BMF, Schreiben vom 17.3.2021, IV B 5 - S 1351/19/10002 :001 (DOK 2021/0290319), BStBl I 2021, 342
Veröffentlichung der BFH-Urteile vom 22. Mai 2019 – I R 11/19 – und vom 18. Dezember 2019 – I R 59/17 –
Unter Bezugnahme auf die Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt für die Anwendung des § 8 Absatz 2 AStG, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit im Rahmen der §§ 7 bis 14 AStG, Folgendes:
I. Rechtsprechung des BFH
Mit Urteil vom 22. Mai 2019 – I R 11/19 – (vormals I R 80/14), BStBl II …, hat der BFH entschieden, dass die aufgrund des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Änderungen des Systems der Hinzurechnungsbesteuerung dazu geführt haben, dass die sog. Standstill-Klausel des Artikels 57 Absatz 1 EG (jetzt: Artikel 64 Absatz 1 AEUV) keine Anwendung mehr findet. Daher muss sich die sog. erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Absatz 6 und 6a AStG auch im Zusammenhang mit Direktinvestitionen hinsichtlich einer in einem Drittstaat ansässigen Zwischengesellschaft fortan an der Kapitalverkehrsfreiheit (Artikel 56 Absatz 1 EG, jetzt: Artikel 63 Absatz 1 AEUV) messen lassen. Die in der Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter liegende Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit kann aber aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, insbesondere der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung, gerechtfertigt werden. Das gilt jedoch nicht, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die Beteiligung an dieser Gesellschaft nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht (Entlastungsbeweis). Diese Nachweismöglichkeit muss dem Steuerpflichtigen jedoch nur dann gewährt werden, wenn rechtliche, insbesondere vertragliche Verpflichtungen des Drittstaates gegenüber den deutschen Steuerbehörden bestehen, die es tatsächlich ermöglichen, gegebenenfalls die Richtigkeit dieser Angaben zu überprüfen.
Mit Urteil vom 18. Dezember 2019 – I R 59/17 –, BStBl II … hat der BFH u. a. entschieden, dass nicht nur die Hinzurechnung von Einkünften mit Kapitalanlagecharakter nach § 7 Absatz 6 und 6a AStG, sondern auch die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Absatz 1 AStG in Drittstaatenkonstellationen an der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen ist und insofern gleichermaßen die Grundsätze des Urteils des BFH vom 22. Mai 2019 – I R 11/19-, gelten. Der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit wird nicht schon aufgrund des Vorrangs der Niederlassungsfreiheit gesperrt, weil für § 7 Absatz 1 AStG auch die Beteiligung an der Zwischengesellschaft zu mehr als der Hälfte durch mehrere vertraglich nicht verbundene und auch sonst einander nicht nahestehende Steuerpflichtige tatbestandsmäßig ist.
II. Anwendung des § 8 Absatz 2 AStG (Entlastungsbeweis)
Nach der BFH-Rechtsprechung muss der Steuerpflichtige nachweisen, dass es sich bei der gewählten Gestaltung nicht um eine künstliche Gestaltung handelt, um damit die Anwendung der §§ 7 – 14 AStG auszuschließen. Im Fall der Beteiligung an Gesellschaften, die in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (EU/EWR-Staaten) ansässig sind, wird diese Nachweismöglichkeit durch § 8 Absatz 2 AStG konkretisiert. Bei Beteiligung an Gesellschaften, die in Drittstaaten ansässig sind, ist § 8 Absatz 2 AStG bei Vorliegen der unter III. dargestellten weiteren Voraussetzungen darüber hinaus ebenfalls sinngemäß anzuwenden.
Dies gilt auch für in EU/EWR-Staaten ansässige Kapitalanlagegesellschaften i. S. d. § 7 Absatz 6 AStG; die Kapitalverkehrsfreiheit geht der Anwendung des § 21 Absatz 21 Satz 3 AStG (zeitliche Einschränkung für Wirtschaftsjahre nach dem 31. Dezember 2012) vor.
Der Steuerpflichtige hat gemäß § 8 Absatz 2 AStG nachzuweisen, dass die Zwischengesellschaft einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit im Aufnahmestaat nachgeht, vgl. BT-Drucksache 16/6290 S. 92.
Für den Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nach § 8 Absatz 2 AStG gilt, dass
- eine gezielte Nutzziehung der Ressourcen im Aufnahmestaat vorliegen muss, z. B. gut ausgebildetes Personal oder günstige Produktionsbedingungen im Rahmen der Beschaffungsmarktaktivität oder z. B. besondere Kundennähe im Rahmen der Absatzmarktaktivität. Die Ausübung der Geschäftstätigkeit im Aufnahmestaat muss hierbei einen relevanten Umfang erfordern und erreichen. Die Teilnahme am dortigen Marktgeschehen muss aktiv, ständig und nachhaltig sein. Für Kapitalanlagegesellschaften bedeutet dies, dass der Kapitalbeschaffungs- oder Investitionsmarkt im Aufnahmestaat liegt. Nicht ausreichend ist beispielsweise die Anmietung von Büroräumlichkeiten bzw. eine nur geringfügige Wahrnehmung von Funktionen, insbesondere wenn die Wahrnehmung dieser Funktionen nicht ortsgebunden ist;
- die Zwischengesellschaft nicht nur personell, sondern auch sachlich angemessen ausgestattet sein muss, so dass sie in der Lage ist, die angestrebten wirtschaftlichen Kernfunktionen selbst...