Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsrat. Zuordnung der Beteiligungsrechte durch Tarifvertrag
Leitsatz (amtlich)
Durch Tarifvertrag kann keine vom Betriebsverfassungsgesetz abweichende Zuständigkeit für die Ausübung der Beteiligungsrechte bestimmt werden.
Orientierungssatz
1. Der aus einer Betriebsratswahl hervorgegangene Betriebsrat ist Repräsentant der Belegschaft der betrieblichen Einheit, von der er gewählt worden ist. Seine Errichtung und Betätigung erstreckt sich auf diese Einheit und ist gleichermaßen auf sie beschränkt.
2. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ermächtigt die Tarifvertragsparteien unter den dort bestimmten Voraussetzungen zu einer vom Gesetz abweichenden Bildung von Organisationseinheiten, in denen Betriebsräte gewählt werden. Diese nehmen die nach dem Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat zugewiesenen Beteiligungsrechte wahr.
3. Die tarifliche Regelungsbefugnis nach § 3 Abs. 1 BetrVG umfasst nicht den Entzug betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse der gewählten Betriebsräte und deren Zuweisung an andere Arbeitnehmervertretungen.
4. Ein Einigungsstellenspruch ist vom Arbeitgeber nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung seiner Unwirksamkeit oder einer gegenteiligen Vereinbarung mit dem Betriebsrat im Betrieb durchzuführen.
Normenkette
BetrVG § 3 Abs. 1, 5 Sätze 1-2, § 77 Abs. 1 S. 1; ArbGG § 83 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Beschluss vom 19.02.2013; Aktenzeichen 2 TaBV 15/11) |
ArbG Hamburg (Beschluss vom 14.09.2011; Aktenzeichen 26 BV 25/10) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 19. Februar 2013 – 2 TaBV 15/11 – aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. September 2011 – 26 BV 25/10 – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 30. November 2010 über eine „Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement („BEM”)” unwirksam ist.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.
Die Arbeitgeberin betreibt eine Privatkundenbank mit mehreren Standorten in Deutschland. Die auf Arbeitnehmerseite am Verfahren beteiligte Betriebsrätegemeinschaft ist auf der Grundlage des Tarifvertrags zur Bildung „anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen” sowie zur Zuordnung von Betriebsteilen und zur Bildung von Betriebsrätegemeinschaften im Postbank Konzern (…) idF vom 23. August 2010 (TV Zuordnung 2010) gebildet worden. Dieser lautet:
„§ 1 |
Geltungsbereich |
Der Tarifvertrag gilt für alle betrieblichen Einheiten (Betriebe, selbständige und unselbständige Betriebsteile) der Postbank, BCB AG, Postbank Direkt und PB FK im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes. |
… |
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I. Normativer Teil |
§ 2 |
Standortbetriebsräte |
1 |
An den Standorten der Postbank (Anlage 1.1) in den Betrieben Ressourcen (Anlage 1.3) sowie der Zentrale in Bonn werden örtliche Betriebsräte der Postbank errichtet. |
… |
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5 |
Die Vorschriften des BetrVG über die Rechte und Pflichten des Betriebsrates sowie über die Rechtsstellung seiner Mitglieder finden auf den Standortbetriebsrat nach Maßgabe der folgenden Regelungen Anwendung. |
§ 3 |
Zuordnung |
1 |
Den Standorten i.S.d. § 2 Absatz 1 sowie der Zentrale werden nach Maßgabe der Anlage 2.1 betriebliche Einheiten der Postbank, Postbank Direkt und PB FK zugeordnet. |
… |
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§ 4 |
Betriebsrätegemeinschaften |
1 |
Die Betriebsräte verschiedener Unternehmen des Konzerns Postbank bilden gem. Anlage 3 jeweils eine Betriebsrätegemeinschaft nach Maßgabe der nachfolgenden Regelungen. |
2 |
Die Standortbetriebsräte und Betriebsräte der Betriebe Ressourcen nehmen ihre Beteiligungsrechte und Pflichten in der Betriebsrätegemeinschaft gemeinsam war. Dies gilt auch für die Rechte gemäß §§ 37, 38 und 40 BetrVG. |
|
…” |
Die Arbeitgeberin und ihr am Standort Hamburg gebildeter Betriebsrat vereinbarten am 9. August 2007 in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens zur Regelung von Krankengesprächen und eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Die Einigungsstellenmitglieder verständigten sich in der Sitzung am 18. Februar 2008, zunächst den Ausgang eines zwischen den Beteiligten des Einigungsstellenverfahrens geführten und seinerzeit vor dem Bundesarbeitsgericht anhängigen Beschlussverfahrens über den Inhalt des Mitbestimmungsrechts beim betrieblichen Eingliederungsmanagement abzuwarten. Dieser Rechtsstreit wurde durch den Senatsbeschluss vom 18. August 2009 (– 1 ABR 45/08 –) abgeschlossen. In diesem wurden die Anträge des Betriebsrats mangels hinreichender Bestimmtheit als unzulässig abgewiesen.
Die Einigungsstelle trat im März 2010 erneut zusammen. In einem im April 2010 von der Arbeitnehmerseite erstellten Entwurf über eine Betriebsvereinbarung wurde erstmals die Betriebsrätegemeinschaft im Rubrum aufgeführt. Am 30. November 2010 beschloss die Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement. Nachdem aufgefallen war, dass der Einigungsstellenspruch nicht die für die Durchführung der Betriebsvereinbarung notwendigen Anlagen umfasst hatte, trat die Einigungsstelle am 13. April 2011 erneut zusammen und beschloss eine inhaltsgleiche Betriebsvereinbarung mit einer Anlage 1 und einem Informationsblatt. Die Arbeitgeberin hat beide Einigungsstellensprüche, in deren Rubrum jeweils die „Betriebsrätegemeinschaft (BRG) der Postbank Firmenkunden BCB AG, Betrieb Ressourcen in Hamburg” aufgeführt ist, fristgerecht angefochten. Die Anfechtung des Einigungsstellenspruchs vom 13. April 2011 ist Gegenstand der im Verfahren – 1 ABR 22/13 – ergangenen Senatsentscheidung.
Die Arbeitgeberin hat den Einigungsstellenspruch vom 30. November 2010 schon wegen der fehlenden Anlagen für unwirksam gehalten. Ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements bestehe nicht. Der Spruch sei zudem ermessensfehlerhaft.
Die Arbeitgeberin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 30. November 2010 unwirksam ist.
Die Betriebsrätegemeinschaft hat die Abweisung des Antrags beantragt und gemeint, der Einigungsstellenspruch vom 30. November 2010 sei rechtswirksam durch den Spruch vom 13. April 2011 ergänzt worden.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihren Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin zu Unrecht abgewiesen. Der Einigungsstellenspruch vom 30. November 2010 ist unwirksam.
I. Der von der Arbeitgeberin innerhalb der Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG erhobene Antrag ist zulässig. Er ist zutreffend auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gerichtet. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs besteht, obwohl beide Beteiligte von seiner Unwirksamkeit ausgehen. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Arbeitgeber grundsätzlich zur Durchführung einer betriebsverfassungsrechtlichen Vereinbarung verpflichtet, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle beruht und Gegenteiliges nicht vereinbart ist (Satz 1 Halbs. 2). Danach hat die Arbeitgeberin den Einigungsstellenspruch bis zu einer gerichtlichen Entscheidung im Betrieb durchzuführen. Eine Vereinbarung über die Aufhebung der Durchführungspflicht haben die Beteiligten nicht getroffen.
II. Am Verfahren sind andere Personen oder Stellen iSd. § 83 Abs. 3 ArbGG nicht beteiligt.
1. Nach § 83 Abs. 3 ArbGG haben in einem Beschlussverfahren neben dem Antragsteller diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz im Einzelfall am Verfahren beteiligt sind. Beteiligte in Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes ist jede Stelle, die durch die begehrte Entscheidung in einer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen ist. Die ordnungsgemäße Anhörung der Verfahrensbeteiligten ist von Amts wegen noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz zu prüfen (BAG 10. Dezember 2013 – 1 ABR 43/12 – Rn. 17).
2. Danach sind auf Arbeitnehmerseite außer der Betriebsrätegemeinschaft keine weiteren Stellen anzuhören.
a) Dies gilt zunächst für den am Standort Hamburg gebildeten Betriebsrat der Arbeitgeberin. Zwar hat dieser in dem im Jahr 2007 geschlossenen gerichtlichen Vergleich mit der Arbeitgeberin die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens zur Regelung von Krankengesprächen und eines betrieblichen Eingliederungsmanagements vereinbart. Der Beschluss der Einigungsstelle ist aber nicht zwischen der Arbeitgeberin und ihrem am Standort Hamburg gebildeten Betriebsrat ergangen. Im Beschlussrubrum werden nur die Betriebsrätegemeinschaft und die Arbeitgeberin genannt. Weitere Stellen werden durch die Entscheidung der Einigungsstelle nicht berechtigt oder verpflichtet. Auch inhaltlich berührt ihr Beschluss nicht die Rechtsstellung des Standortbetriebsrats der Arbeitgeberin.
b) Die Vorinstanzen haben den Betriebsrat des Betriebs Ressourcen, auf dessen Bereich sich der Einigungsstellenbeschluss gegenständlich erstreckt, nicht angehört. Es bedarf indes keiner Entscheidung, ob dessen Beteiligung unterbleiben konnte, weil der Einigungsstellenspruch nur gegenüber der Betriebsrätegemeinschaft ergangen ist. In der Anhörung vor dem Senat hat deren Vorsitzender angegeben, der Betrieb Ressourcen sei zwischenzeitlich aufgelöst worden. Dem ist die Arbeitgeberin nicht entgegen getreten.
III. Der Antrag ist begründet. Der Einigungsstellenspruch vom 30. November 2010 ist unwirksam. Die Einigungsstelle war nicht befugt, im Verhältnis zur Betriebsrätegemeinschaft eine Betriebsvereinbarung über ein betriebliches Eingliederungsmanagement zu beschließen. Zwischen dieser und der Arbeitgeberin besteht kein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis, das die Einigungsstelle durch einen Spruch ausgestalten konnte. Der durch den TV Zuordnung 2010 errichteten Betriebsrätegemeinschaft stehen die Beteiligungsrechte des am Standort Hamburg der Arbeitgeberin errichteten Betriebsrats nicht zu.
1. Beteiligte des Einigungsstellenverfahrens sind die Arbeitgeberin und ihr am Standort Hamburg gebildeter örtlicher Betriebsrat. Beide haben sich am 9. August 2007 in einem gerichtlichen Vergleich auf die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens zur Regelung von Krankengesprächen und eines betrieblichen Eingliederungsmanagements verständigt.
2. Die Betriebsrätegemeinschaft ist nicht anstelle des Standortbetriebsrats Beteiligter des Einigungsstellenverfahrens geworden. Für die Ausübung der Beteiligungsrechte für den am Standort Hamburg der Arbeitgeberin gebildeten Betrieb ist allein der dort errichtete Betriebsrat zuständig. Die in § 4 Abs. 2 TV Zuordnung 2010 bestimmte Wahrnehmung von dessen Beteiligungsrechten durch die Betriebsrätegemeinschaft ist von der in § 3 Abs. 1 BetrVG enthaltenen tariflichen Öffnungsklausel nicht umfasst. Dies haben die Einigungsstelle und die Vorinstanzen verkannt.
a) Der TV Zuordnung 2010 legt eine von der gesetzlichen Betriebsverfassung abweichende Zuständigkeit von Arbeitnehmervertretungen fest.
aa) Die Wahl von Betriebsräten erfolgt nach § 1 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich in den Betrieben. § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 4 BetrVG enthalten ergänzende Regelungen zu gemeinsamen Betrieben mehrerer Unternehmen und zu Betriebsteilen und Kleinstbetrieben. Der aus einer Betriebsratswahl hervorgegangene Betriebsrat ist Repräsentant der Belegschaft der betrieblichen Einheit, von der er gewählt worden ist. Seine Errichtung und Betätigung erstreckt sich auf diese Einheit und ist gleichermaßen auf sie beschränkt (BAG 17. September 2013 – 1 ABR 21/12 – Rn. 24, BAGE 146, 89).
bb) Das Betriebsverfassungsgesetz erweitert die Zuständigkeit eines Betriebsrats für Arbeitnehmer einer anderen betrieblichen Einheit nur bei Bestehen eines Übergangsmandats (§ 21a BetrVG). Dieses soll in der besonderen Situation einer betrieblichen Umstrukturierung den davon betroffenen Arbeitnehmern vorübergehend ihre betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte erhalten und bis zur Errichtung eines Betriebsrats in der neuen Einheit eine betriebsratslose Zeit vermeiden. Der Gesetzgeber hat in § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG die Zuständigkeit des Betriebsrats für die ihm bisher zugeordneten Betriebsteile ausdrücklich und zeitlich befristet angeordnet. Dies lässt erkennen, dass es einer besonderen gesetzlichen Anordnung bedarf, um die Zuständigkeit eines für einen Betrieb gewählten Betriebsrats zu verändern (vgl. BAG 17. September 2013 – 1 ABR 21/12 – Rn. 25, BAGE 146, 89).
cc) § 4 Abs. 2 Satz 1 TV Zuordnung 2010 schließt den Betriebsrat von der Wahrnehmung der Beteiligungsrechte für die von ihm repräsentierte betriebliche Einheit aus und überträgt diese Befugnis einer Betriebsrätegemeinschaft.
(1) Nach § 2 Abs. 1 bis 3 TV Zuordnung 2010 werden an den Standorten der dort aufgeführten betrieblichen Einheiten Standortbetriebsräte errichtet. Auf diese von den Belegschaften der jeweiligen Einheiten gewählten Betriebsräte finden die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats sowie über die Rechtsstellung seiner Mitglieder nach Maßgabe der nachfolgenden Regelungen des TV Zuordnung 2010 Anwendung (§ 2 Abs. 5 TV Zuordnung 2010). Den Standorten werden in § 3 TV Zuordnung 2010 betriebliche Einheiten unterschiedlicher Unternehmen zugeordnet und die dort gewählten Arbeitnehmervertretungen in einer Betriebsrätegemeinschaft zusammengefasst (§ 4 Abs. 1 TV Zuordnung 2010). In dieser nehmen die Standortbetriebsräte und die Betriebsräte der Betriebe Ressourcen ihre Beteiligungsrechte und Pflichten gemeinsam wahr (§ 4 Abs. 2 Satz 1 TV Zuordnung 2010). Die Betriebsrätegemeinschaft besteht aus den Mitgliedern der an ihr beteiligten Betriebsräte. Sie wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter (§ 4 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 TV Zuordnung 2010).
(2) Danach tritt die Betriebsrätegemeinschaft bei der Ausübung der Beteiligungsrechte der zu ihr entsendenden Betriebsräte an deren Stelle. Die Belegschaft eines nach dem TV Zuordnung 2010 gebildeten Betriebs wird in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten nicht durch den von ihr gewählten Betriebsrat, sondern durch die Betriebsrätegemeinschaft vertreten. Diese nimmt die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der zu ihr entsendenden Betriebsräte wahr. Dies hat zur Folge, dass etwa über personelle Einzelmaßnahmen eines Betriebs auch betriebsfremde Mitglieder der Betriebsrätegemeinschaft entscheiden.
b) Durch Tarifvertrag kann keine vom Betriebsverfassungsgesetz abweichende Zuständigkeit für die Ausübung von Beteiligungsrechten bestimmt werden. Eine solche Regelungsbefugnis ist von der in § 3 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Öffnungsklausel nicht umfasst.
aa) Die Vorschrift eröffnet den Tarifvertragsparteien eine vom Betriebsverfassungsgesetz abweichende Ausgestaltung der Repräsentationsstrukturen. Durch Tarifvertrag können unter den gesetzlich normierten Voraussetzungen unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Betriebsräte (Nr. 1 Buchst. a und Buchst. b), Spartenbetriebsräte (Nr. 2) oder andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen (Nr. 3) bestimmt werden. Die vereinbarten Tarifnormen gelten auch für die Arbeitnehmer, die nicht Mitglieder der abschließenden Gewerkschaft sind. Nach § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 TVG ist für die unmittelbare und zwingende Wirkung von betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen die Tarifbindung des Arbeitgebers ausreichend. Die betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen treten in ihrem Geltungsbereich aber nur dann an die Stelle der im Betriebsverfassungsgesetz enthaltenen organisatorischen Bestimmungen, wenn sie den Anforderungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG genügen. Dies unterliegt der Kontrolle durch die Gerichte für Arbeitssachen, die bei der Auslegung und der Anwendung der Vorschrift verwandten unbestimmten Rechtsbegriffe die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Delegation staatlicher Normsetzungsbefugnis an die Tarifvertragsparteien ebenso berücksichtigen müssen, wie die sich aus der Betriebsverfassung ergebenden Grundsätze für die Bildung demokratisch legitimierter Arbeitnehmervertretungen (BAG 13. März 2013 – 7 ABR 70/11 – Rn. 32, BAGE 144, 290).
bb) Die Tarifvertragsparteien sind zwar unter den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG normierten Voraussetzungen zu einer vom Betriebsverfassungsgesetz abweichenden Bildung von betrieblichen Einheiten berechtigt, die an die Stelle der nach § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 4 BetrVG bestehenden Betriebe treten. In diesen Einheiten wählen die zugehörigen Arbeitnehmer als ihre Repräsentanten Betriebsräte, denen die durch das Betriebsverfassungsgesetz vermittelten Befugnisse zustehen. Die tarifliche Regelungsbefugnis umfasst aber nicht den Entzug betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse der gewählten Betriebsräte und deren Zuweisung an die durch Tarifvertrag bestimmten Organisationseinheiten. Dies folgt aus § 3 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 Alt. 1 BetrVG.
Nach § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gelten die ua. aufgrund eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten als Betriebe im Sinne dieses Gesetzes. Auf die Arbeitnehmervertretungen der durch Tarifvertrag bestimmten betrieblichen Einheiten finden jedoch die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats Anwendung (§ 3 Abs. 5 Satz 2 BetrVG). Durch diese Regelung ist klargestellt, dass die Belegschaft in den nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG gebildeten Einheiten von der dort gewählten Arbeitnehmervertretung repräsentiert wird. Deren Zuständigkeit für die von ihr vertretenen Arbeitnehmer kann weder beschränkt noch einer anderen Arbeitnehmervertretung übertragen werden.
c) Danach erweist sich der Einigungsstellenspruch vom 30. November 2010 als unwirksam. Es bedarf keiner Entscheidung, ob der TV Zuordnung 2010 die nach dem allein in Betracht kommenden § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bestehenden Voraussetzungen für die Bildung von anderen Arbeitnehmerstrukturen erfüllt. Selbst wenn diese vorlägen, hätte der TV Zuordnung 2010 das zwischen der Arbeitgeberin und dem an ihrem Standort Hamburg gebildeten Betriebsrat bestehende betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis nicht verändert. Die Zuständigkeit für die Ausübung eines etwaigen Mitbestimmungsrechts über den der Einigungsstelle im gerichtlichen Vergleich übertragenen Regelungsgegenstand ist nicht nach § 4 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 TV Zuordnung 2010 vom Standortbetriebsrat auf die Betriebsrätegemeinschaft übergegangen. Rechtsbeziehungen zwischen dieser und der Arbeitgeberin, die durch einen Einigungsstellenspruch ausgestaltet werden konnten, haben zu keiner Zeit bestanden. Bereits dieser Rechtsfehler führt zu dessen Unwirksamkeit.
IV. Auf die weiteren von der Arbeitgeberin angeführten Unwirksamkeitsgründe kommt es danach nicht mehr an.
Unterschriften
Schmidt, K. Schmidt, Koch, Wisskirchen, H. Schwitzer
Fundstellen
Haufe-Index 7693671 |
BAGE 2015, 74 |
BB 2015, 1012 |
BB 2015, 1085 |
DB 2015, 7 |
DB 2015, 929 |
EBE/BAG 2015 |
FA 2015, 156 |
NZA 2015, 694 |
AP 2015 |
EzA-SD 2015, 11 |
EzA 2015 |
NZA-RR 2015, 6 |
ArbRB 2015, 139 |
ArbR 2015, 210 |
GWR 2015, 192 |