Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Nachprüfung von Ermessensentscheidungen. verschuldensunabhängige Ausgestaltung der Vollverzinsung. Zinssatz als sachlicher Billigkeitsgrund. keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe des Zinssatzes bei Zinslauf bis November 2011
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Entscheidung über den Erlass von Nachzahlungszinsen ist eine Ermessensentscheidung des FA und unterliegt deshalb gemäß § 102 FGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle dahingehend, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
2. Die sog. Vollverzinsung nach § 233a AO ist sowohl für Steuernachzahlungen als auch für Erstattungen bewusst verschuldensunabhängig ausgestaltet worden, um Streitigkeiten über die Ursachen einer späten Steuerfestsetzung zu vermeiden. Danach führt auch eine lange Verfahrensdauer grundsätzlich nicht zur sachlichen Unbilligkeit.
3. Allein der Umstand, dass der Steuerpflichtige sich auch im Rahmen von Einsprüchen gegen die Zinsbescheide gegen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes hätte wenden können, schließt es nicht aus, dass er diese Einwände grundsätzlich auch im Erlassverfahren als sachliche Billigkeitsgründe vorbringen kann.
4. Bezogen auf den Zeitraum vom 1.4.2006 bis 21.11.2011 bestehen keine (verfassungs-) rechtlichen Bedenken gegen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes.
Normenkette
AO § 233a Abs. 1 S. 1, §§ 238, 227, 5; FGO § 102; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Erlass von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO aus sachlichen Billigkeitsgründen.
Die Klägerin ist eine im Bereich der Gastronomie tätige GmbH.
Der Beklagte änderte am 17.11.2011 die Bescheide für 2004 bis 2006 über Körperschaftsteuer sowie über Umsatzsteuer aufgrund einer für diese Kalenderjahre durchgeführten Betriebsprüfung und setzte jeweils Nachzahlungszinsen nach § 233a AO fest. Im Klageverfahren gegen die Änderungsbescheide fand am 23.01.2013 ein Erörterungstermin statt, in dessen Rahmen sich der Beklagte auf Hinweis des Gerichts bereit erklärte, die durch die Betriebsprüfung erfolgten Erlöszuschätzungen zu vermindern. Daraufhin erließ der Beklagte am 19.06.2013 geänderte Steuerbescheide sowie geänderte Bescheide über die Festsetzung von Nachzahlungszinsen.
Mit Schreiben vom 25.06.2013 beantragte die Klägerin den Erlass der Zinsen. Der ursprüngliche Prüfungsbericht sei beim steuerlichen Berater nicht angekommen. Erst mit der Änderung der Bescheide im November 2011 habe die Klägerin davon Kenntnis erhalten. Eine Kopie des Prüfungsberichts sei erst im März 2012 übersandt worden. Eine Schlussbesprechung habe erst im Rahmen eines Klageverfahrens gegen die Steuerbescheide im Januar 2013 stattgefunden, in welcher auch Einigung erzielt worden sei. Die geänderten Bescheide seien wiederum zeitlich verzögert ergangen.
Der Beklagte lehnte den Erlassantrag mit Verfügung vom 03.07.2013 ab. Im Rahmen ihres hiergegen gerichteten Einspruchs machte die Klägerin geltend, dass sie an der erheblichen Zeitverzögerung nur ein geringes Verschulden trage. Zudem überstiegen die festgesetzten Zinsen den Vorteil der Kapitalnutzung. Aufgrund der Höhe der Nachzahlung, der Länge der Zeit zwischen Prüfungsbeginn und Schlussbesprechung und der Art der Prüfungsfeststellungen (Zuschätzungen) sei hier ein Erlass durchaus angemessen und geboten.
Zum Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung stand die Zahlung von Nachzahlungszinsen i.H.v. 10.709 EUR aus. Diese setzten sich wie folgt zusammen:
Zinsen zur Umsatzsteuer 2004 |
2.194,00 EUR |
Zinsen zur Umsatzsteuer 2005 |
879,00 EUR |
Zinsen zur Umsatzsteuer 2006 |
1.580,00 EUR |
Zinsen zur Körperschaftsteuer 2004 |
2.763,00 EUR |
Zinsen zur Körperschaftsteuer 2005 |
1.154,00 EUR |
Zinsen zur Körperschaftsteuer 2006 |
2.139,00 EUR |
Allen Zinsfestsetzungen lag jeweils ein Zinslauf vom 01.04.2006 bis 21.11.2011 zugrunde.
Nach erfolglosem Einspruch verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der Klage weiter und macht geltend: Sachliche Billigkeitsgründe lägen vor: Im Streitfall habe die eigentliche Steuerfestsetzung, d.h. die Festsetzung der steuerlichen Hauptleistungen Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer für die Kalenderjahre 2004 bis 2006, auf einer Schätzung durch den Beklagten beruht. Die Steuerfestsetzungen seien offensichtlich und eindeutig unrichtig gewesen. Denn ausweislich der Niederschrift über den Erörterungstermin habe das Gericht darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht sachliche Gründe vorlägen, die dafür sprächen, dass tatsächlich geringere Umsätze erzielt worden seien als nach der Kalkulation durch die Betriebsprüfung. Die Klägerin trägt einzelne Umstände vor, aus denen sich ergebe,...