Entscheidungsstichwort (Thema)
Allgemeinverbindlicherklärung. Wirksamkeit. Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV). Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags bedarf als Akt der Normsetzung der demokratischen Legitimation in Form der zustimmenden Befassung des zuständigen Ministers oder seines Staatssekretärs mit der Angelegenheit. Dieses Erfordernis besteht unabhängig von konkreten Inhalten des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrags.
2. Für die Ermittlung der sog. Großen Zahl kam es nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF auf die Anzahl der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer an. Unerheblich war hingegen, ob die Allgemeinverbindlicherklärung mit Einschränkungen hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs ergangen ist.
Orientierungssatz
1. Bei dem Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG handelt es sich der Sache nach um ein abstraktes Normenkontrollverfahren. In ihm können auch vor Inkrafttreten der Neuregelung erlassene Allgemeinverbindlicherklärungen (AVE) oder Rechtsverordnungen (VO) einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden (Rn. 42, 38). Auch außer Kraft getretene AVE oder VO können Gegenstand dieses Verfahrens sein. Voraussetzung dafür ist aber, dass sie noch geschützte Rechtspositionen des Antragstellers beeinträchtigen können; dies hat er darzulegen (Rn. 49).
2. Eine Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 ArbGG liegt vor, wenn der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die angegriffene AVE oder VO oder deren Anwendung in einer eigenen Rechtsposition verletzt wird oder dies in absehbarer Zeit droht. Dabei ist nicht erforderlich, dass eine solche Rechtsverletzung schon eingetreten ist (Rn. 45 ff.).
3. Im Fall der Aussetzung eines Rechtsstreits nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG bedarf es – auch bei einer außer Kraft getretenen AVE oder VO – für die dortigen Parteien/Beteiligten keiner weiteren Darlegungen hinsichtlich ihrer Antragsbefugnis oder des Feststellungsinteresses. Unschädlich ist, wenn sich der Antragsteller mit anderen rechtlichen Argumenten (hier: Leugnen des Unterfallens unter den Geltungsbereich des VTV) im Ausgangsprozess gegen eine Inanspruchnahme aus der erstreckten Tarifregelung wehrt (Rn. 51, 55).
4. Ein berechtigtes rechtliches Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit einer AVE oder VO ist nicht mehr gegeben, wenn alle den maßgeblichen Zeitraum der Tariferstreckung betreffenden Rechtsstreite des Antragstellers rechtskräftig abgeschlossen sind. Die beabsichtigte Erhebung einer Restitutionsklage nach § 580 ZPO, die alleine auf die später in einem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG möglicherweise erfolgende Feststellung der Unwirksamkeit einer AVE oder VO gestützt werden soll, kann ein solches Feststellungsinteresse nicht begründen. Vielmehr scheidet eine solche Restitutionsklage mangels Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen aus. Auch eine entsprechende Anwendung der Norm kommt nicht in Betracht (Rn. 58 ff.).
5. Gleiches gilt, wenn eine Koalition sich erst nach Ablauf des erstreckten Tarifvertrags gegen die Wirksamkeit einer AVE oder VO wendet, ohne darzulegen, inwieweit daraus noch eine aktuelle oder zukünftige Rechtsverletzung resultieren kann (Rn. 73 f.).
6. Am Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG ist nach § 98 Abs. 3 Satz 3 ArbGG stets die erlassende Behörde zu beteiligen. Die weiteren Beteiligungen bestimmen sich entsprechend § 83 Abs. 3 ArbGG nach der materiellen Betroffenheit der Personen und Stellen. Stets zu beteiligen sind neben den Antragstellern danach nur die Tarifvertragsparteien, die den erstreckten Tarifvertrag abgeschlossen haben. Hingegen sind weder alle unter die Tarifregelung fallenden Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu beteiligen noch konkurrierende Tarifvertragsparteien, soweit sie keinen eigenen Antrag gestellt haben (Rn. 78 ff.).
7. Nach dem im Beschlussverfahren geltenden eingeschränkten Untersuchungsgrundsatz haben die Gerichte für Arbeitssachen die Wirksamkeit einer AVE oder VO im Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG von sich aus auf deren formelle oder materielle Wirksamkeit zu überprüfen. Der Umfang der Prüfpflicht hängt sowohl vom Vortrag der Antragsteller als auch von anderen, dem Gericht bekannten Umständen ab. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der des Erlasses der AVE oder VO (Rn. 89 ff.).
8. Die AVE von Tarifverträgen verstößt weder gegen nationales Verfassungsrecht noch gegen Bestimmungen der EMRK (Rn. 95 f.). Eine Vorlage an den EuGH scheidet – ungeachtet der Entscheidungserheblichkeit – hinsichtlich der angegriffenen AVE mangels hinreichendem Anknüpfungspunkt an das Unionsrecht aus (Rn. 97 ff.).
9. Die AVE eines Tarifvertrags setzt dessen Wirksamkeit voraus, was unter anderem die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit der jeweiligen Tarifvertragsparteien verlangt. Werden in einem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG vernünftige Zweifel hieran geäußert, ist das Verfahren bei Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG auszusetzen (Rn. 118 ff.).
10. Die Entscheidung des zuständigen Ministeriums, ein öffentliches Interesse für die AVE anzunehmen, ist nur in beschränktem Umfang gerichtlich nachprüfbar, da ihm ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt. Dieser weite Beurteilungsspielraum ist eine Ausprägung des mit Rechtsetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens. Der (politische) Bewertungsprozess des Ministeriums kann nur darauf überprüft werden, ob die äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis überschritten sind und die getroffene Entscheidung schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist (Rn. 126 f.).
11. Für den Normerlass ist das Verwaltungsverfahrensgesetz, insbesondere der in § 24 VwVfG geregelte Untersuchungsgrundsatz, weder unmittelbar noch analog anwendbar. Entscheidend ist allein, ob das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden rechtlichen Maßstäben entspricht (Rn. 134 f.).
12. Bei der AVE handelt es sich stets um einen Normsetzungsakt, der politisch und parlamentarisch verantwortet werden muss und bei dem wichtige arbeitsmarkt- und sozialpolitische Erwägungen jedenfalls zur Frage des „öffentlichen Interesses” anzustellen sind. Deshalb bedarf die AVE eines Tarifvertrags als Ausübung von Staatsgewalt der demokratischen Legitimation in Form der zustimmenden Befassung des zuständigen Ministers oder seines Staatssekretärs mit der Angelegenheit. Dieses Erfordernis besteht unabhängig von konkreten Inhalten des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrags (Rn. 155 ff.).
13. Aus rechtsstaatlichen Gründen muss die materielle Zurechenbarkeit der AVE in Bezug auf den Minister aktenkundig dokumentiert sein, da nur so eine verlässliche, effektive gerichtliche Kontrolle exekutiven Handelns möglich ist (Rn. 165).
14. Eine vor Normerlass fehlende Befassung oder Billigung durch den Minister kann nicht nach Normerlass nachgeholt werden. Vielmehr kommt es für die Prüfung der Wirksamkeit der AVE maßgeblich auf deren Erlass an; zu diesem Zeitpunkt müssen alle Wirksamkeitsvoraussetzungen objektiv vorgelegen haben (Rn. 169).
15. Für die Ermittlung der sog. Großen Zahl kam es nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF auf die Anzahl der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer an. Unerheblich war hingegen, ob die AVE mit Einschränkungen hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs ergangen ist (Rn. 187 ff.). Die Berücksichtigung der sog. Großen Einschränkungsklausel bei der Ermittlung der Großen Zahl macht die vom zuständigen Ministerium verwendete Schätzgrundlage unbrauchbar (Rn. 203).
16. Maßstab für die gerichtliche Kontrolle sind allein die zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen (Rn. 205 f.).
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3, Art. 20, 80 Abs. 1; GRC Art. 16, 51 Abs. 1 S. 1; AEUV Art. 49, 56, 267 Abs. 3; Rom I-VO Art. 8-9; EMRK Art. 11; Protokoll Nr. 1 zur EMRK Art. 1; ArbGG (in der ab 16. August 2014 geltenden Fassung) § 2a Abs. 1 Nr. 5, §§ 83, 97 Abs. 5, § 98; BVerfGG § 79 Abs. 2; EGBGB Art. 30, 34; TVG (in der bis 15. August 2014 geltenden Fassung) § 5; VwGO §§ 47, 183; VwVfG § 24; ZPO § 580
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 1. und 2., 9. bis 14., 19. und 21. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. April 2015 – 2 BVL 5001/14, 2 BVL 5002/14 – aufgehoben.
- Es wird festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung vom 15. Mai 2008 (Bundesanzeiger Nr. 104a vom 15. Juli 2008) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 in der Fassung des letzten Änderungstarifvertrags vom 20. August 2007 unwirksam ist.
- Es wird festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung vom 15. Mai 2008 (Bundesanzeiger Nr. 104a vom 15. Juli 2008) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 in der Fassung des letzten Änderungstarifvertrags vom 5. Dezember 2007 unwirksam ist.
- Es wird festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung vom 25. Juni 2010 (Bundesanzeiger Nr. 97 vom 2. Juli 2010) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 unwirksam ist.
II. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 18. gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. April 2015 – 2 BVL 5001/14, 2 BVL 5002/14 – wird als unzulässig verworfen.
III. Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 3. und 20. gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. April 2015 – 2 BVL 5001/14, 2 BVL 5002/14 – werden zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen (AVE) vom 15. Mai 2008 (BAnz. Nr. 104a vom 15. Juli 2008) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 in den Fassungen vom 20. August 2007 und 5. Dezember 2007 (AVE VTV 2008) sowie über die Wirksamkeit der AVE vom 25. Juni 2010 (BAnz. Nr. 97 vom 2. Juli 2010) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 (AVE VTV 2010).
Der VTV wurde auf Arbeitgeberseite von den Beteiligten zu 6. und 7., dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V. (ZDB) und dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. (HDB), jeweils mit der Beteiligten zu 8., der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), abgeschlossen. Der VTV regelt die Durchführung des in weiteren Tarifverträgen festgelegten Urlaubskassenverfahrens, der zusätzlichen Altersversorgung und der Berufsbildung im Baugewerbe.
Der Beteiligte zu 5. ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse des Baugewerbes (ULAK), eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit Rechtsfähigkeit aufgrund staatlicher Verleihung. Er ist seit dem 1. Januar 2010 (§ 3 Abs. 3 VTV vom 18. Dezember 2009) die gemeinsame Einzugsstelle für die im Urlaubskassen- und Berufsbildungsverfahren zu zahlenden tariflich festgelegten Beiträge. Darüber hinaus zieht er bei Arbeitgebern mit Sitz in den alten Bundesländern die Beiträge der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG (ZVK) sowie die Beiträge der regionalen Kassen in Bayern und Berlin ein. Vor dem 1. Januar 2010 nahm die ZVK die Funktion der gemeinsamen Einzugsstelle wahr (§ 3 Abs. 3 VTV vom 20. Dezember 1999).
Mit Schreiben vom 21. August 2007 beantragte der Beteiligte zu 6., zugleich namens und in Vollmacht der Beteiligten zu 7. und 8., beim Beteiligten zu 4., dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), den VTV idF vom 20. August 2007 ab dem 1. Oktober 2007 mit Einschränkungen beim betrieblichen Geltungsbereich (sog. Große Einschränkungsklausel) für allgemeinverbindlich zu erklären. Ein entsprechender Antrag der Beteiligten zu 8., zugleich namens und in Vollmacht der Beteiligten zu 6. und 7., folgte mit Schreiben vom 11. Dezember 2007 hinsichtlich des VTV idF vom 5. Dezember 2007. Die Antragsteller teilten in diesem Zusammenhang mit, dass zum Stichtag 30. September 2007 nach Angaben der ZVK in 69.290 am Sozialkassenverfahren teilnehmenden Betrieben insgesamt 516.733 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt gewesen seien (sog. Große Zahl). In den tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbänden seien in 27.411 Mitgliedsbetrieben 345.302 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt gewesen (sog. Kleine Zahl).
Die Anträge wurden an die obersten Arbeitsbehörden der Länder zur Stellungnahme übermittelt und ebenso wie der Termin für die Verhandlung des Tarifausschusses im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
In einem Vermerk vom 24. Februar 2008 gelangte der Beteiligte zu 4. unter Heranziehung der Zahlen des Statistischen Bundesamts, Fachserie 4, Reihe 5.1 „Beschäftigte und Umsatz der Betriebe im Baugewerbe”, Jahr 2007, bereinigt um die Wirtschaftszweige Dachdeckerei und Gerüstbau, zu einer Zahl von insgesamt 660.861 Beschäftigten in 63.672 Betrieben. Abschließend heißt es dort auszugsweise:
„III. Wertung
Betriebszahlen
Die Anzahl der von der ZVK gemeldeten Betriebe liegt über dem Wert der Statistik. Der Unterschied folgt daraus, dass die ZVK die Betriebe streng auf der Grundlage des Geltungsbereichs der Bau-Tarifverträge erfasst. Die ZVK-Zahl ist danach aller Voraussicht nach die genauere.
Beschäftigtenzahlen
Die Statistik weist alle in Bau-Betrieben Beschäftigten aus. Vom Geltungsbereich der Bau-Tarifverträge werden jedoch im Wesentlichen gewerbliche Arbeitnehmer erfasst. Die Beschäftigtenzahl der Statistik ist somit gegenüber diesem Wert stark überhöht. Damit wird zugleich der Umstand kompensiert, dass im Bereich Bauinstallation und sonstiges Baugewerbe von der Statistik nur Betriebe mit 10 Beschäftigten und mehr ausgewiesen werden.
IV. |
‚50 %-Relation’ |
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Das Verhältnis der organisierten Betriebe und der in ihnen tätigen gewerblichen Arbeitnehmer zu der Gesamtzahl der Betriebe des Baugewerbes und der von ihnen beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer stellt sich bei Zugrundelegung der jeweils ungünstigsten Werte wie folgt dar: |
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Gebiet: Deutschland |
Baubetriebe |
organisierte Baubetriebe |
Relation in % |
Betriebe |
Beschäftigte |
Betriebe |
Gew. Arbeitn. |
Betriebe |
Beschäftigte |
69.290 |
660.861 |
27.411 |
345.302 |
39,56 |
52,25 |
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Damit ist die Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG selbst bei ungünstigen Annahmen erfüllt. |
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Das Ergebnis, wonach weniger als 50 v. H. der Baubetriebe mehr als 50 v. H. der Beschäftigten ausweisen, beruht darauf, dass sich vor allem Betriebe mit dem höheren Beschäftigtenanteil in den Arbeitgeberverbänden organisieren (vgl.Anlage 2).” |
Am 3. März 2008 tagte der Tarifausschuss unter dem Vorsitz des Leiters des Referats III a 3, Herrn Ministerialrat W, und befürwortete die beantragten AVE. In einem weiteren Vermerk des Beteiligten zu 4. vom 15. Mai 2008 kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, dass ein öffentliches Interesse an den beantragten AVE vorliege und dem Beschluss des Tarifausschusses beigetreten werden könne.
Durch eine von Ministerialrat W abgezeichnete Verfügung vom 15. Mai 2008 wurden beide Fassungen des VTV mit den beantragten Einschränkungen rückwirkend zum 1. Oktober 2007 (VTV idF vom 20. August 2007) bzw. zum 1. Januar 2008 (VTV idF vom 5. Dezember 2007) für allgemeinverbindlich erklärt. Die von Ministerialrat W unterzeichnete Bekanntmachung wurde im Folgenden im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 beantragte die Beteiligte zu 8., zugleich namens und in Vollmacht der Beteiligten zu 6. und 7., den VTV vom 18. Dezember 2009 ab dem 1. Januar 2010 unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel für allgemeinverbindlich zu erklären. In dem Antrag wurde ua. mitgeteilt, dass zum Stichtag 30. September 2009 nach Angaben der ZVK 69.683 Betriebe mit 514.526 gewerblichen Arbeitnehmern am Sozialkassenverfahren teilnahmen. Nach Erhebungen des ZDB und HDB seien zu diesem Stichtag in den angeschlossenen Mitgliedsverbänden in 25.535 Betrieben 329.238 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt gewesen.
Der Antrag wurde im Bundesanzeiger bekannt gemacht und mit Schreiben vom 12. Januar 2010 ua. an die obersten Arbeitsbehörden der Länder zur Stellungnahme übermittelt. Mit Schreiben vom 19. Januar 2010 erklärte das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Freistaats Sachsen, aus seiner Sicht sei die beantragte AVE abzulehnen. Abschließend heißt es dort: „Aus den genannten Gründen bitte ich Sie, die Voraussetzungen mit dem Tarifausschuss zu erörtern und im Zweifel auf die geplante Allgemeinverbindlicherklärung zu verzichten”.
In einem Vermerk vom 1. Februar 2010 gelangte der Beteiligte zu 4. bei Heranziehung der Zahlen des Statistischen Bundesamts, Fachserie 4, Reihe 5.1 „Tätige Personen und Umsatz der Betriebe im Baugewerbe”, Jahr 2008, bereinigt um die Wirtschaftszweige Dachdeckerei und Gerüstbau, zu einer Zahl von insgesamt 678.324 Beschäftigten. Dem stellte er die auf den Berechnungen der ZVK beruhende Zahl gegenüber (514.526 gewerbliche Arbeitnehmer) und verglich beide Zahlen mit der auf der Umfrage von ZDB und HDB beruhenden Zahl von 329.238 organisierten gewerblichen Arbeitnehmern. Hierbei kam er bei Heranziehung der Zahl des Statistischen Bundesamts auf eine Quote von 48,54 %, bei Heranziehung der Zahlen der ZVK zu einer Quote von 63,99 %. Sodann heißt es in dem Vermerk auszugsweise:
”IV. |
Wertung |
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Die Statistik des Statistischen Bundesamtes weist alle in Bau-Betrieben tätigen Personen aus, u. a. auch Inhaber, Mitinhaber, selbständige Handwerker, Familienangehörige und geringfügig Beschäftigte. Vom Geltungsbereich der Bau-Tarifverträge werden jedoch im Wesentlichen gewerbliche Arbeitnehmer, sozialversicherungspflichtige Angestellte und Auszubildende erfasst. |
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Die Statistik des Statistischen Bundesamtes enthält daher einen bedeutend größeren Personenkreis, als er tatsächlich von den Tarifverträgen des Baugewerbes erfasst wird. |
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Zu berücksichtigen ist, dass von der Statistik des StaBu im Bereich der Bauinstallation und des sonstigen Baugewerbes nur Betriebe mit mindestens 10 tätigen Personen erfasst werden. |
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Im Gegensatz zur ZVK erfolgt die Zuordnung der Betriebe in der Statistik des StaBu nicht nach dem arbeitszeitlichen Überwiegensprinzip, sondern nach dem wirtschaftlichen Schwerpunkt der Betriebe. |
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Die ZVK ist aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge für das Baugewerbe verpflichtet, alle Betriebe dieses Bereichs mit ihren Beschäftigten zu erfassen. Es besteht daher ein besonderes Eigeninteresse der ZVK, die Betriebe möglichst vollständig und umfassend zu erfassen. Zudem ist jeder Arbeitgeber vor der Aufnahme baugewerblicher Tätigkeiten verpflichtet, sich bei der für ihn zuständigen Kasse zu melden (vgl. z. B. § 5 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren i. d. F. vom 18. Dezember 2009). |
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Die Angaben der ZVK werden auch durch die aktuell vorliegende Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) gestützt. Danach ergibt sich im gesamten Baugewerbe eine Tarifbindung in Westdeutschland von 75 %, in Ostdeutschland von 48 % (vgl. Tabelle 1 der Anlage 2). Die Ergebnisse liegen nur für das gesamte Baugewerbe vor. Da keine Hinweise vorliegen, dass die Tarifbindung im Bauhauptgewerbe (und damit in dem zur Allgemeinverbindlicherklärung beantragten Geltungsbereich der Tarifverträge) von der Tarifbindung im Baunebengewerbe abweicht und das Bauhauptgewerbe zudem einen wesentlichen Anteil des gesamten Baugewerbes ausmacht, kann davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse des WSI auch repräsentativ für die Tarifbindung im Bauhauptgewerbe sind. |
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Die Angaben der ZVK sind daher in der Gesamtbetrachtung und aufgrund ihrer besonderen Sachnähe zum Nachweis der sog. 50 %-Klausel geeignet. |
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Mit einer Tarifbindung von 63,99 % ist die Voraussetzung des § 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 TVGerfüllt.” |
In einem Vermerk vom 2. Februar 2010 nahm ein Referatsmitarbeiter ua. zur Tariffähigkeit der Tarifvertragsparteien, zum Inhalt der Tarifvertragswerke sowie zum Vorliegen des öffentlichen Interesses Stellung. Er ging dabei davon aus, dass das Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr nicht als Einspruch iSd. § 5 Abs. 3 TVG zu werten sei und gegen die AVE keine Bedenken bestünden. Nach Ankündigung im Bundesanzeiger tagte der Tarifausschuss am 10. Februar 2010 und befürwortete den Antrag. In einem weiteren Vermerk des Beteiligten zu 4. vom 25. Juni 2010 kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, dass ein öffentliches Interesse an der beantragten AVE vorliege und dem Beschluss des Tarifausschusses beigetreten werden könne.
Durch eine von Ministerialrat W abgezeichnete Verfügung vom 25. Juni 2010 wurde der VTV vom 18. Dezember 2009 mit den beantragten Einschränkungen rückwirkend zum 1. Januar 2010 für allgemeinverbindlich erklärt. Die von Ministerialrat W unterzeichnete Bekanntmachung wurde nachfolgend im Bundesanzeiger veröffentlicht. Kurze Zeit später wurde im Bundesanzeiger die Bekanntmachung vom 5. August 2010 über das Außerkrafttreten des VTV vom 20. Dezember 1999 zum 31. Dezember 2009 veröffentlicht. Mit Wirkung ab 1. Januar 2012 wurde der VTV vom 18. Dezember 2009 geändert; die geänderte Fassung des VTV wurde durch AVE vom 3. Mai 2012 (BAnz. AT 22. Mai 2012 B4) rückwirkend zum 1. Januar 2012 ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt.
Bei den Beteiligten zu 1. und 2., 9. bis 14., 18., 19. und 21. handelt es sich um natürliche oder juristische Personen, die ohne Mitglied in einem der tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbände gewesen zu sein, vom Beteiligten zu 5. auf Grundlage der streitgegenständlichen AVE auf Beitragszahlungen in Anspruch genommen werden. Die entsprechenden Verfahren sind zum Teil gemäß § 98 Abs. 6 ArbGG ausgesetzt. Die Beteiligte zu 3. wurde vom Beteiligten zu 5. ebenfalls in Anspruch genommen; die die AVE VTV 2008 und 2010 betreffenden Verfahren sind rechtskräftig abgeschlossen (BAG 17. Februar 2016 – 10 AZR 600/14 –). Ihre Geschäftstätigkeit hat die Beteiligte zu 3. zwischenzeitlich eingestellt.
Der Beteiligte zu 20. ist der Bundesinnungsverband der Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH). Gemäß seiner Satzung hat er die Aufgabe, Tarifverträge abzuschließen, soweit und solange solche nicht durch Innungen oder Innungsverbände für ihren Bereich abgeschlossen werden. Zu den von ihm abgeschlossenen Tarifverträgen gehören ein „Tarifvertrag über ein Mindestentgelt in den Elektrohandwerken” aus dem Jahr 1997 nebst Folgetarifverträgen, ein „Tarifvertrag zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge” aus dem Jahr 2002 sowie ein „Tarifvertrag zur überregionalen Regelung der kollegialen Arbeitnehmerüberlassung” aus den Jahren 2009 und 2010. Vor dem Verwaltungsgericht Berlin (– VG 4 K 253.12 –) führte der Beteiligte zu 20. seit dem Jahr 2012 ein Verfahren mit dem Ziel, die Unwirksamkeit der hier streitgegenständlichen AVE VTV 2008 und 2010 feststellen zu lassen. Dieser Rechtsstreit wurde nach Inkrafttreten des § 98 ArbGG in der ab 16. August 2014 geltenden Fassung durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet.
Die Beteiligten zu 1. bis 3., 9. bis 14. und 18. bis 21. haben die Auffassung vertreten, die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV vom 15. Mai 2008 und vom 25. Juni 2010 seien aus formellen und materiellen Gründen unwirksam. Es fehle bereits an der Unterschrift des verantwortlichen Ministers. Die AVE verstießen gegen Grundrechte der Antragsteller und gegen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Auch sei ihre Vereinbarkeit mit Unionsrecht, insbesondere mit Art. 16 GRC, zweifelhaft, was eine Vorlage an den EuGH erforderlich mache.
Der VTV in den jeweiligen Fassungen sei unwirksam, da die Beteiligten zu 6., 7. und 8. nicht tariffähig und/oder tarifzuständig gewesen seien. Insbesondere sei den Beteiligten zu 6. und 7. als Spitzenverbänden die Tariffähigkeit von ihren Mitgliedsverbänden nicht vollständig vermittelt worden. Letztere seien im Übrigen teilweise selbst weder tariffähig noch tarifwillig gewesen.
Die materiellen Voraussetzungen der AVE hätten nicht vorgelegen. Eine Richtigkeitsvermutung für ministerielle Entscheidungen gebe es nicht. Der Beteiligte zu 4. habe zur Ermittlung der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG in der bis 15. August 2014 geltenden Fassung (künftig TVG aF) hinsichtlich der Großen Zahl nicht alle greifbaren Quellen ausgeschöpft. Schon deshalb sei der Rechtsakt der Verwaltung nichtig; eine gerichtliche Nachbesserung komme nicht in Betracht. Die Zahlen der ZVK seien materiell unbrauchbar, da sie sich nicht mit dem Geltungsbereich des VTV deckten und von Eigeninteressen geprägt seien. In Wirklichkeit sei zum Zeitpunkt des Erlasses der jeweiligen AVE eine sehr viel größere Zahl von Beschäftigten unter den Geltungsbereich des VTV gefallen. Dies ergebe sich beispielsweise aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit oder der Berufsgenossenschaft Bau. Die Angaben der Beteiligten zu 6. und 7. zur Kleinen Zahl seien unzutreffend. Diese beruhten teilweise auf Schätzungen, bei denen kein einheitlicher Maßstab angelegt worden sei. Der Beteiligte zu 4. habe nicht einmal eine stichprobenartige Überprüfung vorgenommen.
Das öffentliche Interesse sei lediglich formel- und floskelhaft bejaht und der Beurteilungsspielraum nicht ausgeübt worden. Es habe seitens des Ministers bzw. seines Vertreters keine Abwägung der für und gegen eine AVE vorgebrachten Gesichtspunkte gegeben, vielmehr sei lediglich die Empfehlung des Tarifausschusses vollzogen worden. Der Erhalt der tariflichen Einrichtung dürfe nicht im Wege des Zirkelschlusses das öffentliche Interesse an seinem Erhalt begründen. Die herangezogenen Argumente, insbesondere die behauptete erhöhte Fluktuation im Baugewerbe, seien unzutreffend.
Die Beteiligten zu 1. bis 3., 9. bis 14., 18. bis 21. haben zuletzt beantragt
festzustellen, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen vom 15. Mai 2008 (Bundesanzeiger Nr. 104a vom 15. Juli 2008) und vom 25. Juni 2010 (Bundesanzeiger Nr. 97 vom 2. Juli 2010) der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren vom 20. Dezember 1999 in den Fassungen vom 20. August 2007 und 5. Dezember 2007 einerseits und vom 18. Dezember 2009 andererseits unwirksam sind.
Der Beteiligte zu 5. hat beantragt
festzustellen, dass die nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes ausgesprochenen Allgemeinverbindlicherklärungen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 15. Mai 2008 und vom 25. Juni 2010 wirksam sind.
Der Beteiligte zu 4. hat beantragt,
die Anträge auf Erklärung der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen 2008 und 2010 zurückzuweisen.
Die Beteiligten zu 4. bis 8. haben die Auffassung vertreten, den Antragstellern fehle die Antragsbefugnis, soweit sie geltend machten, nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst zu sein. Im Übrigen seien die angegriffenen AVE wirksam. Die Tarifzuständigkeit der Verbände sei nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht Gegenstand des Verfahrens. Ernsthafte Zweifel an deren Vorliegen bestünden im Übrigen nicht.
Bei der gerichtlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit einer AVE sei keine Ermittlung „ins Blaue hinein” vorzunehmen, sondern es sei detaillierter Vortrag der Beteiligten erforderlich, der Zweifel an dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen aufkommen lasse. Solcher Vortrag fehle. Im Übrigen habe der Beteiligte zu 4. ordnungsgemäß entschieden. Die Zahlen der ZVK seien die „geborene Erkenntnisquelle” für die Große Zahl. Zusätzlich zu den tarifvertraglich vorgeschriebenen Meldungen ermittle die ZVK auch selbst beitragspflichtige Betriebe und erhalte hierzu Hinweise und Informationen von verschiedenen Institutionen, wie zB dem Zoll. Besondere Bedeutung komme ihrer Funktion als gesetzliche Einzugsstelle für die Winterbeschäftigungsumlage zu. Mit Einrichtung des Beitragskontos werde der Betrieb als Baubetrieb erfasst. Bei der Bestimmung der Großen Zahl seien Einschränkungen der AVE hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs aufgrund von Sinn und Zweck der Quote zu berücksichtigen. Der Beteiligte zu 4. habe die gemeldeten Zahlen einer Plausibilitätskontrolle durch Vergleich mit den Zahlen des Statistischen Bundesamts unterzogen, die, wenn überhaupt, die einzig heranzuziehenden Zahlen seien. Andere Zahlen seien ungeeignet, da sie weit über den Geltungsbereich des VTV hinausgingen.
Aus der jährlichen Verbandsumfrage zur Beschäftigtenzahl in tarifgebunden Betrieben, die gekoppelt mit der Beitragsveranlagung erhoben werde, ergäben sich zuverlässige Angaben über die Kleine Zahl. Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften seien zwar nicht generell auszuschließen, sie führten aber zu keiner Verfälschung. Unschädlich sei, dass bis zum Jahr 2009 keine gesonderten Zahlen für Angestellte und Auszubildende ermittelt worden seien. Die Anzahl der Angestellten und Auszubildenden sei in den größeren und tarifgebundenen Unternehmen eher höher. Da die Angestellten und Auszubildenden für die Große und die Kleine Zahl mitzuzählen seien, wirke sich die Unterlassung im Ergebnis nicht aus.
Das öffentliche Interesse an der AVE sei mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtung, die sich praktisch bewährt habe, zu Recht bejaht worden. Im Baugewerbe seien weniger als 50 % der Beschäftigten ununterbrochen in einem Kalenderjahr bei einem Arbeitgeber beschäftigt, über 60 % der teilnehmenden Betriebe habe nicht mehr als fünf Beschäftigte. Mit den drei Sozialkassensystemen würden unterschiedliche sozial- und tarifpolitische Zwecke verfolgt. Dies seien zum einen die Portabilität der Urlaubsansprüche, der Ausgleich von Nachteilen in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund unterjähriger Beschäftigung und vorzeitiger Erwerbsminderung und die Bereitstellung einer ausreichenden und qualifizierten Anzahl von Ausbildungsplätzen zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses.
Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge aller damaligen Antragsteller auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der AVE VTV 2008 und 2010 zurückgewiesen und dem Antrag des Beteiligten zu 5. stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 1. bis 3., 9. bis 14., 18. bis 21. und 24. ihr Begehren weiter. Die erstinstanzlich Beteiligten zu 15. bis 17., 22. und 23. haben keine Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 24. hat der Senat durch Beschluss vom 15. März 2016 als unzulässig verworfen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerden sind – mit Ausnahme der Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 18. (dazu I.) – zulässig und, soweit eine Antragsbefugnis der Antragsteller gegeben ist (dazu II.), begründet. Die Überprüfung der Wirksamkeit der AVE erfolgt im Beschlussverfahren, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (dazu III.). Hiernach verstoßen die AVE weder gegen Verfassungsrecht noch die EMRK. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der Vereinbarkeit der AVE mit Unionsrecht ist unbeschadet der fehlenden Entscheidungserheblichkeit nicht geboten (dazu IV.). Ebenso wenig kommt eine Aussetzung nach § 97 Abs. 5 ArbGG in Betracht (dazu V.). Beim Erlass der AVE hat das BMAS das öffentliche Interesse zu Recht bejaht (dazu VI.) und keine verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften verletzt (dazu VII.). Die AVE vom 15. Mai 2008 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 in den Fassungen vom 20. August 2007 und vom 5. Dezember 2007 (AVE VTV 2008) sind jedoch unwirksam, weil die jeweils zuständigen Minister sich vor Erlass der AVE nicht hiermit befasst haben (dazu VIII.) und nicht festgestellt werden kann, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber bei Erlass der AVE nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Arbeitnehmer beschäftigt haben (dazu IX.). Gleiches gilt für die Allgemeinverbindlicherklärung vom 25. Juni 2010 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 (AVE VTV 2010). Der Beteiligte zu 4. hat gemäß § 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG die Entscheidungsformel dieses Beschlusses im Bundesanzeiger bekannt zu machen (X.).
I. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 18. ist mangels ausreichender Begründung unzulässig und daher nach § 98 Abs. 3 Satz 1, § 92 Abs. 2, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 552 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verwerfen.
1. Nach § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG muss die Rechtsbeschwerdebegründung angeben, inwieweit die Abänderung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird, welche Bestimmungen verletzt sein sollen und worin die Verletzung bestehen soll. Dazu hat die Rechtsbeschwerde – wie die Revision im Urteilsverfahren gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO – den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzuzeigen, dass Gegenstand und Richtung ihres Angriffs erkennbar sind. Eine ordnungsgemäße Rechtsbeschwerdebegründung erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Der Rechtsbeschwerdeführer muss darlegen, warum er die Begründung des Beschwerdegerichts für unrichtig hält (BAG 11. September 2013 – 7 ABR 29/12 – Rn. 13 mwN). Die bloße Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen der Beschwerdeentscheidung erfüllt die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nicht. Ob die Rechtsauffassungen der Rechtsbeschwerde zutreffend sind, ist für deren Zulässigkeit dagegen ohne Bedeutung (st. Rspr., zuletzt zB BAG 7. Oktober 2015 – 7 ABR 75/13 – Rn. 11 mwN). Diese Grundsätze gelten gemäß § 98 Abs. 3 Satz 1 ArbGG im Verfahren über die Wirksamkeit einer AVE oder einer Rechtsverordnung (VO) entsprechend.
2. Die Rechtsbeschwerdebegründung der Beteiligten zu 18. vom 9. September 2015, die ausschließlich Sachrügen erhebt, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
a) Das Landesarbeitsgericht geht in seiner selbständig tragenden Hauptbegründung davon aus, dass die streitgegenständlichen AVE des VTV materiell rechtswirksam sind. Es betont insoweit in Abgrenzung zur Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 2. Juli 2014 (– 18 Sa 619/13 –), dass es keine ernsthaften Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF habe. Dabei nimmt das Landesarbeitsgericht insbesondere an, dass die Zahlen der ZVK die genauesten seien, da diese nicht nur ein hohes Eigeninteresse daran habe, alle Betriebe möglichst genau und umfassend zu ermitteln, sondern auch alle geführten Verfahren in arbeitsgerichtlichen Prozessen danach auswerte, ob Betriebe unter den Geltungsbereich des VTV fallen oder nicht. Alle anderen von den Beteiligten genannten Zahlen und Statistiken seien nicht auf den Geltungsbereich des VTV abgestimmt (Seite 18 bis 21 der Gründe, Ziff. 9). Erst im Rahmen seiner selbständig tragenden Hilfsbegründung (Ziff. 10 der Gründe) macht sich das Landesarbeitsgericht die vom Hessischen Landesarbeitsgericht angenommenen erheblichen Zweifel an der Wirksamkeit der AVE hilfsweise zu eigen. Auch dies führe aber zu keinem anderen Ergebnis, einer erneuten Ermittlung der Zahlen bedürfe es nicht. Die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF erforderliche Quote von 50 % sei nach den „nach Auffassung der Kammer zutreffend zugrunde gelegten” Zahlen der ZVK erreicht gewesen (Seite 23 f. der Gründe). Gleiches ergebe sich bei einer Erhöhung dieser Zahlen um 20 %. Ein öffentliches Interesse an den AVE habe bestanden, Bedenken gegen deren formelle Wirksamkeit bestünden nicht.
b) Mit der Hauptbegründung des Landesarbeitsgerichts setzt sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 18. nicht hinreichend auseinander, sondern geht in ihrer Argumentation von Tatsachen aus, die das Landesarbeitsgericht seinen Erwägungen nicht zugrunde gelegt hat. Sie verkennt, dass das Landesarbeitsgericht hinsichtlich der Großen Zahl von anderen tatsächlichen Umständen ausgegangen ist, als von ihr in der Rechtsbeschwerde zugrunde gelegt werden. Diese beschäftigt sich mit Fragen, die für die Hauptbegründung des Landesarbeitsgerichts ohne Belang waren. Es fehlt auch jegliche für eine zulässige Verfahrensrüge erforderliche Darlegung, aus welchem Vortrag im Verfahren sich der auf Seite 2 Absatz 4 der Rechtsbeschwerdebegründung behauptete Sachverhalt, der in Widerspruch zu dem vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt steht, ergeben soll.
c) Die weitere erhobene Sachrüge bezieht sich auf die Berücksichtigung entsandter Arbeitnehmer bei der Ermittlung der Großen Zahl. Sie ist aber auf Grundlage der Annahmen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheidungserheblich und kann deshalb nicht zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde führen. Die Anzahl entsandter Arbeitnehmer wird dabei weder für den Zeitpunkt des Erlasses der AVE VTV 2008 noch für den der AVE VTV 2010 präzisiert. Zur erstgenannten AVE fehlt jeglicher Vortrag. Unterstellt man die von der Beteiligten zu 18. für das gesamte Jahr 2010 genannte Zahl von 114.378 ausländischen Arbeitnehmern als zutreffend und maßgeblich für die AVE VTV 2010, fehlt es an Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit dieser Rüge auf Grundlage der – im Übrigen nicht wirksam angegriffenen – Annahmen des Landesarbeitsgerichts. Nach den von diesem zugrunde gelegten Zahlen der ZVK würde sich bei 514.626 Arbeitnehmern im September 2009 auch unter Hinzurechnung der in der Rechtsbeschwerde genannten 114.378 entsandten Arbeitnehmer noch eine Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF von über 50 % ergeben.
II. Die weiteren Antragsteller sind – mit Ausnahme der Beteiligten zu 3. und 20. – antragsbefugt und haben ein Interesse an den begehrten Feststellungen. Alle am Verfahren zu beteiligenden Vereinigungen oder Stellen sind beteiligt worden.
1. Das Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG ist hinsichtlich der angegriffenen AVE VTV 2008 und 2010 statthaft. Unschädlich ist, dass diese vor Inkrafttreten des § 98 ArbGG nF am 16. August 2014 erlassen wurden und auch vor diesem Zeitpunkt außer Kraft getreten sind (AVE VTV 2008) bzw. durch den VTV in einer späteren Fassung, der ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt wurde, abgelöst wurden (AVE VTV 2010).
a) Das Tarifautonomiestärkungsgesetz enthält hinsichtlich des Verfahrens zur Überprüfung der Rechtswirksamkeit von AVE oder VO nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG keine Übergangsregelung. Die Normen fanden damit unmittelbar ab ihrem Inkrafttreten Anwendung (BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 9 f., 12, BAGE 150, 254 [zur Aussetzungspflicht nach § 98 Abs. 6 ArbGG]; BT-Drs. 18/1558 S. 46; GK-ArbGG/Ahrendt Stand Juni 2016 § 98 Rn. 60; Walker JbArbR Bd. 52 S. 111).
b) In dem Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG können auch vor Inkrafttreten der Neuregelung erlassene AVE oder VO einer Überprüfung unterzogen werden. Davon geht das Landesarbeitsgericht zu Recht aus. Nach dem Gesetzeswortlaut wird nicht zwischen bereits erlassenen und neuen AVE oder VO unterschieden. Ziel des Gesetzgebers war es, die rechtliche Überprüfung der Erstreckung von Tarifverträgen bei den für Fragen des Arbeits- und Tarifrechts besonders sachnahen Arbeitsgerichten zu konzentrieren, konkurrierende Entscheidungen verschiedener Gerichtsbarkeiten auszuschließen und für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Ausdrücklich sollten dabei bereits anhängige Verfahren von der Aussetzungspflicht erfasst werden (BT-Drs. 18/1558 S. 26, 29, 46). Solche anhängigen Verfahren konnten sich aber denknotwendig nur auf vor Inkrafttreten des Tarifautonomiestärkungsgesetzes bereits erlassene AVE oder VO beziehen. Eine unmittelbare Verpflichtung zur Aussetzung laufender Rechtsstreite nach § 98 Abs. 6 ArbGG würde ins Leere laufen, wenn nicht gleichzeitig nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 Abs. 1 ArbGG in Bezug auf diese AVE oder VO ein entsprechendes Normenkontrollverfahren eingeleitet werden könnte. Dies gilt grundsätzlich auch für bereits außer Kraft getretene AVE oder VO (GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 7; Walker JbArbR Bd. 52 S. 98 f., 111), und zwar unabhängig von der Frage, ob im Einzelfall noch ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung besteht.
2. Die Frage der örtlichen Zuständigkeit des Landesarbeitsgerichts ist gemäß § 98 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 93 Abs. 2, § 65 ArbGG im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu prüfen. Zur Klarstellung ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gemäß § 98 Abs. 2 ArbGG örtlich zuständig war, da das BMAS die streitgegenständlichen AVE erlassen hat. Dieses hat nach Ziff. 3 der Bekanntmachung über die Sitzentscheidung der Bundesregierung vom 21. Juli 1999 (BGBl. I S. 1725) iVm. den Beschlüssen der Bundesregierung zur Aufteilung der Bundesministerien vom 11. Dezember 1991 (BT-Drs. 12/1832 S. 33 f.) und vom 3. Juni 1992 (BT-Drs. 12/2850 S. 35) seinen ersten Dienstsitz in Berlin. Diese Sitzfestlegung ist maßgeblich, soweit Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Sitz einer Behörde anknüpfen.
3. Bei dem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG handelt es sich um ein Normenkontrollverfahren, dessen Durchführung eine Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 oder Abs. 6 ArbGG voraussetzt. Das Verfahren kann grundsätzlich auch hinsichtlich bereits außer Kraft getretener AVE oder VO eingeleitet werden, sofern der jeweilige Antragsteller weiterhin ein rechtlich anerkennenswertes Feststellungsinteresse an einer entsprechenden Entscheidung darlegt. Antragsbefugnis und Feststellungsinteresse sind hinsichtlich der Antragsteller – mit Ausnahme der Beteiligten zu 3. und 20. – gegeben.
a) Bei der AVE von Tarifverträgen handelt es sich im Verhältnis zu den nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern weder um einen Verwaltungsakt noch um eine Rechtsverordnung iSv. Art. 80 GG. Vielmehr stellt die AVE einen Rechtsetzungsakt eigener Art (sui generis) zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung dar, der seine eigenständige Grundlage in Art. 9 Abs. 3 GG findet (BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – zu B II 1 b und B II 2 c der Gründe, BVerfGE 44, 322; 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – zu B I der Gründe, BVerfGE 55, 7; BAG 29. September 2010 – 10 AZR 523/09 – Rn. 15; BVerwG 3. November 1988 – 7 C 115.86 – zu 3 a der Gründe, BVerwGE 80, 355).
b) Mit dem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG soll die Wirksamkeit von Rechtsnormen, nämlich der AVE als Norm sui generis oder einer VO, außerhalb eines zwischen einzelnen Parteien anhängigen Rechtsstreits überprüft werden können. Der Sache nach handelt es sich um ein abstraktes Normenkontrollverfahren, dass sich – wie aus den Regelungen zur Antragsbefugnis in § 98 Abs. 1 ArbGG deutlich wird (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 45) – an § 47 VwGO orientiert (ErfK/Koch 16. Aufl. § 98 ArbGG Rn. 1; Forst RdA 2015, 25, 34; GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 4; HWK/Treber 7. Aufl. § 98 ArbGG Rn. 1; Walker JbArbR Bd. 52 S. 97). Bei der Ausgestaltung des Verfahrens hat sich der Gesetzgeber eng an Regelungen des Verfahrens nach § 97 ArbGG angelehnt.
c) Verfahrensgegenstand eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG ist eine bestimmte Rechtsverordnung oder die Wirksamkeit der AVE eines bestimmten Tarifvertrags. Dies gilt auch dann, wenn in einem Normsetzungsakt mehrere Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden. Der Verfahrensgegenstand ist vom Antragsteller genau zu bezeichnen und die angegriffenen VO oder AVE einschließlich der jeweils erstreckten Tarifverträge sind zu benennen. Wie sich aus § 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG ergibt, ist den Gerichten die Frage der Wirksamkeit der Norm im Wege des (negativen oder positiven) Feststellungsantrags zu unterbreiten.
d) Das Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG erfordert das Vorliegen einer Antragsbefugnis, die bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Anhörung vorliegen muss; eine Popularklage scheidet aus (allgemeine Meinung, zB ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 3; GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 21). Die Antragsbefugnis bestimmt sich grundsätzlich nach § 98 Abs. 1 ArbGG.
aa) Nach § 98 Abs. 1 ArbGG ist antragsbefugt, wer geltend macht, durch die AVE oder die VO oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Die Norm ist insoweit § 47 Abs. 2 VwGO nachgebildet (BT-Drs. 18/1558 S. 45), so dass grundsätzlich auf die in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu § 47 VwGO entwickelten Anforderungen zurückgegriffen werden kann (allgemeine Meinung, vgl. Düwell/Lipke/Reinfelder ArbGG 4. Aufl. § 98 Rn. 6; ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 3; GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 21; Maul-Sartori NZA 2014, 1305, 1310; HWK/Treber § 98 ArbGG Rn. 5; Walker JbArbR Bd. 52 S. 100). Danach reicht die bloße Behauptung einer Rechtsverletzung für die Annahme einer Antragsbefugnis nicht aus. Der Antragsteller hat vielmehr Tatsachen vorzutragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die angegriffene AVE oder VO oder deren Anwendung in einer eigenen Rechtsposition verletzt wird. Nach dieser sog. Möglichkeitsformel fehlt die Antragsbefugnis nur dann, wenn unter Zugrundelegung des Antragsvorbringens Rechte des Antragstellers offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein können (st. Rspr., zuletzt zB BVerwG 17. Dezember 2012 – 4 BN 19.12 – Rn. 3; 29. Dezember 2011 – 3 BN 1.11 – Rn. 3 mwN).
bb) Eine Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 ArbGG kommt nur für einen Antrag in Betracht, der auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Norm gerichtet ist (negativer Feststellungsantrag). Zwar lässt § 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG erkennen, dass auch ein positiver Feststellungsantrag denkbar ist. Ein „vorbeugender” Antrag auf Feststellung der Wirksamkeit einer AVE oder VO scheitert aber schon daran, dass es an einer möglichen Rechtsverletzung des Antragstellers nach § 98 Abs. 1 ArbGG fehlt (HWK/Treber § 98 ArbGG Rn. 3). Gleiches gilt, wenn eine AVE oder VO noch nicht bekannt gemacht wurde (Walker JbArbR Bd. 52 S. 100).
cc) Antragsbefugt nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG können natürliche oder juristische Personen sein, die eine Rechtsverletzung geltend machen. Typischerweise werden das Arbeitgeber sein, auf die tarifliche Regelungen erstreckt werden und die dadurch mindestens in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG berührt werden können (GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 22; ausführlich auch zu weiteren möglichen Rechtsverletzungen Rn. 23 ff.), wirtschaftlichen Belastungen unterliegen und/oder denen Sanktionen drohen (vgl. dazu ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 3; HWK/Treber § 98 ArbGG Rn. 6). Denkbar ist aber auch ein Antrag von anderweitig tarifgebundenen Arbeitnehmern. Dabei bedarf es jeweils der Darlegung der Antragsteller, dass sie aufgrund der Erstreckung der tariflichen Regelung gegenwärtig in ihren Rechten verletzt werden können oder dies zumindest in absehbarer Zeit – unter Beachtung der regelmäßig begrenzten Laufzeit von Tarifverträgen – hinreichend wahrscheinlich ist. Nicht ausreichend hingegen wäre ein nur allgemeines Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit einer AVE oder VO, wenn die betriebliche Tätigkeit erkennbar nicht dem räumlichen und fachlichen Geltungsbereich der erstreckten Tarifregelung zuzuordnen ist und Nachteile für den Antragsteller nicht erkennbar sind.
dd) Antragsbefugt können nach § 98 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG auch (konkurrierende) Vereinigungen von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern sein. Eine Antragsbefugnis ist gegeben, wenn diese konkret geltend machen, in ihrer Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG unmittelbar oder mittelbar durch eine bestimmte AVE oder VO beeinträchtigt zu sein oder in absehbarer Zeit werden zu können. Eine Beeinträchtigung liegt dabei insbesondere in der Gefahr der Verdrängung eigener tariflicher Regelungen. Insoweit sind sie vor staatlicher Einflussnahme auf ihre Normsetzungsbefugnis geschützt (BVerwG 28. Januar 2010 – 8 C 38.09 – Rn. 38 ff., BVerwGE 136, 75). Hinzu kommt eine mögliche Verschlechterung der Position der Vereinigung im Wettbewerb um den Abschluss zukünftiger Tarifverträge, wenn es wegen der praktischen Wirkungen der AVE oder VO aussichtslos erscheint, überhaupt in Tarifverhandlungen einzutreten (ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 3; GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 28 ff.; Maul-Sartori NZA 2014, 1305, 1310). Weitere Voraussetzung einer Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ist, dass die jeweilige Tarifvertragspartei nach ihrer Satzung für die Regelung der Angelegenheiten, die in dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag geregelt sind, tarifzuständig ist (GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 31) und bereits in dem Geltungsbereich der AVE oder VO tätig geworden ist oder hinreichend darlegt, dies zu beabsichtigen und hieran durch die AVE oder VO gehindert zu werden.
ee) Besonderheiten ergeben sich bei bereits außer Kraft getretenen AVE oder VO. Auch solche können noch Gegenstand eines Verfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG sein (GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 7; HWK/Treber § 98 ArbGG Rn. 5; Walker JbArbR Bd. 52 S. 98 f.). Voraussetzung dafür ist aber, dass sie noch geschützte Rechtspositionen des Antragstellers beeinträchtigen können (vgl. GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 41). Zwar folgt grundsätzlich aus der Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 ArbGG ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm. Wenn die angegriffene AVE oder VO zum Zeitpunkt der Entscheidung über deren Wirksamkeit noch in Kraft ist, bedarf es deshalb keiner weiteren Darlegungen. Anders zu beurteilen ist die Situation, wenn die Norm vor Einleitung oder während der Durchführung des Verfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG außer Kraft getreten ist oder durch eine Neuregelung abgelöst wurde. Für einen Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO ist in diesem Zusammenhang anerkannt, dass er gegen eine bereits aufgehobene Rechtsnorm nur dann zulässig ist, wenn in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach ihr zu entscheiden sind und die Norm insoweit noch Wirkungen entfaltet (vgl. zB BVerwG 29. Juni 2001 – 6 CN 1.01 –). Übertragen auf Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG hat das zur Folge, dass der Antragsteller hinsichtlich außer Kraft getretener Normen näher darzulegen hat, inwieweit diese ihn noch in geschützten Rechtspositionen beeinträchtigen können (Düwell/Lipke/Reinfelder § 98 Rn. 10; GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 41; im Ergebnis ebenso, allerdings bereits die Antragsbefugnis verneinend Walker JbArbR Bd. 52 S. 99, 104). Für einen Antrag, der auf die rein vergangenheitsbezogene Feststellung der Unwirksamkeit einer AVE oder VO gerichtet ist, ohne dass die erstreckten Tarifnormen noch geschützte Rechtspositionen des Antragstellers beeinträchtigen, fehlt das erforderliche rechtliche Interesse (vgl. zu § 97 ArbGG: BAG 11. Juni 2013 – 1 ABR 32/12 – Rn. 54, BAGE 145, 211; allgemein zum Beschlussverfahren BAG 20. April 1999 – 1 ABR 13/98 – zu B I 1 c aa der Gründe, BAGE 91, 235).
e) Im Fall der Aussetzung eines Rechtsstreits nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG besteht nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG eine Antragsbefugnis für die Parteien dieses Rechtsstreits, die von der Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 ArbGG unabhängig ist.
aa) Setzt ein Gericht nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG einen Rechtsstreit – ganz gleich welcher Art und in welchem Verfahrensstadium (vgl. BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 9 ff., BAGE 150, 254) – aus, weil die Entscheidung des Rechtsstreits von der Wirksamkeit einer AVE oder VO abhängt, sind die Parteien dieses Rechtsstreits kraft Gesetzes antragsbefugt (§ 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG). In einem solchen Fall bedarf es – auch im Fall einer außer Kraft getretenen AVE oder VO – keiner Darlegung einer Antragsbefugnis iSv. § 98 Abs. 1 ArbGG oder eines Feststellungsinteresses. Diese folgen vielmehr aus dem Umstand der Aussetzung selbst. Ausreichend – aber auch erforderlich – ist der Vortrag, dass ein Rechtsstreit oder Verfahren, an dem der Antragsteller beteiligt ist, nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ausgesetzt wurde. Dabei ist der entsprechende Aussetzungsbeschluss vorzulegen bzw. dessen vollständiger Inhalt vorzutragen. Dies ist schon wegen der Klärung der Identität der Parteien bzw. der Beteiligten notwendig. Hinzu kommt, dass die Antragsbefugnis sich nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG auf die Vorfrage beschränkt, wegen derer das Gericht das Verfahren ausgesetzt hat. Deshalb muss die jeweils maßgebliche VO oder AVE einschließlich des Tarifvertrags, der erstreckt wurde, genau bestimmt werden können. Gegebenenfalls sind dafür neben der Beschlussformel auch die Gründe der Aussetzungsentscheidung zu berücksichtigen. Lässt sich auch im Wege der Auslegung nicht zuverlässig feststellen, weswegen das Gericht ausgesetzt hat, ist der Aussetzungsbeschluss unbeachtlich und begründet keine Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG. Hingegen ist in einem nach dieser Bestimmung eingeleiteten Verfahren nicht zu prüfen, ob die Vorfrage, wegen derer das Verfahren ausgesetzt wurde, tatsächlich vorgreiflich ist. Etwas anderes gilt nur, wenn das Fehlen der Entscheidungserheblichkeit offensichtlich ist (vgl. zu § 97 ArbGG: BAG 26. Januar 2016 – 1 ABR 13/14 – Rn. 37 ff.; 17. April 2012 – 1 ABR 5/11 – Rn. 30, BAGE 141, 110).
bb) Die Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG kann sich – je nach Parteirolle oder Beteiligung im ausgesetzten Verfahren – sowohl auf einen negativen als auch auf einen positiven Feststellungsantrag beziehen (HWK/Treber § 98 ArbGG Rn. 3). Beide Parteien des ausgesetzten Verfahrens sind antragsbefugt und müssen – mit unterschiedlicher Zielrichtung – die Möglichkeit haben, ein Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG einzuleiten, um ihren individuellen Rechtsstreit nach Klärung der Vorfrage zu einem Abschluss bringen zu können.
f) Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht eine Antragsbefugnis der Beteiligten zu 1. und 2., 9. bis 14., 19. und 21. für deren negative Feststellungsanträge ebenso wie eine Antragsbefugnis des Beteiligten zu 5. für dessen positiven Feststellungsantrag. Hingegen fehlt es hinsichtlich der Beteiligten zu 3. und 20. an einem Feststellungsinteresse für deren negative Feststellungsanträge.
aa) Die Anträge der Antragsteller richten sich gegen drei AVE des VTV, nämlich die AVE vom 15. Mai 2008 betreffend den VTV vom 20. Dezember 1999 idF vom 20. August 2007, die AVE vom 15. Mai 2008 betreffend den VTV vom 20. Dezember 1999 idF vom 5. Dezember 2007 und die AVE vom 25. Juni 2010 des VTV vom 18. Dezember 2009. Soweit unter diesen Daten jeweils weitere Tarifverträge der Bauwirtschaft ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt wurden, sind diese nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
bb) Eine Antragsbefugnis der Beteiligten zu 1. und 2., 9. bis 14., 19. und 21. ergibt sich aus § 98 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Sie werden vom Beteiligten zu 5. auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für den Geltungszeitraum der angegriffenen AVE in Anspruch genommen, ohne Mitglied der tarifvertragschließenden Parteien gewesen zu sein. Das Außerkrafttreten der AVE bzw. ihre Ablösung durch zeitlich nachfolgende AVE ändert hieran nichts, da die entsprechenden Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind. Dies gilt unabhängig davon, ob der jeweilige Antragsteller im Ausgangsverfahren – wie es teilweise der Fall ist – leugnet, unter den Geltungsbereich des VTV zu fallen. Für eine mögliche Rechtsverletzung ist vielmehr ausreichend, dass er vom Beteiligten zu 5. auf Beitragszahlung in Anspruch genommen wird. Seine rechtlichen Argumente gegen eine Inanspruchnahme werden weder durch § 98 Abs. 1 ArbGG beschränkt noch muss er ein Klageverfahren oder andere drohende Nachteile abwarten, bevor er einen Antrag nach § 98 Abs. 1 ArbGG stellen kann (ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 3; HWK/Treber § 98 ArbGG Rn. 6). Dies wird gesetzessystematisch dadurch bestätigt, dass die Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 ArbGG gleichrangig neben der nach Abs. 6 steht und nur letztere eine klagweise Inanspruchnahme voraussetzt (vgl. dazu Walker JbArbR Bd. 52 S. 101 f.).
cc) Der Beteiligte zu 5. ist nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG für seinen positiven Feststellungsantrag antragsbefugt. Er hat einen Aussetzungsbeschluss nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG vorgelegt, der die angegriffenen AVE betrifft.
dd) Hingegen fehlt es der Beteiligten zu 3. an dem erforderlichen Feststellungsinteresse.
(1) Die Beteiligte zu 3. hat ihre Antragsbefugnis und ihr Feststellungsinteresse auf eine Inanspruchnahme durch den Beteiligten zu 5. gestützt. Beides lag zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vor. Zwischenzeitlich sind jedoch die Klageverfahren zwischen der Beteiligten zu 3. und dem Beteiligten zu 5., die den von den streitgegenständlichen AVE erfassten Zeitraum betreffen, rechtskräftig abgeschlossen (BAG 17. Februar 2016 – 10 AZR 600/14 –). Darüber hinaus hat die Beteiligte zu 3. ihre Geschäftstätigkeit eingestellt, befindet sich in Liquidation und übt betriebliche Aktivitäten, die eine Beitragspflicht begründen könnten, nicht mehr aus. Der nach Hinweis des Senats erfolgte Vortrag, wonach die Beteiligte zu 3. eine Restitutionsklage nach § 580 ZPO erwäge, noch Zahlungen zu leisten habe und Zinsforderungen zu befürchten seien, kann eine Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG nicht begründen. Das Bestehen einer Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG kommt wegen des rechtskräftigen Abschlusses aller den Streitzeitraum betreffenden Verfahren ebenfalls nicht in Betracht.
(2) Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erhebung einer Restitutionsklage nach § 580 ZPO hinsichtlich rechtskräftig gewordener Entscheidungen, die auf unwirksamen AVE oder VO beruhen, liegen nicht vor. Aus der Ankündigung der Beteiligten zu 3., eine Restitutionsklage erheben zu wollen, kann deshalb keine Antragsbefugnis hergeleitet werden.
(a) Die Feststellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer AVE oder VO wirkt nach § 98 Abs. 4 Satz 1 ArbGG für und gegen jedermann (sog. Ergaomnes-Wirkung). Inhalt der Entscheidung ist die auf den Zeitpunkt des Erlasses der Norm rückwirkende Feststellung, dass die AVE oder VO rechtswirksam ist oder nicht. Eine entsprechende Feststellung wirkt damit ex tunc (GK-ArbGG/ Ahrendt § 98 Rn. 7). Gegebenenfalls nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ausgesetzte Verfahren sind nach rechtskräftigem Abschluss des Beschlussverfahrens fortzusetzen (BT-Drs. 18/1558 S. 46) und unter Beachtung der Entscheidung über die Wirksamkeit der AVE oder VO abzuschließen.
(b) Eine ausdrückliche Regelung, was mit rechtskräftig abgeschlossenen arbeitsgerichtlichen Verfahren geschieht, die auf einer später im Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG für unwirksam erkannten AVE oder VO beruhen, hat der Gesetzgeber nicht getroffen. § 98 Abs. 5 ArbGG soll nach dem Vorbild des § 97 Abs. 4 ArbGG lediglich Erleichterungen gegenüber den allgemeinen Vorschriften der §§ 578 ff. ZPO normieren und bezieht sich allein auf das Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG selbst. Soweit es in der Gesetzesbegründung weiter heißt, nach Maßgabe von § 98 Abs. 3, § 80 Abs. 2, § 79 ArbGG iVm. den §§ 578 ff. ZPO sei eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich (BT-Drs. 18/1558 S. 46), ist dies im Übrigen lediglich ein Hinweis auf die Geltung der allgemeinen Regeln über die Wiederaufnahme des Verfahrens, wobei in der vorliegenden Konstellation allenfalls eine Restitutionsklage nach § 580 ZPO in Betracht kommt.
(c) Die Voraussetzungen einer Restitutionsklage nach § 580 ZPO liegen nicht vor.
(aa) § 580 Nr. 6 ZPO ist nicht unmittelbar einschlägig. Hiernach müssen drei Urteile vorliegen: Das mit der Restitutionsklage angegriffene Urteil, das Urteil, auf welches das mit der Restitutionsklage angegriffene Urteil „gegründet ist” (vorgängiges Urteil) und schließlich das Urteil, welches das vorgängige Urteil aufhebt. Zwischen dem angegriffenen und dem aufgehobenen vorgängigen Urteil muss ein Ursachenzusammenhang bestehen (BAG 29. September 2011 – 2 AZR 674/10 – Rn. 28; Musielak/Voit ZPO 13. Aufl. § 580 Rn. 12). Die Norm setzt damit voraus, dass ein Urteil, auf welches das anzufechtende Urteil (dh. die Entscheidung des Senats vom 17. Februar 2016 – 10 AZR 600/14 –) gegründet ist, später aufgehoben wird. In Bezug auf die Beteiligte zu 3. gibt es weder ein solches präjudizielles Urteil noch eine aufhebende Entscheidung. Nicht unter den Anwendungsbereich des § 580 Nr. 6 ZPO fällt ein Wandel der Rechtsauffassung, auch wenn dieser zu einer anderen Entscheidung geführt hätte (vgl. BGH 26. April 2006 – IV ZR 26/05 – Rn. 12 mwN, BGHZ 167, 272; MüKoZPO/Braun 5. Aufl. § 580 Rn. 38).
(bb) § 580 Nr. 7 Buchst. a oder Buchst. b ZPO findet unmittelbar ebenfalls keine Anwendung (NK-GA/Ulrici § 98 ArbGG Rn. 11; aA für Nr. 7 Buchst. b ohne nähere Begründung ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 7). Das Auffinden eines früher erlassenen Urteils oder einer früher errichteten Urkunde scheidet offensichtlich aus. Nach der Rechtsprechung des BGH ist § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO allerdings über seinen Wortlaut hinaus auf bestimmte nachträglich errichtete Personenstandsurkunden anzuwenden. Dies beruht auf der Erwägung, dass es sich hierbei um Urkunden handelt, die ihrer Natur nach nicht in zeitlichem Zusammenhang mit den durch sie bezeugten Tatsachen errichtet werden können und die deshalb, wenn sie errichtet werden, Tatsachen beweisen, die einer zurückliegenden Zeit angehören (BGH 6. Juli 1979 – I ZR 135/77 – zu III der Gründe). Gleiches gilt für den später erlassenen Bescheid über die Feststellung einer Behinderung (vgl. dazu BAG 29. September 2011 – 2 AZR 674/10 – Rn. 21 mwN). Bei einer Entscheidung über die Feststellung der Wirksamkeit einer AVE oder VO im Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG handelt es sich aber nicht um eine solche Urkunde.
(d) Ebenso wenig kommt eine analoge Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO in Betracht (aA unter bestimmten Voraussetzungen GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 56).
(aa) Eine analoge Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO wird mit Blick auf solche Entscheidungen angenommen, die ihrer Bedeutung nach einem Urteil gleichkommen. In diesem Sinne wurden einem Urteil gleichgestellt etwa ein Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO, der vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden war (vgl. BGH 23. November 2006 – IX ZR 141/04 – Rn. 15), die Aufhebung eines Schiedsspruchs (BGH 17. Januar 2008 – III ZR 320/06 – Rn. 13) oder der Wegfall des Bestands eines Patents aufgrund des Widerrufs im Einspruchsverfahren oder der Nichtigerklärung im Nichtigkeitsverfahren (BGH 29. Juli 2010 – Xa ZR 118/09 – [Bordako] Rn. 12, BGHZ 187, 1). Als Restitutionsgrund in diesem Sinn kommt zudem die Aufhebung eines Verwaltungsakts in Betracht, auf dem das mit der Restitutionsklage angegriffene Urteil gründet. Davon geht das Bundesarbeitsgericht aus, wenn gemäß § 85 SGB IX die vorherige Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung eines Schwerbehinderten durch Urteil aufgehoben wird und hierdurch die Grundlage für eine zwischenzeitlich ergangene rechtskräftige arbeitsgerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung entfällt. Dies beruht auf dem Gedanken der Einheit der rechtsprechenden Gewalt. Divergierende Entscheidungen der verschiedenen Zweige der Gerichtsbarkeit sollen vermieden werden. Die Restitutionsklage soll verhindern, dass rechtskräftige Urteile nicht mehr überprüft werden können, obwohl ihre Grundlagen für jedermann erkennbar in einer für das allgemeine Rechtsempfinden unerträglichen Weise erschüttert sind. Dieser Grundsatz verlangt Geltung auch für einen Verwaltungsakt, von dem die Wirksamkeit einer privaten Willenserklärung abhängt (BAG 29. September 2011 – 2 AZR 674/10 – Rn. 32 f.).
(bb) Für eine solche Analogie besteht in Bezug auf das Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG kein Anlass. In den Fällen des § 580 Nr. 6 ZPO stehen jeweils unterschiedliche Entscheidungen – seien es Urteile oder Verwaltungsakte – im Raum, die ausschließlich die jeweiligen Parteien betreffen. Dies ist mit der für und gegen jedermann wirkenden Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm nicht vergleichbar. In diesen Fallkonstellationen liegt es näher, die entsprechende Anwendung von Bestimmungen in Betracht zu ziehen, die die Rechtsfolgen des späteren Wegfalls von Normen aufgrund gerichtlicher Entscheidungen regeln. Solche bestehen für den Fall der Nichtigerklärung einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht (§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) oder ein Landesverfassungsgericht (§ 183 Satz 1 VwGO, § 157 FGO) sowie für Rechtsvorschriften, die dem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO unterfallen (§ 47 Abs. 5 Satz 3 iVm. § 183 Satz 1 VwGO). Der Gesetzgeber hat sich hierbei für die Rechtssicherheit und gegen einen Vorrang der Einzelfallgerechtigkeit entschieden (BVerfG 19. Dezember 2006 – 1 BvR 2723/06 – Rn. 14 mwN, BVerfGK 10, 99) und beispielsweise nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht hat hieraus den allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitet, dass einerseits unanfechtbar gewordene Akte der öffentlichen Gewalt, die auf verfassungswidriger Grundlage zustande gekommen sind, nicht rückwirkend aufgehoben und die nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht beseitigt werden, andererseits zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben würden, abgewendet werden sollen (BVerfG 6. Dezember 2005 – 1 BvR 1905/02 – Rn. 34 mwN, BVerfGE 115, 51; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge BVerfGG Stand Februar 2016 § 79 Rn. 9; Umbach/Clemens/Dollinger/M. Graßhof BVerfGG 2. Aufl. § 79 Rn. 3). Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine solche Analogie in Betracht kommt, bedarf vorliegend aber keiner Entscheidung, weil sie in keinem Fall zur Begründung einer Antragsbefugnis für die Beteiligte zu 3. führen würde. Aus denselben Gründen kann auch dahinstehen, ob und gegebenenfalls auf welcher Grundlage eine Rückabwicklung von im Rahmen des Sozialkassenverfahrens wechselseitig erbrachten Beiträgen und Erstattungen nach Feststellung der Unwirksamkeit einer AVE in Betracht kommt, wenn hierüber kein Rechtsstreit geführt wurde.
(cc) Es besteht auch kein Bedürfnis für eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 6 ZPO, um dem in einem vorangegangenen Prozess um Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft unterlegenen Unternehmen über eine Restitutionsklage Möglichkeiten zur Rückforderung erfolgter Beitragszahlungen zu eröffnen. Schutz vor divergierenden Entscheidungen bietet bereits die Aussetzungspflicht nach § 98 Abs. 6 ArbGG. Danach ist ein Rechtsstreit auszusetzen, wenn seine Entscheidung davon abhängt, ob eine AVE nach § 5 TVG oder eine VO nach § 7 oder § 7a AEntG oder nach § 3a AÜG wirksam ist und das Gericht ernsthafte Zweifel, dh. solche von erheblichem Gewicht, an der Wirksamkeit einer AVE oder VO hat. Hingegen muss das Gericht nicht von der Unwirksamkeit der AVE oder VO überzeugt sein. Die Entscheidung über die Wirksamkeit der AVE ist dem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG vorbehalten (BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 16 ff., BAGE 150, 254).
Die Gerichte haben eine etwaige Aussetzung von Amts wegen zu prüfen. Die Prozessparteien können gegenüber dem Gericht ihre Bedenken gegen die Wirksamkeit der AVE oder VO vorbringen und entsprechenden substanziierten Vortrag halten. Unterlassen sie dies, kann eine spätere Durchbrechung der Rechtskraft nicht gerechtfertigt sein. Dies korrespondiert im Übrigen mit dem Rechtsgedanken des § 582 ZPO, der eine Restitutionsklage ausschließt, wenn die Parteien mögliche Restitutionsgründe schuldhaft nicht im Ausgangsprozess geltend gemacht haben. Darüber hinaus muss das Gericht gerichtsbekannte Zweifel an der Wirksamkeit einer AVE oder VO, die sich insbesondere auch aus laufenden Verfahren nach § 98 ArbGG ergeben können, von Amts wegen berücksichtigen. Eine solche Pflicht besteht in den typischen Fällen, in denen eine Restitutionsklage in Betracht kommt, aufgrund des Beibringungsgrundsatzes gerade nicht. Dabei reicht es für die Beseitigung von Zweifeln für sich genommen nicht aus, wenn erstinstanzlich eine AVE oder VO in einem Verfahren nach § 98 ArbGG für wirksam erklärt wurde, aber ein Rechtsbeschwerdeverfahren anhängig ist. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG vor, besteht – anders als im Fall des § 148 ZPO – kein Ermessen des Gerichts; es muss den Rechtsstreit aussetzen. Sollte ein erstinstanzliches Gericht eine Aussetzung ablehnen, steht hiergegen die sofortige Beschwerde zur Verfügung; im Fall ihrer Zulassung auch die Rechtsbeschwerde.
(dd) Nichts anderes gilt in den Fällen, die – anders als bei der Beteiligten zu 3. – vor Inkrafttreten des § 98 ArbGG nF rechtskräftig abgeschlossen worden sind. Eine Aussetzungspflicht und -möglichkeit nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG bestand zwar noch nicht. Allerdings gab es bereits nach früherer Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte, von Amts wegen inzident die Wirksamkeit einer AVE zu überprüfen, wenn von den Parteien deren Wirksamkeit substanziiert infrage gestellt wurde (BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 18 f., BAGE 150, 254). Auch in diesen Fällen konnten damit im Vorprozess mögliche Bedenken eingebracht werden (vgl. beispielhaft zu einer entsprechenden Prüfung schon BAG 12. Oktober 1988 – 4 AZR 244/88 –).
(3) Der Hinweis der Beteiligten zu 3. auf noch zu leistende Zahlungen führt zu keinem anderen Ergebnis. Dies gilt auch, wenn man ihn als einen Verweis auf eine möglicherweise drohende Vollstreckung aus den zurückliegenden rechtskräftigen Entscheidungen verstehen wollte. Dabei kann dahinstehen, ob sich im Fall der Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der maßgeblichen AVE aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder in entsprechender Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG oder des § 183 Satz 2 VwGO ein Vollstreckungshindernis ergeben würde. Selbst wenn das zu bejahen wäre, kann dies eine Antragsbefugnis jedenfalls für bereits außer Kraft getretene AVE oder VO nicht begründen. Bei der Vollstreckung handelt es sich nicht mehr um unmittelbare Nachteile durch die AVE oder VO selbst oder durch deren Anwendung. In dem Vollstreckungsverfahren ist die Wirksamkeit der AVE oder VO nicht mehr zu prüfen; Rechtsgrundlage der Vollstreckung ist vielmehr ein rechtskräftiges Urteil (vgl. zu § 47 VwGO für den Fall der Vollstreckung eines bestandskräftigen Abgabenbescheids BVerwG 14. Juli 1978 – 7 N 1.78 – zu II 3 der Gründe, BVerwGE 56, 172). Ebenso wenig genügt der nicht näher konkretisierte Hinweis der Beteiligten zu 3. auf zu befürchtende Zinsforderungen.
ee) Der Beteiligte zu 20. hat ein noch bestehendes rechtlich geschütztes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen AVE nicht hinreichend dargelegt.
(1) Beim Beteiligten zu 20. handelt es sich um eine Vereinigung von Arbeitgebern iSv. § 98 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, die geltend macht, in ihren koalitionsmäßigen Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt zu sein, da ihr tarifpolitischer Spielraum vergangenheits- und zukunftsbezogen durch die AVE beschränkt werde. Dies kann grundsätzlich eine Antragsbefugnis und ein Feststellungsinteresse begründen, wenn die angegriffene AVE oder VO noch in Kraft ist. Gleiches muss regelmäßig dann gelten, wenn diese erst während des laufenden Verfahrens außer Kraft getreten sind. Anderenfalls könnten Koalitionen wegen der typischerweise begrenzten Laufzeit der erstreckten Tarifverträge keinen wirksamen Rechtsschutz nach § 98 ArbGG erlangen (vgl. zur Reichweite des Justizgewährleistungsanspruchs zB BAG 18. Mai 2016 – 7 ABR 81/13 – Rn. 28). Etwas anderes gilt aber, wenn ein Normenkontrollverfahren erst zu einem Zeitpunkt eingeleitet wird, zu dem die AVE oder VO bereits außer Kraft getreten war. Dann bedarf es zur Begründung des Feststellungsinteresses nach § 98 Abs. 1 ArbGG weiterer Darlegungen zur anhaltenden oder anstehenden Rechtsverletzung.
(2) Die durch die letzte der streitgegenständlichen AVE für allgemeinverbindlich erklärte Fassung des VTV vom 18. Dezember 2009 ist mit Wirkung vom 1. Januar 2012 durch den VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 21. Dezember 2011 abgelöst worden. Dieser wurde durch AVE vom 3. Mai 2012 rückwirkend für allgemeinverbindlich erklärt. Erstmals im Februar 2015 hat sich der Beteiligte zu 20. am vorliegenden Verfahren beteiligt. Auch die Klage in dem von ihm vor Inkrafttreten des § 98 ArbGG nF geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren hatte er erst Mitte des Jahres 2012 erhoben. Darüber hinaus hat er selbst vorgebracht, während der Geltungsdauer der angegriffenen AVE Tarifverträge abgeschlossen zu haben, die sich nach ihrem Geltungsbereich mit dem Geltungsbereich des VTV teilweise überschnitten. Welche Auswirkungen die Entscheidung über die Wirksamkeit der AVE des VTV vom 15. Mai 2008 und vom 25. Juni 2010 auf sein aktuelles oder zukünftiges Handeln als Tarifvertragspartei und auf seine Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG haben könnte, hat er trotz Hinweis des Senats nicht näher dargelegt. Aus der von ihm angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 2010 (– 8 C 38.09 – Rn. 55, BVerwGE 136, 75) ergibt sich nichts anderes. Das dortige Verfahren ist zu einem Zeitpunkt eingeleitet worden, als die AVE noch in Kraft war.
(3) Es kann deshalb dahinstehen, welche Bedeutung für die Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG dem Umstand zuzumessen ist, dass der VTV nach den Bestimmungen der Großen Einschränkungsklausel auf Betriebe, die unmittelbar oder mittelbar Mitglied des Beteiligten zu 20. waren, unter bestimmten Umständen überhaupt nicht erstreckt wurde.
4. Alle nach § 98 Abs. 3, § 83 Abs. 3 ArbGG zu beteiligenden Vereinigungen und Stellen sind im vorliegenden Verfahren vom Landesarbeitsgericht beteiligt worden.
a) Die Beteiligung an einem Beschlussverfahren ist noch im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen. Personen und Stellen, die bis dahin zu Unrecht nicht gehört wurden, sind auch ohne Rüge zum Verfahren hinzuzuziehen. Dagegen ist im Rechtsbeschwerdeverfahren grundsätzlich nicht von Amts wegen zu prüfen, ob sämtliche in den Vorinstanzen beteiligten Personen, Vereinigungen und Stellen zu Recht angehört wurden. Insoweit gelten die zum Verfahren zur Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung nach
§ 97 ArbGG entwickelten Grundsätze entsprechend (vgl. dazu BAG 5. Oktober 2010 – 1 ABR 88/09 – Rn. 17, BAGE 136, 1).
b) Nach § 98 Abs. 3 Satz 3 ArbGG ist die Behörde, die den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt oder die Rechtsverordnung erlassen hat, kraft Gesetzes zu beteiligen. Im Übrigen bestimmt sich die Beteiligung nach § 98 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 83 Abs. 3 ArbGG, der entsprechend anzuwenden ist. Die Beteiligung richtet sich dementsprechend nach materiellem Recht und setzt voraus, dass die anzuhörenden Personen und Stellen von dem Verfahren nach § 98 ArbGG in einer durch die Rechtsordnung geschützten Rechtsposition unmittelbar betroffen werden. Eine nur mittelbare Betroffenheit oder ein rechtlich nicht geschütztes Interesse, in das Verfahren einbezogen zu werden, reichen nicht aus (vgl. zu § 97 ArbGG: BAG 11. Juni 2013 – 1 ABR 33/12 – Rn. 13, BAGE 145, 205; 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 – Rn. 58, BAGE 136, 302).
aa) Hiernach sind Beteiligte zunächst diejenigen, die einen Antrag gestellt haben (BAG 11. Juni 2013 – 1 ABR 33/12 – Rn. 14, BAGE 145, 205; GK-ArbGG/ Ahrendt § 98 Rn. 36).
bb) Stets zu beteiligen sind weiterhin die Tarifvertragsparteien, die den Tarifvertrag abgeschlossen haben, der für allgemeinverbindlich erklärt bzw. durch Rechtsverordnung erstreckt wurde. Dies ergibt sich schon aus ihren Antragsrechten nach § 5 TVG, §§ 7, 7a AEntG und § 3a AÜG. Sie sind unmittelbar in ihrer Rechtsstellung als Antragsteller berührt, wenn die AVE oder VO für (un)wirksam erklärt würde (ähnl. zur Frage einer Normerlassklage bei abgelehnter AVE: BVerwG 3. November 1988 – 7 C 115.86 – zu 4 der Gründe, BVerwGE 80, 355; ebenso Düwell/Lipke/Reinfelder § 98 Rn. 12; GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 39; HWK/Treber § 98 ArbGG Rn. 8; Maul-Sartori NZA 2014, 1305, 1309; Walker JbArbR Bd. 52 S. 107; aA ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 5; noch enger NK-GA/Ulrici § 98 ArbGG Rn. 6: Kreis durch § 98 Abs. 3 Satz 3 ArbGG abschließend bestimmt).
cc) Nicht zu beteiligen sind hingegen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, die zwar vom Geltungsbereich der AVE oder VO erfasst werden, aber keinen eigenen Antrag gestellt haben. Dies gilt auch dann, wenn sie im Verfahren zum Erlass der AVE oder VO eine Stellungnahme abgegeben haben bzw. die Möglichkeit zur Stellungnahme hatten. Für die Annahme einer unmittelbaren Betroffenheit in der Rechtsstellung genügt dies nicht (ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 5). Soweit sie tarifgebunden sind, werden ihre Interessen durch die beteiligten Tarifvertragsparteien in das Verfahren eingebracht. Handelt es sich um Außenseiter, die der AVE oder VO positiv gegenüberstehen, werden ihre Interessen ebenfalls durch die Tarifvertragsparteien vertreten. Soweit sich Außenseiter gegen die AVE oder VO wenden, können sie dies in jeder Lage des Verfahrens durch einen eigenen Antrag tun, für den nur geringe Hürden bestehen (GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 40). Die Beschränkung der nach § 98 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 83 Abs. 3 ArbGG anzuhörenden Stellen ist im Übrigen auch aus Gründen der Verfahrensökonomie geboten. Das Verfahren kann sein Ziel, in angemessener Zeit Rechtssicherheit über die Wirksamkeit einer AVE oder VO zu schaffen (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 29), nur dann erreichen, wenn seine Durchführung nicht durch die Beteiligung einer Vielzahl von anzuhörenden Personen oder Stellen gefährdet ist. Dies wäre aber der Fall, wenn auch einzelne Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, ohne dass sie einen Antrag gestellt haben, in ein solches Verfahren – gegebenenfalls noch in ständigem Wechsel – einzubeziehen wären (vgl. zu § 97 ArbGG: BAG 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 – Rn. 60, BAGE 136, 302; die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen BVerfG 10. März 2014 – 1 BvR 1104/11 –).
dd) Aus denselben Gründen kommt eine Beteiligung konkurrierender Tarifvertragsparteien nicht in Betracht, sofern sie keinen eigenen Antrag gestellt haben (GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 40; aA Maul-Sartori NZA 2014, 1305, 1309; Walker JbArbR Bd. 52 S. 107). Hinzu kommt, dass ohne eine entsprechende Antragstellung für das Gericht oftmals nicht erkennbar wäre, ob nach Satzungslage und Gestaltungwillen der Koalition überhaupt eine Konkurrenzsituation besteht.
ee) Gleiches gilt grundsätzlich hinsichtlich der Parteien eines nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ausgesetzten Verfahrens; auch diese sind nicht von Amts wegen zu beteiligen. Etwas anderes gilt nur für die Partei, die einen Antrag nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG gestellt hat. Auch in einem solchen Fall bedarf es aber keiner Beteiligung der jeweiligen Gegenpartei, solange diese keinen Antrag stellt (aA Maul-Sartori NZA 2014, 1305, 1309).
ff) Ebenso wenig kommt – außerhalb von § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG – die Beteiligung einer aufgrund des erstreckten Tarifvertrags errichteten gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien in Betracht. Diese ist lediglich ausführendes Organ zur Umsetzung der tarifvertraglichen Regelungen, ohne insoweit eigene Rechte geltend machen zu können (vgl. zur fehlenden Antragsbefugnis nach § 97 Abs. 1 ArbGG: BAG 29. Juni 2004 – 1 ABR 14/03 – zu B I 1 der Gründe, BAGE 111, 164).
c) Nach diesen Grundsätzen bestand für den Senat keine Notwendigkeit, über die bereits vom Landesarbeitsgericht beteiligten Personen, Stellen und Vereinigungen hinaus weitere Beteiligungen vorzunehmen. Neben der Beteiligung der Antragsteller ergibt sich die Beteiligung des Beteiligten zu 4. aus § 98 Abs. 3 Satz 3 ArbGG und die der Beteiligten zu 6. bis 8. als tarifvertragschließende Parteien aus § 98 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 83 Abs. 3 ArbGG.
III. Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer AVE oder einer entsprechenden VO nach § 2a Abs. 1 Nr. 5 iVm. § 98 ArbGG sind gemäß § 2a Abs. 2 ArbGG im Beschlussverfahren auszutragen. Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforscht das Gericht hierbei den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen, wobei die am Verfahren Beteiligten nach § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken haben. Diese Grundsätze gelten gemäß § 98 Abs. 3 Satz 1 ArbGG entsprechend im Verfahren zur Überprüfung der Wirksamkeit einer AVE oder VO. Die Reichweite seiner Aufklärungspflicht hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft verkannt.
1. Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG gilt für das Beschlussverfahren ein eingeschränkter Amtsermittlungs- bzw. Untersuchungsgrundsatz. Gemäß § 98 Abs. 3 Satz 1 ArbGG ist diese Norm im Verfahren über die Wirksamkeit einer AVE oder VO entsprechend anzuwenden. Das Gericht hat alle Tatsachen zu erforschen, die nach seiner Ansicht in Bezug auf den Verfahrensgegenstand entscheidungserheblich sind. Es ist damit dafür verantwortlich, dass die Entscheidung auf einem zutreffenden und vollständig aufgeklärten Sachverhalt beruht (GMP/Matthes/Spinner 8. Aufl. § 83 Rn. 82). Diese Aufklärungspflicht zwingt das Gericht aber nicht zu einer unbegrenzten Amtsermittlungstätigkeit und Beweisaufnahme (BAG 25. März 1992 – 7 ABR 65/90 – zu B III 6 der Gründe, BAGE 70, 85). Liegt entsprechender Sachvortrag vor, ist der Sachverhalt in die Richtung, die hierdurch aufgezeigt wird, zu überprüfen. Zur Aufklärungspflicht gehört auch die Ermittlung von Tatsachen, die bisher von keinem Verfahrensbeteiligten in das Verfahren eingeführt worden sind, soweit sie für die Entscheidung über den gestellten Antrag von Bedeutung sind. Das Gericht kann von einer weiter gehenden Sachverhaltsaufklärung erst absehen, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen von einem der Verfahrensbeteiligten vorgetragen worden sind, sie nicht wirksam bestritten werden und sich überdies keine Zweifel an ihrer Richtigkeit aufdrängen. Die Beteiligten können nur Tatsachen, nicht aber Tatbestandsmerkmale unstreitig stellen (BAG 16. Mai 2007 – 7 ABR 63/06 – Rn. 26 f.). Im Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG hat das Landesarbeitsgericht als einzige Tatsacheninstanz (§ 98 Abs. 2 ArbGG) deshalb nach Maßgabe des Untersuchungsgrundsatzes die Wirksamkeit der AVE oder VO unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen und ist an Rügen der Parteien nicht gebunden (vgl. auch die st. Rspr. zu § 47 VwGO, zB BVerwG 4. Oktober 2006 – 4 BN 26.06 – Rn. 8 mwN). Die Prüfung umfasst sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen für den Erlass der AVE oder VO (allgemeine Meinung, ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 6; GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 44, 46; HWK/Treber § 98 ArbGG Rn. 4; Walker JbArbR Bd. 52 S. 107). Maßgeblicher Zeitpunkt der Überprüfung ist der des Erlasses der angegriffenen AVE oder VO (Düwell/Lipke/Reinfelder § 98 Rn. 15).
2. Entgegen der vom Landesarbeitsgericht in seiner Hauptbegründung vertretenen Auffassung haben die Gerichte für Arbeitssachen im Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG eine vollständige Prüfung der Wirksamkeit der AVE oder VO nicht erst dann vorzunehmen, wenn die Antragsteller ernsthafte Zweifel an deren Wirksamkeit vortragen. Eine solche Auffassung ist mit § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht vereinbar. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich schon deshalb als rechtsfehlerhaft und ist aufzuheben (§ 98 Abs. 3 Satz 1, § 92 Abs. 2, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 562 Abs. 1 ZPO).
a) Allerdings darf das Gericht zunächst davon ausgehen, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bzw. die Obersten Arbeitsbehörden der Länder die AVE eines Tarifvertrags oder eine VO nur unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen erlassen. Der erste Anschein spricht deshalb für deren Rechtmäßigkeit (st. Rspr. vor und nach Inkrafttreten des § 98 ArbGG nF, beginnend mit BAG 3. Februar 1965 – 4 AZR 385/63 – zu IV der Gründe, BAGE 17, 59; zuletzt zB 10. September 2014 – 10 AZR 959/13 – Rn. 21 mwN, BAGE 149, 84). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet worden (BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – BVerfGE 55, 7, betreffend ua. BAG 24. Januar 1979 – 4 AZR 377/77 – BAGE 31, 241). An ihr ist entgegen der in den Rechtsbeschwerden vertretenen Auffassung festzuhalten. Ohne Anhaltspunkte hat auch im Beschlussverfahren keine vertiefte Prüfung der Wirksamkeit einer AVE oder VO zu erfolgen. Ein solches Vorgehen entspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte bei der Überprüfung von Normen im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO (vgl. zur Benennung nur allgemeiner Zweifel an der Wirksamkeit eines Plans zB BVerwG 6. März 1996 – 4 B 184.95 – zu II 2 der Gründe; allgemein zu den Grenzen der Amtsermittlung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Eyermann/Geiger VwGO 14. Aufl. § 86 Rn. 10), dem das Verfahren nach § 98 ArbGG nachgebildet ist (Walker JbArbR Bd. 52 S. 97; vgl. oben B II 3 b).
b) Dies bedeutet aber nicht, dass das Landesarbeitsgericht bei Vorliegen eines zulässigen Antrags nach § 98 ArbGG von sich aus keine Prüfung vorzunehmen hat. Vielmehr hat es sich unter Berücksichtigung der ihm bekannten bzw. von den Antragstellern vorgetragenen Umstände vom Bestehen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der jeweiligen AVE oder VO zu überzeugen. Regelmäßig sind dabei – außer bei völlig substanzlosen Anträgen – die Verfahrensakten der jeweils erlassenden Behörde beizuziehen und auszuwerten. Ergeben sich aus den Verfahrensakten oder aus sonstigen gerichtsbekannten Umständen keine Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit der angegriffenen Norm, kann deren Wirksamkeit festgestellt werden. Einer uferlosen Ermittlungstätigkeit „ins Blaue hinein” bedarf es nicht (GK-ArbGG/Dörner § 83 Rn. 133). Tragen hingegen die Antragsteller oder andere Verfahrensbeteiligte Umstände vor, die Bedenken gegen die formelle oder materielle Wirksamkeit der Norm hervorrufen, hat das Gericht diesen nachzugehen und sich eine eigene Überzeugung zu bilden. Die jeweilige Prüftiefe hängt damit auch davon ab, welcher Vortrag von den Verfahrensbeteiligten gehalten wird. Ermittlungen müssen nur insoweit erfolgen, wie das bisherige Vorbringen der Beteiligten und die schon bekannten Tatsachen bei pflichtgemäßer Würdigung Anhaltspunkte dafür bieten, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt noch weiterer Aufklärung bedarf (GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 45).
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Senats zu der Frage, wann ein Verfahren nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auszusetzen ist. Die dortigen Grundsätze können für die Durchführung des Beschlussverfahrens über die Wirksamkeit einer AVE oder VO nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG nicht herangezogen werden.
aa) Nach der Senatsrechtsprechung kommt die Aussetzung eines Verfahrens nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG nur in Betracht, wenn die Parteien entweder substanziierten Sachvortrag halten, der geeignet ist, ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der AVE oder VO aufkommen zu lassen, oder entsprechende Tatsachen gerichtsbekannt sind. Besteht hingegen zwischen den Parteien hierüber kein Streit und sind auch von Amts wegen keine solchen Zweifel gerechtfertigt, gibt es keinen Grund zur Aussetzung des Verfahrens (BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 19, BAGE 150, 254).
bb) Diese Ausführungen betreffen jedoch nur die Aussetzungspflicht nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG und bewegen sich dort im Spannungsverhältnis zwischen dem arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) und dem Interesse der Parteien am zügigen Abschluss ihres konkreten Rechtsstreits einerseits und dem Ziel der Aussetzungspflicht, divergierende Entscheidungen zu vermeiden. Aussagen zur Reichweite des Amtsermittlungsgrundsatzes im Beschlussverfahren nach § 98 ArbGG sind damit nicht getroffen. Hierauf können sie auch nicht übertragen werden. Vielmehr ist – entsprechend dem Verfahren nach § 97 ArbGG (vgl. dazu BAG 24. Juli 2012 – 1 AZB 47/11 – Rn. 7 ff., BAGE 142, 366) – zu unterscheiden zwischen der Aussetzung eines vorangegangenen Rechtsstreits, in dem es entscheidungserheblich auf die Frage der Wirksamkeit der AVE oder VO ankommen muss, und dem daraufhin eingeleiteten Verfahren nach § 98 ArbGG.
IV. Die AVE von Tarifverträgen nach § 5 TVG verstößt entgegen der in einigen Rechtsbeschwerden vertretenen Auffassung weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Rechtsinstitut der Allgemeinverbindlicherklärung als Normsetzung sui generis mit dem Grundgesetz vereinbar (grundlegend BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322; vgl. auch 11. Juli 2006 – 1 BvL 4/00 – zu C II 1 a bb der Gründe, BVerfGE 116, 202). Dies gilt auch für die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – BVerfGE 55, 7; vgl. auch 10. September 1991 – 1 BvR 561/89 –). Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (zuletzt zB BAG 10. September 2014 – 10 AZR 959/13 – Rn. 27, BAGE 149, 84). Weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht werden durch die Antragsteller Gründe benannt, hieran nicht mehr festzuhalten.
2. Aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt sich nichts anderes. Die AVE von Tarifverträgen über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe verstößt weder gegen die durch Art. 11 EMRK geschützte Vereinigungsfreiheit noch führt sie zu einer Verletzung des durch Art. 1 Protokoll Nr. 1 zur EMRK geschützten Eigentumsrechts. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte durch Urteil vom 2. Juni 2016 (– 23646/09 –) zum allgemeinverbindlich erklärten VTV in einer früheren Fassung rechtskräftig entschieden.
3. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union, die die Vereinbarkeit der AVE des VTV mit Unionsrecht zum Gegenstand hätte, kommt ungeachtet der fehlenden Entscheidungserheblichkeit nicht in Betracht. Es fehlt im Hinblick auf die angegriffenen AVE an einem Anknüpfungspunkt an das Unionsrecht.
a) Eine Vorlagepflicht des Senats als national letztinstanzlichem Gericht besteht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV, wenn sich in dem Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, diese entscheidungserheblich ist und nicht bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war (acte éclairé) und wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (acte clair) (EuGH 15. September 2005 – C-495/03 – [Intermodal Transports] Rn. 33, Slg. 2005, I-8151; vgl. zur Vorlagepflicht unter dem Gesichtspunkt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerfG 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 1562/12, 1563/12, 1564/12 – Rn. 178 ff., BVerfGE 135, 155).
b) Voraussetzung für eine solche Vorlage sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Gegenstand des Rechtsstreits eine Anknüpfung an das Unionsrecht aufweist. Unterfällt ein Sachverhalt nicht dem Unionsrecht und geht es auch nicht um die Anwendung nationaler Regelungen, mit denen Unionsrecht durchgeführt wird, ist der EuGH nicht zuständig. Die Zuständigkeit des EuGH beschränkt sich auf die Prüfung der Bestimmungen des Unionsrechts (EuGH 1. März 2011 – C-457/09 – [Chartry] Rn. 21 ff., Slg. 2011, I-819; BAG 8. Dezember 2011 – 6 AZN 1371/11 – Rn. 9 mwN, BAGE 140, 76). Als Anknüpfungspunkt kommt grundsätzlich das gesamte unionsrechtliche Primär- und Sekundärrecht in Betracht.
c) Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ergibt sich nicht im Hinblick auf Bestimmungen der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC).
aa) Die in Art. 16 GRC anerkannte unternehmerische Freiheit ist zwar Teil des Primärrechts (EuGH 21. Juni 2012 – C-78/11 – [ANGED] Rn. 17). Auf die AVE des VTV vom 15. Mai 2008 fand sie aber noch keine Anwendung (zur Erheblichkeit des Zeitpunkts des Inkrafttretens der GRC vgl. EuGH 22. Oktober 2013 – C-276/12 – [Sabou] Rn. 25).
bb) Zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE des VTV vom 25. Juni 2010 war die GRC hingegen bereits in Kraft. Eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Klärung der Vereinbarkeit der AVE mit Art. 16 GRC scheidet gleichwohl aus, weil die AVE ihrerseits kein Akt der Durchführung des Rechts der Union iSd. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC darstellt.
(1) Um festzustellen, ob eine nationale Maßnahme die Durchführung des Rechts der Union iSv. Art. 51 Abs. 1 der Charta betrifft, ist insbesondere zu prüfen, ob mit der fraglichen nationalen Regelung die Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt wird, welchen Charakter diese Regelung hat und ob mit ihr andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann, sowie ferner, ob es eine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann (EuGH 10. Juli 2014 – C-198/13 – [Julian Hernández ua.] Rn. 32 ff.; vgl. auch 6. März 2014 – C-206/13 – [Siragusa] Rn. 26 f.; möglicherweise weiter gehend 26. Februar 2013 – C-617/10 – [Åkerberg Fransson] Rn. 19 bis 22, 27 bis 29; zum Verständnis dieser Entscheidung vgl. auch BVerfG 24. April 2013 – 1 BvR 1215/07 – Rn. 91, BVerfGE 133, 277). Ausreichend, aber auch erforderlich ist damit, dass Unionsrecht oder Transformationsnormen des nationalen Rechts angewendet werden (EUArbR/Schubert Art. 51 GRC Rn. 14).
(2) In Anwendung dieser Grundsätze ist mit der AVE des VTV nicht Unionsrecht durchgeführt worden, da hierdurch der zugrunde liegende Tarifvertrag nicht auf Arbeitsverhältnisse mit ausländischem Vertragsstatut erstreckt wurde. Durch eine AVE nach § 5 TVG findet – jedenfalls im Hinblick auf den VTV – ausschließlich eine Erstreckung auf Arbeitsverhältnisse statt, die deutschem Arbeitsvertragsstatut unterliegen. Eine Anwendbarkeit der Tarifverträge auf Fälle mit Unionsbezug ergibt sich erst aus den Bestimmungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (ebenso GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 27), das seinerseits der Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsende-RL) dient. Bestimmungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes sind jedoch weder unmittelbar noch mittelbar Gegenstand des vorliegenden Verfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG.
Das gilt auch für Arbeitsverhältnisse mit Auslandsbezug. In den für die streitgegenständlichen Tarifverträge maßgeblichen Fallgestaltungen der Entsendung von Arbeitnehmern liegt im Regelfall eine Anknüpfung an das ausländische Arbeitsvertragsstatut jedenfalls über Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB bzw. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO vor. Dies gilt für die vorübergehende projektbezogene Entsendung von Arbeitnehmern, die beim ausländischen Arbeitgeber bereits im Heimatland eingesetzt wurden, ferner für Arbeitnehmer, die vom ausländischen Arbeitgeber in ihrem Heimatstaat für ein konkretes Projekt in Deutschland angeworben werden und mit denen ein darüber hinausgehendes Arbeitsverhältnis nicht geplant ist. Obwohl im letztgenannten Fall der gewöhnliche Arbeitsort in Deutschland liegt, besteht aufgrund der Staatsangehörigkeit der Parteien bzw. ihres Wohn- und Geschäftsorts regelmäßig eine engere Verbindung zum Heimatort. Gleiches gilt, wenn der ausländische Arbeitgeber seine Arbeitnehmer ständig in wechselnden Staaten einsetzt und daher ein gewöhnlicher Arbeitsort nicht auszumachen ist. Über die einstellende Niederlassung – sofern diese im Heimatland des ausländischen Arbeitgebers liegt – ist hier die Anknüpfung an das ausländische Arbeitsvertragsstatut über Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB bzw. Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO gegeben (vgl. hierzu EuGH 12. September 2013 – C-64/12 – [Schlecker]; Deinert Internationales Arbeitsrecht § 9 Rn. 119 ff., 152; Heuschmid/Schierle in Preis/Sagan Europäisches Arbeitsrecht § 5 Rn. 51 ff.; ErfK/Schlachter Art. 9 Rom I-VO Rn. 12 f.).
(3) Richtet sich das Arbeitsverhältnis nach dem ausländischen Arbeitsvertragsstatut, finden die streitgegenständlichen allgemeinverbindlichen Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren weder unmittelbar noch über Art. 34 EGBGB bzw. Art. 9 Rom I-VO Anwendung. Dabei kann dahinstehen, ob es insoweit bereits an der Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien für solche Arbeitsverhältnisse fehlt (vgl. dazu zB Preis/Temming Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse im Kontext des Gemeinschaftsrechts S. 171 ff. [im Rahmen eines Gutachtens für den Vorstand der SOKA-Bau]), denn eine allgemeinverbindliche Tarifnorm, die Arbeitsverhältnisse, die ausländischem Arbeitsstatut unterliegen, nicht erreicht, kann bereits keine Eingriffsnorm iSd. Art. 34 EGBGB bzw. Art. 9 Rom I-VO darstellen. Sie stellt gerade keine Bestimmung des deutschen Rechts dar, die ohne Rücksicht auf das anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regelt (BAG 9. Juli 2003 – 10 AZR 593/02 – zu B II 2 d der Gründe; vgl. auch Sittard in Henssler/Moll/Bepler Der Tarifvertrag 2. Aufl. Teil 7 Rn. 101 ff. mwN; zum Meinungsstand auch Thüsing/Waas MiLoG/AEntG 2. Aufl. § 3 AEntG Rn. 5). Gegen den Charakter der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren als Eingriffsnormen spricht zudem, dass erst der Gesetzgeber mit den Bestimmungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes deren zwingende Anwendung auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmer angeordnet hat (vgl. BT-Drs. 16/10486 S. 11, 13). Erst mit dieser Umsetzung von Art. 3 Abs. 1, 2. Spiegelstrich der Entsende-RL sind die Bestimmungen der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge zu international zwingenden Eingriffsnormen geworden (BAG 25. Juni 2002 – 9 AZR 405/00 – zu A II 1 a der Gründe, BAGE 101, 357; vgl. auch 18. April 2012 – 10 AZR 200/11 – Rn. 22, BAGE 141, 129; Thüsing/Waas aaO). Für eine bloße „Klarstellung” ergeben sich weder aus dem Gesetz noch aus seiner Begründung Anhaltspunkte.
d) Eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Beschränkung unionsrechtlicher Grundfreiheiten in Betracht.
aa) Nach der Rechtsprechung des EuGH kann auch die Beschränkung einer Grundfreiheit durch eine nationale Regelung als „Durchführung des Rechts der Union” iSd. § 51 Abs. 1 GRC angesehen werden. Erweist sich eine nationale Regelung als geeignet, die Ausübung einer oder mehrerer durch den Vertrag garantierter Grundfreiheiten zu beschränken, können die im Unionsrecht vorgesehenen Ausnahmen somit für die betreffende Regelung nur insoweit als Rechtfertigung dieser Beschränkung gelten, als den Grundrechten, deren Wahrung der EuGH zu sichern hat, Genüge getan wird. Nimmt ein Mitgliedstaat im Unionsrecht vorgesehene Ausnahmen in Anspruch, um eine Beschränkung einer durch den Vertrag garantierten Grundfreiheit zu rechtfertigen, gilt dies als Durchführung des Rechts der Union (EuGH 30. April 2014 – C-390/12 – [Pfleger ua.] Rn. 36; zur Kritik hieran vgl. EUArbR/Schubert Art. 51 GRC Rn. 15, 25 f.).
bb) Der Anwendungsbereich des Unionsrechts ist im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) entsendender ausländischer Arbeitgeber nicht eröffnet. Deshalb kann dahinstehen, ob für eine solche Fragestellung neben den Bestimmungen der Entsende-RL hinsichtlich des Sozialkassenverfahrens noch Raum bleibt.
Die Dienstleistungsfreiheit verlangt nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (EuGH 15. März 2001 – C-165/98 – [Mazzoleni und ISA] Rn. 22, Slg. 2001, I-2189). Da – wie dargelegt – durch die AVE selbst keine Erstreckung auf Arbeitsverhältnisse mit ausländischem Vertragsstatut erfolgt, handelt es sich bei ihr bzw. den erstreckten Tarifverträgen nicht um ein Regelwerk nicht öffentlich-rechtlicher Art, das die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen iSd. Rechtsprechung des EuGH kollektiv regelt (vgl. dazu EuGH 18. Dezember 2007 – C-341/05 – [Laval un Partneri] Rn. 98, Slg. 2007, I-11767).
cc) Gleiches gilt im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV. Als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen. Dies umfasst die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, die, obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind, den Marktzugang von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten betreffen und somit den innergemeinschaftlichen Handel behindern. Maßgeblich ist, ob durch die nationalen Regelungen im Fall des Zugangs die Möglichkeit der betroffenen Unternehmen, ohne Weiteres mit den traditionell im Aufnahmestaat ansässigen Unternehmen wirksam in Wettbewerb zu treten, verringert wird (EuGH 28. April 2009 – C-518/06 – [Kommission./.Italien] Rn. 62 ff., Slg. 2009, I-3491; 5. Oktober 2004 – C-442/02 – [CaixaBank France] Rn. 11, Slg. 2004, I-8961). Gleichzeitig verbietet die Niederlassungsfreiheit aber auch, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert (EuGH 11. Dezember 2007 – C-438/05 – [Viking] Rn. 69, Slg. 2007, I-10779).
Findet im Fall der Niederlassung eines ausländischen Unternehmens in Deutschland das ausländische Arbeitsvertragsstatut – wie typischerweise in den maßgeblichen Entsendefällen – Anwendung, hat die AVE – wie dargelegt – für solche Arbeitsverhältnisse für sich genommen keine Bedeutung. Findet hingegen auf die Arbeitsverhältnisse einer solchen Niederlassung in Deutschland deutsches Arbeitsrecht Anwendung, wird der VTV durch die AVE zwar auf die dortigen Arbeitsverhältnisse erstreckt. Es sind jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden oder erkennbar, dass mit der verpflichtenden Anwendung des VTV eine unmittelbare oder mittelbare Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verbunden wäre. Der EuGH hat insoweit bereits entschieden, dass die Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit selbst nicht zwangsläufig mit einer Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit verbunden ist (EuGH 11. Dezember 2007 – C-438/05 – [Viking] Rn. 52, aaO). In einem solchen Fall gilt diskriminierungsfrei vollständig das Recht, das auch für alle anderen Arbeitsverhältnisse, die deutschem Recht unterliegen, gelten würde, unabhängig davon, ob die Niederlassung durch ein Unternehmen oder einen Bürger eines anderen Mitgliedstaats errichtet wurde. Weder die Gründung noch die spätere Niederlassung des Unternehmens sind damit durch die AVE berührt (vgl. beispielhaft zu diesem Aspekt zB EuGH 10. Dezember 2015 – C-594/14 – [Kornhaas] Rn. 28, zu § 64 GmbHG).
e) Der Anwendungsbereich des Unionsrechts ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden auch nicht aufgrund der „unionsrechtlichen Determinierung des Urlaubsrechts” eröffnet. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeit-RL) sichert einen Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub. Der VTV enthält aber keinerlei materiell-rechtliche Regelungen, die einen Bezug hierzu haben; der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wird durch dessen Bestimmungen nicht berührt (BAG 9. Juli 2003 – 10 AZR 593/02 – zu B II 1 b der Gründe mwN).
f) Eine Beeinträchtigung unionsrechtlicher Wettbewerbsregelungen durch die AVE liegt nicht vor. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass tarifvertragliche Bestimmungen, die für einen bestimmten Wirtschaftszweig eine verpflichtende Zusatzkrankenversicherung oder einen Rentenfonds einrichten, der mit der Verwaltung eines Zusatzrentensystems betraut ist und für diese beim Staat beantragt wird, eine Pflichtmitgliedschaft vorzusehen, nicht unter den Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Wettbewerbsregelungen fallen (Art. 101 ff. AEUV [Ex-Art. 81 ff. EG]; EuGH 3. März 2011 – C-437/09 – [AG2R Prévoyance] Rn. 29 ff., Slg. 2011, I-973; 21. September 1999 – C-115/97 bis C-117/97 – [Brentjens'] Slg. 1999, I-6025).
g) Jedenfalls in Ermangelung eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses kommt eine Vorlage an den EuGH unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit der streitgegenständlichen AVE des VTV mit dem sich aus der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) ergebenden Transparenzgebot nicht in Betracht. Der EuGH hat allerdings angenommen, dass die sich aus Art. 56 AEUV ergebende Transparenzpflicht der von einem Mitgliedstaat vorgenommenen AVE eines von den Arbeitgeberorganisationen und den Arbeitnehmerorganisationen einer Branche geschlossenen Tarifvertrags für sämtliche Arbeitgeber und Arbeitnehmer dieser Branche entgegensteht, mit dem die Verwaltung eines zusätzlichen Pflichtvorsorgesystems für die Arbeitnehmer einem einzigen, von den Tarifpartnern ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer übertragen wird, ohne dass die nationale Regelung eine angemessene Öffentlichkeit vorsieht, die es der zuständigen Behörde ermöglicht, mitgeteilte Informationen über das Vorliegen eines günstigeren Angebots in vollem Umfang zu berücksichtigen (EuGH 17. Dezember 2015 – C-25/14 und C-26/14 – [UNIS] Rn. 46).
Es erscheint jedoch bereits fraglich, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese zum französischen Recht ergangene Entscheidung auch auf Fallgestaltungen übertragbar ist, bei denen eine gemeinsame Einrichtung der tarifvertragschließenden Parteien (hier die ZVK) eine verpflichtende zusätzliche Altersversorgung durchführt und ob insoweit von einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgegangen werden kann. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Die aus der Dienstleistungsfreiheit abgeleitete Transparenzpflicht besteht jedenfalls nur in den Fällen, in denen ein „eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse” besteht. Ob ein solches grenzüberschreitendes Interesse besteht, ist im Hinblick auf die spezifischen Merkmale des Auftrags anhand sämtlicher einschlägiger Kriterien durch das nationale Gericht zu prüfen (EuGH 17. Dezember 2015 – C-25/14 und C-26/14 – [UNIS] Rn. 27 ff., 32). Das Interesse kann sich ua. aus der wirtschaftlichen Bedeutung der abzuschließenden Vereinbarung, aus dem Ort ihrer Durchführung oder aus technischen Merkmalen ergeben (EuGH 14. November 2013 – C-221/12 – [Belgacom] Rn. 29). Für ein solches eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen AVE gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte. Soweit erkennbar, hat sich bisher weder in einem der anhängigen Rechtsstreite noch in anderen Rechtsstreiten, die das Sozialkassenverfahren oder die AVE des VTV betreffen, eine Partei oder ein Beteiligter auf einen solchen Aspekt berufen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein wirtschaftliches Unternehmen mit Sitz im In- oder Ausland zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen AVE Interesse an der Durchführung der zusätzlichen Altersversorgung bekundet hätte. Hinzu kommt, dass der Ort der Durchführung nach den damals maßgeblichen tarifvertraglichen Regelungen auf die Beschäftigten der Bauwirtschaft in den alten Bundesländern beschränkt war.
V. Der Rechtsstreit ist nicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen.
1. Nach § 5 Abs. 1 TVG aF war Voraussetzung für die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF) und die AVE im öffentlichen Interesse geboten erscheint (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF). Dies setzt zunächst voraus, dass es sich bei den für allgemeinverbindlich erklärten Fassungen des VTV um wirksame Tarifverträge im Sinne des TVG gehandelt hat. Neben ihrer formellen Wirksamkeit verlangt dies die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit der jeweiligen Tarifvertragsparteien (allgemeine Meinung, zB Kempen/Zachert/Seifert TVG 5. Aufl. § 5 Rn. 42; Löwisch/Rieble TVG 3. Aufl. § 5 Rn. 41; Wiedemann/Wank TVG 7. Aufl. § 5 Rn. 52). Deren Fehlen wird von den Antragstellern gerügt.
2. Eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 97 Abs. 5 ArbGG kommt aber nicht in Betracht, da es auf die Frage der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer der tarifvertragschließenden Parteien nicht entscheidungserheblich ankommt.
a) Nach § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 ArbGG ist die Entscheidung über die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung ausschließlich in einem besonderen Beschlussverfahren nach diesen Vorschriften zu treffen. Dort ist eine solche Frage mit Wirkung für und gegen jedermann zu klären (§ 97 Abs. 3 Satz 1 ArbGG). Das Verfahren dient der Sicherung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie und soll sicherstellen, dass unter Beteiligung der zuständigen Verbände und obersten Arbeitsbehörden sowie der betroffenen Vereinigung selbst unabhängig von den zufälligen Gegebenheiten des jeweiligen Ausgangsverfahrens ein Höchstmaß an Klarheit über die Befugnis zur tariflichen Normsetzung herbeigeführt wird (BAG 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 – Rn. 47, BAGE 136, 302; 28. Januar 2008 – 3 AZB 30/07 – Rn. 18). Eine Inzidentprüfung der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit in einem anderen Rechtsstreit scheidet aus, dies gilt auch für andere Beschlussverfahren (so schon BAG 2. November 1960 – 1 ABR 18/59 – zu II der Gründe). Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG hat ein Gericht das Verfahren bis zur Erledigung eines solchen Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung gegeben ist. Als Ausgangsverfahren kommt jedes gerichtliche Verfahren – auch in einem anderen Rechtsweg – in Betracht. § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG gilt ohne Rücksicht auf Verfahrensart und Gegenstand des Verfahrens (BAG 25. September 1996 – 1 ABR 25/96 – zu B III 1 b der Gründe).
b) Die Aussetzungspflicht besteht im Fall der Entscheidungserheblichkeit (vgl. dazu zB BAG 19. Dezember 2012 – 1 AZB 72/12 – Rn. 13) auch in einem Verfahren nach § 98 ArbGG. Dies folgt schon aus dem klaren Wortlaut des § 97 Abs. 5 ArbGG; weder sind danach Verfahren nach § 98 ArbGG von der Aussetzungspflicht ausgenommen noch ergibt sich dies aus anderen Bestimmungen. Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 4. folgt aus § 98 Abs. 6 ArbGG nichts anderes. Diese Bestimmung verpflichtet zur Aussetzung von Rechtsstreiten, in denen es auf die Wirksamkeit einer AVE oder VO entscheidungserheblich ankommt. Sie enthält keine Regelung, ob und inwiefern das Verfahren nach § 98 ArbGG seinerseits – etwa nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG – auszusetzen ist. Der weitere Einwand, die Parteien eines nach § 98 Abs. 6 ArbGG ausgesetzten Verfahrens seien nicht befugt, eine andere als die von dem aussetzenden Gericht für entscheidungserheblich erachtete Frage – Wirksamkeit der jeweiligen AVE oder VO – klären zu lassen (vgl. hierzu BAG 29. Juni 2004 – 1 ABR 14/03 – zu B I 2 a der Gründe, BAGE 111, 164), woraus folge, dass Tariffähigkeit und -zuständigkeit in dem vorliegenden Verfahren gar nicht geprüft werden dürften, geht fehl. Er verkennt, dass die Fragen der Tariffähigkeit oder –zuständigkeit für die Klärung der Wirksamkeit der AVE notwendige Vorfragen darstellen und daher der vom Ausgangsgericht für entscheidungserheblich erachteten Frage immanent sind. Auch aus dem Grundsatz der Prozessökonomie ergibt sich nichts anderes. § 97 ArbGG lässt auch vergangenheitsbezogene Feststellungen zu (BAG 11. Juni 2013 – 1 ABR 32/12 – Rn. 19, BAGE 145, 211), soweit dafür ein Rechtsschutzinteresse besteht. Dies ist erkennbar der Fall, wenn die Frage der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit zur Feststellung der Wirksamkeit einer AVE oder VO als Vorfrage geklärt werden muss.
c) Die Aussetzung eines Verfahrens nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG darf allerdings nur erfolgen, wenn zumindest eine der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften einer Vereinigung aufgrund vernünftiger Zweifel am Vorliegen dieser Eigenschaften streitig ist, wobei im Arbeitsleben geäußerte Vorbehalte zu berücksichtigen und von den Gerichten aufzugreifen sind. Danach ist der Ausgangsrechtsstreit nicht schon dann auszusetzen, wenn die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung nur von einer Partei ohne Angabe nachvollziehbarer Gründe infrage gestellt wird (vgl. BAG 24. Juli 2012 – 1 AZB 47/11 – Rn. 9, BAGE 142, 366). Ob die Antragsteller solche Zweifel benannt haben, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da sich die angegriffenen AVE bereits aus anderen Gründen als rechtsunwirksam erweisen.
VI. Die AVE VTV 2008 und 2010 sind entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden allerdings nicht bereits deshalb unwirksam, weil sie nicht im öffentlichen Interesse geboten erscheinen, wie § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF verlangt.
1. Bei der Frage, ob die AVE eines Tarifvertrags im öffentlichen Interesse geboten erscheint, hat der Beteiligte zu 4. eigenverantwortlich zu prüfen, ob die Vorteile der AVE eines Tarifvertrags etwaige Nachteile überwiegen. Hierbei sind sowohl die Interessen der tarifgebundenen als auch diejenigen der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegenüberzustellen. Allein das Interesse der Tarifvertragsparteien, welches sie mit ihrem AVE-Antrag zum Ausdruck bringen, genügt ebenso wenig wie das positive Votum des Tarifausschusses (vgl. BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – zu B II 1 b cc (2) und zu B II 2 b der Gründe, BVerfGE 44, 322; 10. September 1991 – 1 BvR 561/89 – zu II 3 a der Gründe).
2. Das „öffentliche Interesse” kann nicht allgemeingültig definiert werden (eingehend dazu Sittard Voraussetzungen und Wirkungen der Tarifnormerstreckung nach § 5 TVG und dem AEntG S. 169 ff.). Unter anderem sind gesamtwirtschaftliche Daten und die gesamten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und Eigenarten des betreffenden Wirtschaftszweigs zu berücksichtigen (Wiedemann/Wank TVG § 5 Rn. 68) sowie arbeitsmarkt- oder sonstige sozialpolitische Erwägungen anzustellen (BVerwG 3. November 1988 – 7 C 115.86 – zu 4 a der Gründe, BVerwGE 80, 355; einschränkend ErfK/Franzen § 5 TVG Rn. 13). Das Nachvollziehen eines anerkannten Interesses des Gesetzgebers spricht regelmäßig für ein öffentliches Interesse (vgl. BAG 28. März 1990 – 4 AZR 536/89 –; Däubler/Lakies TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 117; einschränkend Löwisch/Rieble TVG § 5 Rn. 183). Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber ist in besonderem Maße dazu berufen zu definieren, welche Maßnahmen im öffentlichen Interesse liegen. Soweit auf dieser Ebene schon eine parlamentarisch kontrollierte Entscheidung getroffen wurde, spricht der erste Anschein dafür, dass eine normsetzende Maßnahme des Ministeriums, welche auf die Erreichung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziels gerichtet ist, ebenfalls im öffentlichen Interesse liegt.
3. Die Entscheidung des Beteiligten zu 4. ein öffentliches Interesse für die AVE anzunehmen, ist nur in beschränktem Umfang gerichtlich nachprüfbar, da ihm ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt (BAG 22. September 1993 – 10 AZR 371/92 – zu II 3 b der Gründe, BAGE 74, 226; 28. März 1990 – 4 AZR 536/89 –; ErfK/Franzen § 5 TVG Rn. 13; Wonneberger Die Funktionen der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen S. 125 ff.). Dieser weite Beurteilungsspielraum ist eine Ausprägung des auch mit Rechtsetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens (vgl. BVerwG 3. November 1988 – 7 C 115.86 – zu 4 a der Gründe mwN aus der Literatur, BVerwGE 80, 355) und kann nicht mit verwaltungsrechtlichen Maßstäben gleichgesetzt werden (vgl. Schaub/Treber ArbR-HdB 16. Aufl. § 205 Rn. 16). Ferner gibt der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF „geboten erscheint”) zu erkennen, dass es sich beim öffentlichen Interesse nicht um einen exakt festzustellenden und überprüfbaren Begriff handelt, sondern um das Ergebnis einer Wertung, welche der Gesetzgeber dem Beteiligten zu 4. übertragen hat (vgl. BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 13/03 – zu II 4 c der Gründe, BAGE 108, 155; NK-GA/Forst § 5 TVG Rn. 81).
4. Der dem Beteiligten zu 4. eingeräumte Beurteilungsspielraum wird erst dann rechtswidrig ausgeübt, wenn die getroffene Entscheidung in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung in § 5 TVG und der hiernach zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Interessen – einschließlich der Interessen der Tarifvertragsparteien – schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist (vgl. BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 13/03 – zu II 4 c der Gründe, BAGE 108, 155; BVerwG 3. November 1988 – 7 C 115.86 – zu 4 a der Gründe, BVerwGE 80, 355; OVG Nordrhein-Westfalen 16. November 2012 – 4 A 46/11 – Rn. 120). Durch die Stellungnahme- und Einspruchsrechte, wie sie in § 5 Abs. 2 und Abs. 3 TVG geregelt sind, ist eine verfahrensmäßige Absicherung der Interessenabwägung gegeben, die eine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass der Beteiligte zu 4. seinen weiten Beurteilungsspielraum sachgerecht nutzt (BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 13/03 – aaO).
5. Nach diesen Maßstäben ist es nicht zu beanstanden, dass der Beteiligte zu 4. im Rahmen der AVE VTV 2008 und 2010 ein öffentliches Interesse im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF angenommen hat. Für die AVE sprechen mehrere Umstände von erheblichem Gewicht. Nicht tarifgebundenen Arbeitgebern entstehen dadurch keine so großen Nachteile, dass die Entscheidung des Beteiligten zu 4. schlechthin unvertretbar oder unverhältnismäßig und damit das ihm zustehende normative Ermessen bei Rechtsetzungsakten überschritten wäre.
a) Für die Annahme eines öffentlichen Interesses bei den AVE VTV 2008 und 2010 spricht, dass das im VTV geregelte Urlaubskassenverfahren das vom Gesetzgeber sozialpolitisch gewollte Ziel verfolgt, Arbeitnehmern auch dann den Erwerb zusammenhängender Urlaubsansprüche zu ermöglichen – wie es § 7 Abs. 2 BUrlG vorsieht – und damit die vom Gesetz grundsätzlich nicht gewollte Urlaubsabgeltung (vgl. § 7 Abs. 4 BUrlG) zu vermeiden, wenn sie im laufenden Urlaubsjahr den Arbeitgeber wechseln. Dabei hat der Gesetzgeber in § 13 Abs. 2 BUrlG insbesondere für den Bereich des Baugewerbes vom BUrlG abweichende tarifvertragliche Regelungen zur Sicherung eines zusammenhängenden Jahresurlaubs zugelassen. Deshalb liegt es nahe, ein öffentliches Interesse dafür anzunehmen, eine solche Regelung – wie sie im Urlaubskassenverfahren bestimmt ist – nicht nur auf unmittelbar tarifgebundene Arbeitsverhältnisse dieser Branche anzuwenden, sondern auf alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Tarifbindung. Auch die vom VTV mit umfasste zusätzliche Altersversorgung (ZVK) verfolgt ein vom Gesetzgeber sozialpolitisch gewolltes Ziel. Ihr Zweck ist daran ausgerichtet, den Arbeitnehmern unverfallbare Anwartschaften auf eine zusätzliche Altersversorgung zu sichern, wie es der Gesetzgeber mit den Bestimmungen des BetrAVG erreichen will. Die Ausbildungsumlage steht vor dem Hintergrund einer vom Gesetzgeber für sinnvoll gehaltenen geordneten und einheitlichen Berufsausbildung (vgl. § 4 Abs. 1 BBiG), deren Lasten verteilt werden sollen.
b) Diesen für ein öffentliches Interesse an den AVE VTV 2008 und 2010 sprechenden Umständen stehen insbesondere die Interessen der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber gegenüber, nicht mit Beitragszahlungen an den Beteiligten zu 5. belastet zu werden. Entgegenstehende Interessen nicht tarifgebundener Arbeitnehmer sind in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen. Die (zusätzliche) Zahlungsverpflichtung der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber ist allerdings im Ergebnis begrenzt, da sie zur Gewährung von Urlaub und Urlaubsentgelt auch gesetzlich verpflichtet sind und das Urlaubskassenverfahren in seiner praktischen Ausprägung nur einen anderen Abwicklungsweg darstellt. Auch die Ausbildungsumlage verteilt im Wesentlichen nur Lasten gleichmäßig auf die Arbeitgeber, die generell unabhängig von der tarifvertraglichen Regelung entstehen. Die von der AVE VTV 2008 und 2010 erfassten Arbeitgeber profitieren auch dann mittelbar von einer so geförderten Berufsausbildung, wenn sie nicht selbst zu den Ausbildungsbetrieben gehören. Die von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer, nach deren Bruttolohnsumme sich der Sozialkassenbeitrag richtet, haben in aller Regel eine Berufsausbildung durchlaufen, die sich die nicht ausbildenden Arbeitgeber zu Nutze machen. Eine effektiv zusätzliche Zahlungsbelastung der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber ergibt sich aus den eigenen Verwaltungskosten des Beteiligten zu 5. sowie der gesetzlich nicht verpflichtend vorgeschriebenen zusätzlichen Altersversorgung für Arbeitnehmer.
c) Eine Abwägung dieser Interessen vorzunehmen, ist Aufgabe des Beteiligten zu 4. Wenn er sich dazu entschließt, das öffentliche Interesse an einer AVE trotz entgegenstehender Interessen der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber zu bejahen, kann dies angesichts der zweifellos bestehenden Argumente für eine AVE und der auch ohne eine AVE in Teilbereichen bestehenden Zahlungspflichten nicht tarifgebundener Arbeitgeber nicht als schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig angesehen werden. Dieser (politische) Bewertungsprozess kann nur darauf überprüft werden, ob die äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis des Beteiligten zu 4. überschritten sind. Solches kann auch unter Beachtung der von den Antragstellern vorgebrachten Argumente nicht angenommen werden. Es kommt insbesondere nicht in Betracht, die Wertungen des zur Normgebung berufenen Beteiligten zu 4. durch die Wertungen der Antragsteller oder des Gerichts zu ersetzen. Die sich aus dem VTV ergebenden Beitragsverpflichtungen nicht tarifgebundener Arbeitgeber sind weder unsinnig noch so belastend ausgestaltet, dass sie rechtlich zu beanstanden wären. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen können bei der gerichtlichen Kontrolle des öffentlichen Interesses nicht ausschlaggebend sein.
VII. Die AVE VTV 2008 und 2010 sind ebenso wenig wegen Verletzung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften unwirksam. Die AVE VTV 2008 und 2010 sind weder an Art. 80 Abs. 1 GG noch am Maßstab des § 24 VwVfG zu messen.
1. Die AVE von Tarifverträgen ist im Verhältnis zu den ohne sie nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, der seine eigenständige Grundlage in Art. 9 Abs. 3 GG findet und nicht an Art. 80 Abs. 1 GG zu messen ist (BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – zu B II 1 b und B II 2 c der Gründe, BVerfGE 44, 322; 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – zu B I der Gründe, BVerfGE 55, 7; BAG 29. September 2010 – 10 AZR 523/09 – Rn. 15). Weder die AVE eines Tarifvertrags noch deren Ablehnung sind Verwaltungsakte (BVerwG 6. Juni 1958 – VII CB 187.57 – BVerwGE 7, 82; 1. August 1958 – VII A 35.57 – BVerwGE 7, 188). Die AVE ist wegen ihres abstraktgenerellen Charakters gerade das Gegenteil eines Verwaltungsakts, nämlich eine Rechtsnorm (vgl. BVerwG 3. November 1988 – 7 C 115.86 – zu 3 a der Gründe, BVerwGE 80, 355). Verwaltung ist hingegen die Tätigkeit des Staats außerhalb von Rechtsetzung und Rechtsprechung (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/ Schmitz VwVfG 8. Aufl. § 1 Rn. 165; Jellinek Verwaltungsrecht 3. Aufl. § 1 Abs. I S. 6).
2. Für den Normerlass ist das Verwaltungsverfahrensgesetz, insbesondere der in § 24 VwVfG geregelte Untersuchungsgrundsatz, nicht unmittelbar anwendbar. Das Verwaltungsverfahrensgesetz gilt nach § 1 Abs. 1 VwVfG für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit von Behörden. Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist nach § 9 VwVfG die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsakts oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist. Der Erlass einer AVE stellt Rechtsetzung und keine Verwaltungstätigkeit dar.
3. Für eine analoge Anwendung von § 24 VwVfG besteht kein Anlass. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG 10. Januar 2007 – 6 BN 3.06 – Rn. 4 mwN) ist geklärt, dass es bei der richterlichen Kontrolle untergesetzlicher Normen, soweit keine anderweitigen Rechtsvorschriften bestehen, nur auf das Ergebnis des Rechtsetzungsverfahrens, also auf die erlassene Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung, nicht aber auf die die Rechtsnorm tragenden Motive dessen ankommt, der an ihrem Erlass mitgewirkt hat. Soweit der Normgeber zur Regelung einer Frage befugt ist, ist seine Entscheidungsfreiheit eine Ausprägung des auch mit Rechtsetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens. Die Rechtsprechung hat zu respektieren, dass der parlamentarische Gesetzgeber im Rahmen der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen oder Satzungen eigene Gestaltungsfreiräume an den untergesetzlichen Normgeber weiterleitet und ihm damit vorbehaltlich gesetzlicher Beschränkungen die Bewertungsspielräume eröffnet, die sonst dem parlamentarischen Gesetzgeber selbst zustehen. Eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs setzt daher bei untergesetzlichen Normen eine besonders ausgestaltete Bindung des Normgebers an gesetzlich formulierte Abwägungsdirektiven voraus, wie sie etwa im Bauplanungsrecht vorgegeben sind. Sind solche nicht vorhanden, kann die Rechtswidrigkeit der Norm mit Mängeln im Abwägungsvorgang nicht begründet werden. Entscheidend ist dann allein, ob das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden rechtlichen Maßstäben entspricht (BVerwG 3. Mai 1995 – 1 B 222.93 – zu 1 der Gründe; 30. April 2003 – 6 C 6.02 – zu II 1 c ff der Gründe, BVerwGE 118, 128; 26. April 2006 – 6 C 19.05 – Rn. 16, BVerwGE 125, 384). Diese Ansicht wird auch von der verwaltungsrechtlichen Literatur geteilt (vgl. Kopp/Schenke VwGO 22. Aufl. § 47 Rn. 117 f., der auf die bei untergesetzlichen Normen oft gegebene besondere politische Komponente verweist, die sich nicht nach den Grundsätzen strenger Rationalität vollziehe; Sodan/Ziekow VwGO 4. Aufl. § 47 Rn. 353; Eyermann/Schmidt VwGO § 47 Rn. 92). Die Frage lautet nicht, ob der Normgeber konsistent argumentiert hat, sondern ob das in der Norm zum Ausdruck kommende Ergebnis rechtlich bestehen kann, nicht, wie die Norm begründet ist, sondern ob sie begründbar ist (vgl. Bonner Kommentar zum Grundgesetz Stand Juni 2016 Nierhaus Art. 80 Abs. 1 Rn. 355). Für das Normenkontrollverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG vor den Gerichten für Arbeitssachen zur Überprüfung der Wirksamkeit einer AVE als untergesetzlicher Norm eigener Art gilt nichts anderes (vgl. Sittard Voraussetzungen und Wirkungen der Tarifnormerstreckung nach § 5 TVG und dem AEntG S. 168; Wonneberger Die Funktionen der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen S. 126 ff. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Tarifautonomiestärkungsgesetzes).
4. Für eine Verfassungswidrigkeit von § 11 TVG und der darauf beruhenden TVG-DVO gibt es keine Anhaltspunkte. Insbesondere mangelt es § 11 Nr. 2 TVG nicht an der erforderlichen Bestimmtheit iSv. Art. 80 Abs. 1 GG. Die TVG-DVO dient nur der Ergänzung und Präzisierung des Tarifvertragsgesetzes, insbesondere dessen § 5. Die materiellen Voraussetzungen der AVE sind vom Gesetzgeber unmittelbar in § 5 TVG geregelt. Für die in der TVG-DVO angesprochenen Fragen stellt § 11 TVG auch mit Blick auf das Bestimmtheitserfordernis des Art. 80 Abs. 1 GG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar. Die Grundrechtsrelevanz der TVG-DVO ist vergleichsweise gering, weil sie nur Vorschriften für den praktischen Ablauf des AVE-Verfahrens enthält. Die etwaige Berührung der Grundrechte von Außenseitern ergibt sich dagegen unmittelbar aus der Regelung in § 5 TVG.
5. Anderweitige Bedenken hinsichtlich der Erfüllung der weiteren verfahrensrechtlichen Voraussetzung der AVE VTV 2008 und 2010 nach dem TVG bzw. der TVG-DVO bestehen nicht. Das Vorliegen eines Antrags der Tarifvertragsparteien auf AVE (§ 5 Abs. 1 Satz 1 TVG), dessen Bekanntmachung im Bundesanzeiger mit bestimmten Fristen (§ 4 Abs. 1 TVG-DVO), die Einberufung des Tarifausschusses unter Beachtung bestimmter Formalien und Fristen (§ 6 TVG-DVO), die Möglichkeit zur Stellungnahme für bestimmte Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Verbände und oberste Arbeitsbehörden der Länder (§ 5 Abs. 2 TVG), das Einvernehmen des Tarifausschusses mit der AVE (§ 5 Abs. 1 Satz 1 TVG, § 7 TVG-DVO) und die Bekanntmachung der AVE im Bundesanzeiger (§ 5 Abs. 7 TVG, § 11 TVG-DVO) hat das Landesarbeitsgericht geprüft und als erfüllt angesehen. Einwendungen hiergegen wurden von keinem Beteiligten erhoben.
VIII. Die AVE VTV 2008 und 2010 erweisen sich aber als unwirksam, weil sich der zuständige Minister bzw. die zuständige Ministerin nicht mit ihnen befasst hat. Deshalb kann die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch nicht im Hinblick auf die gegebene Hilfsbegründung aufrechterhalten werden (§ 98 Abs. 3 Satz 1, § 92 Abs. 2, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 561 ZPO). Da es sich bei der AVE eines Tarifvertrags um einen Akt der exekutiven Normsetzung handelt, muss sich der zuständige Minister in einer Weise damit befasst haben, die aktenkundig verdeutlicht, dass er die beabsichtigte AVE billigt. Dies folgt aus den Grundsätzen des Demokratieprinzips und des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG.
1. Der Wortlaut von § 5 TVG und der TVG-DVO gibt keinen klaren Aufschluss darüber, ob und in welcher Form sich der zuständige Minister mit der AVE persönlich befassen muss.
a) In § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG hieß es in der Fassung vom 25. August 1969 – entsprechend der damaligen Wortwahl – „der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung” könne einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären. Entsprechend waren die Formulierungen in § 5 Abs. 5 und Abs. 6 TVG sowie in anderen Vorschriften des TVG und der TVG-DVO. Durch die Achte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 25. November 2003 (BGBl. I S. 2304) wurde diese Formulierung ersetzt durch „Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit” (nunmehr „das Bundesministerium für Arbeit und Soziales”).
b) Der Wechsel der Terminologie lässt aber keinen Rückschluss auf die Notwendigkeit der persönlichen Befassung des Ministers mit der AVE zu. Das Bundeskabinett hatte in seiner Sitzung am 14. Februar 1950 im Hinblick auf die Terminologie des Grundgesetzes als Amtsbezeichnung der obersten Bundesbehörden die persönliche Form vorgegeben. In Abkehr von dieser Praxis beschloss das Bundeskabinett am 20. Januar 1993 unter Aufhebung des Beschlusses vom 14. Februar 1950 die Einführung der sächlichen Bezeichnungsform für die Bundesministerien „Bundesministerium für/des/der …”) (GMBl. 1993 S. 46). Aus dem in diesem Zusammenhang ergangenen „Gesetz zur Anpassung von Rechtsvorschriften an veränderte Zuständigkeiten oder Behördenbezeichnungen innerhalb der Bundesregierung sowie zur Änderung des Unterlassungsklagengesetzes und des Außenwirtschaftsgesetzes” vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3165) und § 1 des in Art. 1 enthaltenen Zuständigkeitsanpassungsgesetzes – ZustAnpG – sowie der Gesetzesbegründung vom 7. Mai 2002 zum ZustAnpG (BT-Drs. 14/8977 S. 7) kann entnommen werden, dass die Änderung der Behördenbezeichnung nur deklaratorisch ist und keine Änderung in der Sache beinhaltet. Daraus ist zu ersehen, dass weder die ursprünglich persönliche Form der Bezeichnung in § 5 TVG eine klare gesetzgeberische Entscheidung für das Erfordernis einer persönlichen Befassung des Ministers mit der AVE war, noch dass die Einführung der sächlichen Form eine bewusste Abkehr hiervon darstellen würde. Soweit im Schrifttum möglicherweise unter Fortführung der überholten Terminologie eine Zuständigkeit des „Bundesministers für Arbeit und Soziales” für die AVE angenommen wird (vgl. Wiedemann/Wank TVG § 5 Rn. 82), sagt dies nichts über ein materielles Befassungserfordernis aus.
2. Die Rechtsprechung hat sich bislang noch nicht mit der Frage befasst, wer die Entscheidung über den Erlass einer AVE zu treffen oder zu verantworten hat. Soweit sich das Schrifttum mit dieser Frage auseinandersetzt, wird im Ergebnis übereinstimmend, aber mit unterschiedlicher Begründung die Auffassung vertreten, die AVE müsse durch den Minister selbst erfolgen (Däubler/ Lakies TVG § 5 Rn. 163; NK-GA/Forst § 5 TVG Rn. 58; Hippmann Allgemeinverbindlicherklärung im Kontext staatlicher Beteiligung bei der Festlegung von Arbeitsbedingungen S. 86 Fn. 50; Löwisch/Rieble TVG § 5 Rn. 165; offenbar auch Deinert in Kittner/Zwanziger/Deinert Arbeitsrecht 8. Aufl. § 8 Rn. 262; MüArbR/Rieble/Klumpp 3. Aufl. Bd. 2 § 179 Rn. 62, 67; wenn auch eher beiläufig Wonneberger Die Funktionen der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen S. 121, 127).
a) Ein Teil der Autoren meint, der jeweilige Minister sei zuständig, weil das BMAS durch diesen vertreten werde. Das folge schon aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG, der nicht die Ermächtigung eines Ministeriums, sondern nur die eines „Bundesministers” erlaube. Schon ein Staatssekretär sei nicht befugt, eine AVE vorzunehmen (NK-GA/Forst § 5 TVG Rn. 58). Die Delegation der Ermächtigung zB auf einen Staatssekretär bedürfe nach Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG einer gesetzlichen Ermächtigung, welche aber weder im TVG noch in der TVG-DVO enthalten sei. Diese Begründung ist unzutreffend. Wie oben dargelegt, ist die AVE keine Rechtsverordnung und deshalb nicht an Art. 80 Abs. 1 GG zu messen.
b) Ein anderer Teil des Schrifttums begründet seine Auffassung, die AVE als Rechtsetzungsakt müsse vom Minister oder seinem Staatssekretär als Vertreter verantwortet werden, mit der differenzierten Wortwahl in der TVG-DVO, die in § 2 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 einerseits und §§ 4 ff. andererseits sorgsam zwischen Ministerbefugnissen und denen des „Beauftragten” des Bundesministeriums unterscheide (Löwisch/Rieble TVG § 5 Rn. 165; ähnlich Hippmann Allgemeinverbindlicherklärung im Kontext staatlicher Beteiligung bei der Festlegung von Arbeitsbedingungen S. 86 Fn. 50). Ob die Regelungen in der TVG-DVO, welche den „Beauftragten” des Ministeriums im Zusammenhang mit der Leitung der Sitzung des Tarifausschusses ansprechen, allein für eine Abgrenzung von Befugnissen geeignet ist, die nur dem Minister persönlich zustehen, ist allerdings zweifelhaft. Zu berücksichtigen ist, dass weder in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung des TVG noch in den §§ 4 ff. TVG-DVO der Minister erwähnt wird, sondern – in sächlicher Form – das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und auch der Wortlaut der vormaligen Gesetzesfassung nicht zwingend die Annahme zulässt, der Gesetzgeber habe hiermit dem Minister persönlich die Aufgabe übertragen. Jedoch deutet diese Unterscheidung an, dass der Normgeber die Frage von Zuständigkeiten und Befugnissen differenziert betrachtet hat.
c) Schließlich wird in der Literatur eine eigenverantwortliche Prüfung der Voraussetzungen für eine AVE gemäß § 5 Abs. 1 TVG aF durch den zuständigen Minister gefordert. Der Minister habe nach außen die Entscheidung zu verantworten. Er trage die alleinige politische und parlamentarische Verantwortung (vgl. Däubler/Lakies TVG § 5 Rn. 163; wohl ähnlich, ohne sich aber ausdrücklich hiermit befassend Wonneberger Die Funktionen der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen S. 121).
3. Aus den Grundsätzen des Demokratieprinzips, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, folgt, dass sich der jeweilige Minister für Arbeit und Soziales persönlich zustimmend mit der AVE befasst haben muss. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen (Art. 20 Abs. 3 GG) ist die Ministerbefassung in geeigneter Weise aktenkundig zu dokumentieren.
a) Der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Grundsatz der Volkssouveränität und der damit zusammenhängende Anspruch des Bürgers, nur einer öffentlichen Gewalt ausgesetzt zu sein, die er auch legitimieren und beeinflussen kann, stellt eine verfassungsunmittelbare Konkretisierung des Demokratieprinzips dar (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – Rn. 127). Dieses verlangt eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den Organen und Amtswaltern, die Staatsgewalt ausüben. Der erforderliche enge Legitimationszusammenhang und das Legitimationsniveau sind von der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung abhängig. Dabei ist die „Verantwortungsgrenze” des dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers sicherzustellen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert das in Art. 20 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 GG verankerte demokratische Prinzip, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und von diesem in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Diese bedürfen hierfür einer Legitimation, die sich auf die Gesamtheit der Bürger als Staatsvolk zurückführen lässt (vgl. BVerfG 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98 – zu C I 1 a der Gründe mwN, BVerfGE 107, 59). Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG bestimmt, dass das Volk die Staatsgewalt, deren Träger es ist, außer durch Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt. Das setzt voraus, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat. Deren Akte müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden. Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt. Für die Beurteilung, ob dabei ein hinreichender Gehalt an demokratischer Legitimation erreicht wird, haben die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterschiedenen Formen der institutionellen, funktionellen, sachlichinhaltlichen und personellen Legitimation Bedeutung nicht je für sich, sondern nur in ihrem Zusammenwirken. Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität; notwendig ist ein bestimmtes Legitimationsniveau. Dieses kann bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt im Allgemeinen und der vollziehenden Gewalt im Besonderen unterschiedlich ausgestaltet sein. Innerhalb der Exekutive ist dabei auch die Funktionenteilung zwischen der für die politische Gestaltung zuständigen, parlamentarisch verantwortlichen Regierung und der zum Gesetzesvollzug verpflichteten Verwaltung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92 – zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 93, 37).
bb) Entscheidungskompetenzen lassen Amts- oder Organträgern im Allgemeinen mehr oder minder weite Spielräume eigener Gestaltung. Haben die Aufgaben eines Amtsträgers einen besonders geringen Entscheidungsgehalt, mag dafür eine demokratische Legitimation ausreichen, bei der einzelne Legitimationselemente zurücktreten. Das kann jedoch nur in Betracht kommen, wenn Kompetenzen gegenständlich im Einzelnen und auch ihrem Umfang nach eng begrenzt sind und die zu treffenden Entscheidungen inhaltlich soweit vorstrukturiert sind, dass sie sich etwa auf die messbar richtige Plan- oder Gesetzesdurchführung beschränken (vgl. BVerfG 31. Oktober 1990 – 2 BvF 3/89 – zu C I 2 a bb der Gründe, BVerfGE 83, 60).
cc) Das Demokratieprinzip fordert nicht nur irgendeine Legitimation der Staatsgewalt aus dem Volk. Vielmehr verlangt das Demokratieprinzip eine hinreichende Legitimation aller Staatsgewalt durch das Volk. Es muss deshalb ein bestimmtes Niveau der Legitimation durch das Volk bestehen. Die Anforderungen an die Höhe des Legitimationsniveaus richten sich nach der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung. Je wichtiger die Entscheidung ist, desto höher muss das Legitimationsniveau sein (vgl. Bonner Kommentar zum Grundgesetz Robbers Art. 20 Abs. 1 Rn. 579 mwN; Maunz/Dürig/Grzeszick Grundgesetz-Kommentar Stand Mai 2016 Art. 20 Rn. 126). Als Ausübung von Staatsgewalt, die demokratischer Legitimation bedarf, stellt sich dabei jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter dar (vgl. BVerfG 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98 – zu C I 1 a der Gründe mwN, BVerfGE 107, 59). Entscheidungen steuern die staatliche Herrschaft und müssen sich daher vom Volk herleiten lassen (vgl. BVerfG 31. Oktober 1990 – 2 BvF 3/89 – zu C I 2 a aa der Gründe, BVerfGE 83, 60).
dd) Die verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern. Die Ausübung von Staatsgewalt ist dann demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung der Amtsträger – personelle Legitimation vermittelnd – auf das Staatsvolk zurückführen lässt und das Handeln der Amtsträger selbst eine ausreichende sachlichinhaltliche Legitimation erfährt, dh. die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung handeln und die Regierung damit in die Lage versetzen, die Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zu übernehmen. Ein Amtsträger ist uneingeschränkt personell legitimiert, wenn er sein Amt im Wege einer Wahl durch das Volk oder das Parlament oder durch einen seinerseits personell legitimierten Amtsträger oder mit dessen Zustimmung erhalten hat (vgl. BVerfG 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98 – zu C I 1 a der Gründe mwN, BVerfGE 107, 59). Die allein dem Parlament zukommende unmittelbare demokratische Legitimation macht es zum notwendigen Mittler grundsätzlich aller weiteren Entscheidungen über die Besetzung der besonderen staatlichen Organe. Die staatliche Exekutive wird auf Bundesebene primär durch die Parlamentswahl des Bundeskanzlers, dessen Regierungsbildung und sodann die Personalentscheidung in den Ressorts in einer ununterbrochenen Legitimationskette personell demokratisch legitimiert (vgl. Sachs/Sachs GG 7. Aufl. Art. 20 Rn. 38 f.). Inhaltlich wird das Handeln der vollziehenden Gewalt teilweise durch die Gesetzesbindung, im Übrigen durch die parlamentarische Verantwortung der Regierung bzw. durch Weisungsunterworfenheit legitimiert (vgl. Sachs/Sachs GG Art. 20 Rn. 41).
ee) Das Demokratieprinzip verlangt für die Ausübung von Staatsgewalt bei Entscheidungen von Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrags jedenfalls, dass die Letztentscheidung eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers gesichert ist (Verantwortungsgrenze) (vgl. BVerfG 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92 – zu C I 4 der Gründe, BVerfGE 93, 37). Dabei ist für das Verfahren der AVE nicht gesetzlich geregelt, wie sichergestellt wird, dass der parlamentarisch verantwortliche Amtsträger dieser Verantwortung nachkommt. Insbesondere gibt es bei der AVE keine besonderen Vorschriften bezüglich der Entscheidungsbefugnis. Die erforderliche Effektivität der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns verlangt aber zumindest, dass die Entscheidung dem dazu berufenen Amtsträger materiell zugerechnet werden kann. Dies gilt insbesondere bei vom Parlament übertragenen Normsetzungsbefugnissen. Zurechenbarkeit setzt voraus, dass der Amtsträger von der anstehenden Entscheidung und ihrem Gegenstand in Kenntnis gesetzt wird und Gelegenheit hat, daran mitzuwirken (vgl. BVerfG 11. Oktober 1994 – 1 BvR 337/92 – zu B II 2 a aa der Gründe, BVerfGE 91, 148).
ff) Die AVE als staatlicher Hoheitsakt hat nicht nur die Bedeutung einer bloßen unselbständigen Zustimmungserklärung zu autonomer Normsetzung der Koalitionen auch gegenüber den Außenseitern (vgl. BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – zu B II 1 b cc (2) der Gründe, BVerfGE 44, 322). Die Mitwirkung des Staats beim Zustandekommen der AVE geht weit darüber hinaus. So kann das BMAS den Antrag der Tarifvertragsparteien selbständig ablehnen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 TVG nach seiner Überzeugung nicht erfüllt sind. Insbesondere bezüglich der Frage des öffentlichen Interesses ist das Ministerium nicht an ein positives Votum des Tarifausschusses gebunden, sondern hat dieses in eigener Verantwortung zu prüfen und dabei nicht allein die Interessen der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen. Die danach für allgemeinverbindlich erklärten Tarifnormen sind gegenüber den Außenseitern durch die staatliche Mitwirkung noch ausreichend demokratisch legitimiert, da sich der Staat seines Normsetzungsrechts nicht völlig entäußert (vgl. BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – zu B II 2 b der Gründe, BVerfGE 44, 322). Dies ist erforderlich, weil auch im Rahmen einer an sich zulässigen Autonomiegewährung der Grundsatz bestehen bleibt, dass der Gesetzgeber seine Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig aufgeben und seinen Einfluss auf den Inhalt zu erlassender Normen nicht gänzlich preisgeben darf. Das folgt sowohl aus dem Prinzip des Rechtsstaats wie aus dem der Demokratie (vgl. BVerfG 9. Mai 1972 – 1 BvR 518/62, 1 BvR 308/64 – zu C II 3 der Gründe, BVerfGE 33, 125). Fordert das eine, die öffentliche Gewalt in allen ihren Äußerungen auch durch klare Kompetenzordnung und Funktionentrennung rechtlich zu binden, so dass Machtmissbrauch verhütet und die Freiheit des Einzelnen gewahrt wird, gebietet das andere, dass jede Ordnung eines Lebensbereichs durch Sätze objektiven Rechts auf eine Willensentschließung der vom Volk bestellten Gesetzgebungsorgane zurückgeführt werden können muss.
gg) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet sich die für die Ausdehnung der Tarifgebundenheit auf Außenseiter erforderliche zusätzliche Rechtfertigung in der AVE, die das Tarifvertragsgesetz der zuständigen, parlamentarisch verantwortlichen Arbeitsbehörde, dem Bundesminister (damalige Terminologie) anvertraut hat. Der Staat hat bei der AVE zwar kein eigenständiges Initiativ- und Entscheidungsrecht und kann keinen Einfluss auf den Inhalt der Normen nehmen. Auch hinsichtlich der Geltungsdauer der allgemeinverbindlichen Normen unterwirft er sich in § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG dem Willen der Tarifvertragsparteien. Mit diesen Regelungen kommt er einem umfassend verstandenen Betätigungsrecht der Koalitionen so weit wie möglich entgegen. Unter dem Blickpunkt des Demokratieprinzips wird dieses Defizit staatlicher Entscheidungsfreiheit durch die Voraussetzungen der AVE und in dem ihr vorausgehenden Verfahren hinreichend ausgeglichen. § 5 Abs. 1 TVG macht die Ausdehnung der Tarifgebundenheit von strengen Bedingungen abhängig. Der Bundesminister (jetzt das Bundesministerium) hat eigenverantwortlich zu prüfen, ob sie erfüllt sind; er hat dabei die Interessen der Außenseiter zu wahren. Entschließt er sich für die beantragte AVE, hat er die von den Koalitionen geschaffene Rechtsordnung in seinen Willen aufgenommen (vgl. BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – zu B II 2 b der Gründe, BVerfGE 44, 322; 10. September 1991 – 1 BvR 561/89 – zu 3 c der Gründe). Auch das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG 3. November 1988 – 7 C 115.86 – zu 4 a der Gründe, BVerwGE 80, 355) hebt hervor, dass die Konkretisierung des öffentlichen Interesses, seine Gewichtung und seine Abwägung mit der – durch die AVE verkürzten – Privatautonomie der Außenseiter dem jeweils zur Entscheidung berufenen, parlamentarisch verantwortlichen Bundes- oder Landesminister (damalige Terminologie) vorbehalten sei, der insbesondere arbeitsmarkt- oder sonstige sozialpolitische Erwägungen anzustellen habe.
b) Die AVE eines Tarifvertrags bedarf als Ausübung von Staatsgewalt der demokratischen Legitimation in Form der zustimmenden Befassung des Ministers oder seines Staatssekretärs mit der Angelegenheit. Die AVE eines Tarifvertrags ist Ausübung von Staatsgewalt mit Entscheidungscharakter. Es wird darüber entschieden, ob die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 TVG aF vorliegen und ob angesichts dessen „kann”) die AVE erfolgen soll.
aa) Unabhängig von konkreten Inhalten des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrags ist die AVE nach § 5 Abs. 1 TVG aF als Akt der Normsetzung für die Exekutive stets eine Entscheidung von besonderer Bedeutung. Nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz steht die Normgebung grundsätzlich der Legislative zu. Soweit die Normsetzung – etwa bei Verordnungen nach Art. 80 GG oder der AVE nach § 5 TVG – der Exekutive übertragen ist, stellt dies einen Sonderfall dar. Dieser ist zwar grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, unterstreicht aber die herausgehobene Bedeutung der Maßnahme für die Behörde.
bb) Die besondere Bedeutung dieses Normsetzungsakts wird dadurch verstärkt, dass es sich bei der AVE zu einem wesentlichen Teil um eine Frage der politischen Gestaltung und nicht des bloßen Normvollzugs handelt. Der Gestaltungsspielraum wird daran deutlich, dass im Rahmen von § 5 Abs. 1 TVG aF durch das BMAS nicht nur das Erreichen einer rechnerischen Quote festzustellen ist, was dann eine Rechtsfolge (den Normerlass) nach sich ziehen würde. Vielmehr ist nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG aF auch die politisch determinierte Frage des Bestehens eines öffentlichen Interesses an der AVE zu beantworten und gegebenenfalls nach § 5 Abs. 1 Satz 2 TVG aF das Vorliegen eines sozialen Notstandes zu klären. Die Relevanz dieser Entscheidung wird dadurch unterstrichen, dass dem Normgeber hierbei – wie aufgezeigt – ein gerichtlich nur eingeschränkt kontrollierbares normatives Ermessen zusteht. Die AVE eines Tarifvertrags hat zudem regelmäßig Rechtsfolgen für eine erhebliche Anzahl von Arbeitsverhältnissen und greift dabei in Grundrechtspositionen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein.
cc) Unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei der AVE um einen Normsetzungsakt handelt, der politisch und parlamentarisch verantwortet werden muss und bei dem wichtige arbeitsmarkt- und sozialpolitische Erwägungen jedenfalls zur Frage des „öffentlichen Interesses” (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF) anzustellen sind, ist eine Befassung des Ministers als Leiter des Ministeriums unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips (vgl. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) erforderlich. Die Bedeutung der Normgebung durch AVE nach § 5 TVG wird zusätzlich durch die Regelungen in den §§ 3 ff. AEntG bestätigt. Dort wird dem BMAS eine weitreichende Wahlfreiheit dahin eingeräumt, Normen eines Tarifvertrags für nicht tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien aufgrund einer AVE oder durch Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung für anwendbar zu erklären (vgl. Koberski/Asshoff/Eustrup/Winkler Arbeitnehmer-Entsendegesetz 3. Aufl. § 7 Rn. 7 ff.; vgl. zur Gleichwertigkeit beider Wege auch BVerfG 18. Juli 2000 – 1 BvR 948/00 – zu II 2 der Gründe; OVG Berlin 10. März 2004 – 1 B 2.02 –). Wenn in diesem Zusammenhang der Gesetzgeber die AVE und den Verordnungserlass für gleichwertig hält, kann das Erfordernis der Befassung des Ministers bei beiden Rechtsetzungsakten nicht grundlegend unterschiedlich beurteilt werden.
c) Das bei der AVE erforderliche hohe Legitimationsniveau ist durch eine möglichst kurze Legitimationskette sicherzustellen, welche die bei einer Normgebung in besonderem Maße erforderliche parlamentarische Verantwortung der Behörde beachtet.
aa) Die inhaltliche demokratische Legitimation des Handelns der Exekutive ist gerade im Bereich der Normgebung durch die parlamentarische Verantwortung der Regierung bzw. des Ministeriums begründet. Anders als bei Verwaltungshandeln etwa im Bereich vorstrukturierter Gesetzesdurchführung nimmt die Exekutive bei der Normsetzung Aufgaben wahr, die grundsätzlich dem Parlament zustehen. Daher ist sie in diesem Bereich dem Parlament in besonderer Weise verantwortlich. Dieser parlamentarischen Verantwortung ist hinsichtlich der personellen demokratischen Legitimation dadurch Rechnung zu tragen, dass die Legitimationskette, auf welche sich die Exekutive bei ihrem Handeln stützt, möglichst kurz ist und ein möglichst geringes Maß abgeleiteter, mittelbarer demokratischer Legitimation aufweist.
bb) Die vom unmittelbar demokratisch legitimierten Parlament ausgehende Legitimationskette führt zunächst zum vom Parlament gewählten Bundeskanzler (vgl. Art. 63 GG), auf dessen Vorschlag die Minister ernannt werden (vgl. Art. 64 Abs. 1 GG). Der Minister ist damit die am nächsten demokratisch legitimierte Person im Ministerium. Innerhalb der vom Bundeskanzler vorgegebenen Richtlinien der Politik leitet jeder Minister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung (vgl. Art. 65 Satz 2 GG). Ihm müssen Akte exekutiver Normsetzung zurechenbar sein. So wird auch in besonderem Maße die Verantwortungsgrenze gewahrt. Die politische und parlamentarische Verantwortung des Ministers wird dadurch unterstrichen, dass der Bundestag und seine Ausschüsse die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung verlangen können (Art. 43 Abs. 1 GG). Dieser Verantwortung kann der Bundesminister nur gerecht werden, wenn er bedeutsame Entscheidungen – wozu der Normerlass zu zählen ist – zumindest in seinen Willen aufgenommen hat. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit § 17 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), wonach der Minister – soweit nichts anderes bestimmt ist – Schreiben von grundsätzlicher Bedeutung sowie Vorlagen oder wichtige Mitteilungen an bestimmte andere Verfassungsorgane zeichnet. Nach § 13 Abs. 3 Nr. 1 GGO sind der Leitung des Bundesministeriums insbesondere Eingänge von grundsätzlicher politischer Bedeutung vorzulegen. Insoweit kann man der GGO entnehmen, dass in Angelegenheiten grundsätzlicher (politischer) Bedeutung eine unmittelbare, persönliche Befassung des Ministers für geboten gehalten wird.
cc) Diese Grundsätze gelten beim Erlass jeder AVE. Die von dem Beteiligten zu 4. in der Anhörung vor dem Senat geäußerte Ansicht, eine Ministerbefassung könne nur bei besonders wichtigen AVE verlangt werden, überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass es keinen verlässlichen Maßstab zur Feststellung der Bedeutung einer AVE gibt, bleibt auch unbeantwortet, wer im BMAS die Entscheidung über eine Ministerbefassung zu treffen hat. In Ermangelung klarer Vorgaben könnte diese nur der jeweilige Minister selbst treffen.
d) Bei der Beantwortung der Frage, in welcher Weise der demokratischen Legitimation bei Erlass einer AVE Rechnung zu tragen ist, darf allerdings nicht außer Acht bleiben, dass die AVE keine Rechtsverordnung, sondern ein Normsetzungsakt eigner Art ist. Daher können die für eine Rechtsverordnung erforderlichen Voraussetzungen nicht uneingeschränkt auf die AVE übertragen werden. So kann nach wohl allgemeiner Meinung aufgrund des klaren Wortlauts von Art. 80 Abs. 1 GG ein Staatssekretär nicht zum Erlass einer Rechtsverordnung bevollmächtigt werden (vgl. Epping/Hillgruber/Uhle GG 2. Aufl. Art. 80 Rn. 12; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Sannwald GG 13. Aufl. Art. 80 Rn. 93). Ein solcher „klarer Wortlaut” kann § 5 Abs. 1 TVG nicht entnommen werden. Vielmehr ist ergänzend die Regelung in § 14 Abs. 3 GOBReg, § 6 Abs. 1 Satz 2 GGO zu berücksichtigen, wonach der Staatssekretär den Minister als Leiter einer Obersten Bundesbehörde vertritt. Der Staatssekretär ist ein politischer Beamter iSv. § 54 Abs. 1 Nr. 1 BBG, was zum Ausdruck bringt, dass er nicht allein exekutive Aufgaben vollzieht, sondern auch im Bereich politischer Gestaltung tätig ist. Hierzu rechnet in besonderem Maße die Normsetzung. Der Staatssekretär ist unmittelbar vom Vertrauen des Ministers abhängig. Dies lässt es als gerechtfertigt erscheinen, die Legitimationskette auch noch bis zum Staatssekretär unter dem Blickwinkel des Legitimationsniveaus als ausreichend anzusehen (so im Ergebnis auch Löwisch/Rieble TVG § 5 Rn. 165).
e) Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung kann zur Einhaltung der Verantwortungsgrenze und Sicherung der demokratischen Legitimation der Normsetzungsbefugnis auch nicht eine förmliche Zeichnung der AVE durch den Minister (oder den Staatssekretär) verlangt werden. Es genügt insoweit eine materielle Zurechenbarkeit der AVE in Bezug auf den Minister, die seiner parlamentarischen Verantwortlichkeit gerecht wird. Die gebotene Höhe des Legitimationsniveaus und die parlamentarische Verantwortlichkeit verlangen eine zustimmende Befassung des Ministers mit der AVE vor deren Erlass. Diese kann beispielsweise durch die förmliche Zeichnung zum Ausdruck gebracht werden. Sie kann aber auch in anderer Weise erfolgen, etwa in der zustimmenden Kenntnisnahme des Bearbeitungsvermerks eines Ministerialbeamten.
f) Aus rechtsstaatlichen Gründen muss die materielle Zurechenbarkeit der AVE in Bezug auf den Minister aktenkundig dokumentiert sein, da nur so eine verlässliche, effektive gerichtliche Kontrolle exekutiven Handelns möglich ist.
aa) Der Grundsatz ordnungsgemäßer Aktenführung beruht auf dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG. Nur eine geordnete Aktenführung ermöglicht eine Rechtskontrolle durch Gerichte und eine Überprüfung durch die Parlamente. Eine ordnungsmäße Aktenführung umfasst die Pflicht der Behörde zur objektiven Dokumentation des wesentlichen sachbezogenen Geschehensablaufs. Die öffentliche Verwaltung ist verpflichtet, Akten zu führen (Gebot der Aktenmäßigkeit), alle wesentlichen Verfahrenshandlungen vollständig und nachvollziehbar abzubilden (Gebot der Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit) und diese wahrheitsgemäß aktenkundig zu machen (Gebot der wahrheitsgetreuen Aktenführung) (vgl. BVerwG 16. März 1988 – 1 B 153.87 –). Die rechtsstaatliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung bedarf keines ausdrücklichen Ausspruchs im Gesetz (vgl. BVerfG 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83, 2 BvR 310/83 – zu 2 der Gründe; Grundmann/Greve NVwZ 2015, 1726, 1727).
bb) Auch der aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordert, dass die den Behördenentscheidungen zugrunde liegenden Vorgänge und Prozesse jederzeit zuverlässig und vollständig nachgewiesen werden können. Anderenfalls müsste das Gericht überall dort, wo keine anderen Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen, von den Darlegungen der Behörde ausgehen und könnte allenfalls prüfen, ob die Entscheidungen auf der Grundlage der als zutreffend zu unterstellenden Behauptungen rechtmäßig sind (vgl. BVerfG 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 101, 106; Grundmann/Greve NVwZ 2015, 1726, 1727). Ein dem gerichtlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagertes Behördenverfahren darf nicht so ausgestaltet sein, dass es den gerichtlichen Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert (vgl. BVerfG 20. September 2016 – 2 BvR 2453/15 – Rn. 20; 8. Juli 1982 – 2 BvR 1187/80 – zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 61, 82).
cc) Im Regelungszusammenhang der Verwaltungsgerichtsordnung trägt § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO den Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG an die umfassende gerichtliche Nachprüfbarkeit des Behördenhandelns Rechnung, indem er alle Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften verpflichtet. Die Vorschrift dient dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung (vgl. BT-Drs. I/4278 S. 44, zu § 100 VwGO), der umfassenden Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht sowie der Kenntnis der Beteiligten von den maßgeblichen Vorgängen (vgl. BVerwG 23. Februar 1962 – VII B 21.61 – zu II 1 der Gründe, BVerwGE 14, 31) und bildet insofern eine Konkretisierung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – zu C I 2 b der Gründe, BVerfGE 101, 106). Dem korrespondiert im zivilprozessualen Verfahren § 142 ZPO bzw. im Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5 ArbGG die Regelung in § 98 Abs. 3 Satz 1, § 83 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ArbGG. Die Verpflichtung zur Vorlage von Akten setzt nach Sinn und Zweck der Regelung voraus, dass alle wesentlichen Vorgänge des Behördenhandelns dort dokumentiert sind. Hierzu gehört schon wegen der Bedeutung des Demokratieprinzips die zustimmende Befassung des Ministers mit der AVE vor ihrem Erlass.
dd) Die aktenkundige Dokumentation der materiellen Zurechenbarkeit der AVE in Bezug auf den Minister ist auch deshalb von Bedeutung, weil eine vor Normerlass fehlende Befassung oder Billigung durch den Minister nicht nach Normerlass (etwa anlässlich eines gerichtlichen Verfahrens) nachgeholt werden kann. Vielmehr kommt es für die Prüfung der Wirksamkeit der AVE maßgeblich auf deren Erlass an (vgl. oben III 1); zu diesem Zeitpunkt müssen alle Wirksamkeitsvoraussetzungen objektiv vorgelegen haben. Soweit die AVE durch den Minister persönlich gezeichnet wird, ist das Dokumentationserfordernis unproblematisch erfüllt. Ausreichend wäre aber auch die Abzeichnung von Vorlagen, wenn sie aktenkundig dokumentiert ist.
4. Soweit der Minister vor Erlass der AVE nicht mit dieser befasst war und diese nicht in seinen Willen aufgenommen hat, ist sie unwirksam.
a) Ein Fehler im Normsetzungsverfahren führt grundsätzlich zur Unwirksamkeit der gesamten Rechtsvorschrift (vgl. BVerwG 6. April 1993 – 4 NB43.92 – zu III der Gründe; Sodan/Ziekow VwGO § 47 Rn. 361). Dies gilt auch soweit es sich um lediglich objektiv materielle Fehler wie Verfahrensfehler handelt (vgl. Kopp/Schenke VwGO § 47 Rn. 120). Wegen der Einordnung der AVE als Rechtsetzungsakt sui generis führen grundsätzlich alle materiellen und formellen Mängel zur Nichtigkeit der AVE (vgl. Düwell/Lipke/Reinfelder § 98 ArbGG Rn. 15; ErfK/Franzen § 5 TVG Rn. 4; ErfK/Koch § 98 ArbGG Rn. 6; GK-ArbGG/Ahrendt § 98 Rn. 46; HWK/Treber § 98 ArbGG Rn. 4; Löwisch/Rieble TVG § 5 Rn. 210; Thüsing/Braun Tarifrecht 6. Kap. Rn. 71).
b) Das Erfordernis eines vom Willen des Ministers getragenen Normerlasses stellt eine wesentliche Voraussetzung für die AVE dar. Nur so ist gewährleistet, dass eine demokratisch legitimierte und parlamentarisch kontrollierte Entscheidung über die gerichtlich nur begrenzt überprüfbare Frage des Vorliegens eines „öffentlichen Interesses” für den Normerlass vorliegt (vgl. BVerwG 28. Januar 2010 – 8 C 19.09 – Rn. 59, BVerwGE 136, 54). Die AVE eines Tarifvertrags wirkt sich unmittelbar gestaltend auf die jeweiligen Arbeitsverhältnisse aus. Betroffen sind grundrechtlich geschützte Positionen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, da die Freiheit zur privatautonomen Gestaltung der Arbeitsverhältnisse eingeschränkt wird. Die Entscheidung über die Frage des Vorliegens eines öffentlichen Interesses für die AVE soll gewährleisten, dass diese Gesichtspunkte und die Interessen aller Betroffenen in das Verfahren einbezogen werden, um in einem Abwägungsvorgang die widerstreitenden Interessen zu gewichten und zu werten. Wegen der eingeschränkten Kontrolldichte bei der Prüfung gesetzgeberischer Einschätzungen und Zielsetzungen im Bereich des Arbeits- und Wirtschaftsrechts ist die vom Gesetz vorgesehene Prüfung des öffentlichen Interesses vor Inkrafttreten der Regelung von besonderer Bedeutung, zumal die AVE unmittelbare Gestaltungswirkung ohne weiteren administrativen Vollzug hat. Die rechtlichen Interessen der Außenseiter werden nur bei der Feststellung des öffentlichen Interesses berücksichtigt, die als wichtiger (politischer) Prüfungsmaßstab demokratisch legitimiert und parlamentarisch verantwortet sein muss. Hierzu ist der Minister berufen. Fehlt es an seiner Befassung mit der Sache und Aufnahme der Entscheidung in seinen Willen, leidet das Erlassverfahren der AVE an einem gewichtigen und bedeutsamen Mangel, der evident ist und die AVE unwirksam macht.
5. Gegen dieses Ergebnis spricht keine abweichende ständige, unbeanstandete Verwaltungspraxis des Beteiligten zu 4., welche im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle dahin berücksichtigt werden könnte, dem Verfahrensfehler mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit keine Evidenz zukommen zu lassen (vgl. zu einer solchen Lage BVerfG 11. Oktober 1994 – 1 BvR 337/92 – zu B II 2 c der Gründe, BVerfGE 91, 148).
a) Der Beteiligte zu 4. hat auf einen an alle Beteiligten gerichteten schriftlichen Hinweis des Senats vor der mündlichen Anhörung zunächst angegeben, die Leitung des Hauses habe sich nicht die Zeichnung von AVE vorbehalten. Aufgrund der Bedeutung der Sache erfolge die Zeichnung „seit jeher auf Referatsleiterebene”. Zur Frage einer anderweitigen Befassung des Ministers – unabhängig von der Zeichnung – hat der Beteiligte zu 4. nichts mitgeteilt, sondern sich ausdrücklich auf den Standpunkt gestellt, der Erlass einer AVE sei keine Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung. Da sich insbesondere die Tarifvertragsparteien auf die durch die AVE zu erstreckenden Regelungen verständigt hätten, gäben diese keine Wertentscheidung des Bundesministeriums wieder. Der Referatsleiter sei im Übrigen auch Vorsitzender des Tarifausschusses auf Bundesebene.
b) Hinsichtlich der Praxis bei der Zeichnung der Bekanntmachungen von AVE zeigt allerdings schon eine kursorische Durchsicht, dass diese zum Teil vom Abteilungsleiter unterzeichnet sind (vgl. Bekanntmachung vom 9. Dezember 2013 über die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags für das Friseurhandwerk, BAnz. AT 13. Dezember 2013 B1, unterzeichnet von Prof. Dr. S) oder auch vom Bundesminister persönlich (vgl. Bekanntmachung vom 14. August 1997 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen für das Baugewerbe, BAnz. Nr. 157 vom 23. August 1997, unterzeichnet von Dr. Norbert Blüm). Jedenfalls seit Ende 2014 werden sämtliche Bekanntmachungen über AVE von der zuständigen Ministerin Andrea Nahles unterzeichnet (vgl. die Bekanntmachung vom 27. November 2014 über die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags über eine gemeinsame Einrichtung für das Schornsteinfegerhandwerk, BAnz. AT 3. Dezember 2014 B4), so auch die Bekanntmachung vom 6. Juli 2015 über die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags für das Baugewerbe (BAnz. AT 14. Juli 2015 B3).
c) Auf weitere gerichtliche Nachfrage zur Vorbereitung der mündlichen Anhörung vor dem Senat hat der Beteiligte zu 4. mitgeteilt, dass die Zeichnung der AVE von Tarifverträgen in den letzten zehn Jahren unterschiedlich erfolgt sei, nämlich in fünf Fällen durch den Abteilungsleiter, in zwei Fällen durch den Unterabteilungsleiter, in 32 Fällen durch den Referatsleiter und in einem Fall durch den stellvertretenden Referatsleiter. Der Abteilungsleiter habe dann gezeichnet, wenn der AVE – wie bei einer Mindestlohn-AVE – auch politisch ein besonderer Stellenwert beigemessen worden sei. Die AVE von Tarifverträgen betreffend gemeinsame Einrichtungen sei auf Referatsebene gezeichnet worden. Soweit eine Zeichnung durch die Unterabteilungsleitung erfolgt sei, könne dies auf Abwesenheit zurückzuführen sein. Seit der Reform der AVE im Jahr 2014, mit welcher deren Bedeutung herausgehoben worden sei, würden alle AVE einheitlich auf Ministerebene gezeichnet. Das geschehe auch, um einen Gleichlauf mit den Rechtsverordnungen nach dem AEntG zu schaffen. Die Zeichnung der AVE hänge vom Grad der Relevanz ab, die der Beteiligte zu 4. ihr beimesse, welcher sich wandeln könne.
d) Die Beteiligten zu 5. bis 8. haben sich zu dieser Fragestellung weder aufgrund der Hinweise des Senats noch im Hinblick auf die Stellungnahmen des Beteiligten zu 4. schriftsätzlich geäußert.
e) Die Ausführungen des Beteiligten zu 4. zeigen deutlich, dass es keine ständige Verwaltungspraxis in dieser Frage gab. Vielmehr bringt der Beteiligte zu 4. zum Ausdruck, dass die bisherige Zeichnung der AVE in Abhängigkeit vom zugemessenen politischen Stellenwert erfolgte, ohne dass erkennbar wäre, wer die Einschätzung der jeweiligen Bedeutung vorgenommen hat. Die in der mündlichen Anhörung vor dem Senat geäußerte Auffassung, dass bislang noch keine AVE wegen fehlender zustimmender Befassung des Ministers für unwirksam erklärt worden sei, begründet keine „unbeanstandete” Praxis. Das Bundesarbeitsgericht hatte bislang keine Veranlassung, sich mit der Wirksamkeit einer AVE und deren Anforderungen inhaltlich auseinanderzusetzen. Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen das Instrument der AVE als solches nicht beanstandet hat, ist nicht ersichtlich, ob ihm überhaupt die Ministeriumsakten vorlagen, aus denen sich eine entsprechende Fragestellung ergeben hätte. Jedenfalls ist in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Frage einer Befassung des Ministers nicht thematisiert worden.
6. Unabhängig von der fehlenden unbeanstandeten Staatspraxis würde bei der Annahme der Wirksamkeit einer auf einem solchen Verfahrensmangel beruhenden AVE eine Lage eintreten, die mit der Rechtsordnung noch weniger in Einklang stünde, als die bei Feststellung der Unwirksamkeit auftretenden Aspekte der Rechtsunsicherheit (vgl. dazu BVerfG 11. Oktober 1994 – 1 BvR 337/92 – zu B II 2 c der Gründe, BVerfGE 91, 148).
a) Die Wirksamkeit des VTV selbst bleibt von der Feststellung der Unwirksamkeit der AVE unberührt und damit dessen Geltung für die Tarifgebundenen nach § 3 TVG. Die Beitragspflicht der tarifgebundenen Arbeitgeber besteht fort und damit auch ein erheblicher Teil der in der Vergangenheit erzielten Einnahmen der Sozialkassen des Baugewerbes. Gleiches gilt für die Ansprüche der Arbeitnehmer, die in tarifgebundenen Betrieben beschäftigt waren.
b) Für die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auf die der VTV nur auf Grundlage der AVE erstreckt worden war, tritt hingegen im Fall der Feststellung der Unwirksamkeit der AVE mit Wirkung ex tunc eine Veränderung der Rechtslage ein. Insbesondere besteht keine Verpflichtung mehr, Beiträge nach dem VTV für die streitgegenständlichen Zeiträume zu zahlen. Dies kann zu negativen finanziellen Auswirkungen für die betroffenen gemeinsamen Einrichtungen führen. Die Wirkung der Entscheidung ist dabei allerdings begrenzt auf den jeweils von der AVE erfassten Zeitraum. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Sozialkassen – auch nach den tarifvertraglichen Bestimmungen – ohne Beitragszahlung grundsätzlich keine Leistungen zu erbringen haben. Rechtskräftig abgeschlossene Verfahren bleiben von einer solchen Entscheidung unberührt, eine Restitutionsklage scheidet aus (vgl. dazu umfassend oben II 3 f dd (2)). Allerdings können sich in anderen Fällen gegebenenfalls Rückabwicklungsfragen stellen (vgl. dazu oben II 3 f dd (2) (d) (bb) und (3)) und es kann zu Auswirkungen auf die Ansprüche von Arbeitnehmern kommen. Auch mag eine solche Entscheidung in der sozialpolitischen Diskussion über den Nutzen gemeinsamer Einrichtungen von deren Gegnern herangezogen werden. Diese unter Umständen auftretenden Nachteile für die gemeinsamen Einrichtungen können für sich genommen aber nicht die Verpflichtung von Arbeitgebern rechtfertigen, ohne wirksame Rechtsgrundlage einen Eingriff in ihre Handlungsfreiheit hinzunehmen und Beiträge leisten zu müssen.
7. Nach diesen Grundsätzen erweisen sich die AVE VTV 2008 und 2010 als unwirksam; dies hat der Senat auf die entsprechenden Anträge der antragsbefugten Beteiligten zu 1. und 2., 9. bis 14., 19. und 21. festgestellt.
a) Hinsichtlich der AVE VTV 2008 ist aktenkundig eine Verfügung vom 15. Mai 2008, die nur mit einer aus zwei Buchstaben bestehenden Paraphe „i. A.” gezeichnet ist. Das Kürzel stammt wohl vom damaligen Leiter des Referats III a 3, Herrn Ministerialrat W. Die AVE-Bekanntmachung ist unter demselben Datum von Herrn Ministerialrat W mit vollem Namen unterzeichnet. Eine Befassung des zuständigen Ministers Olaf Scholz oder seines Vertreters im Amt ist der Akte des BMAS nicht zu entnehmen.
b) Hinsichtlich der AVE VTV 2010 ist aktenkundig eine Verfügung vom 25. Juni 2010, die ebenfalls nur mit einer aus zwei Buchstaben bestehenden Paraphe „i. A.” gezeichnet ist. Das Kürzel stammt wohl ebenfalls vom damaligen Leiter des Referats III b 3, Herrn Ministerialrat W. Die AVE-Bekanntmachung ist unter demselben Datum von Herrn Ministerialrat W mit vollem Namen unterzeichnet. Eine Beteiligung der zuständigen Ministerin Dr. Ursula von der Leyen oder ihres Vertreters im Amt bei der Entscheidung ist der Akte des BMAS nicht zu entnehmen. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Brauksiepe war lediglich dahin gehend beteiligt, dass an ihn das Schreiben des Freistaats Sachsen vom 19. Januar 2010 gerichtet war und er es wohl abgezeichnet hat. Danach erfolgte eine Weiterleitung an die Abteilung III. Mit der Beschlussfassung war Dr. Brauksiepe nach Aktenlage nicht mehr befasst.
IX. Die streitgegenständlichen AVE des VTV sind zudem unwirksam, weil nicht festgestellt werden kann, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber bei Erlass der AVE nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Arbeitnehmer beschäftigt haben (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF; sog. 50 %-Quote).
1. Die AVE eines Tarifvertrags durfte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG in der hier maßgeblichen Fassung nur erfolgen, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 vH der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Zur Feststellung der Einhaltung dieser 50 %-Quote war dabei zunächst die Große Zahl zu ermitteln, dh. die Gesamtzahl der Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen, unabhängig davon, ob eine Tarifbindung vorliegt oder nicht.
a) Für die Ermittlung der Großen Zahl kommt es darauf an, wie viele Arbeitnehmer insgesamt unter den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrags fallen (Berg/Kocher/Platow/Schoof/Schumann Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 4. Aufl. § 5 TVG Rn. 19; Däubler/Lakies TVG 3. Aufl. § 5 Rn. 87; ErfK/Franzen 14. Aufl. § 5 TVG Rn. 11; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. I S. 892; JKOS/Oetker Tarifvertragsrecht 2. Aufl. § 6 Rn. 103; Koberski/Clasen/Menzel TVG § 5 Rn. 51; Wiedemann/Wank TVG § 5 Rn. 64; Löwisch/ Rieble TVG § 5 Rn. 118; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht Bd. II 1 § 35 III). Maßgeblich ist dabei der Begriff des Geltungsbereichs, wie er im TVG auch an anderer Stelle (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) verwendet wird. Ist der Geltungsbereich im Tarifvertrag selbst beschränkt, beispielsweise durch Ausnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV, sind in solchen Betrieben beschäftigte Arbeitnehmer nicht bei der Ermittlung der Großen Zahl zu berücksichtigen.
b) Für die Ermittlung der Großen Zahl ist es entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 4. bis 8. unerheblich, ob die AVE mit Einschränkungen hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs ergangen ist. Vielmehr ist auch im Fall eines bereits eingeschränkten Antrags auf AVE oder einer Einschränkung der AVE ohne Antrag durch das BMAS auf den tariflichen Geltungsbereich abzustellen (aA Hessisches LAG 2. Juli 2014 – 18 Sa 619/13 – zu II 2 der Gründe; 4. Juni 2007 – 16 Sa 1444/05 –; AR/Krebber 7. Aufl. § 5 TVG Rn. 17; HWK/Henssler 6. Aufl. § 5 TVG Rn. 12). Dies ergibt eine Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF.
aa) Bereits der Wortlaut der gesetzlichen Regelung deutet auf ein solches Verständnis hin. Die Norm spricht nicht isoliert von „Geltungsbereich”, was sich auf den Tarifvertrag oder die AVE beziehen könnte, sondern ausdrücklich vom „Geltungsbereich des Tarifvertrags”. Von einem solchen Verständnis ist auch bislang die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, ohne diese Fragestellung allerdings zu vertiefen (vgl. zB BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 13/03 – zu II 5 der Gründe, BAGE 108, 155; 25. Juni 2002 – 9 AZR 405/00 – zu A II 2 b aa der Gründe, BAGE 101, 357; 22. September 1993 – 10 AZR 371/92 – zu II 3 a der Gründe, BAGE 74, 226; 28. März 1990 – 4 AZR 536/89 –). Deshalb ist die in der Begründung zu Art. 5 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vertretene Auffassung, bereits bisher sei bei der Ermittlung der 50 %-Quote berücksichtigt worden, „wenn der besondere Geltungsbefehl der Allgemeinverbindlicherklärung nur für einen Teil des Geltungsbereichs erfolgt” (BT-Drs. 18/1558 S. 48), unzutreffend. Vielmehr gab es allenfalls vereinzelte landesarbeitsgerichtliche Entscheidungen und Stimmen im Schrifttum, die dies annahmen.
bb) Auch die Systematik des TVG spricht dafür, vom Geltungsbereich des Tarifvertrags ohne die Berücksichtigung eventueller Einschränkungen der AVE auszugehen. Der Begriff des „Geltungsbereichs des Tarifvertrags” findet sich mit identischem Wortlaut in § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Allgemein wird darunter die Festlegung des räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereichs verstanden, die von den Tarifvertragsparteien grundsätzlich – gegebenenfalls unter Beachtung (mittelbarer) grundrechtlicher Bindungen – autonom vorzunehmen ist (BAG 21. Januar 2015 – 4 AZR 797/13 – Rn. 63, BAGE 150, 304; 24. April 2007 – 1 AZR 252/06 – Rn. 57, BAGE 122, 134; allgemein dazu ErfK/Franzen § 4 TVG Rn. 8 ff.). Aus der Systematik des Gesetzes ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, den Begriff des „Geltungsbereichs des Tarifvertrags” in § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG anders zu verstehen als in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF (vgl. zu den Folgen identischer Wortwahl innerhalb eines gesetzesgleich auszulegenden Tarifvertrags BAG 13. Juni 2012 – 10 AZR 351/11 – Rn. 21, BAGE 142, 55; im Fall einer gesetzesübergreifenden einheitlichen Formulierung BAG 20. September 2012 – 6 AZR 253/11 – Rn. 55, BAGE 143, 129).
cc) Auch Sinn und Zweck der 50 %-Quote sprechen für eine Aufrechterhaltung des bisherigen Verständnisses und gegen eine Berücksichtigung von Einschränkungsklauseln bei der Ermittlung der Großen Zahl.
(1) Zu Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF existieren unterschiedliche Auffassungen im Schrifttum. Einige Autoren stellen schwerpunktmäßig darauf ab, dass dadurch die Repräsentativität der tarifvertraglichen Regelungen sichergestellt werde. Nur solche Tarifverträge, die im selbst gewählten Verbreitungsgebiet über eine entsprechende Repräsentativität verfügen, sollen auf andere Arbeitgeber erstreckt werden können (Berg/Kocher/ Platow/Schoof/Schumann Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht § 5 TVG Rn. 20 „hat schon gewisse Verbreitung gefunden”; ErfK/Franzen § 5 TVG Rn. 11 zu § 5 TVG aF; Richardi/Bayreuther Kollektives Arbeitsrecht 2. Aufl. § 9 Rn. 11). Eine andere Auffassung meint, durch die 50 %-Quote solle die Majorisierung nicht tarifgebundener Arbeitgeber durch eine Minderheit verhindert werden (Däubler/Lakies TVG 3. Aufl. § 5 Rn. 88, auch unter Hinweis auf die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der AVE; wohl auch Zachert NZA 2003, 132, 134; vgl. schon Hueck RdA 1951, 261 zur beabsichtigten Einfügung des § 5 Abs. 1 Satz 2 TVG aF). Andere Stimmen sehen in der Quote vor allem eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine AVE sei nicht hinnehmbar, wenn die Mehrheit der Arbeitgeber nicht tarifgebunden sei (Löwisch/Rieble TVG § 5 Rn. 119; ähnlich wohl Thüsing/Braun Tarifrecht 6. Kap. Rn. 77). Hervorgehoben wird teilweise auch, dass sich die Richtigkeitsgewähr eines Tarifvertrags insbesondere aus seiner Verbreitung ergebe (HWK/Henssler 6. Aufl. § 5 TVG Rn. 11; Henssler RdA 2015, 43, 51; Sittard Voraussetzungen und Wirkungen der Tarifnormerstreckung nach § 5 TVG und dem AEntG S. 152 f.). Die weit überwiegende Auffassung nimmt – wenn auch in jeweils unterschiedlicher Gewichtung – an, dass die 50 %-Quote mehreren Zwecken dient, wobei vor allem die Repräsentativität des Tarifvertrags und die Verhinderung einer Majorisierung hervorgehoben werden (Greiner/Hanau/Preis „Die Sicherung der Allgemeinverbindlichkeit bei gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien”, Gutachten für die SOKA-Bau, SR Sonderausgabe April 2014 S. 20 f.; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. I S. 892; Kempen/ Zachert/Seifert TVG § 5 Rn. 46; Koberski/Clasen/Menzel TVG § 5 Rn. 51; Schaub/Treber ArbR-HdB 15. Aufl. § 205 Rn. 64; Sittard aaO; Sittard in Henssler/Moll/Bepler Der Tarifvertrag 1. Aufl. Teil 7 Rn. 40; Stütze Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht S. 243; Wiedemann/Wank TVG § 5 Rn. 64b). Der letztgenannten Auffassung ist zu folgen. Die 50 %-Quote diente mehreren Zwecken, wobei schwerpunktmäßig erreicht werden sollte, dass nur repräsentative Tarifverträge auf Außenseiter erstreckt werden und gleichzeitig durch die Quote sichergestellt werden konnte, dass diese durch eine Minderheit nicht majorisiert werden. Beide Zwecke ergänzen sich und sollten zusammen die Erstreckung des Tarifvertrags auf Außenseiter rechtfertigen.
(2) Unter Berücksichtigung dieser Zwecke ist es weder geboten noch möglich – wenn beide Zwecke erreicht werden sollen – § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF einschränkend so auszulegen, dass nur auf den Geltungsbereich der ergangenen AVE abzustellen ist. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Einschränkung des Geltungsbereichs der AVE nach allgemeiner Auffassung auch ohne Antrag der Tarifvertragsparteien durch das BMAS ergehen kann (Däubler/Lakies TVG 3. Aufl. § 5 Rn. 173 mwN; JKOS/Oetker Tarifvertragsrecht § 6 Rn. 95). Das BMAS müsste dann bei Prüfung der Voraussetzung für die AVE bereits berücksichtigen, ob möglicherweise eine durch das nur begrenzt bestehende öffentliche Interesse bedingte Einschränkung ohne Antrag der Tarifvertragsparteien für Veränderungen bei der Quote sorgt. Dies vermischt die verschiedenen Aspekte der Voraussetzungen der AVE nach § 5 TVG aF und erscheint problematisch. Aber auch in den Fällen, in denen die Tarifvertragsparteien bereits den Antrag auf AVE mit Einschränkungen versehen, ergibt sich nichts anderes. Zwar wäre der Zweck der Vermeidung einer Majorisierung nicht tarifgebundener Arbeitgeber auch im Fall der Berücksichtigung von Einschränkungsklauseln erreicht, da der Tarifvertrag auf die Arbeitgeber, die von der Einschränkungsklausel erfasst sind, gerade nicht erstreckt werden soll. Der weitere Zweck der AVE, nur Tarifverträge, die in ihrem von den Tarifvertragsparteien selbst gewählten örtlichen, fachlichen und persönlichen Verbreitungsgebiet repräsentativ sind, für allgemeinverbindlich zu erklären, wäre bei einer solchen einschränkenden Auslegung jedoch nicht erfüllt. Es läge vielmehr in der Hand der Tarifvertragsparteien, einerseits den Geltungsbereich des Tarifvertrags im Rahmen ihrer Tarifzuständigkeit unabhängig von der dort bestehenden Tarifbindung weit zu wählen, andererseits aber durch eine Einschränkung bei der Beantragung der AVE eine Erstreckung des Tarifvertrags auf Außenseiter vorzunehmen, obwohl im eigentlichen Geltungsbereich eine Repräsentativität nicht gegeben ist. Hinzu kommt, dass die Bezugspunkte für die Ermittlung der Großen Zahl und der Kleinen Zahl nicht kongruent wären. Auch die von Henssler vertretene Auffassung, die Berücksichtigung von Einschränkungsklauseln sei erforderlich, um zu verhindern, dass die Tarifvertragsparteien die Quote unterliefen, indem sie Betriebe mit hoher Tarifbindung aus der Beantragung der AVE herausnähmen (HWK/Henssler 6. Aufl. § 5 TVG Rn. 12), überzeugt nicht. Praktische Beispiele für ein solches Verhalten gab es während der Geltung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF nicht. Die rein theoretische Möglichkeit reicht aber nicht aus, um gegen Wortlaut und Systematik des Gesetzes eine einschränkende Auslegung zu begründen. Im Übrigen läge es bei einer solchen Fallgestaltung nahe, das öffentliche Interesse am Erlass der AVE zu verneinen (vgl. das Beispiel bei Wiedemann/Wank TVG § 5 Rn. 62).
dd) Ein Erfordernis zur Berücksichtigung von Einschränkungen der AVE bei der Ermittlung der Großen Zahl ergibt sich auch nicht aus dem Zweck der Großen Einschränkungsklausel, Tarifkonkurrenzen zu vermeiden.
(1) Einschränkungen der AVE sind grundsätzlich zulässig, wenn sie den Eintritt einer Tarifkonkurrenz verhindern sollen (BAG 23. Februar 2005 – 10 AZR 382/04 – zu II 2 b aa der Gründe; 26. Oktober 1983 – 4 AZR 219/81 – BAGE 44, 191; aA wohl Löwisch/Rieble TVG § 5 Rn. 63) und die jeweilige Klausel dem Bestimmtheitsgebot entspricht (BAG 16. Juni 2010 – 4 AZR 934/08 – Rn. 39). Gegebenenfalls können sie sogar sachlich geboten sein, wenn bestimmte Arbeiten vom betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge unterschiedlicher Berufsgruppen erfasst werden und die Tarifverträge nicht bereits durch Beschränkungen in ihrem Geltungsbereich eine solche Konkurrenz ausschließen.
(2) Tarifkonkurrenzen können aber regelmäßig bereits von den Tarifvertragsparteien durch eine engere Bestimmung des Geltungsbereichs des Tarifvertrags, der für allgemeinverbindlich erklärt werden soll, vermieden werden. Dies verhindert, dass eine Allgemeinverbindlicherklärung den Tarifvertrag auf solche Arbeitsverhältnisse erstreckt, die nicht in seinem Geltungsbereich liegen (BAG 21. Januar 2015 – 4 AZR 797/13 – Rn. 65, BAGE 150, 304). Den Koalitionen steht im Rahmen der verfassungsrechtlich verbürgten Tarifautonomie bei der Festlegung des Geltungsbereichs eines Tarifvertrags ein weiter Gestaltungsspielraum zu (dazu umfassend Däubler/Deinert TVG § 4 Rn. 198, 204 ff.). Dieser beinhaltet die Festlegung der vom Tarifvertrag erfassten Unternehmen (BAG 24. April 2007 – 1 AZR 252/06 – Rn. 57 mwN, BAGE 122, 134) und erlaubt die Beschränkung des (persönlichen) Geltungsbereichs eines Tarifvertrags auf einen bestimmten Teil der Mitglieder einer Tarifvertragspartei (BAG 21. Januar 2015 – 4 AZR 797/13 – Rn. 63, aaO). Mit einer solchen Geltungsbereichsbestimmung sollen regelmäßig auch Abgrenzungsprobleme und Streitigkeiten vermieden werden, die sich aus einer branchenbezogenen Festlegung insbesondere für Mischbetriebe und beim Herauswachsen eines Betriebs aus dem bisherigen Wirtschaftszweig ergeben (BAG 22. März 2005 – 1 ABR 64/03 – zu B II 2 c ee (3) (c) der Gründe mwN, BAGE 114, 162).
(3) Entgegen der von den Beteiligten zu 4. bis 8. offenkundig vertretenen Ansicht ist es allerdings von tarifrechtlicher Relevanz, für welchen Regelungsweg sich die Tarifvertragsparteien entscheiden. Eine Einschränkung des betrieblichen Geltungsbereichs der AVE hat nur Bedeutung für Arbeitgeber, die nicht Mitglied der tarifvertragschließenden Parteien sind. Der Geltungsbereich des Tarifvertrags ist hingegen auch für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien selbst bedeutsam. Ist ein Arbeitgeber bereits vom Geltungsbereich des Tarifvertrags nicht erfasst, tritt beispielsweise bei einem Wechsel des Arbeitgeberverbandes die ansonsten gesetzlich vorgesehene Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG nicht ein, weil damit der Geltungsbereich des Tarifvertrags verlassen wird (BAG 21. Januar 2015 – 4 AZR 797/13 – Rn. 65 [auch zu weiteren Folgen], BAGE 150, 304) und auch eine Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) scheidet aus, wenn ein Betrieb – wie etwa durch die Regelung in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV geschehen – vom betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags ausgenommen wird. Diese Folgen sind aber in Bestimmungen des Tarifvertragsgesetzes begründet und stellen keinen Grund für eine einschränkende Auslegung von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF dar.
ee) Die historische Auslegung bestätigt das bisherige Verständnis des Begriffs des „Geltungsbereichs des Tarifvertrags” in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF. § 5 Abs. 1 TVG in der hier maßgeblichen Fassung ist noch vor Inkrafttreten des Grundgesetzes durch Gesetz des Wirtschaftsrats für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet (Bi-Zone) vom 9. April 1949 entstanden und am 22. April 1949 verkündet worden (WiGBl. S. 55). Im ursprünglichen Referentenentwurf (dem sog. Lemgoer Entwurf) war eine Quote in § 5 Abs. 1 nicht vorgesehen, sondern ein Tarifvertrag sollte für allgemeinverbindlich erklärt werden können, wenn dieser in seinem Geltungsbereich überwiegende Bedeutung erlangt hat (vgl. die abgedruckten Materialien in ZfA 1973 S. 129, 131). Die Formulierung knüpfte insoweit an die Bestimmungen der Tarifvertragsverordnung von 1918 an (Herschel ZfA 1973, 183, 195). Die Alliierte Militärregierung lehnte diesen Teil des Vorschlags jedoch ab und forderte eine Abänderung, die zum späteren Gesetzeswortlaut führte (ZfA 1973, 129, 173, 176). Eine schriftliche Begründung dafür existiert naturgemäß nicht. Herschel berichtet, dass bestimmten alliierten Kontrolloffizieren die Allgemeinverbindlicherklärung etwas absolut Fremdes gewesen und ihnen undemokratisch und als Relikt autoritärer, ja diktatorischer Gelüste erschienen sei. Nach außerordentlich harten Verhandlungen, die sogar die Verabschiedung des Gesetzes hinausgeschoben hätten, sei dann die vorliegende Lösung zustande gekommen, „die man kaum als Kompromiss bezeichnen kann”. Die Regelung habe einen von der Alliiertenseite vorgeschriebenen Inhalt. Die von den Kontrolloffizieren im Einzelnen vorgetragenen Ansichten seien dabei wenig klar gewesen, so dass sich deren Absichten nicht mit Sicherheit wiedergeben ließen (Herschel ZfA 1973, 183, 195). Diese Entstehungsgeschichte deutet allerdings zumindest darauf hin, den Gedanken der Notwendigkeit einer demokratischen Legitimation, die im Mehrheitsprinzip ihren Ausdruck findet, hervorzuheben (Wonneberger Die Funktion der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen S. 9). Dies spricht ebenfalls für das bisherige Auslegungsergebnis.
c) Allerdings ist bei Ermittlung der Großen Zahl und einer nachfolgenden gerichtlichen Überprüfung zu berücksichtigen, dass eine exakte Feststellung nahezu unmöglich ist und deshalb eine sorgfältige Schätzung ausreicht. Stets erforderlich ist aber eine Ausschöpfung aller greifbaren Erkenntnismittel und eine möglichst genaue Auswertung des verwertbaren statistischen Materials. In Betracht kommt Datenmaterial des Statistischen Bundesamts, der statistischen Landesämter, der Bundesanstalt für Arbeit, der Berufsgenossenschaften, der Krankenkassen, der Handwerks- und Industrie- und Handelskammern, der Innungen, der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände oder auch gemeinsamer Einrichtungen (BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 13/03 – zu II 5 der Gründe, BAGE 108, 155; 11. Juni 1975 – 4 AZR 395/74 – zu II 3 der Gründe, BAGE 27, 175).
2. Der Beteiligte zu 4. ist bei der Bestimmung der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF von einer falschen, nämlich ungeeigneten Schätzgrundlage für die Bestimmung der Großen Zahl ausgegangen.
a) Für die Bestimmung der Großen Zahl müssen die Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen, zugrunde gelegt werden. Der Beteiligte zu 4. hat jedoch vor der AVE nicht ermittelt, wie viele Arbeitnehmer unter den Geltungsbereich des VTV fallen. Er hat vielmehr die Zahlen des Beteiligten zu 5. übernommen, aus denen sich nur ergibt, wie viele Arbeitnehmer im Geltungsbereich des VTV unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel zur AVE beschäftigt werden. Dies folgt aus dem Inhalt der Verfahrensakte. Zwar ist in den Vermerken des Beteiligten zu 4. insoweit nicht deutlich differenziert worden, sondern sogar die Rede davon, die ZVK habe die Aufgabe „alle Betriebe des Baugewerbes zu erfassen”. Dies ist aber schon nach Angaben der jeweiligen AVE-Antragsteller falsch, die ausdrücklich auf die von der ZVK erfassten bzw. am Sozialkassenverfahren teilnehmenden Betriebe abstellten. Das sind jedoch nur die Betriebe, die entweder tarifgebunden sind oder auf die der VTV unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel erstreckt wurde, nicht aber alle Betriebe, die unter den Geltungsbereich des VTV selbst fielen. Auch die Beteiligten des Verfahrens gehen davon aus, dass der Beteiligte zu 5. nur die erstgenannten Betriebe erfasst (und dies – so die Beteiligten zu 4. bis 8. – auch rechtlich die zutreffende Zahl sei). Dieser hat das in der Rechtsbeschwerde auf Seite 7/8 des Schriftsatzes vom 15. April 2016 ausdrücklich bestätigt und in der mündlichen Anhörung vor dem Senat bekräftigt.
b) Die Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel bei der Ermittlung der Großen Zahl macht die vom Beteiligten zu 4. verwendete Schätzgrundlage unbrauchbar. Sie führt dazu, dass die Große Zahl (alle Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Tarifvertrags) systematisch zu klein ist, wodurch die hierdurch bestimmte Quote (der Anteil der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer) generell zu hoch bewertet wird. Denn anders als bei einer Einschränkung des Geltungsbereichs im Tarifvertrag selbst – wie in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV – wirkt sich die Große Einschränkungsklausel nicht auf die Zahl der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer (Kleine Zahl) aus.
c) Bei der durch die Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel eintretenden Veränderung der nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF zu ermittelnden Quote handelt es sich nicht um einen vernachlässigbaren Effekt. Die Große Einschränkungsklausel hat, wie ihr Name zutreffend verdeutlicht, einen bedeutenden Umfang. Sie umfasst einschließlich der Anhänge mehrere Druckseiten und betrifft ganz unterschiedliche Fallgestaltungen. Wesentliche Handwerks- und Industriebereiche werden – insbesondere soweit anderweitige Tarifgebundenheit besteht – von der AVE ausgenommen. Dies lässt schon nach Umfang und Vielgestaltigkeit der Regelung nicht die Annahme zu, dass die Nichtberücksichtigung von Arbeitnehmern, die unter die Große Einschränkungsklausel fallen, nur eine kleine Gruppe betrifft und unbedeutend wäre. Zugleich ist weder ersichtlich, einem der herangezogenen Zahlenwerke entnehmbar oder von einem der Beteiligten auch nur ansatzweise valide vorgetragen, in welchem absoluten oder prozentualen Umfang sich die Große Einschränkungsklausel auf die Bestimmung der Großen Zahl auswirkt. Die Große Einschränkungsklausel ist ausgesprochen differenziert und verschachtelt formuliert, so dass es nicht möglich ist, einen gegebenenfalls statistisch leicht erfassbaren Bereich zu benennen, um damit unter Zuhilfenahme anderweitigen zum Zeitpunkt der Entscheidungen über die AVE vorhandenen Datenmaterials eine Hochrechnung der vom Beteiligten zu 5. angegebenen Arbeitnehmerzahlen auf den rechtlich zutreffenden „Geltungsbereich des VTV” vorzunehmen. Die Angaben des Beteiligten zu 5. zur Großen Zahl sind damit offensichtlich keine geeignete Grundlage für die vorzunehmende Schätzung der Großen Zahl und somit auch nicht für die Prüfung der 50 %-Quote.
3. Eine weitere Sachaufklärung zur Ermittlung der 50 %-Quote ist unbeschadet der sich aus der fehlenden Ministerbefassung bei Erlass der AVE bereits ergebenden Unwirksamkeit der AVE nicht geboten. Es ist nicht ersichtlich, dass anderes geeignetes statistisches Material zum Zeitpunkt der AVE objektiv vorlag, auf dessen Grundlage das Erreichen der 50 %-Quote hätte festgestellt werden können.
a) Maßstab für die gerichtliche Kontrolle sind allein die zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen 16. November 2012 – 4 A 46/11 – zu II 1 a der Gründe mwN). Eine nachträgliche Erhebung oder statistische Aufbereitung von Daten mit dem Ziel, diese zu einem Zeitpunkt nach der ministeriellen Entscheidung verwendbar zu machen, scheidet aus. Von der Behörde kann nicht verlangt werden, im Rahmen der ihr auferlegten und zukommenden sorgfältigen Prüfung auch Daten zu berücksichtigen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt erhoben werden und verfügbar sind. Bei der gerichtlichen Überprüfung ist kein anderer Zeitpunkt zugrunde zu legen als bei der zu überprüfenden Entscheidung. Dies ist der Zeitpunkt des Erlasses der AVE (vgl. oben III 1). Bei einer Berücksichtigung erst später vorliegender Daten zu den Verhältnissen im Entscheidungszeitpunkt könnte es sonst von Zufälligkeiten, wie dem Zeitpunkt der Einleitung und der Dauer eines Verfahrens nach § 98 ArbGG abhängen, ob die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer AVE festgestellt wird. Auf diesen Gesichtspunkt hat auch der Beteiligte zu 7. im Rechtsbeschwerdeverfahren in seinem Schriftsatz vom 22. Juli 2016 (dort Seite 3) zu Recht hingewiesen. Damit können für die Bestimmung der Großen Zahl und einer etwaigen Korrektur der sich aus der Großen Einschränkungsklausel ergebenden Fehler nur zum Zeitpunkt der ministeriellen Entscheidung objektiv zur Verfügung stehende und bereits verwertbare Informationen berücksichtigt werden.
b) Zum Zeitpunkt der ministeriellen Entscheidung gab es keine anderen verwertbaren Daten, aus denen man die Große Zahl zutreffend ableiten oder zumindest einigermaßen sicher hätte schätzen können. Weder die Zahlen des Statistischen Bundesamts, der Bundesagentur für Arbeit, der Berufsgenossenschaft Bau, der Deutschen Rentenversicherung, der Handwerkszählung oder anderer von den Beteiligten genannten Stellen sind geeignet, als Grundlage einer Schätzung für die Große Zahl im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF zu dienen. Die Zahlenwerke anderer datenerhebender Stellen treffen keine Aussagen zu der sehr speziellen Frage der von der Großen Einschränkungsklausel erfassten Betriebe und Beschäftigten sowie ihrer Auswirkung auf die vom Beteiligten zu 5. mitgeteilten Zahlen.
aa) Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit werden von den Beteiligten zu 4. bis 8. zu Recht für ungeeignet gehalten. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit bezieht sich auf die Zuordnung von Betrieben zu Wirtschaftsklassen, was keinen Bezug zum betrieblichen Geltungsbereich des VTV hat und nimmt die Bewertung anhand des relativ größten Wertschöpfungsanteils und nicht nach der arbeitszeitlich überwiegend ausgeübten Tätigkeit vor. Ob sich daraus zwingend – wie die Beteiligten zu 4. bis 8. wohl meinen – eine überhöhte Zahl ergibt, lässt sich nicht nachprüfbar beantworten. Da jedenfalls keine Erfassung nach der zum Teil durch Generalklauseln sehr weitgehenden und durch zahlreiche Fallbeispiele sehr feinstrukturierten Dogmatik des VTV erfolgt, könnte man genauso gut annehmen, die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit beinhalteten nicht vollständig, was unter den Begriff „Bau” im Sinne des VTV fällt, etwa auch bestimmte Betriebe, die nur kaufmännische Tätigkeiten ausführen (vgl. § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 VTV), nicht lagerfähige Baustoffe herstellen (vgl. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 19 VTV) oder Baumaschinen mit Bedienpersonal vermieten (vgl. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 39 VTV). Dies ist Ergebnis der Vorgehensweise der Tarifvertragsparteien des VTV, die im Rahmen eines maximal ausdifferenzierten betrieblichen Geltungsbereichs möglichst viele Betriebe und deren Arbeitnehmer in seinen Anwendungsbereich ziehen wollten, auch wenn diese nach einer im Bereich der Statistik üblichen Herangehensweise nicht unmittelbar mit dem Begriff „Bau” in Verbindung gebracht würden. Die Geltungsbereichsregelungen des VTV sind umfassend sowie mit detaillierten Ausnahmen und Rückausnahmen ausgestaltet. So sind beispielsweise Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks vom Geltungsbereich des VTV nach dessen § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 nicht erfasst. Dies gilt aber nicht, soweit Tätigkeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschn. IV oder V ausgeführt werden. Angesichts dessen erscheint es nicht verwunderlich, dass „herkömmliche” Statistiken zum Bereich Baugewerbe den Geltungsbereich des VTV nicht erschließen.
bb) Die Zahlen der Berufsgenossenschaft Bau werden von den Beteiligten zu 4. bis 8. zu Recht für ungeeignet gehalten. Die Berufsgenossenschaft Bau hat im Rahmen eines anderweitigen Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht Berlin (– VG 4 A 83.07 –) im Übrigen erklärt, über keine Statistiken zu verfügen, die Aufschluss über die Große Zahl geben könnten. Diese Erklärung ist Teil der Akten des Rechtsstreits und erörtert worden.
cc) Der Zentralverband des Deutschen Handwerks führt nach dem vorbereitenden Vermerk des Beteiligten zu 4. lediglich Statistiken, die keine Aussagen über Beschäftigtenzahlen enthalten.
dd) Auch die Zahlen des Statistischen Bundesamts beruhen auf der Klassifikation der Wirtschaftszweige 2008 (WZ 2008), welche die Bundeagentur für Arbeit anwendet. Diese Zahlen sind aber bereits nicht am betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgerichtet. Darüber hinaus gibt es Abweichungen in der Erfassung hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs „tätige Personen” statt „Arbeitnehmer”) und systematisch andere Erfassungen im Ausbaugewerbe, in dem nur Betriebe ab zehn tätigen Personen erfasst werden. Sinnvolle und valide Korrekturberechnungen, die nicht selbst von willkürlichen Annahmen ausgehen, sind nicht ersichtlich. Jedenfalls als originäre Schätzgrundlage zur Großen Zahl kommen die Zahlen des Statistischen Bundesamts nicht in Betracht.
ee) Soweit das Landesarbeitsgericht und einzelne Beteiligte Korrekturberechnungen vorgenommen haben, zeigen sie nicht in der erforderlichen Deutlichkeit auf, worauf ihre Korrekturwerte beruhen.
(1) Dies gilt zunächst für die vom Landesarbeitsgericht auf Seite 23 der Beschlussgründe vorgenommene Erhöhung der ZVK-Zahlen um 20 %, die nur mit dem Hinweis erläutert wird, bereits diese Zahl sei realitätsfern, weil sie bedeutete, dass jedes fünfte Arbeitsverhältnis von der ZVK nicht erfasst werde. Da das Landesarbeitsgericht – zu Unrecht – die Große Zahl unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel berechnet hat, ist hierauf schon aus diesem Grund nicht näher einzugehen.
(2) Die vom Beteiligten zu 5. im ersten Rechtszug im Schriftsatz vom 17. November 2014 vorgenommene Korrektur der Zahlen des Statistischen Bundesamts ist zwar differenzierter, arbeitet jedoch gleichwohl mit letztlich nicht belegten Angaben. So führt er auf Seite 13 dieses Schriftsatzes aus, in Betrieben mit mindestens zehn tätigen Personen würden über 50 % der Beschäftigten des jeweiligen Wirtschaftszweigs erfasst. Die restlichen 50 % würden in Kleinbetrieben mit ein bis neun Arbeitnehmern beschäftigt werden. Worauf diese Annahmen beruhen bleibt offen. Auch der Hinweis auf das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 2. Juli 2014 (– 18 Sa 619/13 –) führt insoweit nicht weiter, weil auch dieses mit Hypothesen arbeitet, deren Validität nicht belegt ist. Im Übrigen hat das Hessische Landesarbeitsgericht seiner Ermittlung die fehlerhafte Annahme zugrunde gelegt, dass es auf einen durch die Große Einschränkungsklausel modifizierten Geltungsbereich des VTV ankomme.
ff) Die Handwerkszählung des Statistischen Bundesamts nach der Fachserie 4, Reihe 7.2 ist nicht tätigkeits-, sondern berufsbezogen und richtet sich nach der ursprünglichen Eintragung in der Handwerksrolle. Auch sie ist als Schätzgrundlage für die Große Zahl ungeeignet.
gg) Auch die Deutsche Rentenversicherung, Statistische Landesämter, Krankenversicherungen, Gewerbeaufsichtsämter oder die Beteiligte zu 8. können hierzu ersichtlich nichts beitragen, da sie zur Arbeitnehmerzahl im Geltungsbereich des VTV weder Daten erheben noch von ihnen erhobene Daten angesichts der Komplexität des VTV Aussagen über eine Schätzgrundlage zur Großen Zahl zuließen. Gleiches gilt für Arbeitgeberverbände der von der Großen Einschränkungsklausel erfassten Branchen, da diese zum einen regelmäßig nur über Zahlen ihrer Mitglieder verfügen, zum anderen nur die Mitglieder bzw. branchenangehörigen Betriebe relevant wären, die ihrerseits arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausüben, die unter den Geltungsbereich des VTV fallen.
hh) Es ist schließlich weder vorgetragen noch objektiv ersichtlich, dass es zum Zeitpunkt der AVE VTV 2008 oder 2010 anderweitiges Datenmaterial gegeben hätte, welches annähernd den Geltungsbereich des VTV in betrieblicher und persönlicher Hinsicht abbildet.
c) Eine weitere Sachaufklärung zur Überprüfung der 50 %-Quote ist unbeschadet der fehlenden Entscheidungserheblichkeit in diesem Verfahren auch nicht geboten, um den Beteiligten Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu einem bislang noch nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zu geben.
aa) Die Berechnung der Großen Zahl mit und ohne Großer Einschränkungsklausel war in beiden Instanzen Gegenstand eingehender schriftsätzlicher Darlegungen. In einem vor der mündlichen Anhörung vor dem Senat allen Beteiligten übermittelten Hinweis des Vorsitzenden zum geplanten Ablauf der Anhörung wurde ua. auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen.
bb) Die Beteiligten zu 20. und 21. haben in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung geltend gemacht, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht die Große Zahl unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel zugrunde gelegt. Der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1. bis 3. und 9. bis 14. hatte bereits in seiner erstinstanzlichen Antragsschrift gerügt, dass bei der Ermittlung der Quote die Große Einschränkungsklausel nicht berücksichtigt werden dürfe, die Zahlen des Beteiligten zu 5. daher unbrauchbar seien und dieser andererseits auch weder wisse noch wissen könne, welche Betriebe und Betriebsabteilungen zwar vom VTV, nicht aber von der AVE erfasst werden. Diesen Vortrag hat er in seiner Rechtsbeschwerdebegründung ausdrücklich wiederholt. Hierzu haben sich die übrigen Beteiligten, insbesondere die Beteiligten zu 4. bis 8., nicht näher eingelassen. Der Beteiligte zu 4. hat im Zusammenhang mit Erwägungen über anderweitige Möglichkeiten zur Feststellung der Großen Zahl lediglich mitgeteilt, dass die exakte Abbildung des Geltungsbereichs der relevanten Tarifverträge des Baugewerbes schon wegen der Großen Einschränkungsklausel sogar im Rahmen einer direkten Befragung der Betriebe kaum möglich sei.
cc) Der Beteiligte zu 5. hat in der Rechtsbeschwerde im Schriftsatz vom 15. April 2016 auf Seite 6 ff. ausgeführt, es sei nur statistisches Material verwertbar, dass Aussagen darüber zulasse, wie viele Arbeitnehmer im Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe beschäftigt seien. Das sei für die Zuordnung zum Baugewerbe deutlich schlechter festzustellen als beispielsweise für das Gebäudereiniger-Handwerk, weil für die Zuordnung zum „Baugewerbe” aufgrund der unterschiedlichen Zuordnung der in dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV genannten baulichen Leistungen zwischen den Begriffen „Baugewerbe”, „Bauhauptgewerbe”, „Ausbaugewerbe”, „Baunebengewerbe” etc. unterschieden werden müsse. Als verwertbare Datenquelle für die Erfüllung der 50 %-Quote kämen deshalb ausschließlich die Zahlen der ZVK und die – allerdings modifizierten – Zahlen des Statistischen Bundesamts in Betracht.
Die von der ZVK erfasste Zahl der an dem jeweiligen Stichtag an den Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft teilnehmenden Betriebe einschließlich derjenigen Betriebe, für welche ein Beitragskonto eingerichtet wurde, obwohl die Teilnahmepflicht an den Sozialkassenverfahren streitig sei, entspreche der den AVE-Verfahren zugrunde zu legenden Großen Zahl. Bei dieser Zahl seien die in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV bezüglich des betrieblichen Geltungsbereichs aufgeführten Zweige verschiedener Bereiche des Ausbaugewerbes und die von der Großen Einschränkungsklausel erfassten Betriebe unberücksichtigt geblieben. Der Beteiligte zu 5. hat weiter ausgeführt, es erscheine ihm fraglich, ob überhaupt irgendein statistisches Zahlenmaterial verfügbar sei, aus welchem die Zahl der Beschäftigten im Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe auch nur annähernd erkennbar sei. Keine der verfügbaren amtlichen Statistiken spiegele den Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe wieder, und zwar weder hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs noch hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs der Tarifverträge. Sowohl hinsichtlich der Einbeziehung der Betriebe in die amtlichen Statistiken als auch hinsichtlich der Einbeziehung der Beschäftigten seien die dort ausgewiesenen Zahlen zum Teil überhöht, zum Teil aber auch zu niedrig. Es mangele deshalb an der notwendigen Aussagekraft aller bekannten statistischen Daten für die Erfüllung der 50 %-Quote.
dd) Anlässlich der mehrstündigen mündlichen Anhörung der Beteiligten vor dem Senat ist die Berechnung der Großen Zahl umfassend erörtert worden, beispielsweise auch in Bezug auf dem Beteiligten zu 5. zur Verfügung stehende Zahlen über Betriebe, welche Leistungen nach der Winterbeschäftigungs-Verordnung (WinterbeschV) erhalten. „Betriebe des Baugewerbes” sind nach § 1 Nr. 1 WinterbeschV unter Bezugnahme auf die Baubetriebe-Verordnung (BaubetrV) bestimmt. Die in § 1 BaubetrV aufgeführten Betriebe weichen aber bereits im Detail vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ab (zB hinsichtlich bestimmter Dämmarbeiten, Betonfertigteilherstellung, Abbruch- oder Steinmetzarbeiten). Außerdem zählen zu den nach § 2 BaubetrV ausgeschlossenen Betrieben zahlreiche, die vom VTV gerade erfasst werden. Selbst wenn der Beteiligte zu 5. über Zahlen zur Anzahl der Arbeitnehmer in Betrieben, die Leistungen nach der WinterbeschV erhalten, zum Zeitpunkt des AVE-Erlasses verfügt haben sollte, wäre auch dies keine geeignete Schätzgrundlage für die Große Zahl bezogen auf den VTV. In der mündlichen Anhörung vor dem Senat haben im Übrigen weder der Beteiligte zu 5. noch die Beteiligten zu 4. oder zu 6. bis 8. trotz dieser Erörterung konkret behauptet, sie verfügten selbst über anderweitiges geeignetes Zahlenmaterial. Ebenso wenig haben die Beteiligten anderweitige Erkenntnisquellen benannt, die bezogen auf den Geltungsbereich des VTV zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE über entsprechendes Material verfügt hätten.
4. Im Hinblick auf die Ausführungen zur Großen Zahl kann dahinstehen, ob die Kleine Zahl zutreffend ermittelt wurde und ob die von den Beteiligten zu 6. und 7. an den Beteiligten zu 4. übermittelten Zahlen zumindest eine Plausibilitätskontrolle erforderlich gemacht und ob sie einer solchen standgehalten hätten.
5. Da die verwendeten Daten des Beteiligten zu 4. als Schätzgrundlage ungeeignet sind und keine geeigneten anderen, zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE vorhandenen und verwertbaren Daten zur Verfügung standen, andererseits aber das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF positiv feststehen muss, hätte eine AVE nicht erfolgen dürfen. Auf Antrag der Beteiligten zu 1. und 2., 9. bis 14., 19. und 21. ist daher der angegriffene Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg auch aus diesem Grund aufzuheben und die Unwirksamkeit der AVE VTV 2008 und 2010 festzustellen.
X. Der Beteiligte zu 4. hat gemäß § 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG die Entscheidungsformel dieses Beschlusses im Bundesanzeiger bekannt zu machen.
C. Im vorliegenden Verfahren werden Kosten nicht erhoben, § 2 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Linck, Schlünder, W. Reinfelder, Klein, Stefan Fluri
Fundstellen
Haufe-Index 10034415 |
BAGE 2017, 213 |
BB 2016, 2419 |
DB 2016, 15 |
DB 2016, 7 |
DStR 2016, 14 |