Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsvertretung. Gruppenstärke. Vertretungskräfte
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Sitzverteilung nach § 17 BPersVG kommt es für die Bemessung der Gruppenstärke nicht auf die Zahlenverhältnisse am Tag des Wahlausschreibens, sondern darauf an, wie groß die Gruppen in der Dienststelle „in der Regel” sind (Anschluß an Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 5. Mai 1978 – 6 P 58.78 – Buchholz 238.3 A § 17 BPersVG).
2. In der Regel beschäftigt sind nur die Personen, die während des größten Teils des Jahres normalerweise in der Dienststelle beschäftigt sind.
3. Bei der Feststellung der Zahl der in der Regel Beschäftigten ist der Stellenplan nur ein Anhaltspunkt. Bei ständigem Abweichen vom Stellenplan ist von den tatsächlichen Gegebenheiten auszugehen und eine länger andauernde Verwaltungspraxis zu berücksichtigen (Anschluß an BVerwGE 29, 222 = AP Nr. 1 zu § 13 PersVG).
4. Bei der Bemessung der Gruppenstärke nach § 17 BPersVG sind auch solche Beschäftigten zu berücksichtigen, die zur Vertretung für infolge Urlaubs, Krankheit oder anderer Ursachen vorübergehend ausgefallene Arbeitnehmer befristet beschäftigt werden, wenn und soweit solche Vertretungen ständig erfolgen und damit zum Normalzustand der Dienststelle gehören.
Normenkette
BPersVG § 17 Abs. 1-2, § 16
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Beschluss vom 21.12.1989; Aktenzeichen 12 TaBV 55/89) |
ArbG Gießen (Beschluss vom 20.03.1989; Aktenzeichen 2 BV 6/88) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Betriebsvertretung gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Frankfurt (Main) vom 21. Dezember 1989 – 12 TaBV 55/89 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Antragstellerin ist eine in der beteiligten Dienststelle der amerikanischen Streitkräfte vertretene Gewerkschaft. Sie ficht die dort am 4. und 5. Mai 1988 durchgeführte Wahl der Betriebsvertretung mit der Begründung an, von den 13 Sitzen stünden der Gruppe der Arbeiter nicht nur vier, sondern fünf Sitze zu.
Im Wahlausschreiben vom 14. März 1988 war die Zahl der zu wählenden Mitglieder der Betriebsvertretung auf insgesamt 13, davon neun für die Gruppe der Angestellten und vier für die Gruppen der Arbeiter, festgesetzt worden. Hierbei hatte der Wahl vorstand nur solche Angestellten und Arbeiter berücksichtigt, die an diesem Tag bei der Dienststelle aufgrund unbefristeter Arbeitsverträge beschäftigt waren, nämlich 788 Angestellte und 435 Arbeiter, nicht aber die an diesem Tag aufgrund befristeter Arbeitsverhältnisse beschäftigten weiteren vier Angestellten und 112 Arbeiter.
Der für die Dienststelle gültige Stellenplan sah ab September 1987 insgesamt 806 Stellen für Arbeiter vor; für die Zeit davor waren dort für Arbeiter nur 402 Stellen vorgesehen.
Tatsächlich wurden in der Dienststelle jeweils zu den Quartalsenden 1987 (März) 347, (Juni) 331, (September) 393 und (Dezember) 413 und zum Ende des ersten Quartals 1988 (März) 409 Arbeiter in Arbeitsverhältnissen auf unbestimmte Zeit beschäftigt. Daneben wurden Arbeiter aus drei Gruppen von Gründen befristet beschäftigt, nämlich zur Vertretung für Stammarbeitskräfte, die infolge Urlaubs, Krankheit oder aus sonstigen Gründen ausgefallen waren, ferner wegen eines zeitlich begrenzten Beschäftigungsbedarfs in einem Automatisierungsprojekt „Space-Block” (Baubeginn 1985, Inbetriebnahme April 1987, abgeschlossen im August 1988) und schließlich wegen vorübergehenden Arbeitsbedarfs infolge saisonaler Anforderungen oder zusätzlicher Entladearbeiten. Die Zahl der aus diesen Gründen befristet eingestellten Arbeiter betrug:
Jahr/Quartalsende |
Befristungsgrund |
|
Vertretung |
Space-Block |
Sonstiger Bedarf |
1986 |
März |
24 |
0 |
0 |
|
Juni |
26 |
0 |
13 |
|
September |
18 |
0 |
0 |
|
Dezember |
21 |
0 |
17 |
1987 |
März |
34 |
45 |
0 |
|
Juni |
108 |
183 |
0 |
|
September |
35 |
181 |
0 |
|
Dezember |
24 |
116 |
46 |
1988 |
März |
94 |
99 |
41 |
|
Juni |
20 |
79 |
0 |
Die Befristungsdauer lag regelmäßig zwischen drei und sechs Monaten, vereinzelt auch darüber. Größtenteils liefen die am Tag des Wahlausschreibens bestehenden befristeten Arbeitsverhältnisse mit Arbeitern vor der Durchführung der Wahl aus.
Die Wahl wurde entsprechend dem Wahlausschreiben am 4. und 5. Mai 1988 durchgeführt. Das Wahlergebnis wurde mit der Wahlniederschrift vom 6. Mai 1988 bekanntgegeben.
Mit ihrem am 17. Mai 1988 eingereichten Antrag ficht die antragstellende Gewerkschaft die Wahl an. Sie hat geltend gemacht, bei der Sitzverteilung hätten auch die in der Dienststelle regelmäßig und in erheblichem Umfang befristet beschäftigten Arbeiter berücksichtigt werden müssen. Auch im Rahmen der Sitzverteilung nach § 17 BPersVG sei von der Zahl der regelmäßig Beschäftigten auszugehen. Dabei dürfe wegen der tatsächlichen Abweichungen nicht der Stellenplan zugrunde gelegt werden, auch nicht nur die Zahl der Arbeitsverhältnisse auf unbestimmte Zeit. Vielmehr müßten auch solche in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigten Arbeiter berücksichtigt werden, die zur Abdeckung ständigen Arbeitsbedarfs der Dienststelle, insbesondere zur Vertretung für infolge Krankheit, Urlaubs oder aus anderen Gründen ausgefallener Arbeiter, beschäftigt würden. Denn auch solche befristet eingestellten Arbeiter zählten zum regelmäßigen Bestand an Arbeitern der Dienststelle. Eine künftige Entwicklung hätte nur berücksichtigt werden dürfen, wenn hierfür konkrete Anhaltspunkte vorgelegen hätten. Es hätten aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgelegen, daß künftig keine Arbeiter zur Vertretung wegen Urlaubs, Krankheit oder sonstigen Arbeitskraftausfalls beschäftigt würden. Weil zu den 435 unbefristet eingestellten Arbeitern mindestens fünf befristet zur Vertretung eingestellte Arbeiter hinzuzuzählen seien, müsse die Gruppe der Arbeiter mit fünf anstatt mit nur vier Sitzen in der Betriebsvertretung vertreten sein.
Die Antragstellerin hat beantragt
festzustellen, daß die am 4. und 5. Mai 1988 durchgeführte, am 6. Mai 1988 bekanntgegebene Betriebsvertretungswahl unwirksam ist.
Die gewählte Betriebsvertretung (Beteiligte zu 2) hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat entgegnet, die Verteilung der Sitze in der Betriebsvertretung auf die Gruppen der Angestellten und der Arbeiter sei rechtmäßig vorgenommen worden. Es hätten nur die Arbeiter in Arbeitsverhältnissen auf unbestimmte Zeit berücksichtigt werden dürfen. Bei Erlaß des Wahlausschreibens habe der Wahlvorstand auch die künftige Entwicklung berücksichtigen müssen. Es sei damals ein Personalabbau zu erwarten gewesen, jedenfalls ein Rückgang befristeter Arbeitsverhältnisse durch deren Abbau oder soweit möglich durch deren Umwandlung in unbefristete Arbeitsverhältnisse. Dies sei dem Wahlvorstand von der Dienststellenleitung mitgeteilt worden. Der Personalbedarf für das Space-Block-Projekt habe unerwartet bis August 1988 angedauert. Erst später habe sich herausgestellt, daß ganz gegen alle früheren Erwartungen wegen der Einführung des neuen Systems mehr Arbeitskräfte erforderlich gewesen seien. Dies habe der Wahlvorstand aber nicht voraussehen können. Für die Wahl hätten aus sonstigen Gründen befristete Arbeitsverträge ebensowenig mitgezählt werden dürfen wie solche wegen Vertretungen, die ständig für Ausfälle infolge Krankheit, Schwangerschaft, Urlaubs usw. erforderlich seien, denn solche Arbeitsverhältnisse hätten mit der Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer einer Gruppe nichts zu tun.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihr will die Betriebsvertretung die Zurückweisung des Antrags erreichen, während die antragstellende Gewerkschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Betriebsvertretungswahl vom 4. und 5. Mai 1988 zu Recht für unwirksam erklärt.
I.1. Die erforderliche Auslegung des Tenors des angefochtenen Beschlusses und des damit im wesentlichen übereinstimmenden Antrags ergibt, daß die Wahl rechtsgestaltend für unwirksam erklärt worden ist. Antrag und Tenor sind ihrem bloßen Wortlaut nach zwar auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl gerichtet. Der Wortlaut läßt für sich allein offen, ob damit die nach § 25 BPersVG für den Fall der bloßen Anfechtbarkeit vorgesehene rechtsgestaltende Unwirksamkeitserklärung gemeint ist oder die hiervon zu unterscheidende deklaratorische Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl.
Die bloße Anfechtbarkeit einer Betriebsvertretungswahl hat nur zur Folge, daß die Wahl durch das Gericht für unwirksam erklärt wird, also die gerichtliche Entscheidung die Rechtslage erst gestaltet. Während die – hier nicht vorliegende – Nichtigkeit der Wahl ohne weiteres von Anfang an von Gesetzes wegen eintritt und jederzeit zu beachten ist, führt die Anfechtbarkeit einer Wahl nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz nur dann zu deren Unwirksamkeit, wenn ein Gericht sie in einem Verfahren nach § 25 BPersVG für unwirksam erklärt. Einer gerichtlichen Entscheidung über die Nichtigkeit der Wahl kommt feststellende Wirkung zu, allerdings mit dem Inhalt, daß die Wahl dann von Anfang an nichtig war. Ein gerichtlicher Beschluß, durch den die Wahl wegen Anfechtbarkeit für unwirksam erklärt wird, gestaltet die Rechtslage, wirkt jedoch nur für die Zukunft. Erst mit Eintritt der Rechtskraft eines gerichtlichen Beschlusses, durch den die Wahl für unwirksam erklärt wird, tritt die Unwirksamkeit der Wahl rechtlich ein.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Begründung des Sachantrags wie auch des angefochtenen Beschlusses, daß es darum geht, die Wahl rechtsgestaltend für unwirksam zu erklären.
2. Der Sachverhalt bietet keinen Anhaltspunkt dafür, daß die umstrittene Wahl nichtig sein könnte. Eine Betriebsvertretungswahl ist nur dann nichtigt, wenn bei ihn gegen allgemeine Grundsätze einer ordnungsgemäßen Wahl in einem solchen Maße verstoßen worden ist, daß auch der Anschein einer gesetzmäßigen Wahl nicht mehr vorliegt. Das ist bei einer fehlerhaften Verteilung der Sitze auf die Gruppen nicht der Fall (vgl. zur Betriebsratswahl: BAGE 44, 57, 59 f. = AP Nr. 10 zu § 19 BetrVG 1972, zu II 2 a der Gründe).
3. Die formalen Voraussetzungen des § 25 BPersVG für die Wahlanfechtung sind gewahrt. Die Antragstellerin ist als in der Dienststelle vertretene Gewerkschaft befugt, die Wahl anzufechten. Sie hat die dort am 4. und 5. Mai 1988 durchgeführte Betriebsvertretungswahl mit ihrem am 17. Mai 1988 beim Arbeitsgericht eingereichten Antrag innerhalb der zwölf Arbeitstage betragenden Anfechtungsfrist rechtzeitig angefochten; das Wahlergebnis ist ihr am 6. Mai 1988 bekanntgegeben worden.
II. Das Landesarbeitsgericht hat die Wahl zu Recht als anfechtbar erachtet.
1. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im wesentlichen ausgeführt, bei der Wahl sei gegen die i. S. des § 25 BPersVG wesentliche Wahlverfahrensvorschrift des § 17 Abs. 1 BPersVG verstoßen worden, weil die Sitzverteilung nicht entsprechend der Stärke der Gruppen vorgenommen worden sei. Der Gruppe der Arbeiter stünden fünf und nicht nur vier Sitze zu. Auch für die Verteilung der Sitze auf die Gruppen komme es auf die Zahl der regelmäßig Beschäftigten und nicht auf die Beschäftigtenzahl nur am Tag des Wahlausschreibens an. Entscheidend auch für die Größe der Gruppen sei die Zahl ihrer Angehörigen, die im regelmäßigen Dienstbetrieb beschäftigt seien. Eine ständige Zahl nur befristet beschäftigter Arbeitnehmer sei mitzurechnen, soweit die tatsächliche Ausfüllung von Dauerarbeitsplätzen mit jeweils befristet eingestellten Arbeitnehmern zum Normalbestand gehöre. Zumindest seit Beginn des Jahres 1986 würden zur Vertretung für wegen Urlaubs, Krankheit und aus sonstigen Gründen ausgefallene Arbeiter befristet eingestellte Arbeiter eingesetzt. Die Zahl solcher Vertretungen schwanke zwar. Aus ihnen lasse sich nur der Schluß ziehen, daß ein Kernbestand von 20 derart befristet eingestellten Arbeitern seit 1986 zur Bewältigung der Aufgaben der Dienststelle vorhanden und erforderlich gewesen sei. Hiervon habe auch der Wahl vorstand ausgehen müssen. Bei sachgerechter Prüfung hätte er mindestens mehr als fünf weitere Arbeiter für deren Gruppe mitrechnen müssen.
2. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im wesentlichen zu folgen.
a) Ebenso wie es bei der Bestimmung der Zahl der Mitglieder der zu wählenden Personalvertretung (Betriebsvertretung) nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BPersVG nicht auf die Zahlenverhältnisse nur am Tag des Wahlausschreibens, sondern auf die Zahl der „in der Regel” Beschäftigten ankommt, bemißt sich auch die für die Sitzverteilung nach § 17 BPersVG maßgebliche Stärke der Gruppen der Beschäftigten danach, wieviele Beschäftigte der jeweiligen Gruppe in der Regel angehören. § 17 BPersVG geht bei der Bemessung der Gruppenstärke zum Zweck der Verteilung der Sitze in der Personalvertretung (Betriebsvertretung) von der Größe dieser Vertretung aus, wie sie sich aus § 16 BPersVG ergibt. Der sprachliche Unterschied zwischen den „in der Regel” Beschäftigten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 BPersVG) und der „Stärke” der Gruppen (§ 17 Abs. 1 BPersVG) rechtfertigt es nicht, bei der Bemessung der Größe der Personalvertretung (Betriebsvertretung) zwar auf die Zahl der „in der Regel” Beschäftigten, bei der Bemessung der Gruppenstärke dagegen ohne Rücksicht auf den Regelbestand nur auf die am Tag des Wahlausschreibens bestehende Zahl Gruppenangehöriger abzustellen. Dies widerspräche dem Gruppenschutz, wie er im BPersVG seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerwG Beschluß vom 5. Mai 1978 – 6 P 58.78 – Buchholz 238.3 A § 17 BPersVG; Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, § 17 Rz 5; Kuhn/Sabottig/Schneider/Thiel/Wehner, BPersVG, § 12 Rz 3; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 6. Auflage, § 17 Rz 3; Engelhardt/Ballerstedt, Personalvertretungsgesetz für das Land Niedersachsen, 3. Auflage, § 14 Rz 3; Aufhauser/Brunhöber/Warga, BayPVG, Art. 17 Rz 6; Ilbertz, PVG Berlin, § 15 Rz 5; zur früheren, im Wortlaut mit § 17 Abs. 1 BPersVG übereinstimmenden Norm des § 13 PersVG: BVerwGE 29, 222, 223 = AP Nr. 1 zu § 13 PersVG). Denn die Stärke der Gruppen soll die tatsächlichen normalen Verhältnisse in der Dienststelle widerspiegeln, wie sie sich aufgrund der Betrachtung eines längeren Zeitraums ergeben.
b) „In der Regel” beschäftigt sind die Personen, die während des größten Teils des Jahres in der Dienststelle normalerweise beschäftigt werden (vgl. Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 6. Auflage, § 16 Rz 1; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Auflage, § 12 Rz 7; Aufhauser/Brunhöber/Warga, BayPVG, Art. 12 Rz 2; Fitting/Heyer/Lorenzen, PersVG, 3. Auflage, § 12 Rz 2). Bei der Feststellung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl ist der Stellenplan nur ein Anhaltspunkt. Er kann deshalb nicht als allein maßgebend angesehen werden, weil nicht auszuschließen ist, daß im Stellenplan vorgesehene Stellen unbesetzt bleiben oder überbesetzt sind. Bei ständigem Abweichen vom Stellenplan ist von den tatsächlichen Gegebenheiten auszugehen und eine länger andauernde Verwaltungspraxis in der Dienststelle zu berücksichtigen (vgl. BVerwGE 29, 222, 225 = AP Nr. 1 zu § 13 PersVG; Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, § 12 Rz 3 b; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 6. Auflage, § 12 Rz 5; Aufhauser/Brunhöber/Warga, BayPVG, Art. 12 Rz 2). Darüber hinaus bedarf es für die Feststellung der Regelzahl der Beschäftigten eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und einer Einschätzung der künftigen Entwicklung (vgl. BAG Urteil vom 19. Juli 1983 – 1 AZR 26/82 – BB 1983, 2118; BAGE 42, 1 = AP Nr. 7 zu § 113 BetrVG 1972). Deshalb muß dem Wahlvorstand in Grenzfällen auch ein gewisser Beurteilungsspielraum im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens eingeräumt werden (vgl. BAGE 28, 203 = AP Nr. 1 zu § 8 BetrVG 1972). Bis zum Wahltag eintretende vorhersehbare Änderungen der Beschäftigtenzahl hat der Wahlvorstand zu berücksichtigen. Ein späteres Ansteigen oder Sinken der Beschäftigtenzahl ist für die Sitzverteilung ohne Bedeutung (vgl. Kuhn/Sabottig/Schneider/Thiel/Wehner, BPersVG, § 16 Rz 2; Hess. VGH Beschluß vom 19. März 1980 – HPV TL 13/79 –, PersV 1982, 197). Die künftige Entwicklung im Personalbestand ist aber nur insoweit zu berücksichtigen, als aufgrund konkreter Entscheidungen des Arbeitgebers hinsichtlich des Betriebszwecks eine Veränderung der Beschäftigtenzahl gegenüber dem bisherigen Zustand zu erwarten ist. Die bloße Befürchtung oder Erwartung, Stellen könnten abgebaut oder Bedienstete könnten entlassen werden, berechtigt nicht dazu, die Zahl der in der Regel Beschäftigten schon deshalb geringer anzusetzen.
c) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei der Bemessung der Gruppenstärke nach § 17 BPersVG seien auch solche Beschäftigten zu berücksichtigten, die zur Vertretung für infolge Urlaubs, Krankheit oder anderer Ursachen vorübergehend ausgefallene Arbeitnehmer befristet beschäftigt werden, wenn und soweit diese vertretungsweise Ausfüllung vorhandener Dauerarbeitsplätze ständig erfolgt und den Normalzustand der Dienststelle darstellt.
aa) Zu den in der Regel in der Dienststelle Beschäftigten zählen vorrangig die ihr auf unbestimmte Zeit zugeordneten Bediensteten, insbesondere auch die bei ihr in Arbeitsverhältnissen auf unbestimmte Zeit beschäftigten Arbeitnehmer. Mitzuzählen sind auch solche Bediensteten, die dort ihren Dienst aus bestimmten Gründen vorübergehend nicht versehen, beispielsweise infolge Erholungsurlaubs, Krankheit, Schwangerschaft, Erziehungsurlaubs, aber auch Ableistung von Grundwehr- oder Ersatzdienst (vgl. Kuhn/Sabottig/Schneider/Thiel/Wehner, BPersVG, § 12 Rz 3; Aufhauser/Brunhöber/Warga, BayPVG, Art. 12 Rz 3; Ballerstedt/Schleicher/Faber, BayPVG, Art. 17 Rz 4). Ob und unter welchen Umständen Bedienstete, die aufgrund einer Abordnung nicht in der Stammdienststelle, sondern anderenorts tätig sind (vgl. zu deren Wahlrecht § 13 Abs. 2 BPersVG), oder die aufgrund langfristigen Sonderurlaubs nicht in der Dienststelle arbeiten, gleichwohl noch als in der Regel bei der Dienststelle Beschäftigte anzusehen sind, kann dahinstehen, weil ein solcher Sachverhalt nicht vom Landesarbeitsgericht festgestellt worden ist.
bb) Nicht zu den in der Regel Beschäftigten zählen solche Bediensteten, die nur vorübergehend, z. B. aus saisonalen oder anderen Gründen zur Erfüllung von Aufgaben von begrenzter Dauer, z. B. für Umstellungsarbeiten aus Anlaß der Einführung neuer Arbeitstechniken, über mehr oder weniger kurze Zeiträume hinweg beschäftigt werden (vgl. BVerwGE 29, 222, 226 = AP Nr. 1 zu § 13 PersVG; Dietz/Richardi, BPersVG. 2. Auflage, § 12 Rz 7). Dies ergibt sich aus § 65 BPersVG. Hiernach wählen die nicht ständig Beschäftigten einen Vertreter, wenn die Zahl der Beschäftigten vorübergehend um mehr als 20 Personen steigt, die voraussichtlich nur für einen Zeitraum von sechs Monaten beschäftigt werden.
cc) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, es gebe keinen personalvertretungsrechtlichen Rechtssatz des Inhalts, daß zur Vertretung vorübergehend ausgefallener Bediensteter Beschäftigte keinesfalls zu den in der Regel Beschäftigten gehörten.
In der Literatur wird die Ansicht vertreten, Aushilfskräfte, die nach anfallendem Bedarf zur Urlaubs- oder Krankheitsvertretung eingestellt werden, glichen nur die Schwankungen des tatsächlichen Personalbestandes im Interesse eines störungsfreien Dienstbetriebs aus und könnten deshalb auch dann nicht den Personalbestand erhöhen, wenn im Durchschnitt mehrere solcher Aushilfskräfte tätig seien; weil die durch Urlaub oder Krankheit abwesenden Bediensteten zum Regelbestand der Dienststelle zählten, könne die Anwesenheit ihrer Vertreter nicht zur Erhöhung des Regelbestandes der Dienststelle führen. Die Vertreter hielten den Personalbestand nur in der erforderlichen Höhe (vgl. Kuhn/Sabottig/Schneider/Thiel/Wehner, BPersVG, § 12 Rz 3; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 6. Auflage, § 17 Rz 3; Ernst Ruppert, Personalvertretungsrecht Rheinland-Pfalz, 6. Auflage, § 15 Rz 5; Ballerstedt/Schleicher/Faber, BayPVG, Art. 17 Rz 4).
Diese Ansicht, wonach solche Vertretungskräfte ausnahmslos nicht zu den in der Regel Beschäftigten zu zählen seien, vermag der Senat nicht zu teilen. Vielmehr kommt es für die Frage, ob sie zu den in der Regel Beschäftigten gehören, darauf an, ob in der Dienststelle regelmäßig ein dauernder Bestand solcher, der Vertretung von Stammbediensteten dienenden Beschäftigungsverhältnisse vorhanden ist oder nicht. Ist ein solcher Bestand vorhanden, so sind die ihn bildenden Arbeitsverhältnisse bei der Gruppenstärke als in der Regel vorhanden mitzuzählen, sofern der aus ihnen zusammengesetzte Bestand als kontinuierlich und nicht etwa nur als vorübergehend anzusehen ist. Unter Beachtung dieser Voraussetzungen bedarf es zur Feststellung der Stärke der in der Dienststelle vorhandenen Gruppen der Feststellung, wieviele zum Zweck der Vertretung befristet beschäftigte Arbeitnehmer bei Betrachtung der Normalität in der Dienststelle regelmäßig dort beschäftigt sind. Auch bei der Verteilung der Sitze in der Betriebsvertretung auf die verschiedenen Gruppen soll deren tatsächliche, auf Dauer angelegte Personalstärke für eine möglichst lange Zeit der künftigen Amtsperiode berücksichtigt werden. Dazu müssen die dauerhaften tatsächlichen Verhältnisse hinreichend berücksichtigt werden. Hierzu ist aber auch erforderlich, derartige Vertretungen, die der Sache nach Dauervertretungen sind, zu berücksichtigen, auch wenn hierzu verschiedene Arbeitnehmer herangezogen werden.
Dem steht der Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 1978 (– 6 P 58.78 – Buchholz 238.3 A § 17 BPersVG) nicht entgegen. Darin hat das Bundesverwaltungsgericht zwar Schüler, die in einem Postamt einige Tage oder Wochen als Urlaubs- oder Krankenvertreter tätig gewesen sind, bei der Bemessung der Zahl der regelmäßig Beschäftigten unberücksichtigt gelassen. Um eine solche Fallgestaltung geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht. Vielmehr bestehen die Vertretungsarbeitsverhältnisse im vorliegenden Fall über erheblich längere Zeiträume, nämlich über mehrere Monate, zuweilen sogar über mehr als ein halbes Jahr. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem genannten Beschluß ausgeführt, von der kurzfristigen Vertretung durch Schüler sei die Frage der Berücksichtigung ständiger Vertretungskräfte zu unterscheiden. Dabei ist nicht erforderlich, daß stets derselbe Arbeitnehmer ständig oder immer wieder zur Vertretung befristet eingestellt wird. Im vorliegenden Fall geht es um in diesem Sinn ständige Vertretungen, mag auch die Person des jeweiligen Arbeiters wechseln. Aus diesen Gründen war eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß § 2 RsprEinhG nicht geboten.
d) Ohne Rechtsfehler ist das Landesarbeitsgericht aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangt, zu den 435 in unbefristeten Arbeitsverhältnissen stehenden Arbeitern hätten mindestens weitere 20 befristete Vertretungskräfte hinzugezählt werden müssen, weil in der Regel seit Anfang 1986 mindestens in dieser Zahl ständig Vertretungsarbeitsverhältnisse vorhanden seien. Aus Rechtsgründen ist auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden, der Wahl vorstand habe den ihm für die Frage der Festlegung der Gruppenstärke zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten, weil er hinsichtlich der in Rede stehenden Arbeitsverhältnisse keine Beurteilung vorgenommen, sondern ausnahmslos alle nicht auf unbestimmte zeit bestehenden Arbeitsverhältnisse nicht berücksichtigt habe. Die Schlußfolgerung des Landesarbeitsgerichts, der Gruppe der Arbeiter stünden nach § 17 Abs. 1 und 2 BPersVG nicht vier, sondern fünf Sitze in der Betriebsvertretung zu, weil die Gruppe der Angestellten 788 Angehörige, die der Arbeiter aber nicht nur 435, sondern 455 Angehörige umfaßt, ist richtig. Dementsprechend ist dem Antrag der Antragstellerin zu Recht stattgegeben worden.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Dr. Steckhan, Schliemann, Der ehrenamtliche Richter Nehring ist wegen des Ablaufs seiner Amtszeit verhindert zu unterschreiben. Dr. Seidensticker, Metzinger
Fundstellen
BB 1992, 773 |
NZA 1992, 182 |
RdA 1992, 59 |