Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine Rechtsmittelschrift
Leitsatz (amtlich)
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist eine Rechtsmittelschrift auch dann ordnungsgemäß, wenn sie nicht die ladungsfähige Anschrift des Rechtsmittelbeklagten oder seines Prozeßbevollmächtigten enthält.
Normenkette
ZPO § 518 Abs. 2, § 553 Abs. 1 S. 2, § 519a Sätze 1-2, § 553a Abs. 2; ArbGG § 64 Abs. 6, § 72 Abs. 5, § 89 Abs. 2 S. 1, § 94 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist eine Rechtsmittelschrift auch dann ordnungsgemäß, wenn sie nicht die ladungsfähige Anschrift des Rechtsmittelbeklagten oder seines Prozeßbevollmächtigten enthält.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten in dem beim Siebten Senat anhängigen Revisionsverfahren 7 AZR 585/82 darüber, ob dem Kläger ein tariflicher Vergütungsanspruch zusteht. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; das Landesarbeitsgericht hat durch das am 6. Oktober 1982 verkündete Urteil die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen.
Gegen das ihm am 11. November 1982 zugestellte Urteil des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger mit dem am 7. Dezember 1982 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 6. Dezember 1982 Revision eingelegt. In der Revisionsschrift waren als zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der beklagten Bundesrepublik Deutschland die Gewerkschaftssekretäre Wolf und G…, ÖTV, G…straße 48, 4630 B…, benannt worden. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland war in zweiter Instanz jedoch durch Rechtsanwalt H… vertreten gewesen; die benannten Gewerkschaftssekretäre waren die zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers. In der Revisionsschrift als Anlage beigefügten Ausfertigung des angefochtenen Berufungsurteils waren die zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Parteien richtig bezeichnet.
Aufgrund der Verfügung des Geschäftsstellenbeamten vom 8. Dezember 1982 wurde die Revisionsschrift des Klägers an die Gewerkschaftssekretäre der ÖTV in B… zugestellt. Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 1982, der am 15. Dezember 1982 nach Ablauf der Revisionsfrist beim Bundesarbeitsgericht einging, berichtigte der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers die unzutreffende Angabe in bezug auf den Prozeßbevollmächtigten der Revisionsbeklagten. Die Revisionsschrift wurde alsdann dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 27. Dezember 1982 zugestellt.
Der Siebte Senat möchte die Rechtsansicht vertreten, die Revision in dem bei ihm zur Entscheidung anstehenden Verfahren sei zulässig. Hieran sieht er sich jedoch durch die Rechtsprechung aller Senate des Bundesarbeitsgerichts gehindert. Alle Senate des Bundesarbeitsgerichts haben in den in dem Vorlagebeschluß angeführten Entscheidungen die Ansicht vertreten, im arbeitsgerichtlichen Verfahren sei eine Rechtsmittelschrift im Sinne von § 518 Abs. 2, § 553 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur dann ordnungsgemäß, wenn sie die ladungsfähige Anschrift des Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten, mindestens aber die ladungsfähige Anschrift der rechtsmittelbeklagten Partei so genau angebe, daß die Rechtsmittelschrift alsbald zugestellt werden kann. Ein entsprechender Mangel der Rechtsmittelschrift selbst sei nur dann unerheblich, wenn die fehlenden Angaben vor Ablauf der Rechtsmittelfrist aus sonstigen Unterlagen (angefochtenes Urteil, Prozeßakten, gerichtsbekannte Anschrift des benannten Prozeßbevollmächtigten) ersichtlich seien. Dabei brauche der die Zustellung der Rechtsmittelschrift veranlassende Geschäftsstellenbeamte bei einer Rechtsmittelschrift, die die Angaben hinsichtlich des vorinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten scheinbar vollständig enthalte, nicht nachzuprüfen, ob diese mit den Angaben in beigefügten weiteren Unterlagen übereinstimmen oder sonst offensichtlich unrichtig sein könnten.
Auf der Grundlage der angeführten Rechtsprechung müßte der Siebte Senat die Revision als unzulässig verwerfen. Er hat jedoch Bedenken, dieser Rechtsprechung zu folgen, weil er, wie im Vorlagebeschluß ausgeführt, die für sie angeführte Begründung nicht mehr für tragfähig hält. Der Siebte Senat möchte die Rechtsansicht vertreten, daß auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Rechtsmittelschrift nicht die ladungsfähige Anschrift des Rechtsmittelbeklagten oder seines Prozeßbevollmächtigten enthalten muß und ein Rechtsmittel nicht deswegen unzulässig ist, weil es daran fehlt und der Mangel nicht bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist behoben worden ist. Der Siebte Senat hat deshalb gemäß § 7 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesarbeitsgerichts bei allen anderen Senaten angefragt, ob sie der Abweichung zustimmen und ihre bisherige Rechtsansicht aufgeben. Mit Ausnahme des Sechsten Senats haben alle Senate die Anfrage dahin beantwortet, daß sie an ihrer bisherigen Rechtsansicht nicht mehr festhalten und sich der Auffassung des Siebten Senats anschließen (Beschlüsse des Ersten Senats vom 4. Juni 1985 – 1 AS 6/85 –, des Zweiten Senats vom 19. September 1985 – 2 AZR 526/82 –, des Dritten Senats vom 25. Juni 1985 – 3 AS 8/85 –, des Vierten Senats vom 14. August 1985 – 4 AS 9/85 – und des Fünften Senats vom 28. August 1985 – 5 AS 10/85 –). Der Sechste Senat hat durch Beschluß vom 27. Juni 1985 – 6 AS 11/85 – erklärt, er sehe derzeit keine Veranlassung, von seiner Rechtsprechung abzugehen. Daraufhin hat der Siebte Senat durch Beschluß vom 18. Oktober 1985 – 7 AZR 585/82 – dem Großen Senat folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Muß im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Rechtsmittelschrift die ladungsfähige Anschrift des Rechtsmittelbeklagten oder seines Prozeßbevollmächtigten enthalten und ist das Rechtsmittel unzulässig, wenn es daran fehlt und der Mangel nicht bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist behoben worden ist?
Entscheidungsgründe
B.I. Die Vorlage ist zulässig.
1. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ist. wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, über die streitige Rechtsfrage eine Entscheidung des Großen Senats herbeizuführen. Daraus ergeben sich zwei Voraussetzungen für die Vorlagepflicht und Vorlageberechtigung: Es muß in einer vorangegangenen Entscheidung eine Rechtsfrage entschieden sein, von der der jetzt entscheidende andere Senat abweichen will; die in der anderen Entscheidung enthaltene Rechtsansicht muß entscheidungserheblich gewesen sein (vgl. zu der gleichlautenden Vorschrift des § 136 GVG Kissel, GVG, § 136 Rz 4 und Rz 5 in Verb. mit § 121 Rz 22).
Beide Voraussetzungen sind erfüllt. Die vom vorlegenden Senat angeführte Rechtsprechung aller Senate des Bundesarbeitsgerichts hat als wesentliches Erfordernis einer Rechtsmittelschrift, und zwar sowohl der Berufungsschrift nach § 518 ZPO wie der Revisionsschrift nach § 553 ZPO, die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift des Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten oder des Rechtsmittelbeklagten selbst verlangt. Diese Rechtsauffassung war in den angezogenen Entscheidungen auch jeweils rechtserheblich. Nach der Darlegung des Siebten Senats in dem Vorlagebeschluß ist die Rechtsfrage in dem Ausgangsverfahren ebenfalls entscheidungserheblich. Verbleibt es bei der in der bisherigen Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dann kann der Siebte Senat die bei ihm anhängige Revision nicht als zulässig ansehen. Das reicht nach der Rechtsprechung des Großen Senats für die Zulässigkeit der Vorlage aus (vgl. BAG 6, 149, 151 = AP Nr. 61 zu § 72 ArbGG 1953, zu II der Gründe).
2. Nach § 7 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesarbeitsgerichts hat der Senat, der in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, zunächst bei diesem anzufragen, ob er der Abweichung zustimmt. Das hat der Siebte Senat durch seine Anfrage vom 10. April 1985 beachtet. Bis auf den Sechsten Senat haben alle anderen Senate der Abweichung zugestimmt. Danach verbleibt es in der dem Großen Senat vorgelegten Rechtsfrage dabei, daß der Siebte Senat mit der von ihm vertretenen Auffassung von der vom Sechsten Senat in seinen Beschlüssen vom 2. September 1980 – 6 ABR 37/78 – AP Nr. 1 zu § 89 ArbGG 1979 und vom 12. Oktober 1984 – 6 AZR 132/84 – AP Nr. 9 zu § 554a ZPO vertretenen Auffassung abweichen würde. Deshalb ist die Anrufung des Großen Senats geboten und gerechtfertigt.
II. Der Große Senat hat die ihm vorgelegte Rechtsfrage im Sinne des Siebten Senats mit dem aus der Beschlußformel sich ergebenden Inhalt beantwortet.
1. Nach § 64 Abs. 6 ArbGG gelten, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. § 72 Abs. 5 ArbGG schreibt vor, daß für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566a entsprechend gelten, soweit das Arbeitsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt. Sowohl für den Inhalt einer Berufungsschrift wie für den Inhalt einer Revisionsschrift enthält das Arbeitsgerichtsgesetz keine eigenständigen Regelungen. Deshalb gelten für den Inhalt der Berufungsschrift § 518 Abs. 2 ZPO und für den Inhalt der Revisionsschrift § 553 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Nach § 518 Abs. 2 ZPO muß die Berufungsschrift enthalten 1. die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; 2. die Erklärung, daß gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Entsprechendes sieht § 553 Abs. 1 Satz 2 ZPO für die Revisionsschrift vor. Mit der Berufungs- bzw. Revisionsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden (§ 518 Abs. 3, § 553a Abs. 1 ZPO). Schließlich ist vorgesehen, daß die Berufungs- bzw. Revisionsschrift der Gegenpartei zuzustellen ist, wobei der Zeitpunkt mitzuteilen ist, in dem die Berufung bzw. Revision eingelegt wurden (§ 519a Satz 1 und 2 ZPO, § 553a Abs. 2 ZPO).
Für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren enthält § 89 Abs. 2 Satz 1 ArbGG hinsichtlich der Beschwerdeschrift eine dem § 518 Abs. 2 ZPO entsprechende Formvorschrift. Zu der Rechtsbeschwerde im Beschlußverfahren findet sich in § 94 Abs. 2 Satz 1 ArbGG eine mit § 553 Abs. 1 Satz 2 ZPO übereinstimmende Formvorschrift. Deshalb gelten die nachstehenden Erwägungen über die an eine Berufungs- und Revisionsschrift zu stellenden Anforderungen im Ergebnis zugleich für die Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeschrift im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren.
Von den vorbezeichneten Vorschriften ausgehend hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angenommen, § 518 Abs. 2 und § 553 Abs. 1 Satz 2 ZPO erforderten, daß eine Rechtsmittelschrift die Angabe der Anschrift des Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten oder wenigstens des Rechtsmittelbeklagten selbst enthalten muß, damit die Zustellung der Rechtsmittelschrift nicht vermeidbar verzögert wird. Hierzu ist außer den im Vorlagebeschluß des Siebten Senats genannten auf folgende weitere – veröffentlichte – Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu verweisen: Urteil vom 2. November 1968 – 3 AZR 296/67 – BAG 21, 193 = AP Nr. 2 zu § 553 ZPO; Urteil vom 9. Dezember 1974 – 3 AZR 42/74 – AP Nr. 27 zu § 518 ZPO; Urteil vom 22. Mai 1975 – 3 AZR 363/74 – AP Nr. 28 zu § 518 ZPO; Urteil vom 12. Juni 1975 – 3 AZR 267/74 – AP Nr. 30 zu § 518 ZPO; Beschluß vom 23. Juli 1975 – 5 AZB 27/75 – AP Nr. 31 zu § 518 ZPO; Urteil vom 4. Dezember 1975 – 2 AZR 462/74 – BAG 27, 351 = AP Nr. 33 zu § 518 ZPO; Urteil vom 5. August 1976 – 3 AZR 340/75 – AP Nr. 37 zu § 518 ZPO. Für das Beschlußverfahren, in dem gemäß § 87 Abs. 2 ArbGG die Vorschriften für das Berufungsverfahren im wesentlichen entsprechend anzuwenden sind, ferner Beschluß vom 3. Oktober 1978 – 3 ABR 92/76 – AP Nr. 12 zu § 89 ArbGG 1953. Für die in den genannten Entscheidungen vertretene Ansicht sind mehrere Umstände mit unterschiedlicher Gewichtung angeführt worden, die darauf abstellten, ob rechtliche oder als berechtigt anzusehende Belange der rechtsmittelbeklagten Partei betroffen werden, wenn die Rechtsmittelschrift wegen fehlender Anschrift nicht unmittelbar nach ihrem Eingang zugestellt werden kann. Die angeführten Gründe sind, insbesondere wegen inzwischen erfolgter Änderungen der herangezogenen gesetzlichen Vorschriften, weder im einzelnen noch insgesamt ausreichend, um an der bisherigen Auffassung festhalten zu können. Im einzelnen gilt dazu folgendes:
2.a) In mehreren Entscheidungen ist angeführt worden, prozessuale Rechte des Rechtsmittelbeklagten würden verkürzt, wenn die Zustellung der Rechtsmittelschrift an ihn verzögert wird. So ist in den Urteilen vom 2. November 1968 (BAG 21, 193 = AP Nr. 2 zu § 553 ZPO) und vom 4. Juli 1973 (BAG 25, 255 = AP Nr. 20 zu § 518 ZPO) auf die damals geltende Rechtslage in bezug auf die Anschlußrevision verwiesen worden. Nach § 556 Abs. 1 ZPO in der damals geltenden Fassung konnte sich der Revisionsbeklagte bis zum Ablauf der Begründungsfrist der Revision anschließen, selbst wenn er auf die Revision verzichtet hatte. Da die Revisionsbegründungsfrist einen Monat beträgt und mit der Einlegung der Revision beginnt (§ 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO), ist in den genannten Entscheidungen ausgeführt worden, die dem Revisionsbeklagten eingeräumte Überlegungsfrist, die an sich mit der Begründungsfrist für das eingelegte Rechtsmittel einhergeht, dürfe nicht dadurch verkürzt werden, daß sich die Zustellung der Rechtsmittelschrift mit der Mitteilung vom Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels verzögert.
Auf die vorgenannte Erwägung kann das Erfordernis, die Anschrift des Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten oder wenigstens seine eigene Anschrift anzugeben, nicht mehr gestützt werden. Nach § 556 Abs. 1 ZPO i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen vom 8. Juli 1975 (BGBl. I, 1863) kann sich der Revisionsbeklagte nunmehr der Revision bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Revisionsbegründung anschließen. Deshalb kann dem Revisionsbeklagten für die Anschlußrevision kein Nachteil entstehen, wenn die Zustellung der Revisionsschrift sich wegen fehlender Adressenangabe verzögert.
b) In den vorgenannten Entscheidungen ist ferner angeführt worden, der Rechtsmittelbeklagte könne in der Berufungsinstanz im Hinblick auf eine von ihm einzulegende oder eingelegte Anschlußberufung benachteiligt werden, wenn sich die Zustellung der Berufungsschrift verzögert, weil die notwendigen Anschriften fehlen (vgl. dazu ferner BAG Urteil vom 9. Dezember 1974 – 3 AZR 42/74 – AP Nr. 27 zu § 518 ZPO). Dabei stellen die genannten Entscheidungen jedoch auf unterschiedliche Gesichtspunkte ab. In der Entscheidung BAG 21, 193 = AP Nr. 2 zu § 553 ZPO heißt es, im Hinblick auf § 522a Abs. 2 ZPO dürfe die Frist für die Begründung der Anschlußberufung nicht dadurch verkürzt werden, daß die Zustellung der Rechtsmittelschrift wegen ungenügender Kennzeichnung des Rechtsmittelbeklagten verzögert werde. Hierauf stellt auch die Entscheidung BAG 25, 255 = AP Nr. 20 zu § 518 ZPO ab. In ihr wird allerdings zutreffend angeführt, der Berufungsbeklagte könne auch noch nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist Anschlußberufung einlegen; jedoch werde auch in diesem Fall die Überlegungsfrist verkürzt, wenn ihm die Berufungsschrift nicht umgehend zugestellt wird, da er dann mit der Einlegung der Anschlußberufung diese zugleich auch begründen müsse. In der letztgenannten Entscheidung heißt es ferner, auch die Überlegungsfrist des Rechtsmittelbeklagten für eine etwaige Einlegung eines Anschlußrechtsmittels werde bei dem erörterten Mangel der Rechtsmittelschrift verkürzt. In dem Urteil vom 9. Dezember 1974 – 3 AZR 42/74 – AP Nr. 27 zu § 518 ZPO wird schließlich gesagt, nur bei der in § 519a Satz 1 ZPO vorgeschriebenen Zustellung der Berufungsschrift könne der Berufungsbeklagte beurteilen, wann er selbständige Anschlußberufung einlegen können (§ 522 Abs. 2 ZPO).
Die im Hinblick auf eine mögliche Anschlußberufung angestellten Erwägungen rechtfertigen es nicht, für die Berufungsschrift die Angabe der Anschrift des Prozeßbevollmächtigten des Berufungsbeklagten oder dessen eigene Anschrift zu verlangen (vgl. dazu schon BAG Beschluß vom 23. Juli 1975, AP Nr. 31 zu § 518 ZPO und BAG 27, 351 = AP Nr. 33 zu § 518 ZPO). Die Einlegung einer Anschlußberufung ist unabhängig davon, wann die Berufung eingelegt wurde. Nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum kann eine Anschlußberufung nur dann nicht mehr eingelegt werden, wenn ein die Berufung als unzulässig verwerfender Beschluß ergangen oder die mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren geschlossen ist (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., § 521 Rz 9; BGHZ 37, 131; BGHZ 65, 114). Der Zeitpunkt, zu dem die Anschlußberufung eingelegt wurde, spielt aber eine Rolle für die Frage, inwieweit die Anschlußberufung vom Schicksal der Berufung abhängig ist. Nach § 522 Abs. 1 ZPO verliert die Anschließung ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird. Wenn der Berufungsbeklagte sich innerhalb der Berufungsfrist der erhobenen Berufung angeschlossen hat, wird es so angesehen, als habe er die Berufung selbständig eingelegt (§ 522 Abs. 2 ZPO). Hat der Rechtsmittelkläger vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Berufung eingelegt, dann hängt tatsächlich die dem Rechtsmittelbeklagten bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist verbleibende Zeit, zu erwägen, ob er Anschlußberufung einlegt, davon ab, wann er gemäß § 519a ZPO Kenntnis von der Einlegung des Rechtsmittels erhält. Das erfordert gleichwohl nicht, die bisher für notwendig erachteten Anforderungen an die Rechtsmittelschrift zu stellen. Die prozessualen Vorschriften erlauben dem Rechtsmittelkläger, die Rechtsmittelfrist voll auszuschöpfen. Die Berufung kann also am letzten Tage der Berufungsfrist eingelegt werden. Deshalb kann der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen sein, dem Berufungsbeklagten müsse eine Überlegungsfrist für die selbständige Anschlußberufung zustehen (ebenso BGHZ 65, 114 = AP Nr. 32 zu § 518 ZPO und die letztgenannten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts). Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, Anforderungen an die Berufungsschrift zu stellen, die einem derartigen Erfordernis Rechnung tragen. Im übrigen kommt folgendes hinzu: Nach der bisherigen Rechtsprechung konnten Mängel der Berufungsschrift noch bis zum Ablauf der Berufungsfrist behoben werden. Geschah dies, so war dann noch nach Ablauf der Berufungsfrist die Zustellung ohne Verzögerung möglich. Die Stellung des Berufungsbeklagten war in diesem Falle nicht günstiger als wenn von vornherein erst zum Ende der Berufungsfrist eine ordnungsmäßige Rechtsmittelschrift eingereicht war.
Mit den weiteren Erwägungen zur Begründung einer Anschlußberufung sind ebenfalls keine rechtlichen Belange des Berufungsbeklagten dargelegt, die es notwendig machen, Verzögerungen bei der Zustellung der Berufungsschrift entgegenzuwirken. Richtig ist zwar, daß nach § 522a Abs. 2 ZPO eine vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingelegte Anschlußberufung bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist begründet werden muß. Diese Begründungsfrist hängt also davon ab, wann der Rechtsmittelbeklagte erfährt, daß Berufung eingelegt wurde. Dennoch erwachsen ihm keine Nachteile, die es durch entsprechende Anforderungen an die Rechtsmittelschrift zu verhindern gälte. Die Begründung einer vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingelegten Anschlußberufung ist so lange möglich, wie eine Anschlußberufung überhaupt noch eingelegt werden kann, d. h. grundsätzlich bis zum Schlußtermin in der Berufungsinstanz. Unterläßt der Berufungsbeklagte die rechtzeitige Begründung gemäß § 522a Abs. 2 ZPO und reicht er später vor Schluß der letzten mündlichen Verhandlung eine nachträgliche Begründung ein, so liegt darin sogar eine zulässige Wiederholung der Anschlußberufung, die den früheren Mangel heilt (vgl. dazu BGHZ 65, 114 = AP Nr. 32 zu § 518 ZPO; BAG 20, 261 = AP Nr. 4 zu § 522a ZPO). Bei dieser Möglichkeit, die unselbständige Anschlußberufung zu begründen, kann nicht davon gesprochen werden, die Überlegungsfrist des Berufungsbeklagten werde verkürzt, wenn er zugleich mit der (wiederholten) Einlegung der Anschlußberufung diese begründen muß.
c) Die in § 518 Abs. 2, § 553 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht ausdrücklich enthaltene Forderung, daß die Rechtsmittelschriften die Anschrift des Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten oder des Rechtsmittelbeklagten selbst enthalten müssen, hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zusätzlich aus dem das gesamte arbeitsgerichtliche Verfahren beherrschenden, in § 9 Abs. 1 ArbGG niedergelegten Beschleunigungsgrundsatz abgeleitet (vgl. dazu Urteil vom 22. Mai 1975 – 3 AZR 363/74 – AP Nr. 28 zu § 518 ZPO; Urteil vom 12. Juni 1975 – 3 AZR 267/74 – AP Nr. 30 zu § 518 ZPO; BAG 27, 351 = AP Nr. 33 zu § 518 ZPO; Urteil vom 5. August 1976 – 3 AZR 340/75 – AP Nr. 37 zu § 518 ZPO; Urteil vom 1. Juli 1977 – 5 AZR 72/77 – AP Nr. 39 zu § 518 ZPO; Beschluß vom 2. September 1980 – 6 ABR 37/78 – AP Nr. 1 zu § 89 ArbGG 1979). Hierzu ist erwogen worden, daß es dem Beschleunigungsgrundsatz zuwiderlaufe, wenn wegen fehlender Anschrift die Rechtsmittelschrift dem Rechtsmittelbeklagten nicht alsbald zugestellt werden kann. Im Hinblick auf diesen arbeitsrechtlichen Prozeßgrundsatz hat der Bundesgerichtshof, der in bezug auf das Anschriftenerfordernis eine andere Ansicht vertritt, die Voraussetzungen für eine Vorlage der Rechtsfrage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes verneint (BGH Beschluß vom 25. September 1975, BGHZ 65, 114 = AP Nr. 32 zu § 518 ZPO).
Der Hinweis auf den in § 9 Abs. 1 ArbGG normierten Beschleunigungsgrundsatz stellt seit der Neufassung des Arbeitsgerichtsgesetzes durch das Gesetz zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vom 21. Mai 1979 (BGBl. I, 545), insbesondere der Neufassung der Vorschriften für die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG 1979) keine tragfähige Begründung mehr dar für die durch § 518 Abs. 2, § 553 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht geforderte Angabe der Anschriften des Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten bzw. des Rechtsmittelbeklagten selbst. Dabei ist hervorzuheben, daß, abgesehen von dem Beschluß des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Oktober 1984 – 6 AZR 132/84 – (AP Nr. 9 zu § 554a ZPO), sämtliche in dem Vorlagebeschluß des Siebten Senats und vorstehend zu B II 1 genannten veröffentlichten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Rechtsmittelverfahren zum Gegenstand hatten, die vor dem Inkrafttreten der Neufassung des Arbeitsgerichtsgesetzes eingeleitet waren. Sie konnten und brauchten daher nicht zu berücksichtigen, welche Folgerungen aus der Neuregelung über die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist im arbeitsgerichtlichen Verfahren zu ziehen waren.
Durch die Neuregelung der vorgenannten Fristen in § 66 Abs. 1 ArbGG 1979 sind sowohl die Berufungs- wie die Berufungsbegründungsfrist im arbeitsgerichtlichen Verfahren von bis dahin zwei Wochen (§ 66 Abs. 1 ArbGG 1953) auf je einen Monat verlängert worden. Diese Fristen entsprechen denjenigen, die im Zivilverfahren vor den ordentlichen Gerichten schon vor dem 1. Juli 1979 gegolten haben. In diesem Bereich hat daher der Gesetzgeber der Vereinheitlichung des Verfahrensrechts den Vorrang vor dem Beschleunigungsprinzip, das für die früher geltenden kürzeren Fristen bestimmend war, den Vorrang gegeben. Schon das verbietet es, für das arbeitsgerichtliche Verfahren weiterhin davon auszugehen, daß das Beschleunigungsprinzip für den Inhalt der Rechtsmittelschriften – wegen der gleichlautenden Vorschriften insoweit auch für die Revisionsinstanz – besondere Anforderungen stellt. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber aber durch die Neuregelung zum Ausdruck gebracht, daß im Bereich der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist das Beschleunigungsprinzip nur auf den Wegen zu verwirklichen ist, die der Gesetzgeber vorgezeichnet hat. So ist in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG vorgesehen, daß die Berufung innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden muß. Außerdem kann, anders als nach § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO, die Frist zur Begründung der Berufung, wie auch die zur Berufungsbeantwortung, vom Vorsitzenden nur einmal verlängert werden. Auch die Frist zur Begründung einer Revision kann im Gegensatz zum Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit nur einmal bis zu einem Monat verlängert werden (§ 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG 1979). All dies, wie auch sonstige der Verfahrensbeschleunigung dienende Vorschriften, ist wirksam in der Zeit nach Einlegung des Rechtsmittels. Nimmt man hinzu, daß die Rechtsmittel- und die Rechtsmittelbegründungsfrist selbst mit dem Gesetz zur Beschleunigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vom 21. Mai 1979 verlängert worden sind, so ergäbe sich ein Wertungswiderspruch, wenn man für die Rechtsmittelschrift weitergehende als die Anforderungen stellte, die in den in Bezug genommenen zivilprozessualen Vorschriften enthalten sind.
d) In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist weiter angeführt worden, eine zügige Zustellung der Rechtsmittelschrift müsse auch deshalb sichergestellt werden, weil der Rechtsmittelbeklagte aus vielerlei materiellen und psychischen Gründen ein schutzwertes Interesse daran habe, bald zu erfahren, ob ein von ihm erstrittenes Urteil rechtskräftig wird oder er sich auf weitere prozessuale Auseinandersetzungen einrichten muß (vgl. BAG Urteil vom 9. Dezember 1974 – 3 AZR 42/74 – AP Nr. 27 zu § 518 ZPO).
Auch damit ist keine Besonderheit des arbeitsgerichtlichen Verfahrens aufgezeigt, die es erforderlich machen würde, über die zivilprozessualen Anforderungen an eine Rechtsmittelschrift hinauszugehen. Zunächst einmal kann ein solches besonderes materielles und psychisches Interesse, von der endgültigen Beendigung des Prozesses Gewißheit zu erlangen, für das arbeitsgerichtliche Verfahren nicht generell bestehen. Ein solches gesteigertes Interesse kann allerdings vorliegen, wenn etwa über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses oder eine betriebliche Altersversorgung gestritten wird. Abgesehen davon, daß die gesetzlichen Vorschriften nicht unterscheiden zwischen solchen Fällen und Verfahren, in denen um zwar nicht unbedeutende aber doch nicht existentielle Leistungen gestritten wird, kann nicht übersehen werden, daß es im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit vergleichbare Streitigkeiten gibt, in denen ebenfalls ein dringendes Bedürfnis für die obsiegende Partei anzuerkennen ist, zu erfahren, ob das Verfahren rechtskräftig erledigt ist. Zu denken ist dabei an Ehe-, Unterhalts- oder Mietsachen. Im übrigen sieht das Gesetz eine dem Unterrichtungsbedürfnis genügende Regelung vor. Derjenige, der ein obsiegendes Urteil erstritten hat, kann sich durch eine Anfrage bei der Geschäftsstelle des Rechtsmittelgerichts Gewißheit darüber verschaffen, ob das Urteil mit einem Rechtsmittel angefochten worden ist; er kann auch ein Notfristzeugnis gemäß § 706 Abs. 2 ZPO beantragen.
e) Für das arbeitsgerichtliche Verfahren ist schließlich eine Besonderheit darin gesehen worden, daß bei den Landesarbeitsgerichten und beim Bundesarbeitsgericht jeder in Deutschland zugelassene Anwalt und – bei den Landesarbeitsgerichten – sonstige in § 11 ArbGG genannte Prozeßbevollmächtigte auftreten können, während im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Rechtsanwälte bei den Landgerichten und bei den Oberlandesgerichten jeweils zugelassen sein müßten. Deshalb ergäben sich bei den ordentlichen Gerichten nicht bestehende Schwierigkeiten, die für die Zustellung der Rechtsmittelschrift notwendige Anschrift zu ermitteln (vgl. BAG Urteil vom 9. Dezember 1974 – 3 AZR 42/74 – AP Nr. 27 zu § 518 ZPO; BAG 27, 351 = AP Nr. 33 zu § 518 ZPO).
Mit dieser Erwägung lassen sich ebenfalls strengere Anforderungen an den Inhalt einer Rechtsmittelschrift für das arbeitsgerichtliche Verfahren nicht rechtfertigen. Die angeführten Unterschiede in der Zahl der möglichen Prozeßvertreter sind anders zu sehen. Bei Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten kommt als Zustellungsadressat der Berufungsschrift ebenfalls jeder Rechtsanwalt im Bundesgebiet oder aber die nicht vertretene Partei selbst in Frage. Insoweit ist die Kenntnis von dem Kreis der Prozeßbevollmächtigten durch das Gericht nicht anders gelagert als im Berufungsverfahren bei den Landesarbeitsgerichten. Außerdem hängt im arbeitsgerichtlichen wie im zivilprozessualen Verfahren dann, wen- die Anschrift des Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten oder der Partei selbst in der Rechtsmittelschrift fehlt, die Ermittlung dieser Angaben in gleicher Weise und mit gleich schnellem Erfolg davon ab, wie eine entsprechende Rückfrage beantwortet wird oder wann die vorprozessualen Akten beim Rechtsmittelgericht eingehen.
3. Nach alledem kann der vom Sechsten Senat in dem Beschluß vom 12. Oktober 1984 – 6 AZR 132/84 – (AP Nr. 9 zu § 554a ZPO) im Anschluß an die bis dahin bestehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertretenen Ansicht über den Inhalt einer Rechtsmittelschrift in bezug auf die Anschriften des Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten oder des Rechtsmittelbeklagten selbst nicht mehr gefolgt werden. Der Große Senat stimmt deshalb der vom Siebten Senat beabsichtigten Abweichung von dieser Rechtsprechung zu.
Unterschriften
Dr. Kissel, Dr. Neumann, Dr. Dieterich, Dr. Thomas, Dr. Heither, Dr. Becker, Gröbing, Dr. Müller, Mager, Kehrmann
Fundstellen
Haufe-Index 872447 |
BB 1987, 200 |
NJW 1987, 1356 |
JR 1987, 132 |
RdA 1987, 62 |