Rz. 17
Im Rahmen einer Aufrechnung unterliegt das materiell-rechtliche Bestehen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, mit der das FA gegen einen Steuererstattungs- oder der Stpfl. gegen einen Steuernachzahlungsanspruch aufgerechnet hat (sog. Gegenforderung), der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung im sog. Abrechnungsverfahren i. S. d. § 218 Abs. 2 AO. Die Aufrechnung ist jedoch nur wirksam, wenn die Gegenforderung materiell-rechtlich besteht, was im vorgreiflichen Anfechtungsverfahren gegen den dieser Forderung zugrunde liegenden Steuerverwaltungsakt zu prüfen ist. Das den Abrechnungsbescheid betreffende Klageverfahren ist deshalb nach § 74 FGO auszusetzen.
Rz. 18
Grundsätzlich ist auch eine Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung (z. B. einer zivilrechtlichen Forderung) materiell-rechtlich zulässig und verfahrensrechtlich wirksam, wenn die rechtswegfremde Forderung unstrittig oder rechtskräftig festgestellt ist. Das FG, das im Rahmen des Abrechnungsverfahrens zur Entscheidung über die Hauptforderung zuständig ist, braucht dann über das Bestehen der Gegenforderung nicht zu entscheiden.
Ist die zur Aufrechnung gestellte rechtswegfremde Gegenforderung aber nicht rechtskräftig festgestellt und wird sie vom Aufrechnungsgegner bestritten, darf das FG über das Bestehen dieser Gegenforderung grundsätzlich nicht mitentscheiden. Vielmehr ist das finanzgerichtliche Verfahren über den Abrechnungsbescheid regelmäßig auszusetzen, bis das zuständige Gericht über den Bestand der zur Aufrechnung gestellten rechtswegfremden Gegenforderung entschieden hat (Ermessensreduzierung auf Null). Denn das FG, das zur Entscheidung über die steuerliche Hauptforderung zuständig ist, darf über das Bestehen einer rechtswegfremden – zur Aufrechnung gestellten – Gegenforderung nicht mitentscheiden, wenn diese bestritten wird und nicht rechtskräftig festgestellt ist. Solange nicht rechtskräftig entschieden ist, ob die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung besteht oder nicht, kann das FG daher keine Entscheidung treffen. Insbesondere erstreckt sich die Ausweitung des gerichtlichen Prüfungsumfangs durch die Regelung des § 17 Abs. 2 S. 1 GVG nicht auf den Fall der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung, weil es sich bei der zur Aufrechnung gestellten rechtswegfremden Forderung nicht um einen "rechtlichen Gesichtspunkt" handelt, sondern um ein selbständiges Gegenrecht, das dem durch die Klage bestimmten Streitgegenstand einen weiteren selbständigen Gegenstand hinzufügt. Denn nach § 322 Abs. 2 ZPO ist die Entscheidung, dass eine Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrags, für den die Aufrechnung geltend gemacht wird, der materiellen Rechtskraft fähig. Es besteht somit die Gefahr, dass ein an sich nicht zuständiges Gericht mit Bindungswirkung gegenüber den nach der Rechtswegzuständigkeit entscheidungsbefugten Gerichten über das Nichtbestehen der zur Aufrechnung gestellten Forderung entscheidet. Die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung ist insoweit vergleichbar mit den Fällen der objektiven Klagehäufung sowie der Widerklage, für die ebenfalls keine Entscheidungsbefugnis besteht. Ein Verstoß hiergegen ist ein Verfahrensfehler.
Rz. 19
Zu dieser Ermessensreduzierung auf Null kommt es jedoch nicht ausnahmslos. Ausnahmsweise können die FG auch über nicht rechtskräftig festgestellte und bestrittene Gegenforderungen entscheiden, wenn die Entscheidung nicht in Rechtskraft erwächst. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein Zessionar klagt und ihm gegenüber nach § 406 BGB mit einer Forderung gegen den Zedenten aufgerechnet wird. Denn die Rechtskraft eines Urteils erstreckt sich nur auf die Beteiligten des Verfahrens und ihre Rechtsnachfolger, nicht aber auf den Zedenten als den Rechtsvorgänger des an dem Prozess beteiligten Zessionars. Ist danach am Klageverfahren zwischen dem Zessionar und dem Anspruchsgegner der Zedent nicht beteiligt, liegt außerhalb des Anwendungsbereichs des § 406 BGB mangels Rechtskrafterstreckung keine Ermessensreduzierung auf null vor. Das Bestehen der rechtswegfremden Gegenforderung ist in einem solchen Fall auch dann lediglich eine Vorfrage zur Aufrechnung und von der Entscheidungsbefugnis der Finanzgerichtsbarkeit gem. § 17 Abs. 2 GVG umfasst. Macht z. B. eine Ehefrau einen ihr von ihrem Ehemann abgetretenen Steuererstattungsanspruch durch eine Klage gegen einen Abrechnungsbescheid geltend, so ist das FG auch zur Entscheidung über das Bestehen einer Bürgschaftsforderung, mit welcher das FA gegenüber dem nicht an dem Klageverfahren beteiligten Ehemann aufrechnet, befugt. Die FG können daher ebenso bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Abrechnungsbescheiden in sog. Bauträgerfällen auch über den Bestand und die Durchsetzbarkeit der – dem FA von den Bauleistenden abgetretenen – zivilrechtlichen Werklohnforderungen entscheiden. In diesen Fällen steht es allerdings weiterhin grundsätzlich im Ermessen des FG, ob es das Verfahren gem. § 74 FGO auss...