Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung des FA bei Erlass eines Investitionszulagenbescheids an die Einordnung des Unternehmens in die Klassifikation der Wirtschaftszweige durch das Landesamt für Statistik
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Einordnung eines Betriebs in einen bestimmten Wirtschaftszweig auf der Grundlage des jeweils gültigen Verzeichnisses der Wirtschaftszweige durch das Statistische Landes- oder Bundesamt entfaltet Bindungswirkung für die Finanzämter, soweit sie nicht zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führt.
2. Die Ausnahme von der Verpflichtung zur Übernahme, wenn diese zu einem „offensichtlich falschen” Ergebnis führt, ist entsprechend der Systematik der Abgabenordnung zu verstehen, sodass nur offenbare Unrichtigkeiten im Sinne von § 129 AO und schwere, offenkundige Fehler im Sinne des § 125 AO zur Abweichung berechtigen. Nach diesem Verständnis ist dem Finanzamt eine generelle Überprüfung der mit der Einordnung verbundenen Sachund Rechtsfragen verwehrt. Denn ansonsten wäre die Überprüfung der Einordnung durch die Finanzämter und Finanzgerichte immer eine Vollprüfung, was mit der Einschränkungder Prüfungskompetenz auf „offensichtlich falsche Ergebnisse” unvereinbar wäre.
3. Die Einstufung eines Recyclingbetriebes als Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes führt auch dann nicht zu einem offenbar unrichtigen Ergebnis in diesem Sinne (LS. 2), wenn das Unternehmen die Höhe des originär dem verarbeitenden Gewerbe zuzurechnenden Anteils an seiner Wertschöpfung nicht belegen kann.
Normenkette
InvZulG 1999 § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AO §§ 125, 129
Nachgehend
Tenor
1. Der Investitionszulagebescheid vom 12.12.2005, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.04.2007, wird dahingehend geändert, dass für das Jahr 2004 eine Investitionszulage in Höhe von 34.750 EUR festgesetzt wird.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen eines Anspruchs auf Investitionszulage, ob die Einordnung des Unternehmens in die Klassifikation der Wirtschaftszweige durch das Landesamt für Statistik für das Finanzamt bindend ist.
Die Klägerin betreibt ihr Unternehmen in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft (KG). Im Jahr 2004 erwarb sie für ihren Betrieb einen Radlader Volvo 2 110 E zum Preis von 139.000 EUR, für den sie im Februar 2005 eine Investitionszulage nach § 2 des Investitionszulagegesetzes 1999 (InvZulG) beim Beklagten beantragte. In ihrem Antrag gab die Klägerin an, sie unterhalte einen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes i.S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InvZulG mit dem Unternehmensgegenstand: „Bearbeiten und Aufbereiten von Mauerwerk, Beton, Stahlbeton, Natursteinen, Schlacken und analog Baurückständen, Abbruchmaterial und Stoffen zu Materialien verschiedener Körnungen unter Berücksichtigung der Normative zur Wiederverwertung. Der Handel und die Vermarktung der aufbereiteten Stoffe und entstehenden Produkte”. Der wirtschaftliche Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin besteht tatsächlich in der mechanischen Bearbeitung von Betonbruch, Naturgestein und Ziegelbruch durch Brechen, Sieben und Konditionieren durch einen sogenannten Backenbrecher. Die Brecherarbeiten führt die Klägerin als Lohnunternehmerin auf den Baustellen ihrer Auftraggeber aus. Die Auftraggeber bestimmen die Korngröße des zu zerkleinernden Materials. In Abhängigkeit von der Körnung können die so entstandenen Kiese oder Sande u.a. als untere Tragschicht im Straßenbau oder als Zuschlagstoff für Betonfertigteile, Rohre, Kanalbauteile, Pflastersteine etc. Verwendung finden. Da die Klägerin kein Eigentum an den hergestellten Produkten erwirbt, kann sie nicht belegen, in welchem Umfang die Produkte tatsächlich z.B. als Ersatzschotter im Straßenbau oder als Zuschlagstoff bei der Herstellung von Betonfertigteilen eingesetzt werden. Fest steht lediglich, dass im Streitjahr 23,2 v.H. des Umsatzes der Klägerin auf Abbrucharbeiten sowie 76,8 v.H. auf Brecherleistungen entfielen, wobei darin das in geringen Mengen erforderliche Sortieren und Entsorgen des beim Abriss und Brechen anfallenden Papiers, Kunststoffs, Glas etc. enthalten ist.
Die Klägerin war in den Jahren zuvor, entsprechend der damals gültigen Systematik der Wirtschaftszweige 1993 (WZ 1993), vom Beklagten mit ihrem Betrieb als Ganzes in die Unterklasse 37.20.5 Recycling von sonstigen Altmaterialien und Reststoffen und damit als ein nach dem Investitionszulagegesetz begünstigtes verarbeitendes Gewerbe eingestuft worden. In der für das Streitjahr anzuwenden Systematik der Wirtschaftszweige 2003 (WZ 2003) wurden Recyclingbetriebe erstmals als Mischbetriebe angesehen, die mehrere nach der...