Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
- Der Hauptwahlvorstand darf die Abstimmung nach § 9 Abs. 3 MitbestG über die Art der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer wiederholen lassen, wenn bei der ersten Abstimmung gegen Wahlvorschriften verstoßen wurde und daher eine auf der Grundlage dieser Abstimmung durchgeführte Aufsichtsratswahl anfechtbar gewesen wäre.
- Ein derartiger Verstoß kann darin liegen, daß ein Betriebswahlvorstand Weisungen des Hauptwahlvorstands nicht befolgt, die dieser im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz nach § 3 Abs. 3 der 3. WOMitbestG erteilt hat.
- § 19 Abs. 2 der 3.WOMitbestG erlaubt die Übersendung von Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe an alle Außendienstmitarbeiter, bei denen die Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, daß sie am Abstimmungstage nicht im Betrieb anwesend sein werden. Der Hauptwahlvorstand darf daher zur Sicherstellung einer einheitlichen Handhabung der Wahlvorschriften in allen Betrieben des Unternehmens im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz verbindlich vorschreiben, daß diesen Mitarbeitern Abstimmungsunterlagen übersandt werden müssen.
Normenkette
MitbestG § 9 Abs. 3, § 21 Abs. 1, § 22 Abs. 1; 3. WOMitbestG § 3 Abs. 3, § 19 Abs. 2, § 57 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 3. Oktober 1989 – 8 TaBV 4/89 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer im Unternehmen der Beteiligten zu 5).
Die vier Antragsteller und Rechtsbeschwerdeführer sind Arbeitnehmer der H… Niederlassung der Beteiligten zu 5), einer GmbH, die in ca. 50 inländischen Betrieben und mehreren Tochtergesellschaften über 31.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Weitere Beteiligte sind der in diesem Unternehmen gebildete Gesamtbetriebsrat, der Aufsichtsrat, die im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften und die Aufsichtsratsmitglieder, deren Wahl angefochten wird.
Zur Durchführung der Aufsichtsratswahl im Jahre 1988 wurde im Herbst 1987 ein Hauptwahlvorstand gebildet, der zugleich als Unternehmenswahlvorstand der Beteiligten zu 5) tätig wurde. In der Niederlassung H… wurde ein Betriebswahlvorstand gebildet. Über einen von mehr als 6.000 Arbeitnehmern unterzeichneten Antrag, die Arbeitnehmervertreter in unmittelbarer Wahl zu wählen, wurde am 9. Dezember 1987 abgestimmt. Am 10. Dezember 1987 teilte der Hauptwahlvorstand das “vorläufige Ergebnis” mit. Danach lag die Abstimmungsbeteiligung bei 48,33 %, womit für eine 50 %ige Abstimmungsbeteiligung 532 Stimmen fehlten. Von 15.393 abgegebenen Stimmen sprachen sich 14.301 für den Antrag aus. Eine formelle Bekanntmachung des Abstimmungsergebnisses erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 1987 informierte der Hauptwahlvorstand die Betriebswahlvorstände, daß er wegen Fehlern, die bei der Abstimmung über die Art der Wahl erfolgt sein sollten, beschlossen habe, die Abstimmung zu wiederholen. Dem Hauptwahlvorstand war bekannt geworden, daß, während in anderen vergleichbaren Betrieben die Beteiligung an der Abstimmung bei 61 % lag, sich in der Niederlassung H… nur 9,02 % der Arbeitnehmer beteiligt hatten. Der Betriebswahlvorstand der Niederlassung H… hatte entgegen der bis dahin stets üblichen Verfahrensweise und abweichend von den in Schulungs- und Informationsveranstaltungen des Hauptwahlvorstandes erteilten Hinweisen nicht an alle Mitarbeiter des technischen und kaufmännischen Außendienstes unaufgefordert Briefwahlunterlagen für die Wahl übersandt. Im Unterschied zu allen anderen Betrieben hatte der H… Betriebswahlvorstand Abstimmungsunterlagen unaufgefordert nur an die Mitarbeiter übersandt, von denen ihm definitiv bekannt war, daß sie am Tag der Abstimmung nicht im Betrieb sein würden. Somit erhielten mindestens 443 von 463 kaufmännischen sowie mindestens 64 von 162 technischen Außendienstmitarbeitern keine Abstimmungsunterlagen.
Die Tätigkeit der Mitarbeiter im kaufmännischen Außendienst erstreckt sich auf Beratung und Vertrieb von Informationstechnologie. Sie müssen oft kurzfristig und unvorhergesehen Termine bei Kunden wahrnehmen, die sich auch über mehrere Tage erstrecken können. Die Mitarbeiter im technischen Außendienst können insbesondere bei Notsituationen jederzeit ungeplant und für längere Zeit zu Kunden abberufen werden.
Außerdem hatte sich herausgestellt, daß im Betrieb M… 35 Schichtarbeiter, die während der Schichtarbeit keine Möglichkeit hatten, an der Abstimmung teilzunehmen, versehentlich keine Abstimmungsunterlagen erhalten hatten, daß 27 vor dem 9. Dezember 1987 eingestellte Arbeitnehmer noch nicht in die Wählerliste aufgenommen worden waren, in der sich zu Unrecht noch 17 bereits ausgeschiedene Mitarbeiter befanden, daß eine nicht genau bezeichnete Anzahl von der Hauptverwaltung in S… zugeordneten Heimarbeitern versehentlich keine Abstimmungsunterlagen erhalten hatten und daß in 30 Fällen richtig adressierte Abstimmungsbriefe infolge organisatorischer Mängel nicht an den zuständigen Betriebswahlvorstand gelangt und daher bei der Abstimmung unberücksichtigt geblieben waren.
Auf Antrag von vier Arbeitnehmern des Unternehmens untersagte das Arbeitsgericht Stuttgart durch Beschluß vom 20. Januar 1988 im Wege der einstweiligen Verfügung die Wiederholung der Abstimmung; dieser Beschluß wurde durch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg durch Beschluß vom 15. Februar 1988 – 8 TaBV 2/88 – abgeändert und der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung abgewiesen.
Die erneute Abstimmung wurde am 28. Januar 1988 durchgeführt. Diesmal wurden in sämtlichen Niederlassungen an alle kaufmännischen und technischen Außendienstmitarbeiter Abstimmungsunterlagen unaufgefordert übersandt. Es beteiligten sich 19.635 von 31.613 Abstimmungsberechtigten ( = 62,1 %); für die unmittelbare Wahl stimmten 18.385 Abstimmungsberechtigte. In der Niederlassung H… beteiligten sich 477 Wahlberechtigte und damit beinahe 48 %.
Am 27. April 1988 fand die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer im Wege der unmittelbaren Wahl statt. Auch bei dieser Wahl wurden an alle kaufmännischen und technischen Außendienstmitarbeiter unaufgefordert Briefwahlunterlagen übersandt. Das Ergebnis der Wahl wurde am 5. Mai 1988 durch Aushang bekanntgemacht und am 19. Mai 1988 im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Mit dem am 11. März 1988 eingeleiteten Beschlußverfahren fechten die Antragsteller die Wahl vom 27. April 1988 an. Sie vertreten im wesentlichen die Auffassung, daß die erste Abstimmung über die Art der Wahl rechtmäßig und daher ihre Wiederholung rechtswidrig gewesen sei. Die Wahl hätte demnach durch Wahlmänner erfolgen müssen. Eine Berichtigung durch den Hauptwahlvorstand komme allenfalls für solche Teilakte einer Abstimmung in Betracht, bei denen eine rechtzeitige Korrektur ohne Einfluß auf den Wählerwillen bleibe. Ein Eingriff in einen abgeschlossenen Abstimmungsvorgang sei unzulässig. Im übrigen habe sich der Betriebswahlvorstand in der Niederlassung H… streng an § 19 Abs. 2 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz … (3. WOMitbestG) gehalten. Er habe nicht das sonst übliche Verfahren, allen Beschäftigten des Außendienstes Briefwahlunterlagen aufzudrängen, mitmachen müssen. Der Hauptwahlvorstand habe auch nicht eine diesbezügliche Richtlinienkompetenz. Die zweite Abstimmung und die Aufsichtsratswahl selbst seien auch deshalb rechtswidrig gewesen, weil bei ihnen an alle Mitarbeiter des technischen und kaufmännischen Außendienstes unzulässigerweise Abstimmungs- und Briefwahlunterlagen unaufgefordert versandt worden seien.
Die Antragsteller haben beantragt,
die in der Firma der Beteiligten zu 5) am 27. April 1988 durchgeführte Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer im Unternehmen der Beteiligten zu 5) für unwirksam zu erklären.
Die Beteiligten zu 5), 6), 9), 10) und 20) haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten zu 5), 6), 9), 10) und 20) sind der Ansicht, die Wiederholung der Abstimmung bezüglich der Art der Wahl sei zulässig gewesen. Die erste Abstimmung, bei der allein in der Niederlassung H… 507 Mitarbeiter sowie in weiteren Betrieben 181 Mitarbeiter zu Unrecht keine Abstimmungsunterlagen erhalten hätten, sei in einem Umfang fehlerhaft gewesen, der für die Nichterreichung des 50 %-Quorums ursächlich geworden sei. Solange die Wahl nicht stattgefunden habe, stehe dem Hauptwahlvorstand, wie sich aus § 22 MitbestG ergebe, die Kompetenz zu, Fehler des Wahlverfahrens zu korrigieren. Die unaufgeforderte Übersendung der Abstimmungs- und Briefwahlunterlagen an alle Mitarbeiter des kaufmännischen und technischen Außendienstes sei nicht unzulässig, sondern vielmehr durch § 19 Abs. 2 der 3. WOMitbestG geboten. Nach der Eigenart der Beschäftigung im Außendienst sei nicht mit Sicherheit voraussehbar, daß diese am Tag der Wahl im Betrieb persönlich anwesend sein würden. Insbesondere stehe dem Hauptwahlvorstand eine diesbezügliche Richtlinienkompetenz gemäß § 3 der 3.WOMitbestG zu.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter. Die Beteiligten zu 5), 6), 9) und 20) beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die am 27. April 1988 durchgeführte Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer als rechtswirksam erachtet. Denn Verstöße gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren, die gemäß § 22 Abs. 1 MitbestG zur Anfechtung dieser Wahl berechtigen würden, sind weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich.
I. Die Wahl ist zu Recht als unmittelbare Wahl im Sinne des § 18 MitbestG durchgeführt worden. Gemäß § 9 Abs. 1 MitbestG werden in einem Unternehmen mit in der Regel mehr als 8.000 Arbeitnehmern die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer durch Wahlmänner gewählt, sofern nicht die wahlberechtigten Arbeitnehmer in einer Abstimmung gemäß § 9 Abs. 3 MitbestG die unmittelbare Wahl beschließen. Eine solche Beschlußfassung ist im Entscheidungsfalle fehlerfrei erfolgt.
1. Die Beschlußfassung war insbesondere nicht deshalb fehlerhaft, weil der Hauptwahlvorstand am 28. Januar 1988 die Abstimmung wiederholen ließ, nachdem in der ersten Abstimmung am 9. Dezember 1987 die gemäß § 9 Abs. 3 Satz 3 MitbestG erforderliche Abstimmungsbeteiligung von mindestens der Hälfte der wahlberechtigten Arbeitnehmer nicht erreicht worden war. Zu dieser Wiederholung war der Hauptwahlvorstand aufgrund seiner aus § 22 Abs. 1 MitbestG folgenden Berichtigungskompetenz berechtigt. Denn bei der ersten Abstimmung vom 9. Dezember 1987 war in einer Weise gegen Wahlvorschriften verstoßen worden, daß eine auf dieser Abstimmung beruhende Aufsichtsratswahl anfechtbar gewesen wäre.
a) Die Frage, wie weit die dem Hauptwahlvorstand nach § 22 Abs. 1 MitbestG zustehende Berichtigungsbefugnis geht, wird im Schrifttum überwiegend zurückhaltend beantwortet. Danach soll eine Berichtigung nur in Betracht kommen bei Fehlern, die ohne weiteres behoben werden könnten, wie z.B. einer versehentlich falschen Bezeichnung des Gewählten, Rechenfehlern bei der Verteilung der Sitze unter die Gruppen oder falscher Stimmenauszählung; der Wahlvorstand könne dann eine erneute Zählung und Berechnung der Sitzverteilung vornehmen und das berichtigte Wahlergebnis bekanntgeben (Hoffmann/Lehmann/Weinmann, MitbestG § 21 Rz 18, 19; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 19 Rz 26; Raiser, MitbestG, 2. Aufl., § 22 Rz 12; Hanau/Ulmer, MitbestG, § 21 Rz 25). Paland (Berichtigung von Fehlern während laufender Wahlen nach dem Mitbestimmungsgesetz 76, DB 1988, 1494 f.) und Thau (Mängel der Aufsichtsratswahlen nach dem Mitbestimmungsgesetz, S. 255) halten die Korrektur eines abgeschlossenen Teilaktes durch den Wahlvorstand für nicht mehr möglich. Dies ergebe sich aus § 21 MitbestG. Durch diese Vorschrift werde die Anfechtung der Wahl der Wahlmänner in die Kompetenz der Arbeitsgerichte gelegt, denen im Rahmen eines Anfechtungsverfahrens allein die Verwerfungskompetenz zustehe. Der Gesetzgeber wolle derart abgeschlossene Teilakte nicht den Wahlvorständen, sondern den Arbeitsgerichten zuweisen. Würde man eine großzügigere Korrekturmöglichkeit für zulässig erachten, wäre die Rechtsstaatlichkeit des Wahlverfahrens gefährdet. Es bestünde die Gefahr der Wahlmanipulation. Der Wahlvorstand könnte mit der Begründung, es liege ein Fehler vor, Teilakte der Wahl (z.B. Vorabstimmung über eine Urwahl) aufheben und erneut durchführen. Wie sonst nur ein Gericht, aber ohne an ein formalisiertes Verfahren gebunden zu sein, könnte der Wahlvorstand jederzeit in das Verfahren eingreifen. Trotz der wichtigen Funktion des Wahlvorstandes könne ihm daher nach Sinn und Zweck des Mitbestimmungsgesetzes eine so weitreichende Kompetenz nicht zugebilligt werden. Er wäre mit einer solchen ständigen Rechtskontrolle überfordert und häufig einem Manipulationsvorwurf ausgesetzt.
Dieser Einschränkung der Berichtigungskompetenz vermag der Senat nicht zu folgen. Das Gesetz geht in § 22 Abs. 1 MitbestG ebenso wie in § 19 Abs. 1 BetrVG davon aus, daß ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften berichtigt werden kann. Eine Beschränkung der Berichtigungsmöglichkeit auf bestimmte Verstöße oder auf Fälle der offenbaren Unrichtigkeit ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Deshalb sind von der Art her alle Fehler korrigierbar, insbesondere auch fehlerhafte Vorabstimmungen, deren Mängel sich zwangsläufig auf die Aufsichtsratswahl selbst auswirken (so auch Feudner/Voerste, Anm. zum Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15. Februar 1988 – 8 Ta BV 2/88 – BB 1988, 1347 f.). Durch die in § 22 Abs. 1 MitbestG ebenso wie in § 21 Abs. 1 MitbestG und in § 19 Abs. 1 BetrVG eröffnete Berichtigungsmöglichkeit soll die Anfechtbarkeit der Wahl möglichst vermieden werden. Daraus kann und muß geschlossen werden, daß nicht nur das Wahlergebnis, sondern auch Fehler des Wahlverfahrens der Berichtigung zugänglich sein sollen (so auch BAG Beschluß vom 19. September 1985, BAGE 50, 1 = AP Nr. 12 zu § 19 BetrVG 1972; Kreutz, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 19 Rz 34).
In welcher Weise die Berichtigung zu erfolgen hat, hängt von der Art des zu korrigierenden Wahlfehlers ab. Ziel der Berichtigung (und damit Maßstab der Berichtigungsfähigkeit) muß es sein, den Einfluß des Wahlfehlers auf das Wahlergebnis zu unterbinden. Deshalb kann die Berichtigung auch darin bestehen, daß fehlerhaft durchgeführte, dem eigentlichen Wahlakt vorgeschaltete Abstimmungen unter Vermeidung des Fehlers wiederholt werden. Die damit verbundenen Verzögerungen des eingeleiteten Wahlverfahrens sind in Kauf zu nehmen, wenn erkennbar ist, daß die vorgekommenen Rechtsverstöße das Wahlergebnis beeinflussen können und in anderer Weise nicht zu beheben sind (Kreutz, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 19 Rz 34).
Aus § 21 Abs. 1 MitbestG läßt sich nicht herleiten, daß die Beseitigung der Folgen fehlerhafter Teilakte einer Wahl allein den Gerichten vorbehalten bleiben solle. Die Vorschrift gibt die Möglichkeit, die Wahl der Wahlmänner eines Betriebes jeweils gesondert bei Gericht anzufechten, bevor die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Wahlmänner erfolgt ist. Der gesetzgeberische Grund für diese Regelung liegt nach den Gesetzesmaterialien darin, eine gerichtliche Vorabprüfung von Rechtsverstößen bei der Wahl der Wahlmänner zu ermöglichen und dadurch zu vermeiden, daß Fehler bei der Wahl der Wahlmänner später zur Anfechtbarkeit der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach § 22 MitbestG führen und eine Wiederholung dieser Wahl erforderlich machen (vgl. Begründung zu § 19 Reg. -Entwurf in BT-Drucks. VII/2172 S. 25 f.). Daß der Gesetzgeber mit der Schaffung dieser zusätzlichen Anfechtungsmöglichkeit zugleich alle anderen Teilakte der Aufsichtsratswahl der Berichtigungskompetenz des Wahlvorstandes entziehen wollte, kann nicht angenommen werden, zumal auch § 21 Abs. 1 MitbestG die Möglichkeit der vorherigen Berichtigung von Wahlfehlern ausdrücklich vorsieht.
Insbesondere bei einem mehrgliedrigen Wahlverfahren, wie es die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer ist, kann, wie bereits das Arbeitsgericht zu Recht ausführt, der Wahlvorstand nicht gezwungen werden, eine Wahl bis zum Ende durchzuführen, obwohl vorher schon feststeht, daß diese Wahl, wenn keine Berichtigung erfolgt, anfechtbar sein wird. Der Wahlvorstand müßte sehenden Auges ein anfechtbares Wahlverfahren fortsetzen und zu Ende führen. Für einen solchen gesetzgeberischen Willen ist kein Grund ersichtlich.
Eine Wiederholung der Vorabstimmung über die Art der Wahl unmittelbar nach Feststellung eines ergebnisrelevanten Verstoßes gegen Wahlvorschriften und vor der Durchführung weiterer Wahlhandlungen stellt auch keine Einschränkung des Wahlrechts der Wahlberechtigten dar. Vielmehr ist, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausführt, durch die Wiederholung der Vorabstimmung gerade sichergestellt, daß die Wahlbeteiligten ihre Rechte bei einer Abstimmung nach § 9 Abs. 3 MitbestG ordnungsgemäß wahrnehmen können. Nach einer Wiederholung der Vorabstimmung kann das Wahlverfahren noch ordnungsgemäß ablaufen.
b) Die erste Abstimmung vom 9. Dezember 1987 war mit einem Verfahrensverstoß behaftet, der für das Nichterreichen der von § 9 Abs. 3 Satz 3 MitbestG geforderten Abstimmungsbeteiligung ursächlich gewesen sein kann und daher die Anfechtbarkeit der Aufsichtsratswahl begründet hätte. Denn die Nichtübersendung der schriftlichen Abstimmungsunterlagen an 507 Mitarbeiter des kaufmännischen und technischen Außendienstes der Niederlassung H… verstieß gegen § 19 Abs. 2 der 3. WOMitbestG. Zusammen mit den übrigen Arbeitnehmern, die nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu Unrecht von der Abstimmung ausgeschlossen worden waren, ergibt sich damit nach der den Senat bindenden Berechnung des Landesarbeitsgerichts eine ausreichende Anzahl von Arbeitnehmern, deren Nichtbeteiligung an der Abstimmung für das Nichterreichen des 50 % igen Quorums ursächlich geworden sein kann.
aa) Gemäß § 19 Abs. 2 der hier einschlägigen 3. WOMitbestG erhalten Abstimmungsberechtigte, von denen dem Betriebswahlvorstand bekannt ist, daß sie im Zeitpunkt der Abstimmung nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (insbesondere in Heimarbeit Beschäftigte und Außenarbeiter), die in Abs. 1 bezeichneten Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe, ohne daß es eines Verlangens des Abstimmungsberechtigten bedarf. Gegen diese Vorschrift hat der Betriebswahlvorstand der Niederlassung H… dadurch verstoßen, daß er es entgegen den vom Hauptwahlvorstand aufgestellten Richtlinien unterließ, an 507 Mitarbeiter des kaufmännischen und technischen Außendienstes unaufgefordert Abstimmungsunterlagen zu übersenden. Denn die Richtlinien des Hauptwahlvorstandes hielten sich im Rahmen der Regelung des § 19 Abs. 2 der 3.WOMitbestG und damit im Rahmen seiner sich aus § 3 Abs. 3 der 3.WOMitbestG ergebenden Richtlinienkompetenz.
bb) Allerdings erstreckt sich die Richtlinienkompetenz des Hauptwahlvorstandes nicht darauf, die Auslegung zwingender Wahlvorschriften verbindlich vorzuschreiben. Gemäß § 3 Abs. 3 der 3. WOMitbestG wird in den einzelnen Betrieben jedes Unternehmens die Wahl im Auftrag und nach den Richtlinien des Hauptwahlvorstandes und des Unternehmenswahlvorstandes durch Betriebswahlvorstände durchgeführt. Zwischen den Wahlvorständen besteht ein Verhältnis der Über- und Unterordnung. Richtlinien eines übergeordneten Wahlvorstandes sind für die ihm untergeordneten Wahlvorstände zwar grundsätzlich verbindlich. Da aber sehr viele Einzelheiten des Wahlverfahrens im Gesetz und den Wahlordnungen bereits zwingend festgelegt sind, verbleibt den übergeordneten Wahlvorständen kein großer Spielraum für eigene Verfahrensrichtlinien. Die dem Hauptwahlvorstand durch die WahlO überantwortete Richtlinienkompetenz gibt ihm grundsätzlich nur das Recht zur Erteilung allgemeiner organisatorischer Anweisungen und zur sachgerechten Terminierung des Wahlverfahrens unter Beachtung der zwingenden Fristen, die in den Wahlordnungen vorgeschrieben sind. Denkbar und nützlich sind auch Empfehlungen und Ratschläge, durch die der Unternehmens- oder Hauptwahlvorstand den einzelnen Wahlvorständen Hinweise gibt mit dem Ziel, die einheitliche Anwendung der Wahlordnungen sowie der Wahlvorschriften des MitbestG auf Unternehmens- bzw. Konzernebene zu sichern (so auch Säcker, Die Wahlordnungen zum Mitbestimmungsgesetz, München 1978, S. 21). Insbesondere zur Wahrung der Chancengleichheit in den einzelnen Betrieben muß die Anwendung der Wahlvorschriften einheitlich erfolgen. Auch dies ist wesentlicher Inhalt der Richtlinienkompetenz des Hauptwahlvorstandes.
cc) Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 der 3. WOMitbestG eröffnet durch ihr Tatbestandsmerkmal “voraussichtlich” eine gewisse Spannbreite ihrer Anwendung. Innerhalb dieser Spannbreite ist der Hauptwahlvorstand berechtigt, aufgrund seiner Richtlinienkompetenz die Handhabung der Vorschrift für die Betriebswahlvorstände verbindlich vorzuschreiben, um die Wahlgleichheit in den einzelnen Betrieben zu gewährleisten. Diese Spannbreite hat der Hauptwahlvorstand im Entscheidungsfalle durch seine Anordnung einer großzügigen Handhabung, nach der alle Außendienstmitarbeiter der Vorschrift des § 19 Abs. 2 der 3.WOMitbestG unterfallen, nicht überschritten.
Eine von den Antragstellern befürwortete enge Auslegung dieser Vorschrift verbietet sich schon deshalb, weil sie bei vielen Arbeitnehmern zur Beschneidung der Wahlmöglichkeit und damit zum Verlust des Wahlrechts überhaupt führen kann, während eine großzügige Auslegung lediglich eine Ausübungsmodalität des Wahlrechts beträfe; die Möglichkeit der Teilnahme an der Wahl überhaupt ist jedenfalls im Verhältnis zum Vorrang der persönlichen Stimmabgabe das schützenswertere Rechtsgut. Die Vorschriften über die schriftliche Stimmabgabe dienen der Erleichterung der Abstimmungsbeteiligung für die Arbeitnehmer, die verhindert sind, ihre Stimme persönlich abzugeben. Dabei stellt § 19 Abs. 2 der 3. WOMitbestG nicht auf die positive Kenntnis des Betriebswahlvorstandes von individuellen Umständen ab, sondern auf die Kenntnis davon, daß ein Arbeitnehmer nach der Eigenart seines Beschäftigungsverhältnisses zu einer Gruppe von Arbeitnehmern gehört, bei denen die ernsthaft in Betracht zu ziehende Möglichkeit besteht, daß sie zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht im Betrieb anwesend sein werden. Als Beispiele für dieser Gruppe zugehörende Arbeitnehmer nennt die Vorschrift die in Heimarbeit Beschäftigten und Außenarbeiter. Zu dieser Gruppe gehören auch sonstige Außendienstmitarbeiter, bei denen aufgrund der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß sie am Abstimmungstage nicht im Betrieb anwesend sein werden.
Es war daher für den Betriebswahlvorstand verbindlich, daß der Hauptwahlvorstand dieser Gruppe auch die kaufmännischen und technischen Außendienstmitarbeiter zugeordnet hat, die nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts häufig unvorhergesehen und kurzfristig Termine bei Kunden wahrnehmen müssen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist es insbesondere unerheblich, ob diese Mitarbeiter möglicherweise tatsächlich am Tage der Abstimmung im Betrieb anwesend und somit an der persönlichen Stimmabgabe nicht verhindert waren. Denn auch in diesem Falle kann es durch die Nichtzusendung schriftlicher Abstimmungsunterlagen zu einer Nichtbeteiligung an der Abstimmung gekommen sein.
2. Aus dem Gesagten folgt, daß ein Verfahrensfehler der (zweiten) Vorabstimmung vom 28. Januar 1988 auch nicht darin liegt, daß nunmehr allen kaufmännischen und technischen Außendienstmitarbeitern unaufgefordert Abstimmungsunterlagen übersandt wurden.
3. Die erneute Abstimmung vom 28. Januar 1988 war schließlich auch nicht deshalb unzulässig, weil sie durch einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts vom 20. Januar 1988 untersagt worden war und dieser Beschluß am 28. Januar 1988 noch bestand. Eine einstweilige Verfügung auf Unterlassen stellt schon wegen des ihr zugrunde liegenden summarischen Verfahrens nicht mit materieller Rechtskraftwirkung fest, daß das untersagte Verhalten unzulässig ist. Sie schafft lediglich während ihres Bestehens einen Vollstreckungstitel, aufgrund dessen versucht werden kann, die Unterlassung des untersagten Verhaltens durch die Androhung und Verhängung von Ordnungsmitteln tatsächlich zu verhindern. Die Wirksamkeit der untersagten Handlung selbst wird dadurch nicht beeinträchtigt. Im übrigen ist die vorliegende einstweilige Verfügung durch Beschluß des Landesarbeitsgerichts vom 15. Februar 1988 (– 8 TaBV 2/88 –) aufgehoben worden und damit (auch in ihrer Eignung als Vollstreckungstitel) rückwirkend entfallen.
II. Auch bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer am 27. April 1988 wurden an alle kaufmännischen und technischen Außendienstmitarbeiter unaufgefordert Briefwahlunterlagen übersandt. Dies war kein Verstoß gegen Wahlvorschriften, so daß auch insoweit ein Anfechtungsgrund nicht vorliegt. Denn der für die Aufsichtsratswahl einschlägige § 57 Abs. 2 der 3.WOMitbestG entspricht inhaltlich der Vorschrift des § 19 Abs. 2 der 3.WOMitbestG, so daß die obigen Ausführungen zu dieser Vorschrift hier entsprechend gelten.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Dr. Wittek, Dr. Steckhan, Lappe
Der ehrenamtliche Richter Kleeschulte ist wegen Ablaufs seiner Amtszeit an der Unterschrift verhindert.
Dr. Seidensticker
Fundstellen
Haufe-Index 839236 |
BAGE, 254 |
BB 1991, 2446 |
JR 1992, 44 |
NZA 1992, 33 |
RdA 1991, 381 |