Rz. 9
Zitat
§ 198 GVG
(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs. 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß S. 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß S. 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.
(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.
(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Abs. 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.
(6) I.S. dieser Vorschrift ist
1. |
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren; |
2. |
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind. |
Rz. 10
Entschädigungsansprüche sind möglich, wenn ein Gerichtsverfahren i. S. d. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG unangemessen dauert. Damit kommen Entschädigungsansprüche auch für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes oder auch Prozesskostenhilfeverfahren in Betracht.
Rz. 11
Einen möglichen Entschädigungsanspruch kann nur ein Verfahrensbeteiligter i. S. d. § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG geltend machen. Dies ist allerdings gem. § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG nicht die beklagte Finanzbehörde, da diese nicht Grundrechtsträger ist. Ebenso wenig fallen Zeugen, Sachverständige oder Prozessbevollmächtigte hierunter, es sei denn, es geht um ihre eigenen Rechte, wie z. B. nach § 4 JVEG oder § 11 RVG.
Rz. 12
Ein Entschädigungsanspruch setzt des Weiteren voraus, dass das Verfahren unangemessen dauert. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (§ 198 Abs. 1 S. 2 GVG), wobei es nicht auf ein Verschulden des Spruchkörpers ankommt. Daraus ergibt sich, dass es keinen festen Zeitrahmen dafür gibt, ab wann ein Verfahren unangemessen dauert. Jedenfalls ist im Rahmen der Umstände des Einzelfalls der richterlichen Unabhängigkeit Rechnung zu tragen. Im Übrigen sind in § 198 Abs. 1 S. 2 GVG nur beispielhaft Umstände aufgezählt, die berücksichtigt werden können.
Nach Auffassung des BFH sind dabei folgende Grundsätze zu beachten: Grundlage ist eine Abwägung zwischen einem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf Entscheidung in angemessener Zeit und anderen hochrangigen Grundsätzen, da die zügige Erledigung des Rechtsstreits als solche kein Selbstzweck ist. Als solcher gleichermaßen zu berücksichtigender Grundsatz kommt beispielsweise der Anspruch auf Gewä...