Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis. Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes
Leitsatz (redaktionell)
Vorlage an den EuGH:
Hat nach Unionsrecht der Erbe eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem Arbeitnehmer vor seinem Tod zustehenden Mindestjahresurlaub?
Normenkette
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Art. 267; Charta der Grundrehte der Europäishen Union (GRC) Art. 31 Abs. 2; Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung Art. 7; BGB § 1922 Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 4
Verfahrensgang
Nachgehend
EuGH (Entscheidung vom 06.11.2018; Aktenzeichen C-569/16 und C-570/16) |
Tenor
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Frage vorgelegt:
Räumt Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG) oder Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem Arbeitnehmer vor seinem Tod zustehenden Mindestjahresurlaub ein, was nach § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) iVm. § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgeschlossen ist?
2. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.
Tatbestand
A. Gegenstand des Ausgangsverfahrens
Die Klägerin verlangt von der Beklagten, den ihrem Ehemann vor seinem Tod zustehenden Erholungsurlaub mit einem Betrag iHv. 5.857,75 Euro abzugelten.
Die Klägerin ist Alleinerbin ihres am 20. Dezember 2010 verstorbenen Ehemanns (Erblasser). Dieser war bis zu seinem Tod bei der Beklagten, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, beschäftigt. Vor seinem Tod hatte der Erblasser Anspruch auf 25 Tage Urlaub.
Am 5. Januar 2011 verlangte die Klägerin von der Beklagten ohne Erfolg, den dem Erblasser vor seinem Tod zustehenden Urlaub abzugelten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte die Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
B. Das einschlägige nationale Recht
§ 7 BUrlG in der seit dem 1. Juni 1994 geltenden Fassung regelt Folgendes:
„§ 7 |
Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs |
…
(4) |
Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnissesganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.” |
Das BGB enthält in seinem erbrechtlichen Teil ua. folgende Regelung, die seit dem 1. Januar 2002 gilt:
„§ 1922 |
Gesamtrechtsnachfolge |
(1) |
Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über. |
…” |
|
C. Einschlägige Vorschriften des Unionsrechts
Die Richtlinie 2003/88/EG lautet auszugsweise:
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.”
In der GRC heißt es ua.:
„Artikel 31 |
Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen |
… |
|
(2) |
Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.” |
D. Erforderlichkeit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Erläuterung der Vorlagefrage
Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auf die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC an.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete mit dem Tod des Erblassers. Sein Vermögen ging nach § 1922 Abs. 1 BGB als Ganzes auf die Klägerin als Alleinerbin über. Diese trat im Wege der Universalsukzession in sämtliche Rechtsverhältnisse des Erblassers ein. Da nach nationalem Recht der Urlaubsanspruch des Erblassers mit seinem Tod unterging und er sich damit nach dem Tod des Erblassers nicht in einen Abgeltungsanspruch iSv. § 7 Abs. 4 BUrlG umwandeln konnte, konnte ein Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 1922 Abs. 1 BGB nicht Teil der Erbmasse werden. § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB kann nach nationalem Recht nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass urlaubsrechtliche Ansprüche eines Arbeitnehmers, der im laufenden Arbeitsverhältnis stirbt, auf dessen Erben übergehen (vgl. BAG 12. März 2013 – 9 AZR 532/11 – Rn. 12; 20. September 2011 – 9 AZR 416/10 – Rn. 14 ff. mwN, BAGE 139, 168).
Dies gilt sowohl für den Anspruch auf Urlaub als auch für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Da der Urlaub nach § 7 Abs. 4 BUrlG nur abzugelten ist, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann und dies eine Abgeltung des Urlaubs im bestehenden Arbeitsverhältnis ausschließt, hat der Arbeitnehmer nach § 7 Abs. 4 BUrlG vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch seinen Tod neben seinem Urlaubsanspruch kein Anwartschaftsrecht auf Urlaubsabgeltung, das nach § 1922 Abs. 1 BGB Teil der Erbmasse werden könnte.
Eine Auslegung von § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB contra legem kommt auch bei Berücksichtigung des Grundsatzes der unionsrechtskonformen Auslegung nicht in Betracht (vgl. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 30 f., BAGE 142, 371). Ob und inwieweit das innerstaatliche Recht eine unionsrechtskonforme Auslegung zulässt, können nur innerstaatliche Gerichte beurteilen (vgl. BVerfG 26. September 2011 – 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 – Rn. 47 f., BVerfGK 19, 89).
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zwar mit Urteil vom 12. Juni 2014 (– C-118/13 – [Bollacke] Rn. 24 und 30) angenommen, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne finanziellen Ausgleich untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Er hat jedoch nicht die Frage entschieden, ob der Anspruch auf finanziellen Ausgleich auch dann Teil der Erbmasse wird, wenn das nationale Erbrecht dies ausschließt.
Auch ist der Untergang des von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG garantierten Anspruchs auf den Mindestjahresurlaub durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht abschließend geklärt. Dieser hat bei der Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG bisher vor allem auf den Sinn und Zweck des jährlichen Mindesturlaubs abgestellt, der darin besteht, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (EuGH 30. Juni 2016 – C-178/15 – [Sobczyszyn] Rn. 25; 21. Februar 2013 – C-194/12 – [Maestre García] Rn. 18; 10. September 2009 – C-277/08 – [Vicente Pereda] Rn. 21, Slg. 2009, I-8405; 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff ua.] Rn. 25, Slg. 2009, I-179). Dabei ist der Gerichtshof stets davon ausgegangen, dass dem Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als Grundsatz des Sozialrechts der Union nicht nur besondere Bedeutung zukommt, sondern dass dieser Anspruch auch in Art. 31 Abs. 2 GRC, dem von Art. 6 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zuerkannt wird, ausdrücklich verankert ist (EuGH 30. Juni 2016 – C-178/15 – [Sobczyszyn] Rn. 20 mwN). Allerdings ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch anerkannt, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf von 15 Monaten seit dem Ende des Urlaubsjahres untergehen kann. Der Gerichtshof hat dies damit begründet, dass dann die Gewährung von Urlaub für den Arbeitnehmer keine positive Wirkung als Erholungszeit mehr hat (EuGH 3. Mai 2012 – C-337/10 – [Neidel] Rn. 39; 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 43, Slg. 2011, I-11757). Letzteres ist nach dem Tod des Arbeitnehmers aber erst recht der Fall, da in der Person des verstorbenen Arbeitnehmers der Erholungszweck nicht mehr verwirklicht werden kann. Mangels einer positiven Wirkung für den von der Richtlinie 2003/88/EG geschützten Arbeitnehmer erscheint deshalb ein Untergang des Urlaubsanspruchs, selbst in finanzieller Form, mit dem Tod des Arbeitnehmers während des Arbeitsverhältnisses ebenso wie nach dem Ablauf von 15 Monaten seit dem Ende des Urlaubsjahres nicht ausgeschlossen, wenn bei der Beantwortung der Vorlagefrage der vom Gerichtshof angenommene Sinn und Zweck des jährlichen Mindesturlaubsanspruchs und des Urlaubsabgeltungsanspruchs herangezogen werden. Bestandteil der Vorlagefrage ist somit auch, ob die Ausgestaltung des in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG als Aspekt der Arbeitszeitgestaltung geregelten bezahlten Mindestjahresurlaubs nur den Schutz des Arbeitnehmers bezweckt oder ob auch die Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers dem Schutzbereich der Richtlinie 2003/88/EG unterfallen.
Da nach § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB weder ein Urlaubs-noch ein Urlaubsabgeltungsanspruch des Erblassers auf die Klägerin als dessen Alleinerbin übergegangen ist, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC in den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet, erbrechtliche Wirkungen dergestalt entfaltet, dass der Arbeitgeber den Erben für den dem verstorbenen Arbeitnehmer vor seinem Tod zustehenden Mindestjahresurlaub einen finanziellen Ausgleich zu zahlen hat und dieser finanzielle Ausgleich auch dann Teil der Erbmasse wird, wenn dies das nationale Erbrecht ausschließt. Der Senat darf nicht selbst entscheiden, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC eine derartige Rechtsfolge bewirkt.
Unterschriften
Brühler, Zimmermann, Suckow, Pielenz, Leitner
Fundstellen
FA 2017, 31 |
ZAP 2017, 62 |
ZTR 2016, 693 |