Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 11
Der wesentlichen Beteiligung wird im Weg der Fiktion nach Abs. 2 S. 2 der Fall gleichgestellt, in dem der Eigentümer auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausübt und sein Verhalten ursächlich dafür ist, dass Zahlungen auf fällige Steuern nicht entrichtet werden. Das kann für Eigentümer gelten, die nicht oder nicht wesentlich kapital- oder vermögensmäßig beteiligt sind. Für die Ausübung des beherrschenden Einflusses kommt es auf die tatsächlichen Möglichkeiten und ihre Ausnutzung an, nicht auf die rechtlichen. Wer zwar rechtlich die Gelegenheit zur Beherrschung hätte, sie jedoch nicht nutzt, kommt für eine Haftung nach dieser Vorschrift nicht infrage.
Die Grundlage des beherrschenden Einflusses kann in der rechtlichen, tatsächlichen (z. B. Überzeugungskraft, persönliche Ausstrahlung), persönlichen, politischen Stellung oder an anderen Faktoren liegen. Sie können auch zusammenwirken. So ist es denkbar, dass verwandtschaftliche Beziehungen einen beherrschenden Einfluss hervorbringen. Auf diese Weise kann auch nach der Beseitigung der Angehörigeneigenschaft als Näheverhältnis des § 115 RAO die Haftung einer Person nach § 74 AO aufgrund seiner Familienstellung gegeben sein. Allein die Angehörigeneigenschaft reicht nicht. Wennn sie allerdings als Ausgangspunkt für die tatsächliche Beherrschung eingesetzt wird, ist ein beherrschender Einfluss i. S. d. § 74 Abs. 2 S. 2 AO möglich. Einen beherrschenden Einfluss auf ein Unternehmen kann so eine an ihm nicht oder nur unwesentlich beteiligte Person ausüben, deren Ehegatte und/oder Kinder zusammen Mehrheitsgesellschafter sind, wenn sie deren Anteile mit vertritt. Der Alleingeschäftsführer einer GmbH, dessen Ehefrau einziger Gesellschafter ist, kann ebenso einen beherrschenden Einfluss ausüben. Das gilt auch für das Kreditinstitut, das über seine Kreditbedingungen im Einzelfall beherrschend einwirkt, für einen Generalbevollmächtigten mit einer entsprechenden Stellung, für den übermächtigen alleinigen Abnehmer der Waren des Unternehmens (z. B. bei Zulieferern eines Automobilherstellers) oder für einen entsprechenden Alleinbelieferer. Auch ein Nießbraucher kann einen beherrschenden Einfluss ausüben.
Rz. 12
Der Eigentümer des Gegenstands muss außerdem im Rahmen der Einflussmöglichkeiten durch Tun oder Unterlassen ursächlich dazu beigetragen haben, dass die für die Haftung in Betracht kommenden Steuern bei Fälligkeit nicht entrichtet worden sind. Es handelt sich hier um eine punktuelle Voraussetzung, die bei der Haftung für einen bestimmten Steuerbetrag als zusätzliche Komponente und Ausdruck der fiktiven wesentlichen Beteiligung hinzukommen muss. § 74 Abs. 2 S. 2 AO fordert ausdrücklich, dass der Eigentümer des Gegenstands "durch sein Verhalten" dazu beiträgt, dass fällige Steuern nicht entrichtet werden. Ein Mitverursachen durch Handeln oder Unterlassen reicht aus. Ein Veranlassen ist nicht erforderlich. Muss z. B. der Unternehmer bei der beherrschenden Person im Rahmen des Überschreitens einer Kreditlinie für jede Überweisung oder Auszahlung die Zustimmung des Kreditgebers einholen, so wäre die Bereitstellung ausreichender Mittel für andere Zwecke bei Verweigerung der Zustimmung zur Zahlung der Steuern ein ausreichender Beitrag zur Nichtzahlung, um die Haftung auszulösen. In solchen Fällen dienen in der Praxis auch sehr häufig zur Sicherheit übereignete Gegenstände dem Unternehmen des Kreditnehmers. Eigene Mittel muss der Eigentümer dagegen nicht einsetzen.