Entscheidungsstichwort (Thema)
Sitzverlegung des Bundesarbeitsgerichts
Leitsatz (amtlich)
Von einem Rechtsanwalt ist zu erwarten, daß er von der im Bundesgesetzblatt am 21. Oktober 1999 verkündeten Verordnung über den auf den 22. November 1999 bestimmten Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes des Bundesarbeitsgerichts von Kassel nach Erfurt (BGBl. I, 1954) Kenntnis nimmt und Vorkehrungen trifft, um Fehladressierungen der Schriftsätze zu vermeiden, mit denen er sich nach der Sitzverlegung an das Bundesarbeitsgericht wendet.
Normenkette
ArbGG § 40 Abs. 1, 1a; Verordnung über den Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes des Bundesarbeitsgerichts von Kassel nach Erfurt vom 8. Oktober 1999 (BGBl. I, 1954); ZPO §§ 85, 233
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 1999 – 10 Sa 1190/98 – wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 10.389,89 DM festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt die Auszahlung von 10.389,89 DM Stornoreserve.
Im Anstellungsvertrag der Parteien war vereinbart, daß für etwaige Provisionsrückforderungsansprüche eine Sicherheitsrücklage durch Einbehalt von 10 % der der Klägerin zustehenden Provisionen gebildet wird und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die so gebildete Sicherheit an die Klägerin erstattet wird. Im August 1996 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag. Danach ist das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. Oktober 1996 beendet und der Klägerin als Verlust für den Arbeitsplatz eine Abfindung in Höhe von 73.000,00 DM gezahlt worden. Nach Ziff. 3 Abs. 2 dieser Vereinbarung waren die Parteien darüber einig, daß mit der Zahlung der Abfindung „alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung abgegolten sind”. Die Klägerin ist der Auffassung, diese Ausgleichsklausel erfasse nicht den Anspruch auf Auszahlung der Sicherheitsleistung.
Das Arbeitsgericht hat ihrer Zahlungsklage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten ist die Klage abgewiesen worden, ohne die Revision zuzulassen. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist der Klägerin am 26. Oktober 1999 zugestellt worden. Mit ihrem am 22. November 1999 an Bundesarbeitsgericht Kassel adressierten Schriftsatz hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Schriftsatz ist aufgrund eines vom Bundesarbeitsgericht an die Deutsche Post AG gerichteten Nachsendungsauftrags am 29. November 1999 beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt eingegangen. Mit dem am 20. Dezember 1999 eingegangenen Wiedereinsetzungsgesuch hat die Klägerin die Versäumung der Beschwerdefrist damit begründet, aufgrund eines Gerichtsverzeichnisses habe die in der Rechtsanwaltskanzlei beauftragte Mitarbeiterin die Beschwerde an den Sitz des Bundesarbeitsgerichts in Kassel adressiert. Die neue Anschrift des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt sei dem beauftragten Rechtsanwalt und dessen Kanzleipersonal unbekannt gewesen. Unter normalem Postlauf müsse davon ausgegangen werden, daß die Nichtzulassungsbeschwerde spätestens am 25. November 1999 nach Erfurt weitergeleitet worden wäre. Mit dem am 23. Dezember 1999 eingegangenen weiteren Schriftsatz hat die Klägerin ihre Nichtzulassungsbeschwerde begründet.
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist weder innerhalb der Monatsfrist des § 72 a Abs. 2 Satz 1 ArbGG eingelegt worden, noch entspricht ihre Begründung den gesetzlichen Anforderungen des § 72 a Abs. 3 Satz 2 ArbGG.
1. Nach § 72 a Abs. 2 Satz 1 ArbGG ist eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils schriftlich einzulegen. Diese Frist ist am 26. November 1999 abgelaufen. Die am 29. November 1999 am Sitz des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt eingegangene Beschwerde ist verspätet. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren. Die Säumnis war nicht unverschuldet im Sinne von § 233 ZPO. Der Klägerin wird nach § 85 Abs. 2 ZPO die schuldhafte Unkenntnis ihres Bevollmächtigten von der Sitzverlegung des Bundesarbeitsgerichts von Kassel nach Erfurt zugerechnet.
Die Sitzverlegung des Bundesarbeitsgerichts ist bereits durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 11. März 1996 (BGBl. I, 454) in § 40 Abs. 1 und 1 a ArbGG gesetzlich geregelt worden. Die Verordnung über den Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes des Bundesarbeitsgerichts von Kassel nach Erfurt ist im Bundesgesetzblatt 1999 Teil I Nr. 47, ausgegeben zu Bonn am 21. Oktober 1999, bekannt gemacht worden. In Art. 1 dieser Verordnung ist als Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes des Bundesarbeitsgerichts von Kassel nach Erfurt der 22. November 1999 bestimmt worden. Von einem Rechtsanwalt ist zu erwarten, daß er die im Bundesgesetzblatt verkündeten Gesetze und Verordnungen zur Kenntnis nimmt. Da zwischen Verkündung und Prozeßhandlung hier mehr als ein Monat lag, war dazu auch genügend Zeit. Hinzukommt, daß in den Fachzeitschriften (zB. NZA 1999 Heft 21 S IX) über die Sitzverlegung und die neue Haus- sowie Postanschrift berichtet worden ist. Von daher hätte spätestens Mitte November 1999 Veranlassung bestanden, das Büropersonal auf die bevorstehende Sitzverlegung des Bundesarbeitsgerichts hinzuweisen und die vom Büropersonal angegebene Postanschrift des Bundesarbeitsgerichts am 22. November 1999 vor Unterschreiben der Beschwerdeschrift persönlich zu überprüfen.
Die Fristversäumnis ist auch nicht durch eine unvorhersehbar lange Postlaufzeit verursacht worden. Im normalen Briefverkehr sind Postlaufzeiten von fünf, sechs oder mehr Tagen heute keine Seltenheit mehr (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 58. Aufl. § 233 Rn. 39). Wird ein Brief, der an eine nicht mehr bestehende Postanschrift gerichtet wird, von der Deutschen Post AG aufgrund eines Nachsendungsauftrags an die neue Anschrift weitergeleitet, ist eine Postlaufzeit von einer Woche nicht so außergewöhnlich, daß der Absender nicht damit rechnen mußte.
2. Im übrigen ist die Beschwerde auch dann unzulässig, wenn wegen der versäumten Einlegungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt würde. Die Beschwerdebegründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 72 a Abs. 3 Satz 2 ArbGG.
Die Klägerin hat weder die Voraussetzungen einer Grundsatzbeschwerde noch die Voraussetzungen einer Divergenzbeschwerde dargelegt. Soweit die Beschwerde geltend macht, die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruhe auf Abweichungen von Urteilen des Bundesarbeitsgerichts, die die Klägerin mit den Aktenzeichen – 2 AZR 519/69 – und – 9 AZR 43/97 – bezeichnet, genügt das nicht den gesetzlichen Anforderungen. Weder sind die Rechtssätze aufgezeigt, die in diesen Urteilen des Bundesarbeitsgerichts aufgestellt worden sind, noch ist dargelegt, welche davon abweichenden fallübergreifenden Rechtssätze nach Auffassung der Beschwerde dem anzufechtenden Urteil zu entnehmen sind. Für eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung wären diese Darlegungen erforderlich gewesen.
Die Beschwerde rügt letztlich eine fehlerhafte Auslegung des Inhalts des Aufhebungsvertrags der Parteien. Sie macht damit eine fehlerhafte Rechtsanwendung geltend. Die Berücksichtigung von Rechtsfehlern ist dem Bundesarbeitsgericht im Beschwerdeverfahren verwehrt. Rechtsfehler können nur in einem statthaften Revisionsverfahren berücksichtigt werden.
III. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Beschwerde zu tragen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 25 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Leinemann, Reinecke, Düwell
Fundstellen
Haufe-Index 436526 |
BB 2000, 624 |
DB 2000, 728 |
NJW 2000, 1669 |
ARST 2000, 142 |
FA 2000, 163 |
NZA 2000, 388 |
ZAP 2000, 650 |
AP, 0 |
AUR 2000, 159 |
MittRKKöln 2000, 238 |