestand des § 380 AO einen "an die Untreue anklingenden Unrechtsgehalt".
Rz. 4
Darüber hinaus hat § 380 AO die Wirkung eines Auffangtatbestands, da er in entsprechenden Fällen eingreift, wenn die konkrete Tat nicht als Steuerhinterziehung gem. § 370 AO oder als leichtfertige Steuerverkürzung gem. § 378 AO geahndet werden kann (vgl. Rz. 49ff.).
Rz. 5
Anzuwenden ist § 380 AO auf alle Abzugsteuern, d. h. auf
- die Lohnsteuer (vgl. Rz. 9ff.),
- die Kapitalertragsteuer (vgl. Rz. 13),
- die Bauabzugsteuer (vgl. Rz. 14),
- die Aufsichtsrat- bzw. die Vergütungsteuer (vgl. Rz. 15f.),
nicht hingegen auf
- die pauschale Einkommensteuer (vgl. Rz. 11),
- die pauschale Lohnsteuer (vgl. Rz. 12),
- die Lohnkirchensteuer (vgl. Rz. 17),
- die Umsatzsteuer (vgl. Rz. 18f.),sowie
- die Versicherungsteuer (vgl. Rz. 20).